Kolumne von Andreas Bürgel

27. Dezember 2018

 

Kolumne von Andreas Bürgel

 

Auf Facebook am 25. Dezember 2018

Diese Tage lassen etwas Zeit, in der Gegend herum zu lesen. Journalhopping. Und mein Blick bleibt gleich an einem Satz hängen: „Wussten Sie, dass Sie günstigen Wein mit einem einfachen Trick in einen erstklassigen Rebensaft verwandeln können?“ Klingt, als hätte jemand aktuell die Feiertagsmythen verwechselt – Weihnachten-Ostern, Plörre in Wein verwandeln statt Scrooge in Scrooge -, also ganz meine Kragenweite und so lese ich weiter. Und erfahre von einer bewähr-ten Methode, die „Weinliebhaber aus aller Welt fasziniert“: „schütten Sie einfach den Wein in den Mixer und warten einige Sekunden bis der Wein aufschäumt“.

 

Das Ergebnis: der versprochene „erstklassige Reben-saft“. Vorbei die Zeit geleerter Haushaltskassen und mehrstelliger Rechnungen aus dem Weinladen. Einfach eine „günstige Flasche Wein für 2 bis 5 Euro“ aus dem Supermarkt gekrallt und dem Zeug ein paar flotte Mixerrunden gegönnt. Fertig ist ein exorbitanter Jubelstoff. So ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis Clos Rougeard vom Markt verschwindet und Gantenbein pleitegeht. Aber halt, wer sagt denn, dass nicht auch die durch ein wenig fliehkräftige Schaummixerei noch besser werden? Wo ist gleich unser Mixer hin, ich muss das mit diesem Rebholz hier testen. Und - wenn ich schon dabei bin, warum bei Wein haltmachen - auch mit den drögen Keksen und der gelsterigen Cervelatwurst aus Tante Gretas Weihnachtsfresspaket.

Andress Bürgel ist Musiker, Kolumnist, Weinliebhaber. Er hat als Kolumnist auch für Vinum gearbeitet und hier Kolumnen veröffentlicht.

28. Juli 2012

 

Zur Person und zur Kolumne

  

Andreas kenne ich nun schon seit mehr als 10 Jahren. Damals - in den Anfängen von wein-plus.de - haben wir uns "virtuell" getroffen. Seine prägnannten Texte zum Thema Wein - seine wunderschönen Essays - sind nicht nur mir aufgefallen. Andreas erhielt - ich glaube es war das dritte "Grosse Treffen" - den Weinnasenpreis für seine kreativen Beiträge auf wein-plus. Dann ist auch er bei wein-plus ausgestiegen. Es wurde rauher, kommerzieller, unpersönlicher im damaligen Forum, und dies behagte ihm - und vielen anderen - nicht. Ich habe Andreas - den Musiker und Feuilletonisten - aus den Augen verloren, bis ich ihn kürzlich bei weinfreak.de wieder getroffen habe. Noch immer sind seine Betrachtungen lesenswert, mehr noch, es sind kleine "Kunstwerke". Und so sind wir übereingekommen, dass ich jede Woche - jeden Montag - hier auf meiner Homepage eine seiner ziselierten Gedanken einstelle, als regelmässige Kolumne. Dazu hänge ich eine Blog an, in welchem die Texte kommentiert werden können. Ich wünsche allen so viel Vergnügen, wie die Texte mir bereiten.

Peter Züllig

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04. August 2017

 

Aufgeschnappt auf Facebook

auf Facebook 03. August 2017

 

Glosse von Andreas Bürgel (Musiker, Kolumnist im "Vinum")

 

"Die nette Bäckereiverkäuferin nimmt die Münzen aus der Kasse, zählt noch einmal kurz nach, langt über den Tresen und lässt das Wechselgeld aus ihrer mattweißen Hand in die meinige fallen. „Latex-Handschuhe?“, frage ich, „das ist neu.“ „Wegen der Hygiene“ nickt sie, ein wenig stolz, und packt auch schon die Feierabendbrötchen für den nächsten Kunden ein. Auf der Fahrt nach Hause spielt das Autoradio Joe Walsh. „Life of illusion.“ 

Und jetzt sag du nochmal, das Radio sei googlefrei.

 

Vor fünf Jahren - noch vor Vinum - habe ich hier auf sammlerfreak.ch eine ganze Reihe der Wein-Kolumne von Andeas Bürgel eingestellt. Sie schienen mir besonders gut und treffsicher zu sein. Nach einem Jahr habe ich die Seite eingestellt - weil sie kaum Resonanz hatte. Ich habe es damals nicht begriffen und begreife es heute noch nicht.
Hier die damaligen Kolumnen im Archiv

14. April 2013

 

Kolumne von Andreas Bürgel im Vinum Nr. 14

 

26. Dezember 2012

 

Comeback


17. Dezember 2012

 

Mythos

 

Wein ist nie so groß wie sein Mythos, Unbehagen in der Kultur hin oder her.
Am Mythos von dem hier wird allerdings noch gestrickt. Und da die sagenumwobene Alte Frau hier besonders viel stricken muss, ist der auch - noch - besser.
Ein sagenhafter Trunk.
Olivier Bernstein, Meursault "Les Charmes" 2009.

10. Dezember 2012

 

Anfangszauber


"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne". Hesse, schon klar. Auch klar, dass es da mal wieder ein wenig mit dem Hermann durchging.
Ich für meinen Teil steh so gar nicht auf Anfänge, auf diese Premieren des Lebens.
Ging bei der Einschulung schon los.
Kaum war der Schulhof premierenmäßig betreten, waren da auch schon die Viertklässler, die Großen, Herrscher über Gedeih und Verderb. Und es war gerade die Verderb-Saison, frage nicht. Du freust dich auf dein Emmentaler-Pausenbrot? Dann fang lieber im Klassenraum an zu essen wenn du wenigstens ein paar Bissen davon für dich haben willst. Du hast lecker Kakao im Plastikbecher mit? Nun, es gibt Verstecke, die etwas taugen und solche, die sind zu nichts zu gebrauchen – bitte um die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Oder um die Kraft, zwei Unterrichtsstunden mit klebrigen Haaren, feuchtem Nacken und einem dich umwabernden, stetig saurer werdenden Milchmischgetränksmüffel auszuhalten.
Anfangszauber "der uns beschützt und der uns hilft zu leben" am Arsch.
Überhaupt: dieses "das erste Mal" dünkt mir doch komplett überbewertet.
Das erste Mal "Nazareth" live in der Niedersachsenhalle … einmal die Komplettdesillusion mit Volumen und Festiger bitte. Ob die allerdings jemals live etwas getaugt haben kann ich nicht sagen; manchmal ist das erste auch das letzte Mal – habe für die nie wieder ein Ticket gelöst.
Und dann das allererste Engagement als Jungmucker in einer Band, die in einem Nudistencamp der Freikörperkultur irgendwo im dunklen Tann aufspielen sollten: "der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten?" Haste gedacht. Der finstere Charme eines Dorfs zwischen Cloppenburg und Vechta herrschte da, nur leider ohne die gnädig zumindest ein Minimum an Ästhetik bietenden Textilmaterialien, die in jener Region mit den immensen Produktionsleistungen im Bereich der tierischen Veredelungswirtschaft gottseidank Standard sind.
Der erste Parisbesuch? Die etwas dreckigere Version der stinknormalen selbstüberschätzenden Unhöflichkeit.
Der erste Hamburger? Das muss Mumie sein, dachte ich, Mumie mit einer Scheibe toter Gurke und Wiedergängersalatblatt.
Und ja, auch der erste Stodden war so ein Fall. Gut, es war ein Basis-Spätburgunder. Aber das heißt ja nichts, der Holger Koch zum Beispiel bringt da ja auch nette Sachen auf die Flasche. Oder der Knipser. Oder Fürst. Irgendwie lieblos gemacht erschien der mir.
Der 07er Recher Herrenberg heute aber steht da ganz anders im Glas.
Für mich ein packender, nuancierter Wein mit recht festem Bau, Frucht mit Sauerkirsche, Schlehe, bissele grünem Pfeffer, einer Schnuppenspur Bitterschokolade und Süßholz im Hintergrund, gut gemanagtem, recht dezentem Holzeinfluss. Guter Nachhall und Länge.
Na gut dann, schwamm über den ersten Stodden, wer weiß schon ob die Vergangenheit nicht lügt; oder in der Hesseübersetzung: "wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde".
Morgen schaue ich mal nach, ob Nazareth noch spielt …

