In eigener Sache... (Kolumne). Vierter Teil ab Dezember 2023

18. April 2024

 

Emotional, emotionaler, am emotionalsten

von Peter Züllig

 

Deutschunterricht lässt grüssen! Viele Adjektive können gesteigert werden (Komparation) und erhalten dadurch vergleichenden Charakter. Ein Berg ist hoch, jener ist höher und irgendwo steht der Berg, der am höchsten ist. Die Werbung hantiert mit diesen grammatikalischen Formen virtuos, produziert damit immer wieder auch hanebüchenen Unsinn. Mit Farben – zum Beispiel – wird die Steigerung schwierig. Gibt es tatsächlich ein Waschmittel, das «weisser als weiss» wäscht, oder Licht, das «röter als rot» leuchtet? Oder ist dies alles nur ein Dauerkampf um Aufmerksamkeit, um gelenkte Aufmerksamkeit? Mit der Dauerberieselung von Werbung (es sind dies immer häufiger (Komparativ!) Dauerregen oder Boxhiebe) haben wir uns weitgehend abgefunden. Wir haben auch gelernt, mit dem Arsenal von «Werbewaffen» umzugehen. Waffen – Geschosse –, die angeblich Befriedigung, Glück, Gewinn… bringen, aber auch Angst, Not und Wut auslösen. Emotionalität ist gefragt, in alle nur denkbaren Varianten: «Er läuft, und läuft und läuft» oder «Macht Kinder froh, Erwachsene ebenso». Emotionen mit Angst: «Wer trinkt, säuft ab», «Endlich Sicherheit schaffen», «Stromfressergesetz». Noch stärker als Wohlseinversprechen und Gefühle der Angst, löst die «Wut» Emotionen aus. Bei mir hat sie inzwischen schon tataktive Reaktionen ausgelöst, die dem Stampfen und Schreien von Kindern nicht nachsteht. Nämlich immer dann, wenn Sendungen am Fernsehen (und Radio) – vor allem bei unregulierten Privatsendern - abrupt abbrechen, um zehn und mehr Minuten lang Werbesalven abzufeuern, die nicht nur ein Drittel der Sendezeit in Anspruch nehmen, sondern sich inhaltlich auch dauernd wiederholen.  Gibt es einen besseren Beweis für die Wirkung von Werbung?                                                     (286)             

01. März 2024

 

"Diese Ideen sind wie du"

von Peter Züllig

 

Danke für den Hinweis. Die Behauptung ist zwar keck, fast schon ungebührlich und erst noch schlechtes Deutsch. Doch ein Hinweis, einmal hinzugucken, wer denn so ist, wie ich? Vor allem möchte ich wissen, wer zu dieser Erkenntnis gekommen ist. Und wie? Und warum? Also tippe ich auf diese seltsame Botschaft in meinen Mails. Eine Reihe von Bildern und Texten bieten sich an. Zuerst ein an einem See sich räkelndes Bikini-Mädchen, das mir ihren Po entgegenstreckt. Weggelegt hat sie ein aufgeschlagenes Buch. Aha, dies ist wohl der Hinweis: "wie du"! Das Buch, das ich gerade lese, ist ein Quatsch: weglegen! Mit den nächsten Bildern kann ich wenig anfangen. Unbekannte Damen mit kurzen Röckchen. Und? Schön anzusehen. Was haben die mit mir zu tun? Dann ein Schock: eine steril angelegte Blumenrabatte am Strassenrand, mit viel Kies, Ordnung und Pflänzchen, die mich an Gräber erinnern. Ein Anblick, den ich extrem hasse. Weiter: «Stehen oder sitzen?», eine schlechte Zeichnung (natürlich kinderkonform) zum Thema «Brünzeln» im Klo, mit einem "Link" zu einer «genialen Lösung". Und dann ein Witz, so alt ist, dass er längst von viel Staub und Schimmel überzogen ist: Eine Frau erwacht, sucht ihren Mann, findet ihn in der Küche mit einer heissen… (Tasse Kaffee. ha, ha, ha…»). Nach etwa zehn solcher «Botschaften», hier Ideen genannt, (von dieser Qualität und Bedeutung) die entscheidende Frage: «War diese eMail hilfreich? Passt sie zu deiner Aktivität? Yes, No?» Die Antwort verweigere ich, sonst wird die «KI» (künstliche Intelligenz, lies: künstliche Dummheit) eines Tages sogar intelligent.           Hier die bisher eingestellten Kolumnen                                  (285)

