Kolumne bei Wein-Plus (1. Teil von 6.12.2005 -  )

06.12.2005


Grüezi mitenand


Geschichten aus dem Alltag eines Weinsammlers, Weintrinkers, Weinstatistikers, Weinliebhabers


Darf oder muss ich mich vorstellen? Journalist, leidenschaftlicher Sammler, Dokumentarist, Weinliebhaber, Statistiker, Genießer..... Bis vor einem Jahr habe ich im Forum von Wein-Plus oft geschrieben, weit über 300 Beiträge. Vielleicht waren sie allzu lange, oft maßlos, vielleicht auch nur getrieben, von dem, was ich täglich rund um den Wein gerade erlebe oder erlebt habe: Anekdoten, Neuigkeiten, Erfahrungen.
 
Ich habe erzählt vom Bordelais, von meiner Lieblingsregion, dem Languedoc, meiner zweiten Heimat, von der Schweiz, wo meine Wurzeln sind. Ich habe geschrieben über Deutschland, wo ich (durch das Forum) die besten Freunde gefunden habe, die Pfalz, Weinfranken, Rheingau, wo wir auf Erkundungsfahrten Weine, Kultur, vor allem aber Menschen getroffen haben.

Ich verbinde Leben immer mit „Erleben”. Auch beim Wein. Da halte ich es mit Marvin R. Shanken, dem Herausgeber von „Wine Spectator”: „There’s one fundamental difference between a causal wine consumer and a true wine lover: the former drinks, the later tastes.” (Oktober 2005)

Versuchen, Kosten, Erleben, Erfahren - mit dem Wein leben - , und darüber nachdenken oder einfach erzählen: Geschichten erzählen, dies werde ich fortan hier in einer Kolumne regelmässig tun. Etwa immer in gleicher Länge, in der gleicher Form, aber mit andern Inhalten. Dabei geht es mir nicht ums Werten, Richten, Recht zu haben oder gar Recht zu bekommen. Ich weiß vieles (noch) nicht, aber das, was ich schreibe habe ich immer selber erfahren. Erfahrungen sind subjektiv, deshalb aber nicht weniger wahr! Wir können eben Welt - auch die Weinwelt - letztlich zwar definieren, beschreiben, aber nur subjektiv erleben.

Eben so, wie ich zum Beispiel auch diesen Herbst wieder Tage in den Rebbergen der „Bündner-Herrschaft” (Ostschweiz) erlebt habe, wo wohl die besten „Pinot Noir” der Schweiz wachsen. „Wimmlen”, sagt der Bündner - und meint nicht bloß die „Traubenernte”, sondern verbindet damit auch seine ganze Liebe zur Rebe und den Wein. „Wimmle” ist nicht nur Lese, es ist Auslese. Die guten Beeren werden von den schlechten getrennt. Traube um Traube, Beere um Beere. Nur so kann schließlich jener Pinot werden, der eben zu den besten gehört. Dabei habe ich dieses Jahr einen - für mich - neuen Begriff haut- und handnah kennen gelernt: „stiellahm” - in der Wein-Literatur auch Stiellähme oder Traubenwelke genannt. Winzer und Oenologen kennen das Phänomen, doch welcher Weingenießer kann damit auch etwas anfangen?

Darüber habe ich im Weinberg - am Fuße der mächtigen Bündnerberge - mit Trauben in den Händen nachgedacht. Stiellahm? Oder gar stillahm? Bisher habe ich als Weintrinker und Journalist nur „Stilarmut”, „Stil-schwäche” oder eben auch „Stillähme” gekannt, und zwar beim Wein, aber auch in manchem Gerede und Geschreibe über den Wein.

So bin ich froh, dass ich jetzt auch den Buchstaben „e” im Wort „Stil” entdeckt habe: also die Stiellähme. Hoffentlich werden fortan meine Wein-Notizen dadurch auch stilvoller.

Herzlich Ihr/Euer
Peter (Züllig)

 

Peter Züllig

Peter Züllig (66), Journalist, Weinliebhaber, Sammler aus Leidenschaft. Er lebt in der Schweiz und in der Languedoc. Seit er als Fernsehredakteur und Hochschuldozent (Medien) pensioniert ist, beschäftigt er sich täglich mehrere Stunden mit Wein. Sein schönstes Hobby, wie er sagt.

Da gibt es nicht nur einiges zu trinken, auch zu lesen, zu ergründen und erfahren: Eine grosse Bordeaux-Sammlung muss laufend überprüft, ergänzt und gepflegt werden. Genau so wie seine andern - nicht minder aufwändigen Sammlungen von Karl May-Büchern über Weihnachtskrippen bis zur klassischen Spielfilmen. Doch im Mittelpunkt steht die Beschäftigung mit Wein. Durch seinen grossen Bekanntenkreis und seine riesige Datensammlung (Preise, Beurteilungen, Bewertungen) ist er ständig unterwegs zu neuen "Weingeschichten".


Peter Züllig


13.12.2005


Grüezi mitenand


Das Lot 1208. Oder: Was alte Burgunder heute kosten können


Der Auktionator ruft Lot 1208 aus, das drittletzte in einer fünf Stunden dauernden Auktion im Hotel Inter-Kontinental in Zürich. Auf dem sonst so sachlich-strengen Gesicht des Ausrufers ein Lächeln: „Wie hoch soll ich beginnen?” Diese Frage taucht sonst in einer Auktion nie auf. Der Ausrufpreis ist im Katalog als Mindestpreis genau festgehalten. Lot 1208 ist ein Mixed-Lot. Mindestpreis 200 +.

Unter der Rubrik Mixed-Lot tauchen Weine auf, die Händler kaum interessieren und auch bei den Weinkennern meist nur ein müdes Lächeln auslösen. Schlechte Jahrgänge, niedriger Füllstand, wenig bekannte Weingüter, kurzum das, was bei einer Kellerleerung so anfällt und vom Auktionator an den Mann oder die Frau zu bringen ist. Meist ist in jedem dieser Mixed-Lots ein spezielles „Zugpferd”, das in der Regel den Mindest- oder eben Ausrufpreis rechtfertigt und sehr oft begehrt ist. Die restlichen Weine müssen dann dazu genommen werden. Oft ein Entsorgungsfall, nicht selten aber auch eine Überraschung.

Ausriss aus dem Auktionskatalog

Nicht „Blind- „ sondern „Blockbuchen” nennt man dies in der Geschäftswelt. Also: Lot 1208 ist ein solches Mixed-Lot und zwar für Franken 200 +. 11 Flaschen: 2 Chambolle-Musigny 1969 Grivelet, 1 Charmes-Chambertin 1969 Roger de Jouennes, 2 Mazy-Chambertin 1978 Joseph Roty 4-6 cm., 1 Charmes-Chamebertin 1978 Joseph Roty 4 cm., 1 Chambertin 19779 Camus 5 cm., 1 Beaune Cent Vignes 1990 CH, 3 Savigny-les-Beaune 1er 1992 Morin.

Der Auktionator beginnt bei 300 Franken. Kaum jemand schaut hin. Viele Bieter sind schon weggegangen, andere räumen ihre Taschen zusammen. Zwei im Saal halten mit: 300! Der Auktionator selber - Verwalter der schriftlich eingegangenen Gebote - bietet weiter 400 Franken. Im Saal 500!. Also bereits das Doppelte des Mindestpreises. Einige schauen kurz hin, stutzen, beschäftigen sich aber weiter mit ihrem Abgang. Doch es geht weiter: 600, 700, 800.... Jetzt wird es ruhig im Saal, man schaut konsterniert zum Auktionator, dann wieder in den Auktionskatalog. 900, 1000, 1100 Franken. Jetzt wird es ganz still. Wer noch hier ist, hält den Atem an. Man weiß zwar, dass alte Burgunderweine an Auktionen plötzlich unglaublich hohe Preise erzielen: An dieser Auktion zum Beispiel: 1 Flasche Romanée-Conti, 3.5 cm. Kapseldeckel oben abgeschnitten für 5900 Franken (3'740 €) oder 1 Richebourg, 1959, 5 cm. für 1400 Franken (890 €). Doch was ist mit diesem Lot 1209 los? Da wird weiter geboten 1200, 1300, 1420 Franken (900 €) bis endlich der Hammer fällt. Was ist wohl so kostbar an diesen 11 Flaschen aus dem Burgund? Ich habe es nicht herausgefunden. Kopfschüttelnd, konsterniert verlasse ich den Saal. Mein einziger Trost: Schließlich bin ich kein Burgunderkenner, sondern eher ein „Bordeauxspezialist”. In der Tiefgarage begegne ich zwei weiteren Teilnehmern, der Auktion, aufgeregt diskutierend: Was ist nur an diesem Lot? Sie wissen es auch nicht und sind ganz enttäuscht, weil sie das Gefühl haben, schlechte Weinkenner zu sein.

Ihre miese Laune verloren sie erst, als ich gestand, dass auch ich es nicht herausgefunden habe. Da war der Tag für sie gerettet. Doch mich lässt das Lot 1208 seither nicht mehr los. Wer kann mir helfen, meine Ruhe wieder zu finden?

Fragt herzlich Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

24.12.2006


Grüezi mitenand


Vom Weihnachtswunder oder von den Winzern, Wirten und Trinkern, die zur Krippe pilgern.


Meine liebste Weihnachtslegende berichtet von Wasser, das in der Christnacht zu köstlichem Wein wird. Es ist zwar umstritten, wo der sagenumwobene Brunnen steht: mal im Norden Deutschlands, dann in Österreich, leider aber nicht in der Schweiz. Ein bestimmter Teil der Sage fasziniert mich ganz besonders: Man darf nämlich während des Weingenusses auf keinen Fall sprechen, sonst wird man mit dem Tode bestraft.

Und, sollte sich das Wasser einmal nicht weinrot färben, dann bekommt es auf dem Weihnachtstisch trotzdem die Kraft von bestem Wein, wird zu „Christtau” und bleibt ewig frisch. Wie oft hoffe ich während des Jahres, dies möge so manchem blassen Wässerlein, das sich Wein nennt, auch zuteil werden. Doch es ist nur einmal im Jahr Christnacht, vielleicht wäre es wirksamer, ich würde mich in solchen Fällen direkt an den Winzer wenden und nicht an das Christkind.

Weihnacht ist vor allem ein Fest der Sinne. In das Ohr (das am wenigsten „geschulte” Sinnesorgan des Weinliebhabers) dringen pausenlos süße Melodien: „Süßer die Glocken nie klingen...”, „O Jesulein zart,...”. „Jingle bells, Jingle bells...” Sie durchdringen Geschäfte und öffentliche Gebäude, Straßen und Gassen, Dörfer und Städte.

Dem Auge hingegen entgeht nicht das fast endlose Lichtermeer, das sich allabendlich über Städte und Dörfer legt. Der Gaumen, mein liebstes Sinnesorgan, wird hingegen nur leicht geködert, einzig von dem Versprechen auf exzellentes Essen und bestes Trinken.

Seit Wochen flattern Weinangebote in den Briefkasten und verstopfen die Mailbox: „”Merry Christmas. Wir haben den Wein dazu... Parker 90/100 Punkte für nur 9 € statt 10 €.” - „5 % Rabatt für alle Bestellungen... Wir wünschen Ihnen frohe Festtage. Der Verkaufsleiter”. Danke!

Essen und Trinken gehörten schon zum heidnischen Mittwinterfest. Dies ist bis heute so geblieben. Weihnachten hat „Jul” ersetzt. Doch abgesehen von der christlichen Deutung bleibt Weihnachten - das Brauchtum zeigt dies deutlich - Sinnbild für die naturgegebene Wende von Licht und Leben, wie dies schon im heidnischen Jul gefeiert wurde.

Doch die verbürgten Trinkgelage von einst passen schlecht zum versüßten Jesuleintag von heute. So bleibt es denn beim angeregten Werweißen: Soll es ein „Fleur-Petrus 96” sein - noch zu jung?! Ein weißer Burgunder von J. Drouhin „Montrachet 1995  - nicht ganz passend zum Essen! Château Beaucastel „Vieilles Vignes blanc 1998 von der Rhône - doch etwas zu knauserig für das Fest. Ein Italiener von Domenico Clerico „Barolo Clabot Mentin Ginestra 1985” - vielleicht schon etwas über dem Höhepunkt! Oder dann doch ein Riesling „Eitelsbacher Karthäuserhofberg Nr. 24 Versteigerung 1997”. Zur Hauptmahleit ein Pinot von Gantenbein „Fläscher Blauburgunder 1992” - kann man dem noch trauen?

Ich halte es vielmehr mit einer über 200 Jahre alten Tradition aus der Provence: Dort gehen an Weihnachten alle Bewohner zur Krippe: der Bäcker, der Richter, der Briefträger, der Jäger, der Fischer, der Tänzer, der Winzer, der Wirt, der Sommelier... Santons werden sie genannt: „kleine Heilige”. Nicht nur Maria, Josef, die Hirten und Könige sind im Stall zu Bethlehem anzutreffen. Nein, wir alle, die „kleinen Heiligen”, die Santons, sind dort. Santons haben zwar keinen direkten Bezug zur Weihnachtsgeschichte. Sie kommen aus einer anderen Welt - aus unserer. Und doch gehören sie dazu. Es gibt zu jeder Figur auch eine kleine Geschichte. Und niemand findet dabei etwas Heidnisches oder allzu Weltliches. Im Gegenteil! Sie alle - die Santons - haben das gleiche Ziel: Sie sind beseelt vom Glauben an Weihnachten, vom alljährlichen Wunder vom Wasser und Wein.

Das Sinnbild gefällt mir. Seit ich auch den „Trinker” als Santon auf dem Weg zur Krippe angetroffen habe, ziehe auch ich ruhig mit. Als „Weingenießer”, wie er zuhauf das Forum bevölkert. Ich bin überzeugt, unter den über 300 traditionellen Santos-Figuren werde ich eines Tages auch den Weinfreak finden. Dann kann ich darüber berichten und seine Geschichte erzählen.

Bis dann, frohe Festtage wünscht der kleine unautorisierte Santon „Weingenießer”.

Herzlich Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

11.01.2006


Grüezi mitenand


Grosse Verkostungen oder Staatsbegräbnisse erster Klasse


So wie jeder Jäger seine schönsten Erlebnisse in schmuckvollem Jägerlatein immer wieder zum Besten gibt, so schwärmt auch der Weinliebhaber oft und gerne von seinen „großen” Verkostungen. Bei mir sind es schon einige dieser „unvergesslichen” Erlebnisse, von denen ich immer wieder gerne erzähle. Zum Beispiel eine Jahrhundert-Degustation der „besten französischen Weine” des 20. Jahrhunderts, oder eine Mouton-Vertikale mit René Gabriel, oder eine Verkostung von jenen Weinen, welche die Weinwelt veränderten und - erst kürzlich - eine Vertikale der besten Châteauneuf-du-Pape von Henri Bonneau. All diese Weinerlebnisse haben etwas gemeinsam: die begleitende Zeremonie, jene Kulthandlung, in der die Weine „zu Grabe getragen” werden. Eigentlich ist es kein übliches Sterben, kein Abschied in Trauer. Im Gegenteil: Es sind die Stunden und Minuten, in denen der Sinn eines Weindaseins in Erfüllung geht. Der alleinige Zweck, dem Menschen, dem Genießer allerhöchste Lust zu bereiten und dann abzutreten aus dem irdischen Wein-Dasein. Alle Weine, die diesen Zweck erfüllen, leben weiter in den Erzählungen und Schilderungen von denen, die dabei waren.

Eröffnung der einmaligen Bonneau-Präsentation. 28 der legendären Weine wurden von Gerhard Präsent in Graz vorgestellt. Die Teilnehmer kamen aus vielen Gegenden, aus Zürich, aus Hannover, aus London etc.
Die Zeremonie aber, die den Hinschied begleitet, gleicht einem „Staatsbegräbnis erster Klasse”.Niemand ist wirklich traurig, nicht einmal die nächsten Angehörigen (in diesem Fall die stolzen Besitzer). Jeder an der Tafel weiß, das Ableben hat einen höheren Sinn, erhält jetzt seine höchste Weihe und zwar im einem harten Wettbewerb, den Anwesenden höchsten Genuss zu verschaffen.

Alle Teilnehmer am rituellen Staatsbegräbnis haben sich ihre geistige Uniform angezogen. Deutlich erkennbar die verschiedenen Schichten: Amateur, Profi, Genießer, Skeptiker, Vertrauter, Kenner, Neugieriger... Das geistige Gewand ist vielfältig und nicht ohne weiteres erkennbar - uneinheitlich also. Doch alle sind mit den Insignien ihres Standes dekoriert. Zwar wird Lässigkeit demonstriert, in Wirklichkeit aber steigt die Erregung. Zuerst werden die Mittrinker (oder Verkoster) unauffällig, aber umso schärfer unter die Lupe genommen: Wer hält das Glas falsch? Wer streckt seine Nase zu lange ins Glas? Wer trinkt mehr als er verkostet? Wer spuckt und wer nicht? Wer notiert systematisch und verteilt sogar Punkte?

Kritisches Prüfen an der sensationellen Bonneau-Degustation vom 17. Dezember in Graz
Dann kommt der Wein an die Reihe. Drei oder vier Gläser, tümpelhoch gefüllt, werden ans Licht gehalten, zur Nase geführt, schluckweise geleert, der Inhalt durch Mund und Gaumen gezogen... Schließlich wird mit einer möglichst lässigen Kopfbewegung der hehre Augenblick quittiert. Ein Staatsbegräbnis: zwar werden keine Fahnen zum Grab hin gesenkt, zwar gibt es keine Kränze mit dem „letzten Gruß”. Doch die Stimmung entspricht jener, die sonst auf Kranz- und Bouquetschleifen festgehalten wird: „in Kameradschaft, Freundschaft oder gar Liebe, Dein...”.