8. Dezember 2012

 

Bald ist Weihnacht


Sie rufe auch nur an weil doch bald Weihnachten sei. Und da könne man ja immer einen guten Tropfen brauchen.
Wäre ich Politiker oder Bischof hätte die Frage, die in diesem Fall als Antwort gedient hätte, auf der Hand gelegen: ob sie denn Himmelarschundzwirn so gar keinen Respekt vor dem Advent und der Weihnacht habe. Aber erstens hat das mit meiner Bischofskarriere irgendwie nicht hinhauen wollen
und zweitens ... wahrscheinlich war das da gerade absolut aktiver Respekt vor dieser Zeit.
Wie auch immer, ich setze auf die Geldkarte.
Dass mein Budget für Wein im Grunde schon verplant ist und – wer weiß – im nächsten Jahr; vielleicht und danke.
Das nun lässt sie ihren Joker zücken: eine Cuvée aus Spätburgunder, Merlot und Dornfelder. Ganz was Feines, das muss einen doch locken! Zumal dieser spezielle Tropfen echt "superdunkel" sei. Und nicht nur superdunkel – "der wird mit den Jahren immer noch dunkler". Na, wenn das nicht irgendwie doch phantastisch ist.
Nein, keine dieser Großkellereien war da am Rohr. Gar nicht mal so ein Unbekannter von der Mosel war's. Wo offenbar auch das "Outsourcing" um sich greift.
PR wird delegiert. Es is ja auch ein schmutziges Geschäft.
Aber da es nun mal jemand machen muss; und da Flatrates nun mal Flatrates sind, Telefongespräche fast nichts mehr kosten und "superdunkel" eine Wahnsinnsstrategie …
Ich für meinen Teil setze auch dieses Weingut auf meine Liste. Die schwarze.
Zum Feierabend nerven gibt eine Abmahnung.

Mindestens einen Smiley aber bekommt ein Wein von mir, dessen Erzeuger bislang irgendwie an mir vorüberging: Bernhard Koch, Pinot Noir 2009, Reserve HE.
Hocharomatisch, viele Beeren in der tiefen Frucht, ungemein mundfüllend, dabei nuanciert, vom Holz gewürzt (was mich diesmal so gar nicht stören will), etwas exotische Gewürze, Wacholder, kandierte Orange, Rose, ein Nuancechen aus dem Nadelwald, feines Tannin, gute Balance und Nachhall. Schöne Länge.
Insgesamt ein "superdicker" Smiley. Und der wird mit der Zeit bestimmt noch dicker …
26. November 2012
 
Fifty-fifty
 
Die Zeit drängt. Die Bahn fährt immer dann planmäßig, wenn ich mal später dran bin. Doch ich muss das Rücksendepäckchen auf jeden Fall noch bei diesem Papierwarenladen vorbei bringen, der bei uns am Ort die Post ersetzt.
"Postagent" nennt sich der Mann jetzt, der bis vor ein paar Jahren eigentlich nur die Lottozahlen sowie die Schulbuchbestellungen der Anwohner entgegengenommen hat. Trägt nun eine verspiegelte Sonnenbrille zu jeder Tageszeit und hat stets ei
nen Trenchcoat in Reichweite.
Sein Kumpel und Nachbar hat sich mal bei einem Bier ein Herz gefasst und ihm erklären wollen, dass eine Postagentur normalerweise weniger mit verdeckten Operationen und mehr mit offenen Couverts zu tun hat. Erntete da nur einen verständnislosen Blick.
Als ich den Laden betrete, sehe ich den Postagenten bei den TV-Programmzeitschriften in der Nähe des Telefons stehen – vermutlich auf seinen ersehnten Einsatzbefehl wartend. Die Postannahme befindet sich im hinteren Teil des Ladens. Ich gehe grüßend am Trenchcoat vorbei, der seinerseits durch mich hindurch starrt. Hält sich neuerdings für unbemerkbar; jeder Beruf fordert seinen Tribut.
Ich blicke auf die Ladenuhr. Muckefuck! Das wird echt eng.
Ich lege einen Schritt zu und überhole einen Mann mit vor dem Bauch geschnalltem Baby, der auf die linke Schlange vor dem Tresen mit dem schwarzen Horn auf gelbem Grund zusteuert. Keine Zeit für überschätztes Sozialverhalten. Mit einem bösen Seitenblick auf mich verzieht er sich zu den in der rechten Reihe Wartenden.
Sechs Köpfe zähle ich vor mir und auch in der rechten Wartereihe – was sowieso auf eine fifty-fifty-Chance herausläuft.
Der erste Kunde in meiner Schlange bekommt seine Einschreiben-Quittung, da waren es nur noch fünf. Der Nachrücker will einen Umschlag frankiert bekommen - vier. Auch das bedrohlich aussehende Paket wird abgefertigt, Gott Hermes scheint Gnade walten zu lassen. Doch als ich sie sprechen höre, kommt mir unweigerlich in den Sinn, dass es die frühe Freude ist, die den Wurm frisst. Oder war es der Wurm, der die frühe Freude fraß? Irgendwie klingt beides nicht richtig. Aber wer kann eingedenk vom Himmel fallender Meister oder am längsten währender Ehrlichkeit bei Sprichworten ernsthaft nach Sinn suchen. Insbesondere, wenn man noch nicht einmal Zeit für das Warten in einer Postschlange hat.
Mit den Worten "Das ist zum Geburtstag von Dotti. Machen Sie eine schöne drauf", schiebt die Frau den Umschlag über den Tresen. Und nachdem klargestellt ist, dass es eine 90er Marke sein müsste, macht sich die Postbeauftragte frisch ans Frankieren. Als die Kundin resolut Einhalt gebietet.
"Der Kerl ist doch hässlich. So ein dickes Gesicht. Da wird sich Dotti aber nicht freuen können", zetert sie und zeigt mit bebendem Zeigefinger auf das Postwertzeichen. "Haben Sie nicht die mit dem Kreidefelsen?" Nein, Kreidefelsen sind nicht im Angebot, obwohl die Dame darauf etwa ein halbes Dutzend Mal betont, dass sie die aber hier schon mal gekauft habe.
Der Vorschlag, dann statt der einen 90er zwei hübsche 45er zu nehmen, "vielleicht Schmalspurbahnen im Harz" oder "Kohlezechen im Profil" wird mit "Neinneinneinneinneinneinnein" und dem Hinweis quittiert, dass, wenn man auf dem Markt einen Feldkieker haben wolle, sich doch wohl auch nicht mit zwei Stracke zufriedenstellen lasse. Was die ganz offensichtlich im Umgang mit Eichsfelder Wurstwaren unkundige Postbeauftragten zu einem ganzen Fragenkatalog über Hausgeschlachtetes im Allgemeinen und Mettverwurstetes im Besonderen inspiriert.
Der Mann mit dem Babybauch geht abgefertigt und mit hämischem Grinsen Richtung Ausgang an mir vorbei und beginnt einen Stones-Titel zu pfeiffen."You can't always get what you want".
"Lustig, du Pfeiffe", rufe ich ihm hinterher. Was mir kritische Blicke aus dem Laden einbringt.
Das verbale Schlachtfest am Kopf meiner Schlange scheint in der Zwischenzeit Verbindendes produziert zu haben - wir sind in Niedersachsen - und so einigt man sich als Rohwurstsympathisantinnen und mangels echter Alternativen nun doch gütlich auf den dicken Mann für Dotti. "Erinnert sie ja vielleicht an ihren Herbert, der Herr hab ihn selig."
"Und nicht nur ihn, wenn das so weiter geht", grummele ich vor mich hin – was die Frau vor mir zu einem Luftschnappen, einer zackigen Drehung in meine Richtung und einem bösen "Na, hören Sie mal …" veranlasst.
Doch genau das ist es ja, was ich am allerwenigsten möchte. Noch irgendetwas hören. Ich will meine Retoure loswerden und dann nichts wie hin zum Bahnhof.
"Und dann nehme ich noch eine 55er mit. Weil im März hat Trudi Geburtstag. Dann kann ich das selbst draufkleben. Wird ja nur ein Brief. Haben Sie so was wie den Kreidefelsen?"
Ich stöhne auf. Immer noch kein Kreidefelsen, aber es gibt andere Männer ("Nein, nicht noch einen"), etwas mit Luftfahrt ("Gibt es nicht so was Ähnliches, wie einen Kreidefelsen") und einen Leuchtturm ("Sieht ja aus, wie 'ne Zipfelmütze").
Schließlich findet sich der Luchs. Doch der ist nur zu mehreren im Briefchen zu haben und zudem selbstklebend. Einzelverkauf ausgeschlossen.
Ebenso wie die Möglichkeit, dass ich meinen Zug noch erreichen können würde.
Fifty-fifty, pah.
Die Münze. Roulette. Kopf oder Zahl. Rot oder schwarz.
Aber glaube nicht, du hättest auch eine fifty-fifty-Chance.
So etwas wie eine fifty-fifty-Chance gibt es nicht.
Mach den Test: greif dir im Dunkeln ein Sweatshirt und ziehe es dir über, wähle eine unter zwei entsteinten Datteln aus. Unter Garantie wird dich danach der Rückenschnipsel des Textils unter dem Kinn kitzeln und du wirst einen Zahnarzttermin vereinbaren wollen. In den allermeisten Fällen.
Auch die Mathematik ist nur ein Gaukler.
Für Chancen wirst du geboren.
Oder eben nicht.
Die Lösung? Glaube einfach nicht, eine Wahl zu haben.
Oder wähle nicht.
Fragt dich zum Beispiel jemand, ob du dir den 09er "Les Narvaux" oder "Les Genevrieres" von Remi Jobard in den Keller legen lassen möchtest, nimm einfach beide.

