Verstaubter Karl May

07. März 23017

 

Aufgeschnappt im Nordbayrischer Kurier

vom 01. März 2017


                           Nordbayrischer Kurier

 Karl May ist das "Nokia" der Literatur geworden,
verstaubt, den Anschluss verpasst, von der Nostalgie erdrückt, Kult, aber nicht mehr in.. Der oben zitierte Artikel zum 175. Geburtstag von Karl May, mit einem Interview mit Jörg Weinreich, dem Leiter der Bayreuther Stadtbücherei, wird nicht eitle Freude auslösen. Doch endlich wird einmal in einer Deutlichkeit das ausgesprochen, was man längst weiss, darüber auch klagt und lamentiert, aber alles tut, um den Staub nicht nur zu belassen, sondern noch grösser werden zu lassen und "die Jugend" gründlich zu vertreiben. Weiterlesen hier

von Norbert Heimbeck

 

BAYREUTH. "Von der Kugel eines Feindes tödlich getroffen, sinkt Winnetou in die Arme seines Blutsbruders Old Shatterhand und haucht die letzten Worte: „Winnetou ist ein Christ. Lebe wohl!“ Ein „Lebe wohl“ möchte man auch Karl May zurufen, dem Autor, der als der meistgelesene Schriftsteller deutscher Sprache gilt. 175 Jahre nach Mays Geburt stehen die berühmten grünen Bände im Lager der Stadtbibliothek – ungenutzt, nahezu vergessen." 
Soweit der Aufmacher des Artikel. Da ist er abzurufen. Leider für Nichtabonnenten auch kostenpflichtig (0.39 € um ihn zu lesen) und deshalb hier nicht im Wortlaut wiedergegeben.

07. März 2017

 

Karl May ist das "Nokia" der Literatur geworden

 ein Kommentar von Peter Züllig

 

Vor knapp dreissig Jahren habe ich Karl May und seine Welten "wiederentdeckt". Zufällig, auf den Spuren zurück in die Erinnerungen. Einst, "als ich ein Kind noch war", spielte ich - wie so viele andere Kinder - mit Winnetou, Old Shatterhand und wie sie alle heissen, die Gestalten in Karl Mays Welten. Es ging mir ähnlich wie dem Schriftsteller Martin Suter und wie so vielen Kindern, die vor fünfzig und mehr Jahren noch Kinder waren. Martin Suter (69) sagt es im Interview  (Magazin des Tagesanzeigers vom 14.01.2017) so:

Zuerst war es bei mir "Nostalgie". Zufällig bekam ich ein Taschenbuch in die Hände, "der Schatz im Silbersee", ein "Jugendroman", den ich längst vergessen oder "verdrängt" habe, noch schlimmer: den ich vierzig Jahre lang als unwerte Literatur aus meinem Bildungskanon ausgeschlossen habe.  Aus Langeweile habe ich darin gelesen und kehre langsam zurück, zu einem Autor, dessen Werke man damals noch als Schund bezeichnet hat.

Weil ich Sammler bin - ich sammle vieles - begann ich auch Karl May zu sammeln, zuerst die Bücher, dann alles rund um den Autor und seine Helden. Fünfzehn Jahre lang sammelte ich, bis ich mich - mit einer Ausstellung meiner Sammlung - outete und zum ersten Mal mit "Gleichgesinnten" in Kontakt kam.  


inzwischen umfasst die Sammlung an die 5'000 Exponate und dürfte eine der grössten in der Schweiz sein. Ich reiste an Seminare, Symposien, Aufführung, Ausstellungen, zu Gesprächen...Ich abonnierte alles, was es rund um Karl May zu abonnieren gab. Ich trat Vereinigungen, Freundeskreisen,  Unterstützungs-gruppen bei und stelle immer mehr fest: Karl May - respektive sein Erbe - lebt heute dort, wo es an Bedeu-tung gewonnen, aber an Lebensbezug verloren hat. Vor allem landete er in der verstaubtesten Ecke des Kulturbetriebs. Warum?

In den Kreisen des "heutigen" Karl May gibt es zwei Interessensgruppen, die sich zum Teil weit auseinander bewegen.

