Zurueck nach Vietnam

20. Februar 2013

  

Zurück nach Vietnam

 

Zurückkehren nach Vietnam kann ich nicht, denn ich war noch nie da gewesen. ich kannte das Land überhaupt nicht, würde es auf der Landkarte noch heute ohne Beschriftung kaum finden. Und doch ist es eine Heimkehr, eine Heimkehr in meine Jugend.

Das erste Mal als ich in Vietnam "landete", war es ein Teil Indochinas, ein französisches Kolonialgebiet, Aber auch das wusste ich nicht. Ich wusste nicht einmal was der Begriff Kolonialherrschaft bedeutet. Kein Wunder, denn ich war gerade mal fünfzehn. Bien Dien Phu war das Stichwort, das mich bewegt hat. Eine paar junge Menschen aus unserem Dorf - meistens hatten sie irgend etwas auf dem Kerbholz - dienten in der Fremdenlegion. Einige von ihnen kannte ich persönlich, von andern die Eltern, die Geschwister, Freunde. Die Fremdenlegion war ein Scheckgespenst für die einen und für andere- dies sei nicht verschwiegen - so etwas wie ein gelobtes Land der Abenteurer, ein Ort, um die Enge des Dorfes aufbrechen, zu durchbrechen.

Horrorgeschichten der Fremdenlegion wurden uns schon in der Schule eingeimpft. Die Warnung begleitete uns: "Hände weg von der Fremdenlegion!". Kein jugendlicher Fehltritt ist so schlimm, dass man dort landen muss. Dann kam das Jahr 1954, der Kampf um Dien Bien Phu. Wer von "unseren" Fremdenlegionären ist dort - in der Hölle? Wer hat sie überstanden? Es starben Söhne und Freunde von Bekannten, andere hatten mehr Glück, andere waren nicht dort oder kamen "nur" in Gefangenschaft.

Ein Buch - ich weiss den Autor nicht mehr - machte die Runde: "Der Engel von Bien Dien Phu", die Geschichte einer Krankenschwester, welche die kämpfenden Legionäre bis zu letzt betreut hat, bis sie selber ums Leben kam. Das Buch hat mich damals mehr beeindruckt hat, als Karl Mays Winnetou-Geschichten.

Dann verschwand Vietnam aus meinem Bewusstsein. Es wurde auch in der Schule - vom Gymnasium bis zur Universität - kaum je erwähnt. Zwar wusste ich inzwischen um die Verbrechen der Kolonialherren und um die Unabhängigkeitsbewegungen in so vielen Ländern. Mein Onkel - er war Missionar in Rhodesien - erzählte von Mugabe, den er auf der Missionsstation unterrichtet hat. Vom ehemaligen Indochina aber - im fernen Asien - sprach kaum jemand, zumindest nicht unter meinen Freunden und Bekannten.

Zehn Jahre später - gegen Ende der 60er Jahre - kehrte Vietnam in mein Bewusstsein zurück: Ho-Ho-Ho Chi Minh - Ho-Ho-Ho Chi Minh - Ho-Ho-Ho Chi Minh skandierten wir in Basis-Versammlungen. Es waren die Studenten-Unruhen - zuerst als Protest gegen die autoritären Strukturen an den Universitäten, bald aber ging es gegen das Establishment generell, gegen die - wie wir sagten - verlogene Moral unserer Elterngeneration und schliesslich jegliche Art Macht.

Ho Chi Minh wurde unser Kronzeuge, Marx, Lenin, Stalin und andere Helden der Revolution hatten längst ausgedient. Doch Ho Chi Minh - im fernen Vietnam - von dem wir kaum wussten, wo es liegt und dessen Geschichte wir nur aus der pro-amerikanischen und französischen Propaganda kannten, wurde zu einer Art Galionsfigur. Es war weder der Kommunismus - wie man uns unterstellte - noch die patriotische Gesinnung Ho Chi Minhs, die uns beeindruckte, es war vielmehr die Tatsache, dass es ein Land wagte, gegen das allmächtige Amerika anzutreten.

Die täglichen Meldung vom Kriegsgeschehen im Mekong-Delta, die Vorstellung, dass eine halbe Million amerikanische Soldaten (und nochmals so viele Verbündete) versuchten, ein Land zum Kapitalismus (andere nannten es Freiheit) zu zwingen, die einseitige Berichterstattung (Kriegsverbrechen gab es auf beiden Seiten) machten uns schliesslich zu Verbündeten von Vietnam. Der Abzug der Amerikaner war für uns so schliesslich so etwas, wie ein Sieg der Achtundsechziger.

Doch Vietnam verschwand schon bald wieder aus den Schlagzeilen der Welt-Presse und dem Weltbewusstsein. Pol Pot, die die Schreckensherrschaft der Roten Khmer in Kambotscha, aber auch das strenge kommunistische Regime in Vietnam, das Handelsembargo der Amerikaner sorgten - je nach ideologischem Lager - für weitere kurzzeitliche Diskussionen, Doch die 68-Bewegung war vorbei und mit ihr auch die Bewunderung oder die Empörung (je nach Standort) für die Vietnam. Der ideologische Stellvertreterkrieg hatte ausgedient. Vietnam ist inzwischen ein respektabler Staat und ein beliebtes Reiseland geworden.

Unter all den Touristen, die es dahin zieht, bin auch ich. Zurückgekehrt nach Vietnam, zurückgekehrt in meine Jugend.

Peter Züllig