Wie bei jedem echten Staatsbegräbnis wird vorerst in Ehrfurcht geschwiegen, minutenlang. Dann melden sich die engsten Freunde zu Wort: Verdienst, Eigenheit, Leistung, sogar ein Stück Werdegang werden formuliert und zaghaft ausgesprochen. Widersprechen mag keiner. Dies gebietet schon die Würde des Anlasses, die Erhabenheit des Augenblicks. Erst später, im kleinen Kreis, kommen auch kritische Stimmen zu Wort, allfällige Laster und Ungereimtheiten werden aufgezählt, allerdings eher verhohlen, hinter der vorgehaltenen Hand.

Man spricht bereits über die Nachfolge und freut sich auf das nächste Staatsbegräbnis 1. Klasse. In verschiedenen Internetforen werden Kondolenzlisten aufgelegt, und die große Weinwelt nimmt geistigen Anteil am Abschied. „Congratulations for a maybe once in a lifetime tasting.” So oder ähnlich wird geschrieben, gelobt, analysiert und geschwärmt. Das Staatsbegräbnis bleibt in Erinnerung, es wird den Enkeln und Urenkeln als geistiges Weinerbe weitergereicht. Und irgendwann verwischt sich die Erinnerung mit der Zeremonie und der Wein mit dem Erlebnis dabei gewesen zu sein.

Herzlich Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

16.01.2006


Grüezi mitenand


Was trinkt man an Festtagen? „Vino Santo” oder ganz einfach: irgend einen „Festtagswein”?


Nein, ein wahrer „Festtagswein” kann nur ein Châteauneuf-du-Pape sein. Davon bin ich überzeugt, seit meiner Kindheit. In meiner Familie wurden immer an Festtagen die funkelnden Kristallgläser aus dem Stubenbuffet genommen und eine besonders schwere Flasche kam auf den Tisch, mit einem besonders dunklen, fast schwarzen Wein.

Festtagstisch meiner Jugend. Onkel Richard ist gestorben, die Weine getrunken... sonst ist aber alles original
Onkel Richard, der Dorfschullehrer und einzige Weinkenner in der Familie, war dann zu Besuch. Alkohol war für mich noch streng tabu, nicht einmal nippen am Glas durfte ich. Doch der Onkel ließ mich die päpstlichen Insignien auf  der Flasche ertasten,  die seltsame Schrift mit den großen, rotleuchtenden, verzierten Anfangsbuchstaben „C” und „P” entziffern, und er erzählte vom Papst, der einmal nicht in Rom, sondern in Avignon regierte. Dies alles war für mich Feiertag, Festtag.

Viel später, als ich eine Familie und einen eigenen Haushalt hatte, da lagerte ich auch die ersten eigenen Weinflaschen im viel zu warmen Keller. Darunter natürlich auch ein paar „Châteauneuf-du-Pape”, für besonders festliche Tage. Ich glaube, sie wurden nie getrunken. Entweder waren die Tage zu wenig festlich, der Wein bereits verdorben oder es standen andere Genüsse  im Mittelpunkt.

Päpstlichen Insignien - sie gehörten zum Festtagswein
Erst jetzt, viele Jahre später, bin ich ihm wieder begegnet, dem Festtagswein Châteauneuf-du-Pape. Er war so, wie er in all den verklärten Kindheitserinnerungen immer war: einmalig, festlich, großartig, unvergleichlich, wirklich päpstlich.

Inzwischen habe ich viele Weine kennen gelernt und weiß mich auch in der Weinsprache etwas eleganter auszudrücken: „poivron, épicé, ample, corsé et charpenté..” oder etwas holpriger: „pfeffrig, würzig, stattlich, körperreich und kräftig gebaut...” An den festlichen Gefühlen hat sich aber nichts geändert.

Dies weiß ich spätestens seit der Degustation in Graz, wo uns Gerhard Präsent, der hervorragende Kenner der Rhône-Weine, 27 verschiedene Jahrgänge und Cuvées des legendären, geheimnisumrankten Winzers Henri Bonneau, einschenkte. In der Fachsprache war es eine „vertikale Degustation”, in meinem Erleben aber Weihnacht, Ostern, Pfingsten, Geburtstag und diverse Jubiläen in einem: das Jahr 2006 ist damit bereits festlich begangen.

Henry Bonneau in gar nicht festtäglicher Laune auf dem Titelblatt
Kaum war ich aus Graz zurück, da steckte die neuste Ausgabe von „Terre de Vins” im Briefkasten. Auf der Titelseite: Henri Bonneau, der Winzer , der sonst kaum Journalisten empfängt, keine Interviews gibt und nur Vertraute in seinen Keller lässt. «Henri Bonneau, une légende vivante à Châteauneuf«. Doch auch in dieser Reportage erfahre ich wenig über die so raren, gesuchten und kostbaren Weine und den seltsamen, so gar nicht starmäßigen Starwinzer Bonneau: „Ses vins sont d’un autre temps, son caractère bien trempé et son humour tres décapant..... Henri Bonneau n’est pas un homme facile”. Was etwa so viel heißen mag, wie: „seine Weine sind aus einer andern Welt, doch der Mensch Bonneau ist kaum zu fassen”.
Glossar zum Thema
Zurück in meine eigene  Welt. Neujahr war der letzte Festtag, den ich erlebt habe. Was habe ich da getrunken? Was kam in einem sehr guten, typisch südfranzösischen Restaurant zu einem sehr guten typisch südfranzösischen Essen auf den Festtagstisch (vin compris)? Nein, kein Châteauneuf-du-Pape schon gar nicht einer von Bonneau, sondern ein schlichter Landwein aus der Languedoc. Château Grezan, der einfachste des stattlichen Faugères-Gutes. Und trotzdem, auch ein Festtagswein.

Prost, auf ein gutes Weinjahr 2006.

Herzlich Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

27.01.2006


Grüezi mitenand


Der kürzeste Weg führt mitten durch die winterlichen Rebberge des Languedoc, dank GPS



Das Christkind hat uns weder einen Latour, noch einen Romanée Conti und schon gar nicht einen  Bonneau. Gebracht. Nein, ein GPS! Also setzte ich mich hin, um das technische Wunderding zu erproben, das mich in Zukunft zum verborgensten Winzer bringen kann.

Was soll ich eingeben? Vor mir steht einer meiner Lieblingsweine: „Les collines” von Ollier-Taillefer in Faugères. Eigentlich kenne ich den Weg dorthin: wie oft bin ich ihn schon gefahren. Trotzdem - ich tippe FOS ein, jenes winzige Dorf in der Nähe von Faugères. Bei der Wahl zwischen dem schnellsten und dem kürzesten Weg wähle ich den kürzesten. Fahrtechnisch ist dies ein Fehler. In Bezug auf Erlebnis und Erfahrung aber ein riesiger Gewinn.

Hier müssen sich die Reben gegen Wind und Wetter durchsetzen. Ihre Beeren geben einen charaktervollen, in der Aromatik fast einmaligen Wein

Am Anfang ist alles „normal”: die gewohnte Route. Dann aber verlangt das Gerät: „In 200 Metern abbiegen nach links, dann nach rechts.....” Was bedeutet das? Der erste Irrtum von Satellit „Big Brother”? Doch ich gehorche ihm, schließlich will ich ja das Gerät erproben.

Und so führt mich GPS auf engen Feldwegen mitten durch eine kahle Landschaft, in der es nur einige Olivenbäume und unendlich viele Rebstöcke gibt. So habe ich einen Weinberg noch nie gesehen. Das Grau-Braun der ausgewaschenen kahlen Steine dominiert. Nur braune, hauchdünne, im Wind sich wiegende Halme mit kleinen weißen Tupfern am Ende, kaum etwas Grünes, schon gar nicht Gras. Schieferplättchen, Kalksteine, Mergel, feines Geröll aus welcher Zeitepoche auch immer, Schotter...

Aus der "Steinwüste" wachsen die Reben: Schiefer, Geröll, Mergel...
Daraus ragen, wie bizarre, knorrige Denkmäler meist dunkle, fast schwarze Rebstöcke. Die einen sind geschnitten, die Ruten bereits entfernt. Bei vielen aber wirbeln noch die kahlen Triebe, an denen einst Blätter und Trauben hingen, tüchtig durcheinander. Wild, unkoordiniert, vom starken Wind, dem Tramontagne, dauernd in Bewegung versetzt.

Jetzt sind die Flächen noch größer, die Felder noch riesiger, die Dominanz fast erdrückend.

Inmitten dieser Felder, da und dort, weithin sichtbar, steht ein Auto, recht schief aufs Feld parkiert, denn auf der schmalen, holprigen Strasse gibt es keinen Platz für hingestellte Fahrzeuge. Ich bin schon froh, dass mir kein Auto entgegen kommt, aus Angst mit meinem Smart im Graben zu landen. Überall dort, wo ein Auto steht, ist - nicht weit entfernt - ein Winzer bei der Arbeit. Er schneidet die Reben, entfernt die Ruten und - ich habe es ganz genau beobachtet - redet mit den Rebstöcken. Ich weiß nicht, was er ihnen erzählt, denn, als ich näher getreten bin, hat er aufgehört zu arbeiten, eine Pause eingelegt, bis ich wieder weitergezogen bin.

Mitten im Weingebiet von Cabrerolles. Ein Winzer bei der winterlichen Arbeit
Es ist ein herrlicher Wintertag, blauer Himmel, die Sonnenstrahlen wärmen nur schwach, der Wind ist stärker. Die Winzer im Rebberg sind in winddichte Jacken gekleidet, die Kapuze fest um den Kopf gebunden, nur Augen, Nase und Mund schauen heraus. Sie kommen mir gespenstisch vor, wie Marsmenschen im Film - nur nicht in Weiß, sondern in bäuerliches Braun-Grün gekleidet.

Da kommt mir mein letzter sommerlicher Besuch in Fos in den Sinn. Da hat uns der Senior des Weinguts mit einem uralten Militärfahrzeug in die Rebberge gefahren: Er wollte uns zeigen, wo „seine” Reben wachsen. Er wollte uns den Boden, die Landschaft, das Klima nahe bringen, wo der Charakter seines Weins geprägt wird. Erst jetzt aber, auf der „kürzesten Route” habe ich begriffen, warum ich „les Collines” so liebe.

Herzlich Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

16.02.2006


Grüezi mitenand


Analyse eines alten Weins oder Poujeaux einmal anders


Nach der Verkostung
Was aussieht, wie untrügliche Beweise einer wilden Fress- und Sauforgie, ist die Hinterlassenschaft einer spannenden Bordeaux-Probe. Motto: Entdecken und Erleben (Découverte et Expérience). 16 Personen folgten der Einladung, vier Runden mit 5 oder gar 6 Weinen waren zu überstehen, anschließend gab es Pizza aus dem Holzofen. Die interessanteste Runde war die erste: Poujeaux 1982.

Nun, über „kleine Weine” in „großen” Jahren wie 1982 im Bordelais wurde bereits diskutiert. „Lafon-Rochet Spaßfaktor: null, schwache Leistung,” Oder: „Belgrave 1982 „leider hat der ansonsten hervorragende Jahrgang diesem Wein nicht über die Jahre geholfen.” Ich habe diesen Notizen ein paar eigene Erfahrungen beizufügen. Zum Beispiel: Malescot-Saint-Exupéry 1982: „ausgemergelt, kraftlos, trist,” oder „De Sales 1982: abgebaut, weder Frucht noch Säure.”

Tatsächlich war auch Poujeaux 1982 bereits weitgehend abgebaut, bereits etwas oxydativ. Eine Teilnehmerin sagte vornehm: „buvable!”. Interessant war aber das Experiment: Poujeaux 1982 zerlegt in einzelne Rebsorten: Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Merlot und Petit Verdot - dazu eine gleichmäßige Assemblage aus diesen vier Traubensorten (je 25%).

Auf dem Weg zu Poujeaux

Wie war dies überhaupt möglich? 1981 übernahmen die drei Söhne von François Theil die Leitung des traditionellen Weinguts Poujeaux in Moulis. Sie wollten es genau wissen und nutzten den hervorragenden Jahrgang 1982, um befreundete Weinhändler und -Kritiker um Ihre Meinung zu bitten. Sie füllten eine Kiste mit je zwei Flaschen Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Merlot und Petit Verdot. Zusätzlich je zwei Assemblagen der vier Weine gleichmäßig verteilt (je 25%) und natürlich zwei Flaschen der Original-Cuvée Poujeaux 1982. Der Rest einer dieser ca. 100 so zusammengestellten Kisten kam kürzlich auf eine Auktion, wo ich sie erworben habe. Es war - gottseidank - von jeder Sorte noch mindestens eine Flasche vorhanden.

In ausgesprochen schlechtem Zustand war die Original-Cuvée, Poujeaux 1982. Hingegen waren die vier Abfüllungen der einzelnen Rebsorten durchaus „genießbar”, zu beurteilen und auch interessant.

Am besten - sofort erkennbar - war der Merlot: reif, fast etwas buttrig, klar feststellbar: Minze. Auch Petit Verdot war noch sehr charakteristisch, speziell, denn die meisten Teilnehmer haben bisher noch nie einen reinen Petit-Verdot-Wein getrunken. Er entsprach der gängigen Beschreibung: kräftig, auch in der Farbe, Kräuter sowohl in der Nase wie auch im Gaumen. Etwas verschwommen und „müde” war hingegen der Cabernet Sauvignon, mit seinen ledernen und tabaknahen Düften, die allerdings von einem klaren „Alterston” dominiert wurden. Der Cabernet-Franc: hatte eindeutig vegetabile Noten, war sehr erdig und kaum mehr fruchtig. Am interessantesten aber war die gleichmäßige Mischung: Je 25% der vier Rebsorten: Kräftig, noch spürbar fruchtig (auch wenn man sich diesen Wein jünger viel besser vorstellen kann) aber voll Charakter, mit Ecken und Kanten. Er hat die Runde gewonnen.

Orginal Cuvée und Einzelabfüllungen

Eine Lehre daraus möchte ich nicht ziehen: Die sechs Weine waren die Erfahrung wert. Nachdenklich stimmt mich aber die Tatsache, wie unterschiedlich sich die Weine in den 24 Jahren gehalten haben: In der gleichen Kiste, wohl auch unter den gleichen Lagerbedingungen.

In einer nächsten Runde stellten wir dann noch einen Poujeaux 1996 dagegen (50% Cabernet Sauvignon, 40% Merlot, und je 5% Cabernet Franc und Petit Verdot.) Einer der besten Poujeaux, die ich je getrunken habe. Bei René Gabriel übrigens 19 Punkte. Doch es zeigte sich: nicht die Punkte waren das entscheidende, sondern das so unterschiedliche Erlebnis Namens Poujeaux. Es brachte mir echte Weinfreuden. Die Punkte sind zu errechnen, das Erlebnis nur zu erfahren und genießen.

Herzlich Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

28.02.2006


Grüezi mitenand


„Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und Verantwortung”


Eigentlich ist ein Salon das Empfangs- oder Gesellschaftszimmer eines bürgerlichen Hauses. Seit dem 17. Jahrhundert steht der Salon aber auch für entscheidende Entwicklungen in der Literatur, Kunst, Philosophie und Politik. Ja, selbst in der Weinwelt ist ein „Salon” mehr als nur eine Ausstellung: nämlich Diskussionsforum, Präsentation von Ideen, Versammlung Gleichgesinnter.

Tatsächlich sind die „Salons des vins des Vignerons Indépendants” nicht einfach Weinmessen, wie es so viele gibt. Es sind vor allem Denkweisen im Weinanbau, die hier präsentiert werden. Eine Charta mit neun Grundregeln verbindet den großen Verband. Es sind zwar eher Schlagworte als Regeln, welche die Weine grundlegend verbessern könnten. Da heißt es unter anderem: „Der Winzer respektiert sein Weingut, bearbeitet seine Reben, erntet seine Trauben, keltert seinen Wein und baut ihn aus... ”. Eigentlich selbstverständlich! Besonders wichtig ist aber die letzte Satzung: „Der Winzer empfängt die Kunden, berät bei der Weinprobe und freut sich, das Ergebnis seiner Arbeit und des Anbaus vorzustellen.”

Der "salon" in Strasbourg ist eine Publikumsmesse

Die „Salons des Indépendants” sind deshalb eher Verkaufs- als Präsentations-, oder gar Fachmessen. Das heißt: Sie sind frei zugänglich. Nur einmal im Jahr, im Februar, unmittelbar vor Strasbourg findet in Paris eine reine „Fachmesse” statt, nur für die „Professionellen”. Strasbourg, Rennes, Bordeaux, Lyon, Lille, Reims und zwei weitere Messen in Paris sind dem breiten Wein-Publikum zugänglich. Hier präsentieren sich Winzer „zum Anfassen”, deren Weine man trinken darf, auch ohne die große Weinphilosophie zu beherrschen. In den allermeisten Fällen sind die Winzerinnen und Winzer selber da, nicht ihre Verkaufsmanager, Ökologen, Betriebsangestellten. Sie laden die Menschen ein, ihre Weingüter zu besuchen, sie stehen fast pausenlos am Stand und verstecken sich nicht in abgeschirmten Ecken und Séparées. Die Weine kann man kaufen und mitnehmen. So macht denn auch der Verkäufer von kleinen, zusammenlegbaren Handkarren (Chariot) wohl den größten Umsatz.