19. November 2012

 

Komplettausstattung

 

Einmal die Komplettausstattung, bitte:
Hocharomatisch, reife Beerenfrucht, bestens differenziert, voller Nuancen, feines Tannin, Nachhall, Länge.
Venta d'Aubert, Syrah 2005.
(Dorst inside #1)

12. November 2012

 

Für einmal keine Weinkolumne:

 

Eine Rose ist eine Rose

 

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.
Literarische Tatsache. Und warum auch nicht.
Schließlich geht es ja auch nicht um Pommes - die bekanntlich von tranig müffelnden Glitschhobeln über gaumenperforierende Karbon-Versteinerungen bis zu goldgelben, zartkrossen Hüftschwellern so ziemlich alles sein können - oder ums Linienbusfahren: wo vom die Sinne nachhaltig schmähenden und das Immunsystem bis ...
auf Anschlag treibenden Survivaltrip bis zum wohlig schläfrigen Relaxtransfer ja so ziemlich alles drin ist (letzteres allerdings nur im Nebenstreckenverkehr zur Urlaubszeit, da hast du völlig recht).
Und bei Gutachten ist es mit dieser Rosengewissheit schon überhaupt Essig.
Klar, ist praktisch, so ein Gutachten. Enzyklika der Postmoderne quasi. So eine Glaubensverkündigung schafft Ruhe, auch wenn sie nicht auf Latein ist. Allerdings nur solange bis jemand merkt, dass so ein Dingens gegen die Komfortzone dieses Jemand geht. Oder gegen seinen Geldbeutel.
Dann muss das weg.
Oder etwas anderes muss her. Praktischerweise ein Gegenpapst mit einer Antienzyklika.
Pass auf, jetzt gerade wieder: da haben die ihren Ratten zuhause im Labor lecker NK603 zu futtern gegeben. Genau, das NK603 von Monsanto. War ganz früher mal einfacher Mais bis die es gentechnologisch neu erfunden haben. Jedenfalls starben 50 Prozent der Männerratten und gleich 70 Prozent der Weibchenratten nach diesen Mahlzeiten ruckzuck weg.
Krebs.
Die mit dem altmodischen Mais gefütterten Langschwänze lebten besser. Da starben nur 30 Prozent Männchen und 20 Prozent Weibchen vor dem Methusalemalter.
Durchgezogen haben die das zwei Jahre mit den Viechern. Solange wie so ein Nager auch lebt, wenn er nicht in ein Labor gezogen ist.
Jetzt haben die dann fluchs ein Gutachten draus gemacht und gesagt: NK603 muss weg. Weil das ist nicht nur ein zugelassenes Futtermittel sondern auch ein verkehrsfähiges Lebensmittel. Jaha! Kannst du in jedem Supermarkt eintüten.
Doch nicht nur NK603 muss weg sagen die, sondern auch die Gutachten von Monsanto & Co. Die, in denen steht, dass NK603 echt lecker und voll gesund ist. Weil da halt nur zwölf Wochen lang den Ratten NK603 in die Backentaschen gestopft wurde und die da noch nicht genug verkrebst waren um zu sterben, sagen die Enzykliker, also die Antimonsantiker. Die Monsantiker haben so also einfach die Ratten zu früh aus ihrer Labortätigkeit entlassen.
Aber jetzt hör mal. Die Anti-Antimonsantiker, also die Gegenpäpste, antworten darauf, dass das Nicht-Lecker-Gutachten über NK603 gar nicht zählt.
Weil ist gekauft. Weißt du, der Obergutachter ist nämlich ein Freund von Greenpeace und gibt das auch noch zu. Klar sind die Monsanto-Gutachten auch gekauft, aber richtig gute Gutachten kosten nun mal. Da kannste nichts machen. Immerhin wollen die Monsanto-Gutachter wenigstens nicht alles mies machen. Wie diese Aktivistengutachter. Sagen die Monsanto-Gutachter.
Egal.
Was ich eigentlich sagen will: ein Gutachten ist kein Gutachten ist keine Rose.
Aber so mal unter uns: das ist mir völlig wurscht. Ich esse halt eh lieber diesen altmodischen Mais, frisch vom Kolben, vielleicht mit ein bissele Butter drüber. NK603 kann R2-D2 haben, der steht auf so was.

06. November 2012

 

Wo sich die Geister scheiden

von Andreas Bürgel

 

Ahr. Übersetzung: "Tal, an dem sich die Geister scheiden."
Aber wie auch immer man prädisponiert ist - Jakob Sebastian ist ein Schluck zu gönnen.
Die Ahrweiler Daubhaus Spätburgunder 2006 Auslese trocken jagt Traditionen durch ein Kaleidos...
kop. Und nimmt der Ahr-Auslese Schrecken, die zu verbreiten sie in der Lage ist. Arabesque mit Erdung.
Straffer der Heimersheimer Berg Auslese trocken aus dem gleichen Jahr. Streckmuskeltraining war hier offenbar obligat.
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29. Oktober 2012

 

Zeit

von Andreas Bürgel

 


Zeit ist die stetige Entfernung des Jetzt vom Damals.
Gelegentlich lassen sich Sprungstellen markieren.
Die hier ist eine für mich überraschende:
Irouléguy "Tradition" von Arretxea 1997 und 2010.
Eigenständig. Ein wenig ruppig. Auch der Vor
fahr.

