Betretenes Schweigen (Die Roten Khmer)

18. März 2013

 

Betretenes Schweigen


Betroffenheit. Menschen, die sinnieren, schweigen, schweigen und nicht begreifen können. Wir gehörten zu ihnen, als wir die beiden Gedenkstätte Toul Sleng und die Killing Fields besuchten. Einige von uns sind draussen geblieben. Der Tod ist kein guter Gastgeber, vor allem nicht, wenn er sich der Gewalt bedient. Die meisten wollten von uns möchten es aber wissen, sehen, ein Stück des Grauens nachvollziehen.

Die Frage schwebt über allem, im Bus, auf dem Weg, im Gelände, in den Gebäuden, die einmal Schule, dann Gefängnis waren: Warum? Wir haben den Reiseleiter gefragt, er hat ein paar historische Fakten bereit, aber auf die zentrale Frage „warum“ fand auch er keine Antwort. Vielleicht will er auch keine Antwort finden, denn als Neunjähriger hat er den Schrecken, den Terror – als Kind – selber erlebt. Seine Schlussfolgerung – nicht ausgesprochen, vielmehr uns zur Formulierung überlassen - hat für ihn doch einen Namen: Ho Chi Minh.

Den Namen Pol Pot höre ich in all den Tagen in Kambodscha nie. Pol Pot war ein schrecklicher Diktator, sicher, aber er war ein Khmer. Ein Verführter, der selber verführte und schliesslich Morden liess. Wie viele Menschen, weiss man bis heute nicht genau. Historiker sprechen von zwei Millionen, vielleicht waren es mehr. In diesen Dimensionen geht der Einzelne unter, wird erstickt in der Masse. Dabei sind das Leid, die Not und die Schmerzen des Einzelnen entscheidend. Die Masse ist „nur“ die Dimension des Grauens.

Ich stelle bei mir fest, in meinem Denken ist das Wort Khmer belegt mit dem Begriff Rote Khmer. Anders kenne ich es nicht. Dabei ist Khmer eine ethnische Gruppe, ein Volk das aus dem historischen Khmer-Königreich hervorgegangen ist. Ein paar Tage später waren wir Angkor (ursprüngliche Bezeichnung Kambuja oder Kambujadesha), wo auf 200 Quadratkilometer mehr als 1000 Tempel und Heiligtümer durch die Khmer gebaut wurden. Weltkulturerbe! Es gibt Vermutungen, dass im Grossraum von Angkor einst zur Blütezeit der Khmer bis zu einer Million Menschen gelebt haben. Wer die Anlage Angkor Wat erlebt, kann dies wohl glauben.

Die Gefangenschaft des letzten Khmer-Königs, 1594, durch die Siamesen (heute Thailand) stellte das Ende der fast tausendjährigen Hochkultur der Khmer dar. Es folgten Besetzungen, Vertreibungen, Besitznahme im heutigen Kambodscha, durch verschiedene Volksgruppen: Chinesen, Vietnamesen, Thailänder – aber auch die Kolonialherren, bis hin zum Diktat der USA während und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Es wundert nicht, dass in Kambodscha – wie in keinem andern umliegenden Land – der Nationalstolz, ja der Nationalismus, ausgeprägt ist. Man hat wieder einen König, der verehrt wird, auch wenn dieser keine politische Macht mehr hat (konstitutionelle Monarchie). Die Khmer sind die weitaus grösste Volksgruppe im Land (mehr als 80%), während die Chinesen (1%), Vietnamesen (5%) und die Cham (3%) nur Minderheiten darstellen.

Letztlich kann man nur erahnen, nicht begreifen, wie es zur Schreckensherrschaft der Roten Khmer gekommen ist. Kambodscha, das Agrarland (wo allerdings Gold vermutet wurde) war Spielball der Mächte, immer wieder: die französischen Kolonialherren, die Vietnamesen, die Thailänder, die Chinesen – sie alle wollten irgendeinmal das Land besitzen (und/oder ausbeuten). Frieden wurden nicht geschlossen, sondern diktiert.

Als der Armeegeneral Lon Nol 1970 durch einen von den USA unterstützten Putsch an die Macht kam, begann in Kambodscha die Säuberung von den Kommunisten. Die Roten Khmer operierten aus dem Untergrund und versprachen eine „bessere Welt“. Der Krieg gegen Südvietnamesen gegen das kommunistische Nordvietnam (mit Unterstützung der USA) dehnte sich auf Kambodscha aus. Die Flächenbombardements forderten mindestens 200’000 Menschenleben in Kambodscha, vor allem Zivilisten. Die berüchtigten B-52 Bomber warfen allein „1973 doppelt so viele Bomben über dem Land ab, wie über Japan während des gesamten Zweiten Weltkrieges“. Dies trieb einen grossen Teil der Bevölkerung in die Arme der Roten Khmer. Als die Roten Khmer 1975 in Phnom Penh einmarschierten, jubelte man ihnen noch zu.

Dann aber begann eine Herrschaft, die sich so wohl niemand vorgestellt hat. Mit Gewalt sollte eine Art reiner Agrarstaat geschaffen werden. Ein Bürgerkrieg – Khmer gegen Khmer – begann, bis die kommunistischen Vietnamesen in Kambodscha einmarschierten (1978) und es befreiten. Die Roten Khmer gingen wieder in den Untergrund, agierten weiter – auch mit Gegenregierungen - bis sie erst 1998 endgültig aufgelöst wurden.

Die Wunden dieses brutalen Bürgerkrieges bluten noch immer noch. Kambodscha stand vor 14 Jahren (fast) am Punkt Null. Die besuchten Gedenkstätten sind nur Mahnmale, die Wunden selber noch längst nicht verheilt. Die heutige Regierung - noch immer in die Wirren und taktischen Manöver der Vergangenheitsbewältigung verstrickt – hat kaum gelernt, einen demokratischen Prozess einzuleiten und durchzuhalten.

Dies alles sind geschichtliche Fakten, nachzulesen in den jüngsten Geschichtsbüchern. Die wahnwitzige Vision der Roten Khmer vom reinen unabhängigen Agrarstaat – wo nicht mit Technik, nur mit Menschenhand gearbeitet wird – ist zwar beiseitegelegt worden. Doch das Land hat sich von den Folgen des Wahns nicht erholt.

Zwei Überlebenden des Völkermordes – einst selbst dem Gefängnis Toul Sieng, „aus dem niemand lebend herauskam“ lebend entronnen – verkaufen jetzt jeden Tag an den Toren der Gedenkstätte ihre Bücher. „Survivor“, the Triumpf of an ordinary man in the Khmer rouge genocide“, heisst jenes von Chum Mey.

Klick, klick, klick – Autogramm, Tag für Tag. Bücherverkauf, sich selber ausstellen zum überleben - in einer Demokratie, die sich viele Khmer wohl wünschen und erträumen. Doch die Schatten sind noch da. Und wir? Empörung ist fehl am Platz. Betroffenheit, Schweigen, Schweigen, Schweigen…..