21. März 2024

 

Es geht nicht anders

von Peter Züllig

 

Die Behauptung, Wettbewerb bringe den Handel in Schwung und den Kunden nur Vorteile, mag in den Glaubensakten des Neoliberalismus verankert und auch richtig sein. Der Alltag – sagen wir die Welt – sieht ganz anders aus. Da hat der Glaube an den wohlwollenden, ja wohltätigen Kapitalismus längst Schiffbruch erlitten. Zuletzt bei der Credit Suisse, wo die «grosse Gier» zum Untergang geführt haben soll, wie man dem «tumben» Volk jetzt weismachen will. Die Kontrolle sei eben nur eine «lahme Ente» gewesen, man müsse da nur etwas – aber bitte nicht zu viel – gesetzlich besser regeln. Dann sei alles wieder gut. «Nachher sei man halt immer klüger» und «gelernt habe man aus diesem Fiasko». Mit solchen wohlbekannten Sprüchen wird in der Politik, der Wirtschaft, der Gesellschaft weitergewurstelt. Das hörte man schon beim Rettungsschirm für die UBS (der anderen - nicht weniger gierigen) - Grossbank in der Schweiz. Das sagte man auch beim Untergang der noch weit stolzeren Swissair. Das sagt man immer – fast jeden Tag – wenn durch eine «Fusion» (in der Wirtschaft) – der so segensreiche Wettbewerb - "weggekauft" oder ein Unternehmen ins Ausland verschwindet («in fremde Hände» gelegt wird). «Es geht nicht anders», ist eine wohlbekannte Begründung aus dem Spruch-Arsenal der Wirtschaft und Politik. Derweil wächst – unter dem Schutz solcher Sprüche – die Grossbank UBS weiter und weiter und die einst verscherbelte «Swissair» wird zum einträglichsten Zweig der deutschen «Lufthansa», mit einem «operativen Gewinn» von 338 Millionen (im halben Jahr 2023).  «Es geht eben nicht anders!»   (284)

05. März 2024

 

Danke liebe SVP!

von Peter Züllig

 

Die wählerstärkste Partei hat am Sonntag gesiegt. Deutlich. Sie hat die «Altvorderen» ihrer Partei zurechtgewiesen, den professionellen Angstmachern, den Sprücheklopfern und Ränkeschmiedern gezeigt, wo dem wenig definierten, dafür dauernd zitierten «Volk» der Schuh drückt. Nicht dort, wo die politischen Leitkühe, mit ihren übergestülpten Bauernstiefeln, ihr «Volk», das Volk ihrer «Volkspartei», hintreiben möchte. Anstatt bei der politischen Ausmarchung nach Lösungen zu suchen, Hand zu bieten für Kompromisse, eigene «volksnahe» Ideen zu entwickeln, für eine sozialere Schweiz, für ein freundliches, lebensnahes Land einzustehen, werden weiterhin Parolen gedroschen und Schritt für Schritt massive Knebel in den Politbetrieb geschleudert: Umweltschutz, Kaufwertverlust, Arbeitssituation, Abbau öffentlicher Leistungen… Wichtiger sind die Parolen, ausgeheckt in «volksfremden» Köpfen. Als sich im Vorfeld bereits ein «Ja» zur AHV-Initiative abgezeichnet hat, wurde – der Opposition geschuldet – noch eins draufgehauen und die «Erhöhung des Rentenalters», eine Initiative der Jungfreisinnigen, mit einer Ja-Parole «beglückt». So fern vom «Volk» ist kaum je eine Parteileitung gestanden, so nackt und bloss. Ich bin zwar sicher, sie wird sich erholen vom Schlag und mit neuen «Knebeln» und Versprechungen losziehen. Dieses eine Mal ist es missglückt. Das «Volk» war eigenständiger, stärker als ihre Parolenschmieder. Ohne diese Unterstützung hätten es (rein arithmetisch) die Befürworter nicht geschafft, eine solch massive Mehrheit zu erringen. Danke SVP. (In diesem Dank sind die anderen Parteien mit einer Nein-Parole eingeschlossen).                                                              (283)   