Logisch, dass der Jungspund beerige Akzente setzt, ein kleines Veilchen hat und ein bissele rauer auftritt.
Der Alte bringt Tabak mit, einen Kräuterbeutel und hat Waldboden an den Füßen.
Und meine Achtung.

 

22. Oktober 2012

 

Geheimnis

von Andreas Bürgel

 

Über Wein zu schreiben, ist nicht immer leicht.
Zum einen ist das meiste schon irgendwann mal irgendwo gesagt. Zum anderen verführt Wein - und hier besonders der gute - zu Überzeichnungen.
Besonders schwer ist das Schreiben über Wein aber w
enn man ihn verkaufen möchte. Dass sich hier der eine oder andere Texter vergalloppiert ... wer hat's nicht schon selbst gelesen. Und dass so etwas auch hochprofessionalisierten Unternehmen passiert beweist eine aktuelle Aussendung, aus der der Beitrag auf diesem Bild stammt.

Es geht um einen Wein namens "Titok One" - wobei dieses Titok wohl "Geheimnis" bedeuten soll. Klar, dass ein Texter sich diesen Hook nicht entgehen lässt und ein Geheimnis ist ja rasch in jedem Weintext untergebracht.
So zumindest würde man meinen - bis man diesen Text zum "Titok" gelesen hat.
Denn gleich das erste Mysterium, das allein in der Tatsache gründen soll, dass in der Römerzeit in Ungarn Wein gepflanzt und gekeltert wurde, hat irgendwie seine Tarngewänder und verschleiernden Nebelschwaden - Grundausstattung eines jeden hart arbeitenden Mysteriums - im Zug liegen lassen. Gerade in der Römerzeit taucht Wein praktisch überall auf wo eine Lateinersandale Staubwölkchen aufgewirbelt hat. Die Herren Pilumträger haben damals, kaum dass ihr Feldlager stand, auch schon den ersten Weinstock eingebuddelt. So waren sie nun mal. Wer die Amis mit ihrem McDonald nachvollziehen kann, wird hier kaum Verständnisschwierigkeiten haben.
Wenn sich nun ob der römischen Vinophilität überall dort, wo es eine römische Vergangenheit gab, beständig und massenhaft "mystische, geheimnisvolle Geschichten aus fernen Zeiten" ranken und Gestalt annehmen würden, kämen die armen Winzer heute bei all dem anfälligen Feenmanagement, den Drachenbekämpfungsmaßnahmen und herumschwirrenden Beschwörungsversen schlicht nicht mehr zum Arbeiten.
Gut also, dass dem nicht so ist, zumal die Römer in ihrer Beziehung zum Wein in der Breite weniger geheimnisvoll als vielmehr prosaisch aufgestellt waren.
Geheimnis Nummer 2 soll der Wein selbst sein. Das Ding ansich.
Denn "tatsächlich: noch niemand konnte das Geheimnis des Titok One schlüssig ergründen".
Was nun wiederum daran liegen mag, dass bislang niemand in dem Trunk etwas Rätselhaftes sehen konnte. Zumal vom Weinmacher, dem Jahrgang über Rebsorten bis zum Preis nebst ausführlicher Expertise alle Daten gedruckt neben dem Text vorliegen.
Aber halt - da ist doch noch was:
"Man erzählt sich, dass viele Weinbauern in früheren Zeiten ihre allerbesten Fässer stets in tiefen, unterirdischen Geheimgänggen versteckt hielten. Dass nur wenige engste Freunde von diesen raren Weinpreziosen kosten durften. Und dass noch weniger Personen in dieses Geheimnis eingeweiht waren."
Erzählt man sich das?
Nun, dann wird das seinen Grund darin haben, dass die Winzer, nach all den Mühen, die es gekostet hat, dieses Fässlein guten Weins hervorzubringen, nicht die geringste Lust hatten, dem Stoff dabei zusehen zu müssen, wie der den erstbesten Touristen oder Fetengästen wie ALDI-Pinogrischjo die Kehle hinunter gluckert.
Über manche Geheimnisse sollte man einfach nicht schreiben.

 

15. Oktober 2012

 

Stofftaschentücher

von Andreas Bürgel

 

Stofftaschentücher. Der Mitbringselklassiker der 70er. Später dann Schüttelglaskugeln mit Irgendwas unter Dauerpseudoschnee. Die konnte man wenigstens nach jemandem werfen. Schließlich Doppelstockpralinengroßpackungen, deren fondantgefüllter Inhalt mit schmerzhafter Süße effektvoll seiner Bestimmung, dein Zäpfchen zu verätzen, nachging. Dabei ist sie doch gar nicht so schwer, die Mitbringselfrage.


So ein "L'Esprit" hier zum Beispiel: passt in jede Handtasche und wiegt deutlich weniger als ein Incredible-Hulk-Gartenzwerg oder ein Briefbeschwerer aus irgend einem Mauerwerk.
Den Zweitwein nimmt dem keiner ab.
Kräuterdurchwirkt, von Zitrusfrüchten bespaßt, spontan, mineralisch, mit Statur und Spiel ausgestattet. Komplett mit Nachhall und allem.
Und auch das Übereichen auf Türschwellen klappt handlingmäßig tadellos.

07. Oktober 2012

 

Alles hat seinen Preis

von Andreas Bürgel

 

"Politiker sind wie Chianti. Sie haben ihren Preis – und der ist nicht von Pappe – oder sie taugen nichts", hatte mein Kumpel gesagt und vervollständigt: "die Nichtkäuflichen sind nur deshalb nicht käuflich, weil sie es einfach nicht drauf haben und ihnen deshalb auch nichts angeboten wird."

Nun, ich persönlich halte das für kulturpessimistischen Blödsinn.
Denn natürlich gibt es Ausnahmen.
Dieser Majnoni Guicciardini zum Beispiel.
Nein, kein Politker.
Aber ein Chianti aus 2008 für irgendetwas um 8 Euro – und dafür ein kompletter Wein.

01. Oktober 2012

 

Nichts auszusetzen

 von Andreas Bürgel

 

24. September 2012

 

Kaum noch Produkte ohne Bedienungsanleitung

von Andreas Bürgel


Kaum noch Produkte ohne Handreichung, Tipps, Bedienungsanleitung. Und wo darauf verzichtet wird, geht es meist prompt schief: ins Auge springend die große Zahl der unter Zwanzigjährigen, die in der Handhabung von Schirmmützen und Schnürbändern kenntnislos gelassen nun ungeschützt vor den spöttelnden Blicken gehässiger Mitbürger durch die Straßen ziehen müssen. Nein, das muss nicht sein, Handbücher hätten hier das Schlimmste verhindern können.
Als vorbildlich ist daher ein Getränkehersteller und dessen kundenorientierte Nutzung des Flaschenrückenetiketts hervorzuheben: "Tipp! Genießen Sie unseren Apfelsaft als erfrischendes Getränk!" Da wird nichts dem Zufall überlassen.
Der Weinflasche hier mangelt es allerdings auch an einem Anleitungstext. Kein: "genießen Sie diesen intergalaktisch gefeierten Wein zu allen Fleisch- und Fischgerichten sowie zur klingonischen Küche", keine Kühlungsanleitung mit Celsiuswerten nahe dem Gefrierpunkt, nicht mal der Hinweis: "ein Küchenmeister ist kein Frittengesell". Nackt und bloß kommt die Flasche aus der Kiste. Doch dieses Defizit ist auch der einzige für mich erkennbare Mangel hier:
Nuancenreich in der Nase, gelbe Früchte ([Brat-]Apfel, Quitte, Birne, unreife Mirabelle), florale Noten, klare Mineralik, Noten von Zitrusschale.
Im Mund bei großer Vitalität Schmelz, die Nase wird bestätigt, vielschichtig, noch recht kompakt, spielerische Säure, lang. Perspektive.
Manchmal erschließen sich die Dinge eben doch von ganz alleine …
Paul Weltner, Rödelseer Küchenmeister Sylvaner GG 2009.