Am meisten verkauft: Handkarren
Für die vielen Besucher aus Deutschland versucht mancher Winzer deutsch zu sprechen, was für Franzosen schon fast einer Liebeserklärung gleichkommt. Wenn es um klangvolle Begriffe geht, sind sie selten verlegen: „le vin a un visage”, sagen sie und meinen damit, hinter den Weinen stehen Menschen, die produzieren, verbessern, die von und für ihre Reben leben, die an ihre Produkte glauben, sie zur Diskussion stellen und - natürlich auch verkaufen möchten. An keiner andern Weinmesse habe ich dies so direkt, so unverkrampft und offen erlebt. Dies macht die Weinmesse - pardon: den Salon in Strasbourg so einmalig, irgendwie anders, trotz aller Geschäftstüchtigkeit: maßvoll, menschlich.

Auch dies gehört zum Erlebnis Wein, nicht nur die erspürte Qualität, die mit den Sinnen zu erforschen ist. Es präsentierten sich in Strasbourg immerhin 500 Weingüter, fünfhundert von insgesamt rund 38.000 „Unabhängigen”, die zusammen 1/3 aller Weinproduzenten in Frankreich ausmachen. Wenn die Gespräche zu Ende sind, das Geschäft gemacht ist (oder auch nicht), tauchen immer wieder die Leitbegriffe der „Unabhängigen” auf: „indépendance, autonomie, responsabilité”. Das klingt schon ganz ähnlich wie „liberté, egalité, fraternité”, die drei Grundwerte, mit der sich seit der Französischen Revolution la „grande Nation” definiert, ein Land, dessen Weinkultur eigentlich auch zum Selbstverständnis gehört. Warum sollen da die Winzer bescheidener sein?

Ganz herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

09.03.2006


Amphorenweine


oder „der eine heißt den andern dumm.....”


Wer im Wein-Plus-Forum in den vergangenen Wochen die Cornelissen-Diskuission mitgelesen hat, der ist erstaunt, verärgert, amüsiert, wütend.... sicher aber nicht mehr ruhig.

So wurde einst im alten Rom Wein ausgebaut
Das Pro und Kontra hat mir die Bedeutung von Geschmacks-Konventionen so deutlich vor Augen geführt, wie noch nie in meinem „Weinleben” (das sind immerhin schon über 20 Jahre!). Einst - im Gymnasium - habe ich mit Hilfe der „technischen Matura” in Mathematik, Physik, Chemie etc. Hochschultauglichkeit erlangt, um später dann an der Universität in den Fächern Kunst, Literatur, Philosophie, Journalistik und ähnlichen „unpräzisen” Wissenschaften auch den Faktor „Mensch” viel stärker in mein Wissens-System einzubeziehen. Dies ließ mich zwar nicht irre werden lassen an den physikalischen, mathematischen und weiß ich welchen Gesetzmäßigkeiten. Doch ich begann zu begreifen, dass die Sucher nach dem „Perpetuum-Mobilie” immer in Gefahr laufen, als Ketzer angeklagt und verurteilt zu werden, und dass Sisyphus seinen Stein weiterhin vergeblich nach oben rollt, solange es Menschen gibt. Sisyphus steht als Sinnbild für unaufhörliches menschliches Bemühen und Streben und das „Perpetuum-Mobile” für seine Selbsterhaltung und die Machbarkeit des Immmerwährenden. Allzu rasch wird dabei vergessen, dass es im Leben meist um menschliche Wünsche, Sehnsüchte, Erfahrungen und Normen geht.

Diese schon fast philosophischen Gedanken sind in mir aufgestiegen, als ich die Diskussion um die Qualität der Cornelissen-Weine durchgestanden habe. Zwar gibt es in der Weinwelt - auch in meiner - bestimmte Normen und Definitionen. Zum Beispiel: was als „Wein” zu bezeichnen ist und was als „Essig”. Es gibt auch Konventionen über das, was „gut”, „trinkgenüsslich”, „lecker” und was „ungenießbar” ist.  Diese Konventionen wurden aber von Menschen festgelegt: eingebettet im jeweiligen Zeitgeist, geprägt von der eigenen Erfahrung und Sensibilität.

Wenn wir über Wein reden, diskutieren wir in diesen von uns stillschweigend akzeptierten Konventionen. All die Vorschriften, gesetzlichen Bestimmungen, Katalogisierungen tragen nur dazu bei, dass die Konventionen auch verstanden und eingehalten werden. Wenn es um Gefährdung (zum Beispiel in Bezug auf Gesundheit) geht, ist dies zweifellos sinnvoll, vielleicht auch dann noch, wenn es der Orientierung und Vergleichbarkeit dient. Bei Wertdefinitionen wird es schon schwieriger (warum ändert sich der Goldpreis?) und bei individuellen sensorischen Erfahrungen werden Konventionen unsinnig.

Da kommt mir eine prägende Konvention meiner Jugend in den Sinn: „Spinat ist gesund!” und ich musste ihn essen, obwohl er mir ekelerregend vorkam. Meine Eltern haben „mampf, mampf” gesagt und behauptet „Spinat ist gut”. Was konnte ich da erwidern? Es blieb bei der Verweigerung, die als Trotz ausgelegt wurden und für die ich zu bestrafen war.

Später habe ich eine Frau kennen und lieben gelernt. Sie empfand Wein als ungut, unsinnlich, zwar nicht gerade als ekelerregend, aber letztlich als untrinkbar. Wir haben uns später getrennt: nicht wegen des Weins. Doch die Erfahrung der so unterschiedlichen individuellen Erfahrungen blieb tief in mir verankert.

Das Hobellied aus dem Verschwender

Im Verlauf der Geschichte von Ess- und Trinkkultur haben sich Konventionen dauernd verändert, verschoben, und mit ihnen auch die Geschmacksakzeptanz. Selbst die Definitionen - wo sie nicht auf messbaren Größen (Eichwerten) beruhen - haben sich immer wieder angepasst. Ich denke da an die Mode, die Kunst, die Ästhetik. Warum sollen wir dies nicht auch beim Wein akzeptieren? Doch Ferdinand Raimund hat die dabei übliche Reaktion im Lied ausgedrückt: „...der eine heißt den andern dumm, am End' weiß keiner nix”. Und so geht es mir nach alle den Cornelissen-Diskussionen, bei denen ich hinter all den Meinungen, Punkten, Definitionen und Beschreibungen immer wieder den Menschen entdecke habe, denn der trinkt nicht Meinungen, Punkte und Definitionen, sondern Wein (oder eben Essig), der ihm schmeckt. Da zitiere ich das Lied  eben weiter (Ende 2. Strophe): „Da klopf ich meinen Hobel aus Und denk: du brummst mir gut !”

Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

22.03.2006


Bordeaux 1994


Der oft geschmähte Jahrgang wiederentdeckt


Als Bordeaux-Liebhaber weiß ich: zehn Jahre Kellerruhe ist Richtwert für meine eingelagerten Schätze. Darauf habe ich mich längst eingestellt. Es gibt aber auch Weine aus dem Bordelais, die früher trinkbar sind - und es gibt „harte Brocken”, die auch nach 10 Jahren noch verschlossen und sperrig bleiben.
Soeben im Glas: Mission Haut-Brion - noch immer ein Genuss
Trotzdem: es ist Mode, den einen oder andern Jahrgang schnell (meist vorschnell) abzuqualifizieren oder in den Genusshimmel zu loben. Die Jahrgänge 61, 82, 90 zum Beispiel verursachen beim Weinliebhaber glänzende Äuglein, während die 77, 87, 91 oder gar 97er Stirnrunzeln und säuerliche Gesichtszüge provozieren.

Doch ganz so einfach ist es nicht: Ich habe schon 61er, 82er oder gar 90er Bordeaux getrunken, welche die 10 Jahre längst nicht erreicht haben, und andere - sogenannt kleine Jahrgänge - die nach 20 Jahren noch viel Freude und großen Genuss bereiten konnten.

Die einzelnen Châteaux sind auch gar unterschiedlich: durch: extrem scharfe Auslese, Konzentration, moderne Vinifikation, Ertragsreduktion etc., wird erreicht, dass immer seltener von guten oder schlechten Jahrgängen zu reden ist, sondern von guten und schlechten Weinen in guten und schlechten Jahrgängen.

1994 war so ein Jahr. Nach den klimatisch problematischen drei Vorjahren endlich eine bessere Situation für die Reben, mit frühem Austrieb, mittlerem Behang, heißem Sommer und erst während der Ernte schlechtes, nasses, kaltes Wetter.

Das Resultat: entweder sehr verschlossene oder dann magere, dürre, trockene Weine. Entsprechend waren die Bewertungen und Kommentare.

Heute: 12 Jahre später bietet sich ein weit differenzierteres Bild. Das Schlagwort: „minderer oder mittlerer Jahrgang”, ist zwar geblieben. Es gibt immer noch „verschlossene” Kerle, wie zum Beispiel den Léoville-Barton, der sich aber zusehends öffnet. Doch die meisten 1994er sind schon seit ein oder zwei Jahren ein Genuss.

Bereits treten aber wieder Auguren auf, die es ja so genau wissen und auf Grund von wenigen Flaschen (meist nur degustiert), ein pauschales Urteil fällen. Selbst bei Jahrgangsdegustationen beruft man sich auf ein paar wenige, momentane, vergleichende Eindrücke.

Für mich der beste 94: Lafleur
Meine eigenen 94er Erfahrungen beruhen immerhin auf 248 Bordeaux des Jahrgangs, die ich vor allem letztes Jahr konsumiert habe: nicht an Degustationen und nicht an Proben, vielmehr zu Hause, zum Essen, mit Freunden, allein oder in Gesellschaft - mindestens ein, oft aber auch mehrere Gläser. Und diese Weine verteilen sich auf 65 verschiedene Weingüter oder Abfüllungen (zum Beispiel Zweitweine).

Da meine ich, doch etwas präziser und differenzierter den Jahrgang bewerten zu können. Zumal darunter die großen Châteaux genau so vertreten sind, wie kleine, weniger bekannte Güter. Weine in der Preislage zwischen 10 und 300 Euro.

Wenn ich dabei zum Schluss komme, der Jahrgang 1994 liegt weit über dem ihm zugesprochenen Niveau, dann belegt dies mein „Weintagebuch”. Es gibt durchaus auch verschlossene Las Cases, Latour oder Léoville Barton, doch auch sie haben jetzt einen hohen Genusswert. Natürlich nicht so beiläufig probiert, auf die Schnelle, sondern erst nach dem  Dekantieren und beim unvoreingenommenen Genießen...

Ich meine, darauf kommt es letztlich an. Spitzenvergleiche sind etwas für den Kopf, für die Kalkulation, für das Ego, das so gerne die Spitze abgrasen (Entschuldigung: abtrinken) möchte.

Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

04.04.2006


„Frühling in Berlou”


auf der Suche nach dem Frühling


Das Weindorf Berlou liegt fast am Mittelmeer, gut 50 Kilometer vom Strand entfernt, am Fuße der Vorberge des „Haut Languedoc”. Trotz des mediterranen Klimas lässt der Frühling in diesem Jahre auf sich warten. Die Marktfrau entschuldigt sich: die paar Blumen auf dem Tisch seien eben die ersten frei gewachsenen Frühlingsboten.

In der Agenda von „Terre de Vin” entdecke ich eine Annonce: „Printemps de Berlou, randonnée V.T.T, dégustation, repas campagnard, marché de terroir...”

Frühlingserwachen in Berlou
„Randonnée”, das ist eine lange Wanderung, eine Wandertour... es kann auch eine Skitour sein. Doch um diese Zeit, nahe am Mittelmeer, wohl kaum! Die Abkürzung V.T.T kenne ich nicht, deute sie aber als „vin, terroire, touristique” oder so ähnlich. Bei der Vorliebe der Franzosen für Abkürzungen können mich die drei Buchstaben nicht beunruhigen. Ich stelle mir einen Weinverband vor, eine ländliche Gemeinschaft Winzer und Winzerinnen, Menschen, die einen Dialekt sprechen, den sie selber als „steinig” (rocailleux) bezeichnen.

Als man uns dann am Sonntagmorgen schon einen Kilometer vor Berlou auf einen Parkplatz in den Reben weist, da taucht zum ersten Mal der Gedanke auf, dass vielleicht meine Französischkenntnisse doch nicht ganz so gut sind und ein „randonnée” auch etwas ganz anderes sein könnte. Auf dem Parkplatz werden „Bikes” aus den Autos geladen, und der Ort verwandelt sich zur großen Freilicht-Garderobe, in der sich (fast) alle in glänzend-leuchtende, enge Dresses zwängen. Bald einmal gibt es keinen Zweifel mehr: Es geht mit Mountain-Bikes durch die Rebberge. Was durch die Buchstaben V.T.T. abgekürzt wird, weiß ich immer noch nicht: doch es muss sich nicht um einen Winzer- sondern um einen Sportverband handeln.

Mit Hilfe einer auskunftswilligen Frau bei der „Inscription” - wo bereits die Rückennummer 1147 ausgegeben wird - lösen wir unser Problem: Wir haben eben keine Velos, nicht einmal einen Spazierstock bei uns.

Start zur Randonnée
Doch die kleinste Tour - für die „Kleinen” gedacht - ist „nur” 8 Kilometer lang, führt durch mehr oder weniger ebenes Gelände und ist gut begehbar. Also machen wir uns auf den Weg. Auf die Rückennummer haben wir verzichtet. Es ist ein langer, aber wunderbarer Spaziergang geworden. Schwarze Rebstöcke soweit das Auge reichte. Die ersten Veilchen und blühende Mandelsträucher. Kleine Wege, voll von Schieferbrocken, Kies und spitzen Steinen. Immer wenn es verhältnismäßig eben ist, flitzen „die Kleinen” an uns vorbei, Geht es einmal bergauf und -ab: dann fliehen wir besser in den nächsten Graben, sonst wird’s gefährlich.

Der Parcours entwickelt sich für uns zur einmaligen, lehrreichen Rebberg-Begehung. Ich begreife erst so richtig, was sich hinter dem Begriff „Strukturwandel” im Rebbau verbirgt. Ein Drittel der Winzer werden wirtschaftlich nicht überleben, sagt man und liest täglich in der Zeitung vom erbitterten Kampf um Existenzen.
Typisches Gestein der von Berlou


Doch die rund 500 Hektaren Kulturland des „Dorfgebiets” Berlou bestehen ausschließlich aus Reben, aus vorwiegend alten Rebstöcken, bestens gepflegt. Nur einer einzigen verwilderten Parzelle begegnen wir auf dem langen Weg. Wir mutmaßen sofort: Erbstreitigkeiten.

Hier kann kaum etwas anderes wachsen als Reben, als ein paar Olivenbäume und unfruchtbare Garrigue, Wiesen gibt es nicht, nur „Steinwüsten” und in höheren Lagen etwas Wald.

Drei Stunden später, zurück im Dorf, Mittagessen im Freien mit den aromatischen Würsten, für die das Hinterland bekannt ist. Alles schön angerichtet, auf Plastiktellern mit Plastikgeschirr. Nur für den Wein, da gibt es Gläser und pro Person einen halben Liter „Schisteil” (mit Drehverschluss) aus dem Genossenschaftskeller.
der Autor beim "Schisteil"


Dieser „Schisteil” von Berlou ist berühmt, man hat ihn noch vor 10 Jahren auf fast allen besseren Weinkarten der Gegend entdeckt. Die Genossenschaft von Berlou gehört zu den besten im Languedoc und ist ein Vorzeigebetrieb der 20 Gemeinden der Appellation Saint-Chinian. Doch auch dieser Musterbetrieb kämpft heue mehr denn je um Marktanteile und damit ums Überleben der knapp 90 angeschlossenen Winzerbetriebe. Genossenschaftsweine sind - oft zu unrecht - nicht mehr im Trend. Individualität, Einzelkämpfer sind gefragt, Selbstkelterer, die versuchen aus dem Boden möglichst viel Eigenheit und Qualität herauszuholen. Doch der zur Mahlzeit offerierte „Schisteil” 2005 ist ein „Genossenschaftswein”, noch sehr jung, typisch für die Gegend, ja für den Ort. Unverwechselbar, ein Schieferwein:  in der Nase - Pferdestall bemerke ich, meine Frau aber meint - eine ganze Geißenherde. Doch er Wein ist frisch, harmonisch, fruchtig, ja sogar fleischig.

Am Abend, zuhause hole ich einen älteren, ”reifen” „Schisteil” von Berlou, Jahrgang 2002, aus dem Keller. Ich habe ihn vor etwa zwei Jahren zusammen mit den Forumsfreunden Michael und Maja in Berlou gekauft, inzwischen aber ganz vergessen. Der „Frühling von Berlou” hat ihn ins Glas gebracht: Kein Pferde- und kein Geißenstall, sondern ein traditioneller Saint-Chinian, tieffarben, kräftig, sonnendurchglüht, ohne Firlefanz und Holzanteile, der Weinsnob spricht da von „Terroir”. Für mich ist es einfach das wunderbare Produkt von Menschen aus einer kargen Gegend, einer Landschaft, einer Kultur, die ich gerne habe und der ich im Wein begegnen kann.

Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)

19.04.2006


Lynch-Bages


der Mouton des „kleinen Mannes”


Allzu klein - zumindest nicht finanzschwach - kann der vielzitierte „kleine Mann” auch wieder nicht sein. Eine Flasche Lynch-Bages kostet wenigstens 35 Euro, selbst in der Subskription bei durchschnittlichen Jahren. Im Hochpreisjahr 2000 war es gar das dreifache, und ältere Jahrgänge sind kaum unter 100 Euro zu kaufen.

Diese Preise liegen auch weit über dem, was der ebenso oft zitierte „Durchschnittsweintrinker” selbst an höchsten Fest- und Jubeltagen für eine Flasche Wein ausgibt.

Das Weingut in Pauillac
Dazu kommt, dass „Lynch-Bages” bei der unverrückbaren Klassifizierung von 1855 als 5ème in die letzte Reihe der 61 erfassten Weine verbannt wurde, weit weg von der ersten Liga, zu der auch Mouton Rothschild gehört. Gegen die drei Großkaliber unter den Pauillac-Genossen - Mouton- und Lafite-Rothschild sowie Latour - ist Lynch-Bages chancenlos!

Chancenlos? Ich wollte es genau wissen und reiste übers Wochenende von Zürich nach Köln zu einer von Dominik (im Forum bekannt als Reblaus) organisierten Lynch-Bages-Vertikalen, um endlich die Nagelprobe zu machen. Vorher aber muss ich gestehen: Verkostungen in der „Vertikalen” sind mir ein „Gräuel”. Allzu oft bin ich in meinem Leben vertikal auf Berge gestiegen, Meter um Meter hochgeklettert, immer wieder auf noch höher, um dann oben festzustellen: es ist die Horizontale (die Weite), die letztlich zählt. Sie ist nur wenig von der erklommenen Höhe abhängig.

Die Kölner Verkostungsrunde

Ob ich nun 2, 3 oder gar 4.000 Meter hochgeklettert bin, das Ego hat es zwar gerne als Leistung registriert, der Genuss hingegen hat sich kaum verändert, wenn es ein paar Meter mehr oder weniger waren. Nur die verlangte Anstrengung brachte etwas wie Genugtuung.

Bei der „Wein-Vertikalen” (also bei der Verkostung vieler Jahrgänge des gleichen Weinguts) fällt die eigene Anstrengung weg. Es geht hier nur um die Meter und Zentimeter der wirklichen oder eingebildeten Genussgröße. Da aber - ich muss es zugeben - versagt die Eichung auf meiner Wein-Genuss-Messlatte.

Trotzdem hat es sich gelohnt, den Lynch-Bages etwas genauer zu testen. Und sei es nur um festzustellen: Lynch-Bages ist ein hervorragender Wein, auch in schwächeren Bordeaux-Jahren.

Nebst der Qualität trägt sicher auch die Geschichte des Weinguts zu seiner Popularität bei, vor allem die damit verbundenen „Legenden”.

Lynch-Bages auf die Reihe gebracht

Es beginnt beim Château-Namen: Thomas Lynch, der dem Gut den Namen gegeben hat, war der Sohn eines irischen Einwanderers, Bages hingegen ist ein kleines Hügel-Plateau mitten in Pauillac. Wie spricht man nun den Namen „Lynch-Bages” aus? Nach all den widersprüchlichen Aussagen und Behauptungen konnte ich den Kampf um die korrekte Aussprache erst lösen, als ich mich auf dem Weingut persönlich erkundigte. Lynch-Bages nennt sich eindeutig „Läänsch-Basch”, nur den Ausländern billigt man das englische „Linsch-Basch” zu, schließlich geht’s da ums gute Geschäft. Dabei spielt die Namens-Identität eine untergeordnete Rolle.

Überhaupt weiß man sich auf dem Weingut ausgezeichnet in Szene zu setzen. Seit die Familie Cazes 1937 das Weingut erworben hat, ranken sich viele amüsante Anekdoten um das Château und seine Besitzer. Eine davon erzählt René Gabriel in seinem Buch „Bordeaux Total”. Jean-Charles Cazes, der Großvater des heutigen "Schlossherrn", soll ein Original gewesen sein. Bei verdeckten Weinproben unter Winzerfreunden habe er seine eigenen Weine in dunklere Flaschen gefüllt, um sie sicher wieder zu erkennen. Wenn sein Wein an der Reihe war, sagte er voller Entzücken: „...das muss der Mouton-Rothschild sein. Er ist so perfekt, so groß, und so erhaben. Einmal in meinem Leben möchte ich auch so großartige Weine produzieren können!” Und wenn später die Flaschen aufgedeckt wurden, da zeigte er sich höchst erstaunt: „....nie hätte ich gedacht, dass sich mein Wein - nebst so bekannten Châteaux - so gut behaupten kann.” Seither ist eben der Lynch-Bages der „Mouton des kleinen Mannes”.

Dominik, vulgo Reblaus, mit den kritischen Degustatoren
Es bleibt jetzt die Frage nach der ausgiebigen Lynch-Bages Vertikalen mit 21 Jahrgängen - von 1978 bis 2003: Bestätigt sich das, was in der Literatur an höchstem Lob nachzulesen ist und was die Wertungen in Punkten aussagen? Ich kann es bestätigen: Lynch-Bages kommt in gar manchem Jahr locker an den Mouton-Rothschild heran, ja lässt sogar diesen Hochpreiswein oft mühelos hinter sich. Ob nun der 2000er wirklich der allerbeste Lynch-Bages der letzten 20 Jahre ist, oder ob der gereifte 89er den noch jungen, körperprotzigen Jahrhundertwein dereinst - im gleichen Alter - übertrumpfen wird; ob der 96 wirklich das Potential eines „großen Weins” hat, oder eben nur 85 Punkte „verdient”, die er von einem Degustator erhalten hat; ob der 97er marmeladig ist, wie Parker meint, oder die „fröhliche Fruchtpräsenz” besitzt, welche René Gabriel rekognosziert hat, das alles wird zwar an einer Vertikalen registriert und besprochen.

Letztlich aber ist es unerheblich beim Genuss von so viel guten Weinen. Da brauch ich keinen Mouton, ich bin ganz einfach zufrieden, dass ich nur ein „kleiner Mann” bin.

Herzlich

Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

04.05.2006


Mouton Rothschild (Réserve Château)


1954 zu 80 Euro - die leere Flasche


An einer der letzten großen Auktionen in Zürich sorgte das Lot 899 für Aufsehen. Angeboten wurde eine leere Flasche Mouton Rothschild. Sie ging weg, netto zu 63 € , was einen Brutto-Kaufpreis von 80 € macht. Der Bieter wäre noch höher gegangen, bis zu 130 € netto. Dies ist nur eine der vielen Besonderheiten und Abstrusitäten von Weinauktionen. Da werden oft Logik und gängige Wertvorstellungen außer Kraft gesetzt.

Am Auktionstisch: v.l.n.r. Assistent, Auktionator, Notar

Gerade dies macht aber Auktionen so spannend. Sie sind die Börsen des Weingeschäfts. Da bahnen sich Trends an, zeigen sich Entwicklungen, über die zu erwartende Zukunft wird handfest spekuliert, lange bevor sich der Weinfreund und -genießer darüber Rechenschaft gibt.

Seit gut 5 Jahren verfolge ich das Auktionsgeschehen: notiere eifrig Ergebnisse und Beobachtungen, erstelle Listen und Tabellen. Das wissen viele meiner Weinfreunde und ich werde immer wieder gefragt, wie denn so eine internationale Auktion vor sich gehe.

Vor der Auktion kann man einige Highlights testen
Eingeladen wird in ein Erstklasshotel: Hilton, Imperial, Steigenberger..... Jedes Auktionshaus hat auch seine eigenen Bestimmungen, Gepflogenheiten und unterschiedlich hohe Abgaben (Aufpreis). Deshalb sind die schriftlich vorliegenden Auktionsbestimmungen und das aktuelle Angebot vorher genau zu studieren. Während der Auktion bleibt keine Zeit dafür, denn da werden Lot für Lot aufgerufen, stundenlang, in der Regel um 1.000 Angebote. Grundsätzlich werden je 12 Flaschen (wenn möglich OHK = Originalholzkiste) pro Lot versteigert. Doch auch Lots mit Einzelflaschen, beliebige Anzahl des gleichen Weins, hie und da sogar  verschiedener Weine oder Jahrgänge sind häufig. Als Bieter hat man also dauernd zu rechnen und den Ausrufpreis zu dividieren, durch, 12, durch 6, durch 4 etc.

Erschwert wird diese Rechnerei durch den Umstand, dass es sich dabei immer um Nettopreise handelt. Hinzu kommen also - für den Ersteigerer - noch das Aufgeld (etwa 10%, pro Lot, eine fixe Abwicklungsgebühr (ca. 8 €) und die Warenumsatzsteuer. Dies alles ergibt dann einen Bruttopreis, der etwa 20% höher ist als der Zuschlagspreis. Doch davon spricht während der Auktion niemand. Der vorsichtige Bieter ist deshalb dauernd am rechnen!

Auch die Abwicklung unterscheidet sich erheblich von Auktion zu Auktion. Während die einen bei einem bekannten, festen Mindestpreis beginnen, sind bei anderen nur untere und obere „Schätzungspreise” angegeben. Eingestiegen wird meist weit tiefer als beim unteren Schätzungspreis.

Die AuktionsteilnehmerInnen (es sind zwar überwiegend Männer!) sind in vier Kategorien aufgeteilt. Die wichtigste Kundschaft ist gar nicht anwesend: sie hat „schriftlich geboten”, und zwar mit einer nur dem Auktionator bekannten oberen Limite. Der Ausrufer vertritt diese Kundschaft.

Tatsächlich liegen in der Regel für mehr als Zweidrittel des Angebots - zum Teil recht hohe - schriftliche Gebote vor. Sind es mehrere für das gleiche Lot, beginnt der Auktionator einen Schritt über dem zweithöchsten Gebot. Erst dann ist der Saal an der Reihe.

Hier haben sich 20 und 100 Interessenten eingefunden, alle mit einer Nummer „bewaffnet”. Diese Kundschaft ist in der Minderheit. Sie lässt sich - beim genauen Beobachten - in drei Kategorien teilen.

Die Händler: sie kaufen vor allem wertvolle Einzelflaschen und Kisten: meist reihenweise. Zum Beispiel fünf Lots „Ausone”, 1979, das Lot zu 1000 € netto. Oder 30 Magnumflaschen Margaux, 2001, die Flasche zu 430 €. Da kann es dem Weinfreund und -genießer schon bald einmal schwindlig werden.

Eine weitere Gruppe bilden die Sammler und Weinliebhaber, die ganz bestimmte Flaschen, bestimmte Jahrgänge oder bestimmte Weingüter (Marken) suchen. Man spürt rasch, wenn im Saal einer von ihnen ein ganz bestimmtes Lot „unbedingt haben muss”. Da obsiegt oft die Leidenschaften und vernünftiges Kalkül tritt außer Kraft, die Preise schnellen in die Höhe.

Nur eine "verschworene" Gruppe nimmt persönlich an Auktionen teil

Es gibt auch die „Schnäppchenjäger”. Sie lassen sich nicht treiben, kaufen meist das, was Händler und Sammler „liegen” lassen. Auch diese Bieter erkennt man rasch. Sie warten oft solange, bis der Auktionator das eine oder andere Mal (zwar sehr selten) „holländisch” ausruft, das heißt in sinkenden Preisschritten, bis zu einem Mindestpreis (den man nicht kennt) bei dem das Lot „zurückgeht” oder eben von Schnäppchenjäger (meist unter Gelächter) erstanden wird.

Schließlich gibt es noch die Neugierigen: die ab und zu mitbieten, vor allem aber Angebote, Trends und Entwicklungen beobachten und analysieren. Sie harren oft fünf und mehr Stunden aus, bis zum allerletzten Lot, bis kaum mehr ein Händler oder Sammler im Saal ist.

Nach dieser Beschreibung eines Auktionsverlaufs bleibt die Frage: Wo ist das eigentliche „Geheimnis” für die Faszination bei Weinauktionen. Was ist dabei zu erfahren, herauszulesen, zu beobachten?

Ich versuchen dies in einer der nächsten Kolumne zu beschreiben und zu deuten. Bis dahin: Viel Mut (und Selbstbeherrschung) wer sich zum ersten Mal in eine der großen internationalen Weinauktionen wagt. Man kann sie auch ohne „Beute” wieder verlassen? Kann man wirklich?

Herzlich
Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

05.05.2006


Wer schreibt, dem wird geschrieben


Nachlese zur Kolumne „Bordeaux 94 - der oft geschmähte Jahrgang”


Leserbriefe sagen es: Verkostungsnotizen (VKN) sind gefragt. Ich begreife dies. Wer noch 94er Bordeaux im Keller hat, der möchte schon etwas genaueres erfahren. Und wer den 94er in der letzten Zeit im Glas hatte, der ist versucht, seine Erfahrungen mit anderen zu messen.

Tatsächlich habe ich die rund 250 Weine aus dem Bordeauxjahr nicht ganz ohne „Sinn und Verstand” getrunken, einfach so, weil ich gerade Lust auf Wein hatte, weil zu einem Essen ein guter Wein gehört, weil ich mit Freunden anstoßen wollte, weil.....

Wein-Tagebuch mit all seinen "Geheimnissen"

Nein, ich habe tatsächlich dabei auch (meistens) Notizen gemacht, das Erlebte festgehalten, Vergleiche angestellt, Urteile gefällt: kurzum, ein Weintagebuch geführt. Doch dieses Tagebuch ist persönlich, ja sogar intim, wie Tagebücher eben sind. Da werden nicht nur „harte” Fakten vermerkt, sondern viel häufiger und ausführlicher persönliche Umstände: zum Beispiel mit wem ich den Wein getrunken habe, was das vorherrschende Gesprächsthema war, was die wichtigsten Erlebnisse des Tages waren. Stimmung und Wetter tauchen da oft auf, aber auch Gefühle, Ängste, Wut und Hoffnungen. Kurzum, was eben ein Tagebuch so alles enthalten kann.

Sie warten noch alle, bis sie ins Glas dürfen
Nur, der Anlass zur Schreibe sind nicht mehr Seelenschmetter oder Schmetterlinge im Bauch, nicht mehr keimende Liebe und zerbrochene Freundschaften, wie einst im Teenageralter, sondern ein guter Schluck aus einem schönen Glas. Da gibt es keine Punkte, durchaus aber Einschätzungen, keine Demonstration von Wissen, aber Empfindungen, Gefühle und auch Hinweise auf Konsequenzen. Tatsächlich habe ich ein paar Flaschen bestimmter 94er Bordeaux auch „zurückgestellt”, meist weil sie noch verschlossen waren, oder weil ich ihnen (und mir) noch ein paar Jahre gönnen mag.

Alsda sind: Angélus, Ausone, Carmes Haut-Brion, Clinet, Conseillante, Cos d'Estournel, Dominique, Ducru-Beaucaillou, Evangile, Figeac, Grand-Puy-Lacoste, Lafite Rothschild, Lafleur, Léoville-Las-Cases, Margaux, Mission Haut-Brion, Montrose, Mouton-Rothschild, Palmer, Pavie, Petit-Village, Pichon-Lalande, Rol Valentin, Troplong Mondot, Trottevieille.

Es sind ganz unterschiedliche Gründe, warum sie noch nicht ins Glas gekommen sind: teils verschlossen wie der Lacoste, der sich noch tüchtig öffnen muss und kann, oder der Cos d’Estournel, der - so habe ich es im „Tagebuch” vermerkt - seltsam im Abgang bitter ist oder der harte, strenge Las Cases, dem ich noch Entwicklungspotential gebe, das ihm nur gut tun kann.

Andere Weine habe ich zurückgestellt, weil ich den Genuss verlängern wollte: den Lafleur - für mich der harmonischste, tiefgründigste, beste Wein des Jahres - oder den Troplong Mondot, der von Gabriel so sträflich abgepunktet wurde, für mich aber jetzt auf dem Höhepunkt ist.

Anderen Weinen möchte ich unbedingt nochmals begegnen: dem Pavie, der in meinen Augen viel besser ist, als fast alle Weingurus behaupten, oder dem unglaublich aromatischen Montrose, den man mir noch oft (immer wieder) vorsetzen kann. Oder dem Petit Village, den man eigentlich austrinken sollte, der aber so - wie er jetzt ist - zu meinen Lieblingsweinen zählt.

Château Clinet, einzig eine in Stein gehauene Tafel verrät, was sich dahinter verbirgt

Ach, mein Tagebuch könnte noch so viel erzählen.... Nur eben, präzise Zahlen und Angaben liefert es nicht.

Zum Schluss noch zu den konkret erfragten vier Weinen: Grand Mayne, Pavie Macquin, La Grave Figeac, les Gravières. Ich habe den Pavie zurückgelegt, weil ich ihn besser finde, als sein Ruf ist. Der Pavie Macquin ist aber, laut meinen Notizen, deutlich besser, nur leider bereits getrunken: „wunderschöne Frucht, Schokonoten, bereits Reifetöne, kann kaum noch besser werden; bei einem guten Auktionsangebot unbedingt kaufen!!”, steht im Tagebuch. Grand Mayne: den habe ich an einem „schlechten” Tag erwischt, es waren vielleicht sogar mehrere schlechte Tage, denn er hat mir nicht so gefallen: „müsste längst getrunken sein!” Ist dies so, oder waren es eben nur „schlechte Tage”?. Die andern beiden Weine hatte ich nie im Keller - und deshalb - außer auf Degustationen, auch nie getrunken und im Tagebuch nichts notiert.