17. Februar 2024

 

Die Lage ist ernst

von Peter Züllig

 

Mir kommen die Tränen. In aller Öffentlichkeit. Auf dem Bahnhof. Vor einem Plakat, das für ein «Nein» bei der Abstimmung zur 13. AHV-Rente wirbt. Mit dem Bild eines Kleinkindes mit grossen, traurigen Augen, das flehentlich dreinschaut. Sichert unsere AHV mit einem «Nein», legt man dem unschuldigen «Enkel» in den Mund.  
Zehn Meter weiter steht ein Verkäufer, der die Strassenzeitung «Surprise» anbietet. Einer von knapp 500 Anbietern in der Schweiz, die stundenlang am Bahnhof oder am Strassenrand stehen, um pro Heft, das für 8 Franken zu kaufen ist, knapp 4 Franken zu verdienen.
Noch betroffen vom Bild des traurigen "Enkels" auf dem Plakat, möchte ich etwas Gutes tun und kaufe das Exemplar 1225 beim netten älteren Herrn, der schon lange dasteht.
Ich weiss nicht, warum er zu diesem kargen Lohn in der kalten Unterführung ausharrt, ausharren muss.

Bereits im Zug, beim Blättern und flüchtigen Lesen der (übrigens hervorragend redigierten) Zeitschrift, versiegen meine Tränen. Es packt mich eine grosse, fast grenzenlose Wut.
Eine Wut auf die raffinierten Werber, die mit einem imaginären, todtraurigen, namenlosen Kleinkind, einem «Enkel», in den Abstimmungskampf ziehen. Bezahlt von Verbändern, Interessengruppen, der Finanzwirtschaft, Lobbyisten, Superreichen, die um ihre Pfründe bangen. Mit einem Budget von mehreren Millionen Franken wird geworben. Mit verlogenen Parolen, die Emotionen statt Fakten liefern. Mich packt eine unvorstellbare Wut auf Politiker, die den Teufel an die Wand malen, anstatt ihn mit neuen Ideen und mutigen Entscheiden wegzuweisen. Eine unglaubliche Wut, auf ehemalige politische Führer und Lenker, die sich – mit ihrer hohen und sicheren Altersvorsorge – einspannen lassen, ein Problem durch Sprüche und Parolen zu lösen, das sie (als Politiker und Politikerinnen) längst hätten (mit Taten) lösen müssen. Die Wut wandelt sich in einen Brechreiz (umgangssprachlich: «Kotzen»), der mich befällt, wenn ich lese, wie die elementarsten Lebenskosten für viele Menschen nicht mehr zu bezahlen sind. Von Mitmenschen – nicht von Kleinkindern mit aufgerissenen Augen auf Plakatwänden - von «Woorking Poor», zum Beispiel, wie diesem Verkäufer, neben den Parolen-Wänden, der (für 4 Franken «Lohn» pro verkauftem Heft) stundenlang dasteht, derweil es im Parlament um Milliarden geht. Milliardenkredite (und -schulden) für Rüstung, Sanierung öffentlicher Betriebe, Aus- und Umbau des Verkehrs, Förderung der Wirtschaft, Erhaltung der Landwirtschaft, Engpässe in den Lieferungsketten und, und, und. «Die Lage ist ernst» lese ich nicht nur im Heft, das sagen auch die Sozialwerke. Nur, wer achtet schon auf einen Mann (oder eine Frau), die neben den werbeoptimierten Plakaten steht und auf die «andere Schweiz» aufmerksam macht, die nicht nur mit Almosen abzuspeisen ist.  
                                                                                                                              (282)

09. Februar  2024

 

Ein Kind im Ohr?

von Peter Züllig

 