17. September 2012

 

Nicht immer ist es der materielle Wert, der zählt.

von Andreas Bürgel

 

Nimm eine Nuss-Nougat-Creme.
Eine Masse aus Zucker und Fett, mit ein paar Aromen aufgepeppt und von Emulgatoren zusammengehalten. Enthält einen läppischen Haselnuss-Anteil von etwa einem Zehntel und einen noch geringeren an billigem Kakaopulver. Ein paar Cent für die Herstellungskosten. Aber als Symbol steht das Zeug unbezahlbar für ein hehres Gut, kannst du mir glauben. Für die Meinungsfreiheit nämlich. Ohne die müsste der Hersteller die Masse "Zucker-Fett-Paste" nennen; da er aber der Meinung ist, "Nuss-Nougat-Creme" klinge irgendwie doch ein wenig vorteilhafter …
Klar gibt es noch andere Meinungsfreiheitssymbole: "Rhythm & Blues" aus den Charts, "Kaviarcreme" aus der Tube, "Spargelcremesuppe" aus der Tüte. Und der "ausdrucksvolle, sortentypische Spätburgunder mit Charakter und Länge" für €4,55 vom Discounter.
Kein Symbol ohne Gemeinde, frage nicht. Ebenso wie der Schützenbruder dir umgehend einen Satz heiße Ohren verpassen wird, wenn du ihm eine schön glänzende Sardinenbüchse statt seines Blechordens an die Brust heften willst (obwohl die Sardinenbüchse vom materiellen Wert her deutlich besser dasteht, als die in Taiwan gestanzten Klimperdinger), ist dir das Watschengewitter sicher, solltest du es wagen, der Gemeinde etwas anderes als Tütensuppe & Co anzudrehen. Deshalb werde ich auch den Teufel tun und diesen Spätburgunder hier einfach für mich behalten:
Fürst, Spätburgunder Centgrafenberg 2009.
Punch, Eleganz, Kondition, Überzeugungskraft.
Irgendwie auch der – ein Symbol …

10. September 2012

 

So etwas kann reklamiert werden 

von Andreas Bürgel

 

Eigenschaften, die zugesichert wurden oder zu erwarten sind.
Kannst du die nicht finden - wie sehr du etwas auch drehst und wendest - so ist es nicht das Etwas, das es sein sollte. Ein Pinocchioprodukt, ein Nixonartikel, ein Münchhausenseller, ein Armstrongfabrikat.
So etwas kann reklamiert werden.
Das gilt eigentlich für fast alles. Nur Politiker sind die Ausnahme - die dürfen zusichern, erwarten darfst du aber nichts. Sofortiger Umtausch ausgeschlossen. Ansonsten aber: Nachlieferung, Nachbesserung, Rücktritt vom Kauf, Minderung.
Eine gewisse Leidenschaft auf diesem Gebiet hat ein Kumpel von mir entwickelt. Ein Stück Nussschale in einer Nuss-Nougat-Waffel, ein nicht deklariertes Partikelchen Paprika im Gewürzgurkenglas, Füllhöhenschwäche einer Getränkeflasche... Kaum ein Produzent, der keine eMail von ihm erhielt. Und kaum ein Produkt, das er nicht postwendend ersetzt bekam. Zuzüglich Schlüsselring, Flaschenöffner, Aufkleber oder Baseball-Käpp
i mit Firmenlogo als Trösterchen.
Nicht ganz so glatt sollte mir das gelingen als ich jüngst eine per Versandhandel erworbene Flasche Wein mit dem vermaledeiten TCA reklamierte: wohl würde man aus Kulanz die Flasche tauschen aber zuvor müsste der Erweis des Fehlers erbracht werden. Auf meine Kosten. Konkret: Rücksendung der reklamierten Flasche in einer von mir zu bezahlenden sicheren Transportverpackung; Porto geht ebenfalls auf mich. Summasummarum an die 9 Euro. Plus Zeitzuschlag für das Aufsuchen der nächsten Paketstation. Das erschien mir nicht adäquat – der Händler bedauerte. Ende dieser Geschichte.
Anfang einer neuen: gekauft wird ab jetzt entweder nur noch korklos oder aber bei Händlern, deren Handhabung dieses Problems kundenorientierter ist.
Akt eins: Muskateller von Ziereisen (Dreher) von 2011.
Muskatnote, Lychees, Rosentouch, Mandarine. Schlank, rank, nicht riesig lang.
Aber spielerisch, unmittelbar ansprechend und ideal für das nächste Dim-Sum-Picknick unterm Papierschirm. Oder als mobiler Indoorpool-Ersatz im Sommer.
Akt zwei: ein aromatischer, mit etwas Luft sogar hocharomatischer Spätburgunder*** vom Zehnthof Luckert aus dem Jahr 2007 (ebenfalls Dreher).
Reife, pralle Kirschen tummeln sich mit Schlehen und einem Zweig Thymian im Glas. Dunkle Beeren. Ein Mittelgewicht mit Läufermuskeln. Feines Tannin mit moderatem Griff. Schönes Aromenspiel, zirkuliert mit der Atmung, gute Länge, stabiler Abgang.
So etwas nenne ich einen guten Anfang einer Geschichte mit Eigenschaften, die zu erwarten sind …

03. September 2012

 

Die Meg Ryan zum Beispiel

von Andreas Bürgel 

 

Die Meg Ryan zum Beispiel. Die taucht in ihrer ersten Szene irgendeines Films auf und du weißt, obwohl du den Streifen zum ersten Mal siehst sofort, was es mit ihrer Rolle auf sich haben wird.
Festgelegt. Auf ein Rollenfach. Wie Bogart. Edward
G. Robinson (der junge). Louis de Funes. Viele andere.
Positiv überraschend, nicht selten sogar überzeugend wird es, wenn einige von denen sich plötzlich anders verorten. Clint Eastwood in "Erbarmungslos", John Travolta in "Pulp Fiction", Sean Connery in "Der Name der Rose".
Nicht selten passiert Typecasting auch bei Wein. Dem Sauvignon, beispielsweise, wird oft genug das Rollenfach "exotisch mit Grün und Pfiff" auferlegt. Nicht ganz zu Unrecht, sagen einige.
Schön aber, dass er auch anders kann.
Der "Sauvignon – di Lieben Aich – 2010" von Manincor kommt beispielsweise so ganz ohne Grün aus. Und der Pfiff? Hier wird präsent agiert, energiereich und vielschichtig - vordergründige Witzchen überlässt man anderen, nichts wirkt Aufdringlich. Exotik ist erspürbar; womit schon gesagt ist, dass er die Fruchtrampensaurolle höflich ablehnt. Eher schon geht es ihm um mineralische Inszenierungen, eigentlich aber um ein individuelles Ganzes mit changierendem Komponentenspiel.
Recht straighte Struktur, dabei mundfüllend. Gut eingebundene, aber tragfähige Säure.
Zirkulierend, guter Nachhall.