Ein paar der zurückgehaltenen Weine werde ich an einer Degustation in zwei Wochen wohl öffnen. Wir werden sehen, was nachher in meinem Tagebuch eingetragen ist. Heute wird darin unter anderem stehen: „Leserbriefe haben mich beflügelt, fortan mit noch mehr Sinn und Geist zu genießen. Jetzt bin ich besonders neugierig auf den Clinet, den ich eigentlich nicht besonders mag, vielleicht, weil er mir zu sehr nach Michel Rolland schmeckt.” Warum habe ich wohl den hervorragenden Clinet bisher noch nicht zum Genuss erhoben? Darüber aber schweigt mein Tagebuch.


Herzlich
Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

18.05.2006


Kunst und Wein


auch das darf sein!


„Nana” - die berühmte Kurtisane des Malers Edouard Manet - als Nachbarin einer Bordeaux-Degustation in der „Kunststadt” Winterthur.

Wo immer man von der Zürcher Kunst- und Kulturszene spricht, da taucht auch der Name Winterthur auf. Winterthur ist eine traditionelle Industriestadt mit weltbekannten und kunstliebenden Mäzenen, mit 17 Museen und knapp 100.000 Einwohnern.

Nana von Edouard Manet, Leihgabe der Kunsthalle Hamburg

In dieser Stadt präsentiert sich vorübergehend im Museum Oskar Reinhard die berühmte „Nana” auf dem Skandalbild von Edouard Manet, das sonst in der Hamburger Kunsthalle zuhause ist. Etwa 100 Meter davon entfernt, im idyllischen Stadtpark, träumt das „Barockhüsli” (Barockhäuschen), meist kaum beachtet, still vor sich hin.

In diesem im Baum- und Rebenumwachsenen „Lusthäuschen” versammeln sich 16 Neugierige, die das Bordelais sinnlich erleben möchten. „Lernt das Land von Bordeaux kennen!”

Wer jetzt einen der üblichen Degustations-Berichte erwartet, der kann sich eine Enttäuschung ersparen, wenn er nicht mehr weiterliest. Die „Nachbarin” Nana hat mich beflügelt, ein paar berühmte Weine berühmten Bildern zuzuordnen. Zwanzig Gewächse aus dem Bordelais standen zur Verfügung. Die Degustations- „Nana” war „Cheval blanc” 1992 - schon sehe ich die Bordeaux-Liebhaber ihre Nasen rümpfen: ein schlechter Jahrgang! Ein Skandal! Dieser Wein sollte der großartigen Nana würdig sein? Parker gibt „nur” gerade 77 Punkte, Bettane immerhin 8 von 10 und Gabriel hat ihn auf magere 14 von 20 zurückgestuft: „Macht als schlanker Wein noch verhaltene Freude”. Ich nehme einen Schluck - in mir entwickelt sich eine Wut. 1877 wollte Manet „Nana” im berühmten „Salon” von Paris ausstellen, wurde aber von den Herren der Jury abgewiesen - aus ästhetischen und moralischen Gründen.

"Barockhüsli" im Stadtgarten von Winterthur

Auch „Cheval blanc” 92 wird von der „hohen Gilde” der reinen Weinkunst abgewiesen:. „eines Premier Grand Cru nicht würdig!”, meint René Gabriel. Was ich da im Glas habe, ist aber „nanisch” - das heißt: „eine Dame von gesellschaftlicher Relevanz. Es mag sein, dass sie „nur ein dünnes Weinrot” zeigt, „nur” duftig, delikat und fein ist - und dass der „Druck fehlt”. Doch die Dame ist verführerisch, vielleicht leicht verlebt, aber attraktiv, nicht nur auf Grund ihrer Herkunft. Nein, weil sie jenen Genuss bietet, den die feine Gesellschaft zwar entrüstet ablehnt, dann aber doch sinnlich gern genießt.

Die Eigenschaft „damenhaft” wird im Bordelais eher den Weinen aus Margaux zugeordnet. Für mich ist es diesmal St-Emilion. Doch eine andere „Dame” von Manet, die sonst ein paar hundert Meter weiter entfernt in der „Villa Flora” residiert, leistet jetzt der „Nana” Gesellschaft. Es ist die „Amazone” ebenfalls eine Vertreterin des Pariser „fin du siècle”. Eine vornehme Erscheinung, in einem dunkeln, fast schwarzen Anzug, mit schwarzem Zylinder, ernsten, aber weichen Zügen, streng, gesittet, kraftvoll, doch leicht frivol. Sie steht in einem dimensionslosen Raum, vor hellblauem, flockig gemaltem Hintergrund. Dies erinnert mich an den Montrose 1994, der etwas von der Anmut der Dame hat, leicht reserviert und unzugänglich, aber doch kraftvoll und eigenwillig. Sogar die lichten, durchschimmernden, breiten Pinselstriche im Hintergrund glaube ich im Wein wieder zu erkennen.

Präsentation der Bordeaux-Degustation

Nun geht meine Phantasie ganz auf Kunstreisen. Pavillon Rouge, 1996 - der Zweitwein von Margaux - der dem großartigen Margaux nicht allzu viel nachsteht - beschreibt das Milieu der „Nana”, die eben im Begriff ist, sich zu schminken. Zweideutig-eindeutig vor dem Spiegel, in ihrem durchschimmernden Négligé, mit dem rechts auf dem Sofa sitzenden noblen Herrn in vornehmer Pose mit einem Spazierstock in der Hand. Das ist doch Pavillon Rouge, mit dem sich rasch entfaltenden, etwas süßlichen Bouquet und den delikaten Aromen. Da sind wir eingedrungen ins Boudoir der leicht frivolen Dame. Und der Herr rechts im Bild? Nur angeschnitten: Palmer 1994, allein schon die schwarze Etikette passt zu ihm. Etwas schwerfällig, konzentriert wirkt auch der Wein, Konturen nur angedeutet, doch ein Reichtum und eine Kraft im Gaumen.

Ganz im Gegensatz dazu Angélus 1986, voll ausgereift, ein reichhaltiger „alter Bordeaux”. Er erinnert wenig an einen süßen Barockengel, sondern eher an den strafenden Erzengel - zum Beispiel an Gabriel. Und damit passt er viel eher zum abwesenden „Kreidefelsen auf Rügen” von Caspar David Friedrich, ein Meisterwerk, das für ein paar Monate nach Essen und Hamburg ausgeliehen wurde, gegen die schöne „Nana”.

Da schließt sich ein Kreis: Gabriel, ich meine nicht den Engel, sondern der Schweizer Weinkritiker, passt eben so gar nicht zur „Nana” und ihrer Pariser Verderbtheit. Gabriel ist eben da um zu richten!

Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

31.05.2006


Rebläuse gibt es auch in Österreich


Zum Beispiel in Unterach am Attersee


Doch hier gibt es keine Reben. Es sind eben Rebläuse, die nicht schaden - im Gegenteil: sie lieben die Reben und den Wein. Die Rebläuse vom Attersee treffen sich regelmäßig zu Degustationen, sie haben eine eigene, gutgemachte Homepage (www.atterseereblaus.at) und sind in einem wunderschönen, kleinen Fischer- und Feriendorf im Salzkammergut zuhause.


Wahrzeichen der Weinrund

 

Ich gebe zu, bis vor kurzem habe ich noch nichts von diesen „Läusen” gehört, gesehen habe ich sie schon gar nicht. Durch das Forum bin ich auf die initiative der „Oberlaus” namens Michael gestoßen und schwups wurde ich an den Attersee eingeladen um mein Lieblings-Weingebiet, das Languedoc, zu präsentieren.

Zürich-Salzburg, natürlich mit der Bahn, knapp 6 Stunden im bequemen Erstklasswagen, mit Stromanschluss für den Computer. Ich nutze die Zeit für eine Power-Point-Präsentation.

 

Degustation mit fünf Gläsern an einem der beiden Tische

 

Wer weiß schon, dass das Languedoc auch „Weinkeller” Frankreichs heißt, dass das Weingebiet dreimal so groß ist wie das Bordelais und dass ein Drittel der gesamten französischen Weinproduktion aus dieser Gegend kommt? Doch was sind Zahlen, wenn es um Weine geht? Wenn es darum geht, Winzer und ihre Produkte kennen zu lernen? Wenn sich eine meist karge Landschaft von ihrer köstlichsten Seite zeigt?

Die Visitenkarte Südfrankreichs bestand aus 22 Weinen, alles rote, mehrheitlich aus den dort dominierenden Rebsorten: Grenache, Carignan, Cinsault, Syrah, Mourvèdre. Man trifft zwar immer häufiger auch die aromatischeren oder eben gefragteren Reben wie Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot. Doch in AOC-Weinen (appellation origine controlée) sind sie im Languedoc noch nicht zugelassen.

Ein Schweizer erzählt von seiner zweiten Heimat
Doch, was erzähl ich da. Dies alles - und noch viel mehr - weiß der Languedoc-Kenner. Aber all die Touristen, welche auf dem Weg nach Spanien die rund 200 Kilometer auf der Autobahn oder im TGV durchrasen, kümmern sich kaum um Rebsorten, Weinkultur und Alltag im Languedoc.

Aber in Unterach am Attersee war all das, zumindest einen Abend lang, von Interesse. Und noch nie wurde mir so klar bewusst, was eine Weinprobe auch sein kann: eine Begegnung mit einem Land, mit seinen Winzern und ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen. Ich habe - weiß Gott - schon viele Verkostungen erlebt: horizontale, vertikale, jahrgangsbeschränkte, winzerorientierte.... Noch selten aber habe ich eine so intensiv miterlebende Runde angetroffen. Da ging es nicht um Punkte, nicht nur um Nuancen in der Qualität, auch nicht einfach um Finessen im Aroma, nicht um Suche nach dem besten Preis-Leistungsverhältnis - hier ging es eindeutig um Weine, die zumindest in der breiten Präsentation der AOC-Gebiete des Languedoc kaum bekannt waren.


Michael, die Reblaus am Attersee

 

Sogar ein österreichischer Winzer aus dem Burgenland ist extra für diese Degustation angereist: nicht um seine Weine vorzustellen, nein, um ein wenig bekanntes Weingebiet kennen zu lernen, zu vergleichen, zu erforschen, abzuwägen...

Warum ich dies alles erzähle, warum eine gewöhnliche Weindegustation in einem kleinen Dorf eine Kolumne wert ist? Weil ich da Menschen getroffen habe, die sich nicht im internationalen Wein-Jetset treiben lassen, sondern zuhause, im Dorf, eine Weinkultur betreiben, die mehr mit Wein zu tun hat, als all die vielen Degustationen, Primeur-, Fass- und weiß was nicht alles für Verkostungen.


Am andern Tag: immer noch Freude am Wein

 

Und dies nur, weil ein Weinfreund, der das Forum eifrig liest, ab und zu auch darin schreibt, die Initiative ergriffen hat. Eine Website gestaltet, monatlich eine Weinrunde organisiert, sich informiert und orientiert, den Kontakt sucht und den Wein liebt. Beruflich hat er mit der Weinbranche nichts zu tun, vielmehr mit Gesetz und Ordnung. Das Weinhobby hingegen bringt ihm nichts ein, außer Erlebnisse, Spaß und Genuss. Den Anschluss vom Salzkammergut zur großen, weiten (Wein)Welt stellt er her, und „seine” Rebläuse danken es ihm. Solche Kleininitiativen sind wertvoller, als all die großen Weinevents, wo ich - allzu oft - glaube, mich tummeln zu müssen.

Herzlich
Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

22.06.2006


Abschied von der Dorfkultur. Oder:


Guter Wein und gutes Fleisch gehören zusammen


„Heute „mache” ich meine letzten Kutteln”, sagt Herr Hoffmann und lächelt wehmütig. Mir ist es nicht ums Lachen: Unser Dorfmetzger gibt auf. Sein Geschäft wird geschlossen, für immer! Er möchte „in den Ruhestand treten”, einen Nachfolger hat er nicht gefunden.

Präsentation in der Dorfmetzgerei: Qualität vor Quantität
Dabei ist unsere Dorfmetzgerei so etwas wie ein Hort der Esskultur: ganz speziell zubereitete Kutteln, Burgundergeschnetzteltes so raffiniert gewürzt, wie man es nur hier bekommen kann, Burgunder-Fleischkäse nach einem eigenen Rezept.... Dies - und noch viel mehr - soll jetzt vorbei sein? Ich kann es nicht glauben!

Nur drei Beispiele habe ich hier aufgezählt, zweimal ist dabei das Wort „Burgund” gefallen. Burgund steht für eines der berühmtesten Weingebiete Frankreichs, steht für guten Wein. Fleisch hat offenbar auch etwas mit Wein zu tun, und Wein etwas mit Fleisch. Guter Wein verlangt gutes Fleisch und umgekehrt.

Der Metzger: nicht nur Fachmann fürs Fleisch, generell fürs Essen
Ich weiß, unter uns Weinfreunden gibt es auch Schnäppchenjäger, die im Umkreis von wenigstens 30 Kilometern immer das beste Preis-Leistungsverhältnis suchen, nicht nur beim Wein, auch beim Fleisch. Sie lassen keinen Lebensmitteldiscounter aus, auf ihrer Jagd durch die Wein- und Fleischabteilungen, um schließlich unter mehr als hundert Angeboten die beste Flasche und das beste Filetstück zu finden, das gleichzeitig auch das allergünstigste sein muss.

Dies entspricht nicht meinen Einkaufsgewohnheiten. Wir haben noch einen Dorfladen, er wird bald - nebst der Bäckerei - die letzte Einkaufsmöglichkeit in meinem nächsten Lebens- und Wohnbereich sein. Es stehen zwar nicht Hunderte von Weinen zur Auswahl und wohl auch nicht die allerbesten. In unserer Dorfbäckerei gibt es nicht jeden Tag 30 verschiedene Brote, dafür aber jeden Morgen frisch gebackene, individuell zubereitete.

In unserer Dorfmetzgerei gibt es jeden Tag ausgezeichnetes Fleisch, aber nicht immer die ganze Palette von speziellen Rezepten und Angeboten. Dafür aber gibt es jeden Tag - wenn man will oder Zeit hat - einen kleinen Schwatz über das Essen und all die Essgelüste, über gute Tafel, stimmige Gewürze, beste Zubereitung, kulinarische Geheimtipps, amüsante Geschichten und nicht zuletzt über das Leben in unserem Dorf.

Dorfkultur nenn ich das. Sie ist für das tägliche Wohlsein noch wichtiger, als die vielen guten, ja besten Flaschen, die in meinem Keller lagern. Ja, diese schlummernden Flaschen bereiten nur dann richtig Freude, wenn sie sich mit dem Alltag, dem Leben, dem Essen verbinden. Zum meinem Leben aber gehören unser Dorf, die Nachbarn, der Dorfladen, die Dorfmetzgerei.

So manchen guten Weinbegleiter habe ich da gefunden. Die meisten Weintrinker sagen zwar, der Wein soll dem Essen angepasst sein: Welcher Wein passt zu welchem Gericht? Kann es nicht auch umgekehrt sein?

Weinkeller: Diese Weine warten auf gutes Fleisch
Ich hole eine Flasche „Clos de l’Oratoire”, 1988, aus dem Keller. Aber was esse ich dazu? Viele neunmalkluge Weinführer geben Ratschläge in der Art: „passt zu festlichen Mahlzeiten, hellem oder dunklem Fleisch” - „passt zu leichten Mahlzeiten, Hartkäse, Gemüse-Auflauf” - „passt zu Charcuterie, Terrinen und Pasteten, Schweinsbraten, Kaninchen, Kalbsbrust” - „zu Ente, Coq au Vin, Tournedos, rezenten Hartkäse...”

Doch woher nehme ich die Enten, die Tournedos, die Terrinen, die Kalbsbrust....? Aus dem Supermarkt, wo ich die Nase rümpfe, wenn ich an den zweihundert Weinangeboten vorbeigehe? Meinen Wein habe ich beim Händler „meines Vertrauens” ausgewählt, über 10 Jahre gelagert, mir wohl überlegt, wann er den höchsten Genusswert hat.Und sein Begleiter? Ein Tournedos, rasch beidseitig gegrillt, Fertigwürze aus der Grilltube darauf.... Kartoffeln aus dem Mikrowellenherd, Gourmetklasse....

Der Abschied von der Dorfmetzgerei hat begonnen


Ist dies die Weinkultur, von der ich schwärme? Nein, ich brauche dazu das richtige Fleisch, so ausgewählt, aufbereitet, zubereitet, wie mein Wein und meine Gäste es verdienen. Wo finde ich dies? Am besten doch in meinem nächsten Umfeld, wo man mich, meine Vorlieben, meine Ideen, vielleicht sogar meine Weine kennt und dann das richtige anbietet, was zu mir und meinen Weinen, zu meinen Kochversuchen und Essgelüsten passt. Meist verbunden mit einem praktischen Ratschlag, mit der Frage, wie es denn das letzte Mal gewesen sei, aber auch mit ein paar Anekdoten über das Früher und Heute im Dorf.

Das alles bekomme ich also im Dorfladen, in der Metzgerei. Und all das soll jetzt - schon in ein paar Wochen - vorbei sein? Für immer! Entweder fahre ich fortan auch zum Superdiscounter in irgend einem Industriequartier oder dann zur nächstgelegenen „letzten” Dorfmetzgerei. Wenn ich daran denke, vergeht mir die Lust am Kochen, am Essen, ja sogar - ich habe es nicht erwartet - an meinen schönen Weinen.