Nein, ich habe kein Kind im Ohr. Aber ein Hörgerät. Weil es schon in die Jahre gekommen ist, überlege ich mir, gelegentlich einen Ersatz zu kaufen. Da kommt mir eine Schlagzeile auf „Bluewin“ gerade recht. Nicht wörtlich, sinngemäss: Was kann ich tun, um das richtige Gerät zu finden? Der berühmte Akustiker X.Y. gibt Auskunft. Er lüftet sein Geheimnis. Ich klicke an. Mitnichten kommt ein Akustiker, vielmehr ein Werbetext mit hochtrabenden Worten und von unglaublicher Banalität. Das kann weder ein Akustiker noch ein Journalist geschrieben haben, nur ein Werbetexter. Als „Beraterin“ begleitet mich das Porträt einer jungen Frau, mit wallenden, langen Haaren und freundlichem Gesicht. Sie stellt Fragen, ganz unverbindlich natürlich: „Besitzen sie bereits ein Hörgerät?“ Meine Antwort: Ja.  Pause, die Antwort wird verarbeitet. Die nächste Frage taucht auf, jetzt in Multiple Choice: „Wie alt sind ihre Hörgeräte“. Ich möchte sage: schon alt, deshalb habe ich ja das Gespräch begonnen! Doch zur Wahl steht nur 1 bis 5 Jahre. Also fünf, weiter! Jetzt wird es noch persönlicher: „Tragen Sie ihre Hörgeräte regelmässig?“ Möglichkeiten einer Antwort: von „Ja, jeden Tag“, bis zu „Nein, ich habe sie verloren“. Also weiter: „Wie sind Sie zufrieden mit Ihren aktuellen Hörgeräten?“ Jetzt eine Frage formulieren: „Was hat das mit einem Test oder Rat zu tun?“ Da fehlt leider die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. Vielleicht wäre die KI-Dame auf dem Bildschirm jetzt rot geworden. Also weiter: Jetzt will sie sogar die Koste der „alten“ Hörgeräte wissen und stellt die rhetorische Frage: Was kann ich für Sie tun? Die Antwort wäre das Versprechen in der Schlagzeile: en Rat eines anerkannten Fachmanns der Akustik zu erhalten und stattdessen zu einem Techtelmechtel mit einer KI-Schönheit führte. Als schliesslich mein Alter, mein Name, meine Telefonnummer erfragt wurde, habe ich wütend aufgehängt respektive abgestellt. Kinder gehören eben nicht ins Ohr, vor allem dann nicht, wenn sie keine Kinder, sondern raffinierte Verführer sind.                                                                              (281)

29. Januar  2024

 

Wer denn sonst?

von Peter Züllig

 

Es sind nicht die Spatzen, die es verkünden, nicht zwitschernd, vielmehr lautstark, von fünfzig und mehr PS begleitet: Der Zorn der Bauern. Die Schlagzeilen, jeden Tag etwas grösser, etwas länger, etwas kräftiger: „La colère des agrigulteurs monte“. Nicht die Wiesen, Felder und Äcker sind bevölkert von wütenden Bauern. Die Strassen sind es, die Autobahnen, die städtischen Plätze. Paris, Berlin… Zürich, Genf und Bern (noch) nicht. Die Schweiz hat eben keine Streik- und Protesttradition. Dafür unsere nächsten Nachbarn: Deutschland und Frankreich. In Frankreich sind sie, die Bauern mit ihren lauten Traktoren, am Ziel, zumindest geografisch: „Les agriculteurs encerclent Paris.“ Was sie genau wollen, ist schwer auszumachen: mehr Geld, weniger Vorschriften, besseren Schutz vor dem Eindringen ausländischer Konkurrenz. Der „Normalbürger“ staunt, ist fassungslos. Wird nicht die Landwirtschaft subventioniert, wie kein anderes Gewerbe, geschützt, bevorzugt, mit Samthandschuhen ins politische System eingegliedert. In den Köpfen dominiert noch das Bild des Bauern mit Pflug und Sense, das – vor hundert Jahren – Ferdinand Hodler in der Schweiz bis ins Bundeshaus gebracht hat. Böses Erwachen, nicht nur in der Schweiz. Die Bauern haben längst keine Sensen mehr, keine Ackergäule, die brav Furche um Furche ziehen. Maschinen sind es, tonnenschwere, teure Diese müssen gekauft, bedient, gewartet, „gefüttert“ werden. Im Zeitalter der Maxime: „The Best Price“, auch in der Politik kann nur noch der Staat helfen. Wer denn sonst?                                                   (280)