27. August 2012

 

Die Cote d'Or Badens

Oder: Kein Masseto für mich
von Andreas Bürgel
 

Schuljahrgangstreffen - diese Veteranendinger, Wiedersehen nach 30 Jahren und alles – Minenfeld ist ein lockerer Trimmpfad dagegen. Glaub mir, du wirst deiner erste Freundin mit einem "sag nichts, ich komm noch auf deinen Namen, aber irgendwie kriege ich dich gerade nicht so recht unter" ins Gesicht blicken (das Leben geht halt an keinem nur einfach freundlich grüßend vorbei) und bekommst dieses leichte Schämrot dann den halben Abend nicht mehr aus dem Gesicht. Deine alten Kumpels werden sich als alternde Machos mit Torschlusspanik erweisen, die beim Anbaggern keine Peinlichkeit auslassen. Und ziemlich früh am Abend schon wird irgendjemand damit anfangen, das garantiert Schlechteste der damaligen Songs aufzulegen, nur weil er meint, dass jegliche Diarrhöe der Musikindustrie Kult wird, wenn sie nur lange genug in irgend einer Ecke vor sich hingegammelt hat. Dein damaliger Klassenlehrer taucht auf, der, den du damals schon alt fandst und der rätselhafterweise noch immer an dieser Schule unterrichtet. Den Rest des Abends wirst du dich über "Brown girl in the ring" und Cliff Richards über den Tisch voller Pastareste anbrüllen und gegen Mitternacht eine Nachzahlung leisten, weil der Pauschalbetrag aufgetrunken wurde.
Wenn du also deine Einladung zu so etwas im Briefkasten findest, schmeiß den Wisch weg. Ungelesen. Denk erst gar nicht drüber nach.
Schlimmer aber als das ist, wenn - nein, ich erzähle es dir anders.

Ich radele gerade durch die Siedlung am Wald, als jemand meinen Spitznamen mit einem kleinen fragenden Unterton hinter mir her ruft. Niemand nennt mich bei einem Spitznamen, schon gar nicht bei meinem. Nicht seit Ende der Schulzeit. Kein Wunder also, dass Pawlow die Hunde feilässt und Proust seine Madeleines nach mir wirft; sofortige Flashbacks, dann Rückblende, ich in den 70ern und ganz frühen 80er Jahren. Kein Film, den ich mir ansehen möchte: marodierende Hormone im Clinch mit intravenös verabreichtem Katholizismus. Klar, dass ich den Ruf automatisch ignoriere und weiter in die Pedale trete. Doch die Neugier fängt an die Hunde zu verjagen und die Madeleines aufzufuttern um dann zu allem Überfluss abzubremsen. So drehen wir also um.

Männlich, mein Alter, knielange Hosen, Strohhut über einem erwartungsfrohen Grinsen, Typ jüngerer Redford, zugedrehter Gartenschlauch in der Hand. Um ihn herum ein Florahabitat in gefühlter Yellowstone-Größe. Der Nachname fällt mir ein: Esberg.
Wir hatten zusammen Musik in der Schule. Irgendwann behauptete er mal, er könne Kreuz- und B-Tonarten durch ihren Klang voneinander unterscheiden.
"Disberg!", rufe ich ihm zu und erhalte ein eher gequältes Lächeln als Quittung. Spitznamen sind nicht tot, sie riechen nur komisch.
Er war vor einem Jahr hergezogen. Vorher in Frankfurt. Davor lange in Oslo. Unternehmensberater eigentlich, aber vor allem Glücksritter an der Börse. "Bevor der Neue Markt zur alten Scheiße wurde", sagt er grinsend. "Na los, rein mit dir. Auf ein Glas?"
Ich finde mich nach einem ordentlichen Fußmarsch zwischen Heckenpflanzen auf einer Terrasse mit Blick aufs Grüne wieder. Esberg war verschwunden um etwas aus dem Keller zu holen. Ein Wasserspiel beginnt mit einem Rauschen in einiger Entfernung loszulegen. In Intervallen drücken Düsen Geysire aus einem Teich.
"Libra", sagt der wieder auftauchende Esberg mit einem Nicken in Richtung feuchte Fröhlichkeit und stellt einen 2006er Masseto und zwei Zalto Bordeaux auf den Tisch.
"Sein Sternzeichen, die Waage". Die Frau, irgendwo Ende Zwanzig, die in seinem Schlepptau aus dem Haus tritt, strahlt mich an. Irgendetwas sagt mir, dass es sich bei dem Blondschopf hier nicht um Esbergs Tochter handelt. "Wir haben unsere Deckenlampen im Salon und den Brunnen nach seinem Sternbild anlegen lassen."
"Jaha, wer nicht!", jubele ich.
"Ich habe euch Kaffee gemacht, da könnt ihr über alte Zeiten …"
Sagt es und stellt bevor sie wieder abdreht ein Tablett mit zwei Tassen und einer Kanne, die aussehen wie im Schloss Sanssouci geklemmt, auf den Tisch.
Esberg schenkt Kaffee ein, deutet dabei auf den Masseto. "Du trinkst doch Wein?"
Ich nicke grinsend.
"Milch, Zucker?"
Irgendetwas läuft hier zwar mächtig schief, aber ich grinse immer noch und verneine.
"Der Petrus aus Italien." Esberg forscht in meinem Gesicht.
"Scheint ein internationales Franchise-Unternehmen zu sein, dieses Petrus", stichele ich, wiegele aber sofort mit hochgestellter Hand ab. "Schon klar."
Wir trinken einen Schluck Kaffee.
"99 Parker-Punkte. 98 Wine Spectator."
"Man sollte alle Punkte zusammenrechnen, spart Zeit und ist vor allen Dingen noch beeindruckender. Also Parker plus Spectator plus Gabriel plus Falstaff plus ..."
"Schon klar", diesmal von Esberg. "Sarkasmus?"
"Aber nein." Diesmal sicher.
"Und du, was machst du?"
Ich werfe ein paar Worte auf den Tisch - Musiker, Unterrichten -, die sich hier jedoch unwohl fühlen und heimlich, still und leise die Biege machen. Esberg sieht ihnen kurz nach und flüstert: "Meine Frau ist in der Musikbranche. A&R." Meine Chance auf einen Spontananschlag, geht es mir durch den Kopf. Keine Verbindung, kaum Risiko. Aber man müsste sie alle auf einmal erwischen, sonst bringt's nichts. Ich schüttele den Gedanken ab.
"24 Monate Barrique", holte mich Esberg endgültig in die terrassierte Wirklichkeit der Siedlung am Wald zurück und schenkt dabei noch einmal Kaffee nach.
Kaffee. Und wie hier etwas schief läuft.
"Habe ich zuerst im Big Apple probiert. Ein Kunde nahm mich mit ins Eleven Madison Park. Vertikaldegu. Kleine Runde. Na, der Spaß kostete ja auch ein paar Scheinchen, muss ein alter Mann viel für Stricken, hörhörhör."
"Ich habe Masseto auch schon mal …", setze ich an, aber Esberg kommt gerade in Fahrt.
"Rarer Stoff. Super Investition. Bessere Rendite als auf dem Goldmarkt, wenn du es richtig anstellst. Macht locker mal 140% in drei Jahren. 2010 hat der im Vergleich zu 2009 einen Zuwachs von 41% erzielt. Ein-und-vier-zig Pro-zent!"
"Der Waaahnsinn", steuere ich halbherzig bei.
"Bei Sothebys im Big Apple hat Masseto 2007 49.000 Dollar gebracht. War allerdings eine Nebukadnezar."
"Mit Pfand?" nuschele ich.
Aber Esberg ist nicht zu stoppen.
"Weißt du was ich bezahlt habe, gerade mal 500 Otten. Der hat echt alles. Als Kapitalanlage. Aber natürlich auch nur so. Also quasi als Wein."
"Wir fanden den vor ein paar Monaten in einer Blindprobe eigentlich …", versuche ich mein Glück, doch Esberg platzt los: "Super, nicht wahr. Suuuuper. Weiß jeder. Von Hong Kong …"
"… bis zum Big Apple" ergänze ich.
Tatsächlich war unsere Runde insgesamt nicht einhellig begeistert. Als Verdächtigen blind benannt hatte ihn zwar jemand – dennoch erstarrte niemand in Ehrfurcht. Ein erfolgsgewohnter Showmaster, der etwas dick auftrug und es vorzog, etwas zu explizite Witze zu reißen.
"International der Num-ber One-Mer-lot!"
"Bernhard, denkst du an die Zeit?" flötet es aus dem Haus und Blondschopf tritt über die Maßen lächelnd in den Türrahmen. "Wenn er beim Wein sitzt, vergisst er einfach alles."
Esberg blickt auf die Uhr und steht auf.
"Oh shit, Alter. Ich muss los. Sorry, du. Man sieht sich!"
Nicht, wenn ich das irgendwie verhindern kann.
"Klar, Disberg. Und danke für den, äh, Masseto."
Unglaublicher Wein. Man muss ihn gar nicht öffnen.