Herzlich
Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

03.07.2006


Abschied von Bordeaux


Höchste Bordeaux-Preise: wie ein Mythos zur Last und Belastung wird


Jeder Kolumnist läuft Gefahr, seine eigene Sicht und sein eigenes Erleben zum „Maßstab” der Welt zu erheben. Davor bin ich nicht gefeit. Vor allem, wenn es um meinen Lieblingswein, den Bordeaux, geht.

Peter besucht Pétus in Pomerol
Da robbe ich mich seit bald zwanzig Jahre durch die 100'000 Hektaren Rebberge der Gironde, vorbei an den mehr als 12'000 Weinproduzenten, die jährlich 6.5 Millionen Hektoliter Wein machen, durch die 57 unterschiedlichen Appellationen.... Und plötzlich soll dies alles vorbei sein, heißt es „Abschied nehmen vom Bordelais”.

Abschied? Warum? Hat man mir die „berühmteste Weingegend der Welt” genommen? Entzogen? Nein, viel, viel schlimmer: man hat mir die Freude, den Glauben, das Vertrauen und die Einsicht geraubt. Man hat mich also betrogen!

Natürlich sind es immer die andern, die betrügen. So ist es hier aber nicht. Ich habe mich selbst betrogen. Betrogen um Hunderte von Stunden, die ich investiert habe, um dem Mythos Bordeaux näher zu kommen. Umsonst! Der Mythos hat sich aufgelöst, er ist in den materiellen Werten, die sich im Keller angesammelt haben, erstickt.

Im Weinkeller von Château Pétrus: Degustation eines Weintraums
„Deine eigene Schuld”, sagen meine Freunde, oder:, „späte Einsicht!” Tatsächlich ist das hervorragende Bordeauxjahr 2005 kein Schicksalsjahr per se. Das Weingeschäft hat sich nicht plötzlich gewandelt. Es ist immer noch gleich, wie all die Jahre zuvor, vielleicht etwas brutaler, mag sein!

Nein, ich bin es, der sich verändert hat. Ich mag nicht mehr in dieser Liga spielen. Da geht es nicht mehr um Wein, um die Freuden eines unvergesslichen Genusses; um die Einmaligkeit eines Produkts, das von Menschen der Natur „abgerungen” wird. Da geht es nur noch um Geld, viel Geld, ganz viel Geld.

Ich ertappe mich bei der Frage, was hat denn mein Weinkeller für einen Wert? Wie kann ich mein Bordeaux-Wissen „vermarkten”? Wie viel, wann und wo muss ich investieren, um aus dem Wein-Börsengeschäft Gewinn zu schlagen? Wie komme ich beim Blindbuchen und den Termingeschäften (lies Subskriptionen) zum Erfolg?

Plötzlich begreife ich auch all jene, die sich unglaublich ärgern, weil ihnen ein schlechter Kork einen hohen Wert abgussreif vernichtet. Und ich frage mich - was ich bisher noch nie getan habe - lohnen sich die Investitionen, lohnt sich vor allem die immense Zeit, die ich in den „Mythos Bordeaux” investiert habe?

Auf der Pirsch durch St-Emilion

Ja, es braucht die nackten Spekulationspreise des „großen” Bordeaux-Jahres 2005, um Abschied nehmen zu können. Noch vor ein paar Jahren, im Super-Mythos-Jahr 2000, war ich nicht so weit: ich ließ mir das ausgezeichnete Bordeaux-Jahr und die Jahrtausendwende einiges kosten, im unerschütterlichen Glauben an den guten Wein und ihre Erzeuger im Bordelais.

Ich habe auch die vielen Bekanntschaften und Gespräche mit Top-Winzern geschätzt, ich war stolz darauf, mit Bernard Magrez diskutiert und mit Gérard Bécot diniert zu haben, im Hause Cathiard eingeladen und von Christian Moueix begrüßt worden zu sein..... Und immer glaubte ich dabei an den Mythos Wein.

Am Tor zum "Weinglück" Ausone

Meine besten Freunde haben mir längst gesagt: „Du spinnst”. Ich wollte es nicht hören und schon gar nicht glauben. Ich will es auch jetzt nicht hören und nicht glauben.

Da findet keine Bekehrung statt, keine Wandlung vom Saulus zum Paulus. Ich stehe zu meinem bisherigen Weinleben, zu meiner Weinvergangenheit. Doch, so wie sie bisher war, ist sie nicht mehr. Ich habe Abschied genommen: dankbar für die schönen Stunden, die hohen Genüsse, die einmalige Projektionsfläche für einen weltlichen Glauben.

Eine Flasche "Haut Brion" 2005 kostet um 400 Euro

Jetzt aber haben sich die unbarmherzigen Marktgesetze, die keinerlei Menschlichkeiten zeigen in mir breit gemacht. Sie haben sich in mein Wein-Denken eingeschlichen. Zuerst beiläufig, kaum bemerkbar. Hohe und höchste Preise waren für mich nie ein Thema, nur eine harte Grenze bei der Realisation von Wein-Träumen.

Ich habe plötzlich entdeckt, wie „Weinglück” vermarktet wird, an Gläubige
wie mich....

Und da habe ich eben Abschied genommen, denn sobald man als Weingenießer zu rechnen beginnt und feststellt, dass ein einziger Schluck „Weinglück” nun zehn und mehr Euro kostet soll, da beginnt sich Wein zu wandeln. Nicht wie in der Bibel zu einem höheren Gut, nein in schnödes Geld, in bloße Ware-Werte.

Ade schönes Bordelais, ich muss gehen. Wohin? Dorthin wo Wein noch Wein und nicht einfach eine Luxusware ist.

Herzlich

Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

19.07.2006


"Johanniter", der nicht Johanniter heissen darf


Interspezifische Rebsorten in der Schweiz immer noch selten


Zuchtnummer Fr. 177.68. So die korrekte Bezeichnung für eine Traubensorte, die man in Deutschland "Johanniter" nennt, in der Schweiz aber nicht ohne weiteres so heißen darf! Jedenfalls nicht auf der Etikette. Das Gericht hat dies nach einem längeren Rechtsstreit entschieden, nachdem ein Winzer aus der "Drei-Seen-Region" Klage eingereicht hat, weil er die Wort-Bild-Marke "Johanniter" für seine Gutedel-Weine bereits 1949 schützen ließ und diesen Markenschutz später erneuerte.

In Twann am Bielersee wächst der "echte" Johanniter: ein Wein aus der Rebsorte Chasselas

Der "Johanniter" ist also vorerst ein Wein aus Twann, einem idyllischen Winzerdorf am Bielersee. Und nebenbei ist "Johanniter" eben auch eine Rebsorte, die 1968 am staatlichen Weinbauinstitut in Freiburg gezüchtet wurde, eine Kreuzung aus Riesling und Seyve Villard.

"Johanniter", die Traubensorte mit der Zuchtnummer Fr.177.68

Die eidgenössische Forschungsanstalt Wädenswil hat nach längeren Versuchen schon vor Jahren festgestellt: "Der Johanniter besticht durch sein Qualitätspotenzial, auch wenn er in Lagen mit hohem Infektionsdruck für den Falschen Mehltau zwei- bis dreimal gegen Mehltaukrankheiten behandelt werden muss..... Der Anbau dieser Sorte ohne Fungizideinsatz wird vermutlich nur in relativ trockenen und gut durchlüfteten Standorten möglich sein .... Demgegenüber ist es auch als Fortschritt zu betrachten, wenn die Pflanzenschutzbehandlungen von beispielsweise sieben auf drei vermindert werden können."

Innovative Schweizer-Winzer sind immer auf der Suche nach "Markt-Lücken" im Schweizer-Angebot. Dabei entdecken sie - zwar sehr zögernd - auch immer häufiger die hierzulande noch wenig bekannten interspezifischen Rebsorten (Hybriden), die vor allem für kleine Anbaugebiete ideal sind und in der lokalen Vermarktung sehr gute Akzeptanz finden.

Einstiger "Sitz" der Johanniter in Bubikon
Einen dieser Kleinwinzer lernte ich kennen: fast zufällig geriet ich in eine sommerliche Degustation im Winzerhaus am "Schlüssberg" einem zwar traditionellen Weinberg, wo aber vor rund hundert Jahren die letzten Rebstöcke ausgerissen wurden. Der "Schlüssberg" liegt in unserer Nachbargemeinde Grüningen. Hier begann vor sieben Jahren der Bauernsohn Daniel Müller einen Rebberg neu anzubauen, der inzwischen 2,5 Hektaren groß ist. Zuerst war es die gängigste weiße Rebsorte der Deutschschweiz, Riesling x Silvaner. Dann aber kamen neuere interspezifische Sorten dazu: Seyval Blanc, Solaris, Garanoir, Léon Millot, Siramé, Cabernet Cortis und - Johanniter.
Glossar zum Thema
Ich habe das ganze "Programm" degustiert, zur Verwunderung des Winzers, denn die "Kundschaft" bestand aus Weinliebhabern der engen Region, die bereits wussten, welchen Wein sie probieren und kaufen wollten.

Ich blieb beim "Johanniter" hängen. Kein Wunder, ist doch meine eigene Gemeinde weithin bekannt durch das "Ritterhaus", einer Johanniter-Niederlassung aus dem 12. Jahrhundert.

Rebhang am "Schlüssberg" in Grüningen

Was liegt da näher, als dass in dieser Gegend auch "Johanniter" angebaut wird. Vor zwei Jahren bin ich der Rebsorte zum ersten Mal begegnet. Damals schrieb ich im Forum: "...was habe ich im Glas: Einen sehr fruchtigen Wein, der in der Nase die Verwandtschaft mit dem Riesling nicht verleugnen kann. Grapefruitnoten und reife Äpfel, was mich an Riesling erinnert, aber auch eine betonte, klare Struktur. Im Gaumen erlebe ich den Wein recht harmonisch, zwar nicht voluminös - eher etwas "dünn", mit klarer Restsüße. Im Abgang hingegen etwas bitter, mittlere Länge....

Der "Johanniter" aus Grüningen, der nicht Johanniter heissen darf
Jetzt, bei der zweiten Begegnung - im schönen Rebberg von Grüningen - fand ich den Wein noch weit besser, eigenständiger, verführerischer. Ich konnte es nicht lassen, ein paar Flaschen mitzunehmen. So gibt es jetzt halt einen weiteren Keller im Johanniterdorf Bubikon, in welchem "Johanniter" lagert, der nicht Johanniter heißen darf.

So kurios ist die Weinwelt, doch gerade dies macht mir besonders Spaß! Vor allem, wenn der Wein auch gut ist.

NB. Zudem hat sich eine feine Cuvée aus "Léon Millot" und "Siramé", sehr dezent in Barrique ausgebaut, vom "Schlüssberg" in meinen Keller "verirrt". Bereits gestern kamen zwei Flaschen auf den Tisch: Nicht nur ich, auch mein Besuch war begeistert. Doch davon ein andermal.

Herzlich

Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

02.08.2006


„Unverschämt schön, diese Farbe!”


Eine Liebeserklärung an den Rosé


Echte Weingenießer rümpfen die Nase: Rosé! Dies ist doch kein Wein. Tatsächlich genießt der Rosé in der „wahren” Weinwelt kein allzu großes Ansehen.

Der funkelnde Rosé in unserem Strandkaffee
Es ist noch nicht allzu lange her, da mokierte ich mich über den Rosé eines angesehenen Winzers am Zürichsee: eine unnötige Konzession an den schlechten Weingeschmack!

In Neuenburg, wo es den echten „Oeil de Perdrix” ( „Auge des Feldhuhns”) gibt, wurde ich ob meiner abfälligen Bemerkungen beinahe aus dem Keller geworfen. Schließlich klatschte ich in die Hände, als ein Winzer in Chur den "Schiller" aus seinem Programm verbannt hat: „nicht mehr verkäuflich!” „Schiller” ist nämlich ein spezieller Rosé, den es nur in der Region von Chur gibt.

Schon gar nicht begreifen konnte ich, dass ein Winzer, der sonst einen hervorragenden Geschmack hat und Jahr für Jahr ausgezeichnete Weine keltert, seinen Verzicht auf den „Schiller” tief bedauert. Ich habe sein betrübtes Gesicht und die Welt nicht mehr verstanden.

„Menthe à l’eau”, nur ein Sirup, auch er gehört zum Süden
Jetzt aber bin auch ich unter die Rosé-Fans gegangen. Zwar wage ich noch nicht, meinen weinverliebten Gästen einen Rosé vorzusetzen, auch im Sommer nicht. Es muss zumindest ein echter Schweizer, ein Languedoc oder gar ein Bordeaux sein, vielleicht ein Weißer, sicher aber kein Rosé. Zuviel an Glaubwürdigkeit in Sachen Wein hätte ich da zu verlieren.

Es gibt aber den Roséwein - in recht unterschiedlicher Prägung - sozusagen in allen Weinländern, zumindest in Europa. In Deutschland den „Weißherbst”, in Österreich den „Gleichgepressten”, in Italien den „Bardolino Chiaretto”, in Portugal den „Mateus”, in Frankreich eben den „Rosé”... Im Süden Frankreichs, wo man die Hitze im Sommer nicht suchen muss, da kann Rosé auch ein „Qualitätswein” sein.

„Mein” Rosé ist aber kein Qualitätswein, er wird, „en vrac” angeboten, also offen, in großen Behältern, hat keinen Namen, nicht einmal der Winzer ist bekannt.

Aufgetaucht aus den Strandstühlen, bereit zum Genuss
Mittag für Mittag kommt er - sobald wir aus unseren Liegestühlen auftauchen - unaufgefordert auf den Tisch im kleinen Strandrestaurant. „Eine unverschämt schöne Farbe”, so der tägliche Kommentar, und wir stoßen an, auf einen herrlichen, aromatischen, durststillenden Schluck. Ich erlaube mir sogar - welch Frevel! - ab und zu einen Eiswürfel in den Wein zu geben, damit er auch wirklich kühl ist und noch schöner im Sonnenlicht funkelt.

Nicht einen Augenblick komme ich auf den Gedanken, nach Nase, Gaumen und Abgang zu fragen. Alle Punkte, ob 10er, 20er oder 100er System, sind in eine andere Welt verbannt. Ab und zu kann ich es dann doch nicht lassen: „une belle composition de pulpe de framboise et de fraise, un palais au fruit juteux doté d’une matière pleine et fraîche” (frei übersetzt:  schöne Frucht von Himbeeren und Erdbeeren, am Gaumen fruchtig, saftig, voll und frisch”.

Solche Anflüge hoher Weinkultur verflüchtigen sich rasch, sind sie trotzdem allzu beharrlich, dann vertreibe ich sie mit dem zweiten südländischen Sommergetränk, dem unverschämt grellgrün leuchtenden „Menthe à l’eau”. Da fügt sich der Gaumen dem Auge, der Sommer ist perfekt!

Auch qualitätsbewusste Winzer machen einen Rosé, zum Beispiel Ollier Taillefer aus Faugère
Ich gebe es zu, ich bin verliebt in diesen Rosé, seine Schönheit hat es mir angetan. Plötzlich finde ich ihn auch nicht mehr so belanglos. Verunsichert blättere ich im Weinmagazin des Südens: „Cave des Lirac, Rosé, cuvée „vieilles vignes”, médaille d’Or, 85 Punkte”. Oder «Château Mas Neuf, Costières de Nîmes, Compostelle, 17 Punkte». Die meisten Winzer, deren Rotwein ich schätze, keltern auch einen Rosé. Den habe ich bisher links liegen, im Weinkeller stehen gelassen. In den Bewertungen der „Weinpäpste” taucht er kaum auf, wenn er schon einmal erwähnt wird, erreicht er kaum 15 Punkte. Noch nie hat mir ein Winzer den Rosé besonders empfohlen, eher verschämt in der Ecke stehen gelassen.

Seit diesem Sommer ist bei mir alles anders geworden: Ich bin froh, einen Wein entdeckt zu haben, den ich nicht beschreiben, benoten, bepunkten muss, den ich einfach trinken kann, unbeschwert. Er muss nicht eingelagert, nicht registriert und im richtigen Augenblick aus dem Keller geholt werden. Der Rosé aus der Languedoc, ob mit schillerndem Namen oder namenlos, ist „l’ art de vivre de l’été” - die Kunst, den Sommer zu leben, zu genießen.

 

Herzlich 

Ihr/Euer

Peter (Züllig)

NB. Es ist zu befürchten, dass der nächste Besucher, auch wenn er ein Weinfreund und -kenner ist, einen „Rosé du Languedoc” vorgesetzt bekommt.


Peter Züllig

11.08.2006


Wer schreibt, dem wird geschrieben


Nachlese zur Kolumne „Abschied von Bordeaux”


Nicht eine der 20 Kolumnen hat so viele Reaktionen ausgelöst, wie mein „Abschied von Bordeaux”; und keine ist in so kurzer Zeit so oft angeklickt worden, zwanzigtausend Mal. Wenn ich die Leserbriefe, die privaten Mails, die angeregte Diskussion im Forum zusammenfasse, dann werden drei unterschiedliche Standpunkte sichtbar.

Mythos Bordeaux: Sonnenuntergang am Atlantik

Da sind einmal all jene, die mich (und sich selber!) trösten wollen: „...ich kann gut nachvollziehen, wie es in dir aussieht. Auch mich hat die große Bordeaux-Depression erfasst...” Und manch ein Trost endet in philosophischen Dimensionen: „Wohin geht die Liebe, wenn sie geht?” Ja, wenn ich das wüsste? Da können vielleicht jene helfen, die nun Alternativen ansprechen: „...ab, nach Südfrankreich, auf zur Schatzsuche...”. In Südfrankreich, da bin schon, mit dem Herzen ganz, als Person viele Wochen im Jahr. Vielleicht wage ich es sogar fremdzugehen mit einer „...Reise ins Piemont und Burgund, aber bitte bei den Klassikern bleiben, denn diese sind wenigstens kein one-night-stands, die man bereut...”