16. Januar  2024

 

"Vordenker"
von Peter Züllig

 

Ich habe ernstlich gelobt, ja geschworen, hier nie mehr über den Schweizer Diktator, genannt Christoph Blocher, zu schreiben. Gelübde oder gar Schwüre sollte man halten. Grundsätzlich. Doch, wenn er, der so «grundsätzlich» argumentierende Despot, wieder einmal versucht, mit Rhetorik die Sicht einer ihm genehmeren Schweiz durchzusetzen, dann kann ich nicht schweigen.
«Ich wäre grundsätzlich für eine 13. AHV-Rente, sogar für eine 14.», schwadroniert der sogenannte «Vordenker». Er, der Multimillionär, sei «grundsätzlich» für eine 13. AHV-Rente! Dies ist eine der vielen «grundsätzlichen» Lügen, Verdrehungen, Unwahrheiten, mit denen Blocher, abgewählter Bundesrat, immer wieder in eine verquere Rhetorik flüchtet und damit jetzt auch die Menschen beleidigt, die Angesichts der rasanten Kostensteigerung auf etwas mehr Geld im Alter, auf eine etwas grössere Rente, angewiesen sind. Es ist unglaublich, was Blocher mit seiner «Grundsätzlichkeit» anrichtet. Einer «Grundsätzlichkeit», mit der er vielen Menschen direkt ins Gesicht spuckt oder gar brutal ins Gesicht schlägt. Das ist Demagogie und hat nichts mit politischer Diskussion zu tun. «Man könne es sich eben nicht leisten», sagt ausgerechnet er, der sich mit Geld und hohler Rhetorik, alles leistet, was seiner politischen Gesinnung dient. Dabei duckt er sich immer wieder hinter dem abstrakten Schutzschild «Schweiz», wenn es darum geht, nicht nur den Reichen, sondern auch denen zu helfen, die im Leben nicht so viel Geld raffen konnten. Über das Wie, Wann, Wo und Wieviel dieser Hilfe lässt sich durchaus politisch streiten. Es gehört zum üblichen politischen «Verteilungskampf». Hingegen können wir uns sogenannte «Vordenker», die eigentlich rhetorische Despoten sind, schon lange nicht mehr leisten.                                                                                                 (279)

01. Januar  2024

 

Jahreswechsel
von Peter Züllig

 

Zu den Ritualen, mit denen man Rechnung en (nach der Bezahlung) abschliesst, gehört die Bilanz: Es ist die Frage: Was ist unter dem «berühmten Strich» geblieben, an Gewinn, an Verlust oder an Gleichstand? Dies gilt nicht nur für die Buchhaltung, die im Geschäftsbereich vorgeschrieben ist und gesetzlich vorgelegt werden muss (zumindest dem Steueramt). Dies gilt auch für Abschnitte im Leben. Der Jahreswechsel ist so ein Abschnitt. Ihn begehen die einen still und leise, als wäre nichts geschehen. Andere lassen lautstark Pfropfen und Feuerwerk knallen. Besonders Berechnende versuchen, mit Daten und Zahlen, Bilanz zu ziehen, als wären Kosten des Lebens so einfach zu berechnen und auch in Zahlen festzuhalten. Das Leben als Buchhaltung hat sich in unserer Kultur der Marktwirtschaft festgesetzt. Unterstützt von der göttlichen Buchhaltung, die seit Jahrhunderten, Schuld und Sühne aufrechnet und das Resultat mit Verheissung (Himmel und Hölle) belohnt oder bestraft. Weil dies so gar nicht marktkonform ist, haben Glaubensakrobatiker noch ein Zwischending eingeschoben, das Fegefeuer, die Möglichkeit der Reinigung. Ob Glaube an Gott, an das Geld, die Marktwirtschaft, das Gute und Böse, Buchhaltung begleitet unser Leben auf Schritt und Tritt. Nicht nur – aber auch – am Jahreswechsel. Das Leben als Buchhaltung ist nicht nur ein armes, vielleicht ist es sogar ein verlorenes Leben.                                          (278)