Am heimischen Tisch setze ich mich zur Angetrauten. Sie schiebt mir ein Glas zu.
Wein. Endlich …
Ich rieche schwarze Beeren. Aronia fällt mir ein, obwohl mir beim zweiten Anlauf schwarze Kirschen fast besser gefallen – schon allein um nicht Freakpunkte zu kassieren. Ein wenig Eiche, oder doch eher Erinnerungen an die Zigarrenkisten meines Großvaters. Veilchen sehe ich plötzlich, Hagebutten. Eine Spur Salbei ist vielleicht noch dabei.
Das meiste davon schmecke ich dann auch, die Kirsche behauptet die erste Stimme im Fruchtchor. Die Säure erinnert an die von dunklen Steinfrüchten und pulsiert schnell in den Zwischenräumen. Das Tannin ist fein, mein Mund gut gefüllt. Und obwohl der Nachhall noch anhält, nehme ich gerne gleich einen zweiten Schluck.
Das Etikett zeigt "Alte Reben". Ein Spätburgunder von Berhard Huber. Aus 2009.
Sanfter Druck, Energie. Eine Ahnung guter Kakao, etwas Geröstetes kommt diesmal dazu. Vielschichtig, Freigiebig. Der hat noch ordentlich Perspektive. Kommt aber schon gut an.
Diesmal ist die Ahnung Salbei auch im Echo des Weines.
Der Salbei und der Kumpel a.D. Disberg, der sich ein wenig in meine Gedanken einmischt.
Welche Rendite der wohl hier ausrechnen würde?
Eher keine.
Vielleicht wenn mehr von der "Cote d'Or Badens" gesprochen werden würde. Im Big Apple.

20. August 2012

 

35 Grad im Schatten

von Andreas Bürgel

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Aus dem geöffneten Dachfenster schräg gegenüber sägt eine nasaler Stimme eine höchst individuelle Version von "Ring of fire". Immer nur die erste Strophe plus Refrain, zum sechsten Mal hintereinander.
Ein Ascona gibt quietschend Gummi. Der Typ in dem Auto und seine Frau hatten sich - und der Nachbarschaft - soeben all das auf die Ohren gebrüllt, was ihrer Ansicht nach wohl schon länger mal raus musste; RTL live.
Ein sweet child im time auf dem Spielplatz kreischt über satte 20 Sekunden ein abendliches dreigestrichenes G, das Ian Gillan vor Neid ergrünen lassen würde. Die angehörige Mutter gibt rhythmisch keifend einen Groove dazu - nein, keine Konkurrenz für Ian Paice. Die beiden Hunde auf der Terrasse juckt das nicht. Ebenso wenig wie die vorbei schleichende Katze mit dem tiefenentspannten Gesichtsausdruck.
Jeder in der Vorstadt hat seine eigene Strategie mit der ungewohnten Hitze des gerade vergehenden Tages klar zu kommen.
Ich für meinen Teil schaue gerade dem dunklen Rubin mit dem ebenso dunklen Purpurrändchen in meinem Glas beim Haltungbewahren zu und sinniere träge einem irgendwann aufgegabelten Artikel hinterher, in dem davor gewarnt wurde, dass Baden in Sekt zu einem ordentlichen Schwipps führen könnte. Da ich zu keiner rechten Antwort zu der in mir wallenden Frage komme, welche Badewannenform einem fragileren Sektbouquet denn wohl am ehesten gerecht werden würde und ob hier vielleicht eine Marktlücke von Zalto übersehen wurde, wende ich mich anderen Dingen zu. Allerdings wird mir nach einer ziemlichen Weile klar, dass sich jene Dinge irgendwo anders hin verzogen haben müssen, wahrscheinlich irgendwo hin, wo es kühler ist. Was für mich in Ordnung ist.
Wenn jetzt Mr. "Ring of fire" mit seinem elften Durchgang den entschwundenen Dingen noch folgen würde ... gerne auch für immer.
Waldbeeren mit hintergründigen Noten von Veilchen, eine Spur Nelke und flüchtig Süßholz steigen mir aus dem Glas, in dem das Rot tapfer die Stellung hält, in die Nase. Später sollen sich Kirschen in den Vordergrund schieben. Gewürze, eine Waldpilznote, die sich jedoch bald verabschiedet.
Ich nehme einen Schluck.
Mittelgewicht, noch kompakt wirkend, dabei aber schon nach dem Mundraum greifend. Die Noten der Nase wiederholen sich, die Nelke fehlt jedoch.
Präsent.
Eine Spur Minze wird sich für kurze Zeit in den recht ordentlichen Abgang schleichen. Perspektive.
Um mich herum fängt es an zu dämmern.
Ruhig ist es geworden. Kein Gillan-Casting mehr, auch der Cash-Fan schweigt.
Ein leichter Luftzug erreicht mich.
Wer hat gesagt, dass man gegen Windmühlen kämpfen soll?
Moulin a vent – Jean-Paul Brun, Terres Dorées, 2009. 

12. August 2012

 

Der Fernsehstar

von Andreas Bürgel

 

Er hatte "Fernsehstar" auf seine brandneuen Visitenkarten drucken lassen, seine ersten überhaupt. Schließlich war er mal Gast in einer Nachmittagspöbelshow eines Privatsenders. Und es war mit "Meine übergewichtige Freundin hat mir meinen Vater ausgespannt" nicht irgend ein Allerweltsthema. Er hatte ein Recht auf den Titel, auch wenn es schon eine Weile her war, es war sein Titel, jawohl: Fernsehstar. Und überhaupt, wenn diese dressierten Castingshow-Typen mit ihren Gartenabfallhäckslerstimmen "öffentliches Interesse" personifizierten, dann er doch wohl erst recht. An diese Lackel, die irgendwann vor der Erfindung der Evolution in diesen Voyeurscontainern abhingen und in der Zeitung immer noch "Big-Brother-Stars" genannt werden, durfte er gar nicht denken. Giganten an jeder Pommesbude, Titanen hinter jedem Smartphone. Gott sei Dank, morgen würden endlich die bestellten T-Shirts aus dem Copyshop an der Ecke kommen. Hatte er bedrucken lassen. Mit seinem Konterfei. Vesteht sich.
Wer heute keinen findet, der ihn superlativiert, muss es eben selbst tun. Und zwar richtig, sonst wird das alles nichts. Umso erstaunlicher sind da Weine wie die von Veyder-Malberg. Unfrisiert, nicht getuned, mit dem Rücken zum Getöse. Unaufgeregt pflegen sie eine geradezu überlegte Konversation, diese aber derart eindringlich, dass sie zu einer überlegenen wird. Lässt man sie ausreden - nicht immer eine Selbstverständlichkeit - verblüffen deren Pointen regelmäßig. Luft brauchen sie. Und eine nur moderate Kühlung.
Obgleich es sich beim "Kreutles" um Veyder-Malbergs Produkt der Ebene, dem geographisch wie prestigemäßig unterhalb seiner Terrassen angesiedelten Wein handelt, lassen sich die für seine Veltliner typischen rhetorischen Stilfiguren auch schon von ihm erfahren.
Headsetmikrofon, Beamer und Multimediapräsentation überlässt er hierbei gerne anderen.