Eine dritte Gruppe beruft sich unverdrossen auf die „heiligen Gesetze” des Marktes „...die Nachfrage ist im Verhältnis zum Angebot extrem hoch = die Preise klettern in die Höhe.” So ist es eben auf dieser Welt und ihrer eingespielten Ordnung: „...drei Prozent Oberschicht hat noch jeder Kapitalismus hervorgebracht....”

Werbung für „Bordeaux 2005":Mythos Bordeaux

Nein, ich jammere nicht, dass ich nicht zu dieser „Oberschicht” gehöre. Auch wenn ich mir bisher eingebildet habe, wenigstens „bordeaux-mäßig” ein ganz klein wenig teilzuhaben. Vergängliche Träume des Menschen, unweigerlich verbunden mit größeren oder kleineren Bruchlandungen!

Offenbar geht es vielen Weinliebhabern ähnlich, denn ich werde empfangen: „...willkommen im Club, ich konnte mir diese Weine noch nie leisten...” Als Medienschaffender weiß ich nur zu gut, dass sich „Träume” gut vermarkten lassen. Träume werden zu Mythen, zum Mythos: Bordeaux gehört dazu. Dazu der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell: „Das Material des Mythos ist das Material des Lebens, unseres Körpers und unserer Umwelt.” Mythen sind mächtig, leben lange, werden kaum hinterfragt, wirken oft anarchisch - und sind doch sterblich.

Auch der Mythos Bordeaux ist sterblich. Er beruht auf vielen Legenden und Fakten. Zum Beispiel soll er „weltweit der Inbegriff und Gradmesser für Qualitätswein” sein, sagt die Werbung. Vorbei: das Bordelais hat diesen Mythos längst verloren (oder teilt ihn zumindest mit andern Weinregionen!).

Weinverarbeitung im Châteaux:"Haut-Brion"
Oder, da ist auch der Mythos der Winzergenerationen, die seit Jahrhunderten aus ihrem eigenen Boden Großartiges hervorbringen. Vorbei: zumindest bei den großen Gewächsen, die den Mythos Bordeaux begründen. Da haben Finanz- und Kapitalkräfte längst Einsitz genommen.

Oder der Mythos von der wunderschönen Weinlandschaft, von der Natur, die den Wein zum höchsten Genuss reifen lässt. Vorbei: ohne Hightech bei der Vinifizierung geht es längst nicht mehr, klinisch sauber wird die Natur „bearbeitet”. Und wo noch ein bisschen Landschaft ist, wuchern Straßen und Autobahnen, mitten durch die Weinlandschaft.

Oder: der Mythos vom herrschaftlichen „Schloss” (Châteaux, im geläufigen Sinn). Da waren schlossähnliche Prachtbauten Zeugen für die Größe und Bedeutung der berühmtesten Bordeauxwinzer. Vorbei: Kaum einer dieser Bauten ist noch bewohnt, viele zerfallen, andere werden herausgeputzt und dienen der Repräsentation.

Mythos Wein: Handelswert rund 6'000 €

Und doch ist es der Mythos „Bordeaux”, der die Weinwelt weiterhin bewegt. Auch wenn manches bröckelt und marode ist. Der Mythos ist eben nicht Wahrheit. Auch der Mythos Bordeaux nicht. Dass er weiterlebt, zeigt das große Interesse und die Reaktionen vieler Kolumnenleser.

Im Bordelais formen sich aber die Kräfte neu, zu eine neuen Mythos, jenem der „Unerreichbarkeit”. Er ist - neben Macht - wohl der zuverlässigste Mythos unserer Zeit. Einmal im Leben einen „Pétrus” trinken, im Keller ein paar Flaschen „Ausone 2005” lagern, auf die Genussreife von Latour 2005 warten..... All das ist für den Weinfreund, der nicht zur „Oberschicht” gehört, fast unerreichbar. So bekommt Bordeaux eben einen neuen Mythos: Marktpreis genannt! Ja, er kurbelt das Geschäft an (viele der höchsten Bordeauxwerte sind bereits ausverkauft!) und ersetzt das, was der Mythos Terroir, Weingegend, Weinbauer, Natur etc. im Bordelais verloren hat.

Märchenschloss? Pichon-Longueville Baron

Dagegen ist wenig einzuwenden. Nur: meine Mythen sind es eben nicht (mehr)! Und weil ich den Wein - nicht den Weinwert liebe - werde ich weiterhin eine Kolumne über Wein schreiben, täglich einen guten Wein trinken (auch Bordeaux!) und an Mythen glauben. Obwohl ich weiß, dass der, welcher sich auf Mythen beruft, leicht zu manipulieren ist.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

01.09.2006


Meine erste Begegnung mit dem Blauen Portugieser


Was eine Einladung vom Nachbarn bewirken kann



Spontan wurde ich von der Nachbarin eingeladen, an einem ganz gewöhnlichen Werktag, weil ihr mein Gemüsegarten während Wochen zur Verfügung stand. Gekocht und angerichtet hat sie Zucchetti-Gratin mit Gorgonzola statt Reibekäse, Teigwaren und ein zartes Bio-Kalbsplätzli.

Nun aber bin ich neugierig, was wohl der Herr des Hauses als Wein dazu gesellt. Zum Gorgonzolagemüse passt - nach meinen Vorstellungen - eigentlich kein Wein. Denn jeder Wein, der es wagt, dagegen anzutreten, wird vom Gemüse, dem Schimmelkäse und den vielen Eiern glatt „erschlagen”. Mein Nachbar ist kein Weinspezialist, aber er liebt den guten Wein, hat sogar eine Weinzeitschrift abonniert.

Bettflucht: Der Portugieser hat mich an den Schreibtisch getrieben

Lächelnd holt er den Korkenzieher:  „Was ich jetzt bringe, das hast auch Du wohl noch nie getrunken!” Dann macht er sich daran, eine Flasche zu öffnen, deren Etikette mir völlig unbekannt ist. Natürlich muss ich sofort meinen Kommentar abgeben, sozusagen Blindprobe.

„In der Nase deutlich Holz, aber auch Brombeeren, Himbeeren, etwas Pfeffer. Das Auge registriert einen eher hellen, stark purpur-violett gefärbten Wein, keine dunkle, aber eigenartig intensive Farbe. Im Gaumen frisch, etwas herb, an reife Kirschen erinnernd, das Holz noch deutlich wahrzunehmen, aber gut eingebunden. Mittlerer Abgang, doch erstaunlich fruchtig nachhallend...” Was habe ich denn da im Glas?

Seine Farbe, ein tiefes, purpurnes Rot

Ich kann den Wein überhaupt nicht einordnen! Doch - und dies ist das erstaunliche - er passt wunderbar zum Essen. Er kämpft nicht mit dem Zucchetti-Auflauf, er verstärkt und verändert nicht den Teigwarengoût, er setzt sich adrett neben das feine Kalbfleisch.

Jetzt endlich kommt die Flasche auf den Tisch: Portugieser von der deutschen Weinregion Saale-Unstrut. Ich gebe zu, zuerst muss ich zweimal leer schlucken, es ist mir nicht klar, ob schließlich die soeben gemachte Erfahrung, die Überraschung, die angeborene Neugier oder die gesammelten Vorurteile obsiegen werden. Ich will meinen Nachbarn nicht beleidigen und stottere etwas von einer „nicht so hoch eingeschätzter” Traubensorte, von dem nördlichsten Weinanbaugebiet Deutschlands, von der schwierigen Kombination mit dem Essen.

Ich habe nur ein Glas getrunken, vor allem weil ich mittags selten Wein zur Mahlzeit einschenke, vor allem wenn ich nachmittags arbeiten muss.

Weingarten "Längricht" Weischütz an der Weinstrasse, Saale-Unstrut
Mein Nachbar ahnt nicht, was er mit seinem Essbegleiter ausgelöst hat. Ich kann nicht schlafen: ist es der Vollmond - die Weinqualität kann es nicht sein - oder ist es die neue Erfahrung mit einem mir unbekannten Rebensaft? Jedenfalls stehe ich um vier in der Frühe auf und beginne zu recherchieren: Portugieser. Schon da widersprechen sich die Quellen: kommt er aus dem Osten oder hat ihn Schlossherr Freiherr von Fries 1772 wirklich aus Porto nach Bad Vöslau in Österreich gebracht? Aber nicht nur die Herkunft ist zweifelhaft, auch fast alle Eigenschaften werden unterschiedlich beschrieben. „Früh bis mittelfrüh” sagen die einen, „mittel bis spät reifende Sorte” die andern. Auch die Farbe reicht von „zumeist hellrot” bis „farbintensiv mit etwas Burgunderart”. Nur über eines ist man sich einig: „ein Großteil wird zu Portugieser Weißherbst verarbeitet”.

Nun zur kleinen Weinregion Saale-Unstrut, „nördlich der Anbaugrenze”. Der „Feinschmecker” hat in seinem Führer „durch die besten Weingüter in Deutschland” dem Anbaugebiet gerade mal vier von 374 Seiten gewidmet und „Gault-Millau Deutschland” bringt es immerhin auf 9 von 736 Seiten.

Ein Glas zu einem Zucchetti-Gratin mit Gorgonzola genossen
Was bin ich da in eine Welt der vinophilen Langweiligkeit geraten! Ich überfliege die Wertungen im Wein-Plus-Weinführer und alle Vorurteile werden gefestigt: „passabel (74), ordentlich (75), passabel (72), passabel (72), gut (79)” und ein einziges Mal „sehr gut (83)”. Schließlich finde ich im Forum-Archiv das ultimative Urteil „Der Portugieser ist der traditionelle Brot- und Butter-Wein.... Sicher gibt’s auch ganz gute, aber eigentlich...” braucht ihn die Welt nicht.

Zurück zu meiner eigenen Erfahrung: Zum nicht einfachen, aber prägnanten Essen passte der Wein, obwohl es nicht Butterbrot war. Er passte sogar ausgezeichnet. Und wenn ich im Nachhinein überlege, es hätte kaum ein anderer so gut dazu gepasst. Der Portugieser war schlicht genial.

Heute morgen, als der Nachbar an meinem Haus vorbei ging, da habe ich ihn um die Flasche und - wenn vorhanden - um den Rest des Weins gebeten. Und so kommt es, dass ich frühmorgens, es ist noch nicht acht Uhr, bereits ein Glas geleert habe. Und immer noch suche ich den „milden und fruchtigen Rotwein mit weichem Tannin und angenehmen Veilchenduft” . Dagegen treffe ich einen zwar säurearmen, aber doch kräftigen Wein, der zum Schimmelkäse passt und - immer mehr und deutlicher seine pfeffrige Note zeigt. Mit diesem Urteil gehöre ich wohl zu einer Minderheit, wie der Portugieser und die Saale-Unstrut in der Weinwelt Minderheiten sind. Für Minderheiten aber habe ich schon immer ein „Herz” gehabt, denn sie werden leicht unterschätzt.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

11.09.2006


An Saale und Unstrut gelandet, nicht gestrandet


Mehr Kultur als guten Wein getroffen


Wie das Leben doch so spielt! Die letzte Kolumne ist noch nicht ins Netz gestellt, da stehe ich an Saale und Unstrut und halte Ausschau nach dem, was ich an einem ganz gewöhnlichen Tag, im Schweizer Dorf Bubikon entdeckt, erlebt und in meiner letzten Kolumne beschrieben habe: „meine erste Begegnung mit dem Blauen Portugieser” aus dem kleinsten deutschen Weingebiet.

Die Rudelsburg im Morgennebel

Auf dem Ferienpfad in den Harz - wo es endgültig vorbei ist, mit dem deutschen Rebbau - schlagen wir unser Zelt in Bad Kösen auf, so, dass am frühen Morgen vor uns die Rudelsburg aus dem Nebel auftaucht. „Dort Saaleck, hier die Rudelsburg, und unten tief im Tale, da rauschet zwischen Felsen durch die alte liebe Saale; und Berge hier und Berge dort zur Rechten und zur Linken, die Rudelsburg, das ist ein Ort zum Schwärmen und zum Trinken”. Noch heute ist dies das Erkennungslied der studentischen Corps, die einst auf der Rudelsburg den ältesten Dachverband der deutschen Studentenverbindungen gegründet haben
(Das Lied ist zu hören auf: http://www.uni-stuttgart.de/hilaritas/LIEDER/TEXTE/dortsaal.html )

Am Südhang der Burg sollen einst Reben gestanden haben, doch davon ist nichts mehr zu sehen. Verschämt wird jetzt auch die letzte Strophe des berühmten Studentenlieds (1863) weggelassen: „Was brauchen wir die Rudelsburg, was brauchen wir die Saale? Wir haben doch Alt Heidelberg, im schönen Neckartale - und Berge hier und Berge dort zur Rechten und zur Linken, Alt Heidelberg, das ist ein Ort zum sich scheußlich zu betrinken”. Auf alten Stichen der studentischen Geselligkeit prosten sich die „Burschen” des 19. Jahrhunderts auch nicht mit Weingläsern zu, sondern stoßen mit Bierkrügen an. Das Schwärmen und Trinken kann sich also kaum auf den Wein bezogen haben.

Rebberg an der Weinstraße Saale-Unstrut

Doch mein Interesse ist geweckt: Zwischen Bad Kösen und dem ehemaligen Zisterzienserkloster „Sanctae Mariae ad Portam” - heute „Schulpforta” - entdecke ich erstmals die Rebberge an der Weinstrasse von Saale-Unstrut. Ich bin also doch im Weinland angekommen. „Herzog Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig” (1735-1806) hat mich zwar bereits am Vorabend, auf der Flasche des halbtrockenen Spätburgunders vom Landesweingut Kloster Pforta begrüßt. Gekauft habe ich diesen Wein nur, weil er unweit des historischen Schlachtfelds von Hassenhausen angebaut wird, dort wo einst Napoleon das preußische Heer entscheidend geschlagen hat.

Kirchenfenster in Schulpforta mit Rebmotiven
Wein, Kultur, Geschichte und berühmte Persönlichkeiten: ich bin an Saale/Unstrut gelandet! Die Zisterzienser (zumindest ihr Geist und ihre Pionierarbeit im Weinbau) holen mich ein. Ich denke an das Burgund, an das Kloster Eberbach (Rheingau), wohin mich meine deutschen Weinfreunde geführt haben, oder an das Stift Heiligenkreuz in Österreich. Auf einer Informations-Tafel über den Weinbau von Schulpforta entdecke ich die zisterziensische Lebensweisheit: „Schenkst Du Guten ein, schaust Du Gott im Wein”. Gott ist mir bisher im Wein aus Saale/Unstrut allerdings nicht begegnet. Aber jetzt will ich es wissen: In der Vinothek von Schulpforta kaufe ich zwei Weine, einen Pfortenser Köppelberg Portugieser QbA und einen Blauen Zweigelt, Saalhäuser, QbA.
Carl Wilhelm Ferdinant von Braunschweig - umgekommen in der Schlacht von Jena und Auerstedt (1806)
Der Portugieser ist wirklich ganz anders, als jener Wein, den ich kürzlich zum Zucchetti-Gratin mit Gorgonzola getrunken habe - nämlich eher samtig, leicht oder „...einfach gestrickt, leicht artifizielle Rotkirschfrucht, wenig Substanz, geglättetes, passendes Tannin, passabler bis ordentlicher Abgang.”, wie ihn der Weinführer von Wein-Plus beschreibt.

Jetzt also habe ich ihn gefunden, jenen Portugieser, der so oder ähnlich charakterisiert wird. Also nicht diesen Kraftprotz, den ich vor ein paar Wochen getrunken habe.

Was mich aber viel mehr an Schulpforta fasziniert als der Wein, das ist die hier herrschende Bildungskultur. Seit der Auflösung der klösterlichen Gemeinschaft (1540) dient die große Anlage als Bildungsstätte einer geistigen Elite, geprägt von der Ideologie der jeweils Herrschenden und dem Zeitgeist. So wollte es schon der Gründer der Schule, Herzog Heinrich V. von Sachsen. Im Internat wurden einst auch Nietzsche, Klopstock und Fichte „erzogen”.

Wiederbegegnung mit dem Portugieser von Saale-Unstrut im Rebgebiet
Selbst die Nationalsozialisten haben hier 16 Jahre lang eine Erziehungsanstalt (NAPOLA) eingerichteten, bis sie dann von den Machthabern der DDR abgelöst wurden, die daraus eine Bildungsstätte sozialistischer Erziehung gemacht haben. Und auch jetzt, nach dem Ableben des „real-existierenden Sozialismus” ist Schulporta immer noch ein Schulinternat, wo inzwischen Buben und auch Mädchen zu wohl guten Kapitalisten (nehme ich nun mal an!) gebildet werden. Solch bildungspolitische Hartnäckigkeit, fasziniert mich, da auch ich einst 6 Jahre Internatsschule (zwar in der Schweiz) gut überstanden habe.