18. Dezember  2023

 

Weibelnde
von Peter Züllig

 

Die Genderdiskussion hat nicht nur sensibilisiert, sondern auch die Sprache tüchtig durcheinandergebracht. Die «Lesenden, die Schreibenden, die Politisierenden… Dies waren bisher Personen, die gerade dabei sind, etwas zu tun: zu lesen, zu schreiben zu politisieren etc.. Nicht durch ihr Geschlecht definiert, sondern durch die Tätigkeit, die sie gerade ausführen. Deshalb bin ich jetzt ein Schreibender, hoffentlich auch ein Denkender, der (weil der Magen knurrt) sich langsam zum Hungernden wandelt und dann als In-die-Küchegehender zum Ausschauhaltenden wird, ein glücklicher Kuchenfindender, der als Essender - hoffentlich – etwas Ruhe hat, bis er wieder als Schreibender vor dem Computer sitzt.

Ein So-Denkender hat sich in mir entwickelt – hoffentlich nicht dauerhaft – nachdem ich stundenlang am Fernsehen die Bundesratswahlen mitverfolgt habe: Voten, Erklärungen, Rituale, Kommentare. Da war das Bemühen um dauernde Geschlechtsergänzung omnipräsent. Jedem Mann wurde gleich eine Frau beigesetzt, meist «eine  …In» (Mehrzahl: «…Innen»). Oder es wird eine genderneutrale Alternative gesucht. «Ich bitte die Stimmenzählenden die Wahlzettel auszuteilen». So der Vorsitzende. Dabei sind in diesem Moment die Stimmenzählenden noch gar keine Stimmenzählenden, vielmehr Wartende, die erst nach dem Einsammeln der Wahlzettel Stimmenzählende sein werden. Zuvor haben aber noch die Weibel – jetzt erlebt die Gendersensibilisierung totalen Schiffbruch – die Stimmzettel einzusammeln und in Urnen zu den Simmenzählenden zu bringen. Unter den «Weibeln» sind – ganz offensichtlich – auch Frauen. Der Kommentator sucht deshalb verzweifelt das weiblich Pendent zum männlichen Wesen «Weibel»: Weibelinnen oder gar Weibelnde? Eigentlich weibelt das Gendern längst um die Gunst einer korrekten und verständlichen Sprache. Egal ob männlich oder weiblich.                        (277)

04. Dezember  2023

 

"So ein Käse!"
von Peter Züllig

 

„Volg“, unser Dorfladen, hat fantasievolle Werbeslogans: „Wo auch … aus Liebe zum Dorf“. Aus Liebe zum Dorf gabt es da auch eine wunderbare Käseecke. Doch das war einmal! Der Laden mit der „Liebe zum Dorf“ wurde kürzlich umgebaut. Businesslike. Vieles bezeugt jetzt nicht mehr „die Liebe zum Dorf“, als vielmehr ein rationales Geschäftsmodell. Da musste auch die Käseecke weichen. Wohl für die Minipost, die jetzt hier – nicht aus Liebe zum Dorf – abgemagert und ausgezehrt - untergebracht wurde. Eben businesslike! Die vorgegebene Dorfliebe hat – zumindest bei mir, als Dorfkunde, einen gewaltigen Dämpfer erhalten. Doch dem Bauernstand, der einheimischen Landwirtschaft, wird da wenigstens noch die Ehre erwiesen. Dachte ich, weil „Volg“ zur landwirtschaftlichen Genossenschaft „fenaco“ gehört, die sich aggressiv und lautstark für die Interessen der Landwirtschaft einsetzt. Businesslike, nicht gerade mit Liebe – schon gar nicht mit Liebe zur Natur. Die Umwelt – auch das Dorf – muss dem Geschäft dienen. Die verschwundene Käseecke ist nur ein Symptom, ein Beispiel. Abgepackt und eingeschweisst ist jetzt auch der Käse, die Funduemischung, die Käseplatte… und vieles mehr (sogar die Gurke!) Der Plastik-Abfall in unserem Haushalt hat sich seither verdoppelt, verdreifacht, nicht aus „Liebe zum Dorf“ und schon gar nicht zur Natur. Businesslike, so ein Käse!                                  (276)