06. August 2012

 

Das Bordeaux-Regal schien recht gut sortiert

von Andreas Bürgel

 

Der Mittzwanziger mit dem Franz-Ferdinand-T-Shirt davor eher weniger. Dieser Laden führe Taittinger und Bollinger beschied er mir. Und den Kaapse Vonkel von Simonsig, was das Gleiche wäre. Im Grunde. Nur billiger.

Ich nickte.

Obwohl diese Antwort gar nicht recht zu meiner Frage passen wollte. Und auch in sich nicht vollends stimmig war. Besagte Frage - die im Raum stand, Grimassen schnitt und sich bereits ein wenig zu langweilen schien - lautete, ob man mir einen Saumur Champigny anbieten könnte.

Nun weiß ich aus eigener Weinverkaufserfahrung in abhängiger Anstellung aus meiner Studentenzeit, dass so einigen Kunden die Weine rein aussprachlich im Halse stecken bleiben können und der eine oder andere schon mal gerne einen "Kotz dü Röhn" oder "Banderol" gezeigt bekommen möchte. Wer weiß also, was der Franz vor mir da so alles schon erleben musste. Saumur-Champagner? Ist drin.

 

Wie es hier denn so mit Loire-Weinen bestellt sei, hakte ich also ohne Umschweife nach und sah dem Mann bei einer inneren Inventur zu. Einen guten Pouilly-Fumé hätten sie wohl, meinte er resultierend. Und ich nickte wieder, denn das gab ganz beinahe einen Punkt. Rein sprachlich gesehen und natürlich vorausgesetzt, man würde dem Lösungsvorschlag "Fumé Blanc" in diesem Zusammenhang überhaupt einen positiven Einfluss auf die Wertung zubilligen.

Aber machen wir hier mal einen Schnitt. Denn ganz ehrlich: mich wunderte das Ganze so wenig wie schlappe 120 Kilo an einem Mann mit einem McDonalds-Treuepunkteausweis. Loire ist in puncto Wein in diesen Breiten - abgesehen von ein paar obligatorischen wie nicht selten zweifelhaften Sancerres - schlicht terra incognita. Loire-Cabernets sieht man in der Gegend hier in etwa so oft wie vegetarische Schützenfeste.

Um so unglaublicher, dass mir in Hannover (ja, das in Niedersachsen) ein Clos Rougeard in die Finger geriet.

Der "Les Poyeux" von 2007.

Logo, dass du bei dem reife schwarze Johannisbeeren, zum bersten pralle Heidelbeeren, schwere rotschimmernde Stachelbeeren im Clinch mit grüner Paprika und Basilikum finden kannst, denn das kannst du mit ein bissele Glück ja erwarten, hey, es ist Cabernet Franc. Die Ahnung Zigarrenkiste im Nachhall ist für dich auch kein Kulturschock. Was du aber nicht erwartest, nicht ahnen kannst, ist der Druck, die Dichte des Textes, die Architektur, der Stoff - und all dies bei einem klaren Bekenntnis zu Schattierungen und Details. Dazu addiere noch eine nicht gewöhnliche Länge.

Der Stoff rivalisiert locker mit einer Menge anderer Abendunterhaltungen.

Und mit dem gut sortierten Bordeaux-Regal allemal.

30. Juli 2012

 

Geister sind nicht jedermanns Sache

von Andreas Bürgel

 

Geister sind nicht jedermanns Sache. Es liegt, wie ich vermute, am Händedruck. Irgendwie wischiwaschi. Regelrechte Fanclubs haben die daher meist nicht zu vermelden, gefeiert werden die Armen eher selten. Da ist es einfach mehr als nur gerecht, wenn mein Firefox mich – wie heute Vormittag geschehen - auffordert, da mal gegenzusteuern: "Feiere den weltweiten Gemeinschaftsgeist", rief er mir munter entgegen, der Browser. Und auch wenn es sich hier meines Wissens ausgerechnet um einen Geist handelt, der stets verneint, so wollte ich mich diesem sicher gut gemeinten Aufruf nicht verweigern.
Mein Partygetränk war der 11er Calcinaires von Gauby.
Flimmernd auf der Zunge, pikant, mit ribbelnden Tanninen. Momentan eine Rotzgöre von Wein. Tritt in der Farbe von Bischofssocken auf, mimt Brombeere, Cranberry, Aronia, Süßholz.
Und ist bestimmt auch für mehr als nur Ein-Personen-Geisterpartys zu haben …

26. Juli 2012

 

"Est-ce qu'on peut acheter du vin?"

von Andreas Bürgel

 

Der Mann auf der Leiter im Hof kehrte mir den Rücken zu. War in seine Arbeit vertieft. Irgendetwas an der Mauer des Hauses musste instand gesetzt werden. Da musste ich wohl etwas vernehmlicher parlieren: "Pardon Monsieur, est-ce qu'on peut acheter du vin?"
Ein Arbeitsgerät wurde neu angesetzt, die Blickrichtung verblieb gen Mauer.
Ich hatte davon gehört, dass die Franzosen ihre Sprache liebten. Bisweilen so sehr, dass falsche Artikulationen, Betonungen, Satzmelodien mit Missachtung gestraft würden. Nun, das hier musste so ein Fall sein. Kein Wunder bei einem Typen wie mir, der Französisch als dritte Fremdsprache wahlfrei und "les enfants ont soif" irgendwie mit "besoffenen Elefanten" übersetz hatte.
Aber ich hatte geübt. Mehrfach, laut und vor dem Spiegel.
Moment – hier waren wir im Elsass, vielleicht anders betonen?
Also von Neuem.
Doch ohne Ergebnis.
Die Aussprache, irgendwie näselnder?
Null Reaktion.
Nun wurde ich doch ein wenig sauer, zuckte aber mit den Schultern – dann eben nicht - und wollte mich gerade gen Automobil trollen, als mich eine freundlich lächelnde junge Dame aufhielt.
Und aufklärte.
Über die Gehörlosigkeit des Mannes auf der Leiter.
Was mir einen Teil meines sprachenrelevanten Selbstbewusstseins wiedergab und – vielleicht bedeutender – die Möglichkeit eröffnete, nun doch Wein einzukaufen.
Damals, auf der Domaine Julien Meyer in Nothalten.
Nach Mitte der 80er war das.
Spätere Einkäufe folgten.
Dieser 2004er Pinot Gris ist bei mir ein wenig in Vergessenheit geraten. Aufgegeben hat er sich deshalb aber noch längst nicht.
Hinter feinem Schmelz zirpt verhalten die Säure. Lychee, Bratapfel, Physalis und Birne, gewürzt mit einer Muskatnote und ein wenig Pfeffer. Mittelgewicht mit adäquatem Nachhall, einigermaßen Länge und einem respektablen Standvermögen.
Und der Fähigkeit, alte Geschichten wieder auszugraben."