  1. Die Forscher, die Wissenschaftler, die Literaturkenner. Weitgehend ältere Herren, zunehmend auch Frauen, die ihre Aufgabe darin sehen, den einst verfemten, nicht ernstgenommenen Schriftsteller zu erforschen, letztlich in den Kanon der bildenden Literatur aufzunehmen. Ein hehres Anliegen, das heute - überblickt man die Sekundärliteratur - weitgehend "vollbracht" ist. Man kennt heute - von den vielen "Geheimnissen", vom Fremden, auch vom Verruchten des Autors - fast alles, sozusagen jeder Winkel ist erforscht.
    Damit aber hat Karl May auch seine fast schon magische Faszination, seine Welt voll Widersprüchen und Geheimnissen verloren. Er ist sozusagen kommun geworden und damit für "unter der Bettdecke zu lesen" viel zu  unattraktiv.
  2. Das Heer von Nostalgikern, die den Schriftsteller so erhalten möchten, wie sie ihn einst erlebt haben. Sei es beim "unter der Bettdecke lesen", in den "klassischen" Karl-Filmen der 60er Jahre, der mitunter gigantischen Freilichtaufführungen, der Romanheftchen vom Kiosk oder den Comics der 80er Jahre. Sie suchen ihren Karl May, lassen kaum etwas Neues zu, beharren auf ihrer Karl May Welt,, die längst nicht mehr die Welt ist, in der Karl May sie geschaffen hat. Gralshüter nenne ich sie, wobei der gehütete Gral unglaublich viele Fazetten hat.

 

Beide Gruppen haben durchaus ihre Berechtigung und ihr Wirken ist ein Gutes. Es hilft das Erbe Karl Mays - zumindest noch ein paar Jahre - der Vergessenheit zu entreissen. Wie lange) Und dann...?

 

Sowohl das Karl-May-Haus in Radebeul, als auch das neugestaltete Museum im Geburtshaus von Karl May in Hohenstein-Ernssthal leiden unter Publikumsschwund. Da helfen alle bisherigen Erklärungsversuche wenig. Es ist auch nicht der Zeitgeist, der daran die Schuld trägt. Sondern? 

Der anfangs zitierte Artikel der  im Nordbayrischen Kurier bringt es auf den Punkt. Frage "Woran liegt das Desinteresse? - Antwort: Bei Kindern und Jugendlichen komme es auf die „Gesprächsthemen der Peer Group an“, sagt Weinreich. Soll heißen: Was Freunden und Mitschülern wichtig ist, dafür interessiert man sich auch selbst."

Bild: CC BY 2.0
Bild: CC BY 2.0

Die Peer Group der jugendlichen Leserinnen und Leser wird heute bestimmt von den sogenannten "Neuen Medien", von den Social Media (Facebook, Twitter, Istagram und wie sie alle heissen), aber auch beeinflusst durch die Boulevardpresse, das Fernsehen, das Internet.  In diesen Kreisen führt Karl May ein jämmerliches Schattendasein, selbst  während sogenannten "Jubiläumsjahren". Und wenn er mal auftaucht, vielleicht "original", nicht aber "originell". Die Gralshüter sorgen dafür!

Zitat: "Ein Hindernis für moderne Leser sei sicher Mays Stil. Seine veraltete Sprache, aber auch die Aufmachung der Bücher mit kleiner Schrift und eng bedruckten Seiten könnten heute abschreckend wirken. Denn das Interesse vieler Menschen an fremden Kulturen und Reisebeschreibungen sei noch groß."

Da muss ich ihm recht geben, dem Bibliothekar. "Winnetou" - zum Beispiel - neu erzählt von Engelbert Gressl, in moderner Aufmachung, zeitgemässer Sprache, bleibt ohne grosse Resonanz in Karl May Kreisen. Auch "Karl Mays magische Welt" - schon fast revolutionär in der Karl-May-Szene und im Karl-May-Verlag, kann nicht in einen jungen Leserkreis vorstossen (wer liesst schon "eine Anthologie mit den Figuren Karl Mays"?)  Und vom "modernen" Karl May ("jede Generation hat seinen eighenen Winnetou"), vom sogenannten RTL-Dreiteiler, wage ich gar nicht zu sprechen. Ablehnung und Häme der Karl-May-Freunde haben sihn umrankt und als ganz und gar unkarlmayisch gestempelt. Wieder eine vertane Chance, wurden mit den drei Filmen doch doch mehr als 10 Millionen Menschen erreicht!

Darauf liesse sich - bei geschickter Nutzung der Situation - durchaus eine Peer Group er heutigen Jugend gestalten, einer Peer Group, in der auch das "Nokia" der Literatur in das iPhone-Alter (und -Image) eingetreten ist.

Das Gegenteil ist der Fall. Die filmisch viel bescheideneren Filme der 60er-Jahre erleben ein neues Hoch. Derweil Karl May noch mehr verstaubt.


Dafür aber haben gestrige Karl-May-Fans kein Flair und morgige Karl-May-Fans keine Chance.