Nach dieser kurzen Begegnung mit Kultur und Wein von der Saale reisen wir weiter in den Harz. Fünf Tage später, an meinem Geburtstag, kommt der zweite im Kloster Pforta für 22.50 € gekaufte Wein auf den Tisch: Blauer Zweigelt 2003, QbA, trocken Saalhäuser: „gehaltvoll, Tabak- Vanillearomen - Silberner Preis 2. Landesweinprämierung 2005” Und? Was macht denn dieser „Österreicher”, da im Norden? Es ist ein intensiv rubinfarbiger, zartherber im Geschmack voll-kräftiger Wein, in Barrique ausgebaut - aber ein Festtagswein ist es nicht. Dazu fehlte ihm jene Kultur, Größe und Einmaligkeit, die ich in den Mauern der Rudelsburg und auch im Kloster Pforta zu spüren glaube. Doch Steine überdauern eben Jahrhunderte, jedoch selbst ein guter Wein kaum einen Abend.

Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

27.09.2006


Ein ganz gewöhnlicher Sommerabend im Garten


Das Thema Wein ist nicht vorgesehen.


Ja, der Sommer ist für ein paar Tage zurückgekehrt. Wir nutzen die wohlige Wärme, um im Garten den alten, schiefen Holzgrill in Betrieb zu nehmen. Auf den Tisch kommt eine Flasche „La Tour du Pin Figeac”, 1997. Darauf klebt noch ein oranges Preisschildchen: „Denner 25.90” (17.80 €). Denner ist ein schweizerischer Superdiscounter, der ab und zu auch gute Weine zu guten Preisen anbietet. „Was, ich habe einen ‚La Tour du Pin Figeac’ im Keller, von einem Château, das ich kaum kenne,” wundere ich mich. Mein Interesse ist geweckt!

Sommerabend vor dem Haus

Ich hole den Computer, öffne meine Kellerdatei. Tatsächlich: am 27. November 1999, vor bald sieben Jahren, habe ich drei Flaschen gekauft, im Discounter in Wetzikon. Eine Flasche ist bereits getrunken. Mit wem? Am 30. Januar 2005, an der "Generalversammlung des Bordeaux-Club: Thema: 1997.” Ich kann mich nicht an den Wein erinnern. Als Gastgeber habe ich auch keine Notizen gemacht. Also ist dies heute Abend mein erster „La Tour du Pin Figeac”, den ich bewusst konsumiere.

Originaletikett von "Tour du Pin Figeac"
Was ich sonst nie tue, geschieht ohne dass ich es bemerke: „Auge: etwas matte, aber tiefe Farbe, keine Spur von Orangetönen. Nase: beerenfruchtig, etwas Kräuter, Lakritze... Gaumen: wenig Säure, weich, zu schlanker Körper, mittlerer Abgang”. Während des Trinkens ordne ich sonst einem Wein nie Eigenschaften zu, schon gar nicht in Form von Notizen. Dies geschieht immer später, häufig am nächsten Tag, frei aus der Erinnerung. Das Werten und Bewerten soll nicht den Genuss stören und auf die Ebene sachlicher Fakten reduzieren.

Aber, was kann ich zum Château sagen? Es liegt in Saint-Emilion, zwischen dem berühmten „Figeac” und dem noch berühmteren „Cheval blanc”. Mehr weiß ich nicht. Also greife ich zu dem fast alles wissenden Féret: „Bordeaux et ses Vins”. Da gibt es zwei Weingüter mit dem genau gleichen Namen: Das kleinere gehört Jean-Michel Moueix, aus der Bordeaux-Familie, die auch „Pétrus” besitzt.

Das andere, etwas größere Châteaux - 11 Hektaren - gehört der Familie Giraud-Béllivier. Um diesen Wein also handelt es sich. Auf der Suche nach einer Wertung entdecke ich bei Parker einen Irrtum. In seinem Bordeaux-Führer beschreibt er nur das Moueix-Gut, illustriert es aber mit der Etikette von Giraud-Béllivier. Auch Parker ist halt nicht perfekt!

Verwechslung im "Parker Bordeaux"

Da ich schon am Nachschlagen bin, interessieren mich die Preise. Habe ich damals gut oder schlecht eingekauft? Doch da ist das Durcheinander und die Verwechslung der beiden Weingüter noch größer. Der Moueix-Wein kostet um die 35 €, der Giraud-Wein etwa um 20 €. In den meisten Fällen wird gar nicht angegeben, um welchen der beiden Weine es sich handelt. Man ersieht dies oft nur am Preis.

Nachdenklich schüttle ich den Kopf: habe auch ich damals die beiden Weingüter verwechselt und beim Discounter gar nicht so wohlfeil gekauft, wie ich glaubte? Es ist zu vermuten! Auch ich bin halt nicht perfekt.

Domain du Mas Rous 1993
Meine Frau hat andere Sorgen: „Morgen sind wir bei ‚Meiers’ eingeladen. Was bringen wir? Wieder einen Wein? Können wir denn schon wieder eine Flasche Bordeaux bringen? Ich gehe morgen ins Blumengeschäft! An einem schönen Bouquet haben sie sicher Freude.” Ich denke an den Aufwand und beharre auf Wein - Bordeaux, nur in den Keller gehen.... Wir finden einen Kompromiss: „Doisy-Védrines”, 1999, einen Sauternes haben wir noch nie gebracht.

Eigentlich ist er noch viel zu jung, gerade an der Schwelle zur ersten Genussreife. Er könnte gut und gerne noch zwanzig Jahre reifen. Wir kichern, wenn wir an die Einladung denken: Unsere Freunde wollen es immer so gut machen, sie kochen ausgezeichnet, tun sich aber schwer, uns einen Wein vorzusetzen. Was wird es diesmal sein?

Abgestufter Grand Cru Classé
Da klingelt das Telefon: Am Apparat Max, mein Weinfreund aus Bielefeld. Unsere kleine Pensionisten-Reise steht an. Wohin fahren wir? Wann soll es losgehen? Drei Rentner sind gar nicht so einfach auf ein Programm zu verpflichten. Doch wir einigen uns auf die Mosel - zwei drei Tage vor dem großen Treffen in Bonn. So haben wir nur einmal die Anfahrt. Wir plaudern noch über Wein und Kultur, über Alltag und besondere Ereignisse. Aus der Flasche „Tour du Pin Figeac” lässt sich nichts mehr winden. Vorsorglich habe ich vorher eine zweite Flasche bereitgestellt: Diesmal etwas aus dem „Sammelsurium”, einem Regal, das all die nichtregistrierten Weine enthält.

Dort also, wo ab und zu auch etwas allzu lange liegen bleibt. Tatsächlich, da liegt ein 1993er aus Roussillon, wo die Sonne 325 Tage im Jahr scheint: „Domaine du Mas Rous”. Sollte eigentlich längst getrunken sein. Beste Reife - schreibt der Languedoc-Spezialist Reichmuth - bis 1999. Und sieben Jahre darnach? Tatsächlich, längst nicht mehr jenes brillante Rubinrot, jene feinen Töne von Honig und Harz, von Kirschen und einem Hauch Vanille. Nein, in diesem Alter eher ein harmloser, wenn auch nicht unfeiner Wein.

Inzwischen hat sich meine Frau davongeschlichen. Ich höre aus dem TV-Zimmer leise Dialoge: „Wohl wieder diese Sachsenklinik!”

Noch kurze Zeit genieße ich den warmen Sommerabend. Dann räume ich die Gläser weg. Morgen werde ich in mein Weintagbuch schreiben: „Drei Stunden im Garten gearbeitet” Leider kann man von dieser Arbeit nicht viel sehen, ich kann mich also nicht auf Lorbeeren ausruhen. Dafür verbringen wir einen schönen, warmer Sommerabend. Über Wein haben wir natürlich nicht gesprochen!


Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)


NB
Bei ‚Meiers’ gab es am andern Tag eine „Domina” im Boxbeutel; einen Wein, von dem ich im Forum einst geschrieben habe: „Verlorene Liebesmühe!”

NB
O weh! Jetzt sehe ich gerade, dass die beiden ”La Tour Pin Figeac” (bei der alle 10 Jahre stattfindenden Neubewertung) ”abgestuft” wurden und keine ”Grand Cru classé” mehr sind. Ja beide, der Moueix und der Giraud-Bélivier!


Peter Züllig

05.10.2006


Grauer, trüber Herbst


Im Weinkeller aber lagert viel Sonnenschein


Immer wenn es ungemütlich wird, tiefe Nebelschwaden Haus und Garten umgeben, Regen an die Scheibe prasselt und sich leise der Winter schon bereit macht, fliehe ich in den Keller. Meine Frau sagt: „Gehst du wieder einmal deine Flaschen streicheln!” So ganz unrecht hat sie nicht.

Ein Griff ins Regal "Sammelsurium" mit mancher Überraschung

Ich verschwinde im Keller, wo es nebst den schön geordneten und registrierten Bordeaux noch drei Weingestelle gibt, die ich „Sammelsurium” nenne, ab und zu auch „Wundertüte” Hier lagern jene Flaschen, die ich irgendwo gekauft und mitgenommen habe, die man mir geschenkt oder zur Verkostung empfohlen hat, denen ich irgendwo in einem Weingebiet, auf irgend einer Reise oder bei einem Besuch begegnet bin.

Da lagern sie wild durcheinander, die Erinnerungen, schöne und weniger schöne, auch die Vergesslichkeiten, die Neugier, die Unsicherheit, die guten Vorsätze, ja sogar leicht abgegebene Versprechen, die nie eingehalten wurden.

Es sind nicht einfach gute und weniger gute Flaschen, es sind Momente meines Weinlebens: Träume, Hoffnungen, Ärger, Enttäuschungen.

Ab und zu muss ich sie besuchen. Hinuntersteigen zu den Zeugen vergangener Emotionen.

Ich ziehe eine Flasche aus der Röhre, lese die Etikette und krame in den Erinnerungen. Einiges ist verschüttet, abgetaucht und will nicht wiederkehren. Anderes ist präsent, als wäre es gestern gewesen.

Erinnerung an die erste Stelle meiner Tochter: ein Beaujolais
Da ergreife ich zuerst einen Beaujolais, Village AOC, 1997. Was, ich habe einen Beaujolais im Keller? Die Etikette verrät: „Festwein - Höhere Schule für Frauen”. Natürlich! Den hat mir meine Tochter gebracht, von ihrer ersten Stelle als Gymnasiallehrerin. Ein einfacher Wein, wie er auf fast jedem Fest ausgeschenkt wird. Nur die Etikette ist etwas besonderes, da denke ich an die Sorgen und Freuden, die eine erwachsen gewordene Tochter bereiten kann.

Der zweite Griff: „Pur Pur” von Peter Jakob Kühn, 2001, Rheingau, trocken. Vor mir taucht die Erinnerung auf, an unsere erste Reise in deutsche Weingebiete mit lieben Weinfreunden aus dem Forum. Es ging in den Rheingau. Und schon bald war ich froh, für einmal keinen Riesling, sondern einen Roten zu entdecken. Ich habe ihn mitgenommen, wollte ihn zuhause nachverkosten. Vergessen. Nicht aber der Besuch beim Winzer. Flaschenverschluss war das zentrale Thema. In einer Woche starten wir schon zu unserer vierten, jährlichen kleinen Reise, diesmal an die Mosel.

Künstleretikette: wer ist John Clean
Die nächste Entdeckung: ein Brunello di Motaleino, Poggio Antico, 1989, mit einer Künstlerettikete von John Clean, 1995, handsigniert, die 31. von 90 Flaschen. Zum Teufel, wer ist „John Clean”? Eine Bildungslücke? Da kann mir meine Frau helfen. Ein Geschenk, das zu Neujahr verteilt wurde: Sie hat es mitgebracht. Immerhin, der Poggio Antico von Paola Gloder soll Potential zur Lagerung haben, also wohl noch trinkbar sein.

Dann, das schlechte Gewissen! Von einer Reise an den Rhein haben wir in Worms zwei Flaschen „Nibelungen-Trank” gekauft, für unsere beiden Opernfreunde, die sich so gern und oft mit Richard Wagner in vergangene Zeiten begeben. Winter’s Rotwein, halbtrocken, Erzeugerabfüllung. Schrecklich, denke ich und schaue mir die Etikette an: der grimme Hagen und die Rheintöchter. Dies versöhnt mich. Die beiden Freunde hätten wohl Freude, weniger am Wein, als an dem Bildschmuck. Peinlich, die beiden Flaschen sind hier geblieben. Das vermeintliche „Mitbringsel” hat seinen Zweck (noch) nicht erfüllt.

Ein Rotwein aus dem Rheingau
Der nächste Griff zu einer Flasche ist weit genussvoller: Finca Dofi, 1994, der Vorzeigewein aus dem Priorat. Ich erinnere mich: ein Besuch im Zürcher-Weinschiff, der spätherbstlichen Weinfolklore. Vor Jahren habe ich hier zum ersten Mal Alvaro Palacies Weine degustiert. Dies hat offenbar unseren Appetit so angeregt, dass es uns in die „Metzg” zog, in ein gemütliches kleines Quartierrestaurant im Seefeld, das längst auf Spanien ausgerichtet ist; wo die Wirtin noch jeden Gast freundlich willkommen heißt und ihr spanischer Mann hervorragend kocht. Da gibt es zum Beispiel ein ganz dünnes, köstliches Steak, an einer noch köstlicheren Senfsauce und - spanischen Wein. Es war die erste Flasche Dofi, die ich mir leistete. Später, an einer Auktion, erstand ich dann ein paar Flaschen, und dies, was ich jetzt in den Händen halte, ist wohl die letzte.

Soll ich noch einen letzten Griff wagen? Pio Rocca von Adriano Kaufmann, 2002. Vor mir taucht ein wunderschöner Herbstabend auf, in einer der hintersten, verlorensten Ecken des Malcantone im Tessin. Dort, wo ich ohne die Wein-Pioniere Stucky, Zündl, Kaufmann, Huber, Klausener wohl nie im Leben hingekommen wäre. Am rustikalen Steintisch, vor einem einfachen Landhaus, im kleinen Weiler Beride, an der „grünen Strasse”, die nach Ronco führt, sitzen wir zusammen mit dem Winzer. Er nimmt sich Zeit, plaudert mit uns, über sein Leben als Weinbauer, seine Weine und seine Träume, und - was eher selten ist - er hört auch uns zu. Ein wunderschöner, verträumter Spätsommerabend, ein oder zwei Jahre ist es her.
Fünf Flaschen erzählen fünf Geschichten

Einen weiteren Griff unterlasse ich. Im „Sammelsurium” stecken an die 300 Flaschen. Diese können wir hüten oder leeren, „überlagern”, oder verächtlich beiseite schieben. Nicht aber die Geschichten, die zusammen mit den Flaschen hier gelagert sind. Es sind meine Geschichten, und ich wette, auch Eure Weine können erzählen, wenn Ihr Zeit habt zuzuhören.
 
Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

10.10.2006


Nicht die „Caine”, nein, der „Morgon” war mein Schicksal


Nicht ganz geheime Gedanken eines Preisträgers im Augenblick der Ehrung


Und noch ein zweites Mal: nein! Mit Humphrey Bogart verbindet mich nichts, außer einer großen Bewunderung für seine schauspielerische Leistung. Auch sein Gegenspieler, José Ferrer, kann mir in diesem Augenblick nicht helfen. Im Glas und unter der Nase habe ich einen „Morgon”, einen Rotwein aus dem Beaujolais. Ich bin eingetaucht in eine (Wein-)Welt, die nicht die meine ist. Jürgen hat mir drei Morgon mitgebracht, zum Verkosten, zum Vergleichen, zum Besprechen. Dazwischen platzen zwei charmante Damen. Zuerst Barbara, mit einem beachtlichen Chianti. Auch nicht meine Weinwelt, aber gut, sehr gut.

Bordeaux-Seminar am Nachmittag. Noch ganz ohne "Weinnase", aber mit kniffligen Fragen

Dann setzt sich Kerstin zu uns, mit einem „Gressier Grand Poujeaux”. Dies ist nun Bordeaux, genauer „Moulis”, doch ich kenne den Wein nicht, weder den Jahrgang, noch das Châteaux - da bin ich erwischt worden! Hat der Wein zu wenig Renommee, kein Mythos?

Es darf auch gelacht werden!
Sam, der inzwischen Jürgens Platz eingenommen hat, findet den Chianti noch besser als ich, einfach, aber großartig. Ich nutze die Gelegenheit, um von Sam mehr über Unstrut/Saale zu erfahren. Da aber geht ein Raunen, ein Gelächter durch den Saal. Der Staatspräsident der „sozialistisch-demokratischen Republik Molwanien” ergreift das Wort.

Molwanien? „Szlengro... (was soviel wie „Willkommen!” heißt) im Land des schadhaften Lächelns.” „Wo”, laut Reiseführer, „der größte Produzent von Roter Beete und die Ursprungsregion des Keuchhustens zu finden ist”. Gibt es da etwa auch Wein?

Diese ungewöhnlich fulminante Rede des Staatsvorsitzenden - politisch oft inkorrekt - kann nur von Dominik stammen. Witz und Esprit hindern mich, es José Ferrer gleichzutun und das Glas, inzwischen mit Molwanischem Tittinger - also einem Riesling - gefüllt, nach dem Anstoßen in eines der Gesichter zu schleudern, die mich in diesem Augeblick umgeben, aufgestanden sind und klatschen!

Peter, schwer umlagert von Menschen und Weinen und kaum zu überzeugen

Da bin ich im Gebiet des Beaujolais, werde vom Chianti nach Italien umgelenkt, besuche mit dem Poujeaux den Südwesten Frankreichs, und schon soll ich mit etwas, das nach deutschem Riesling schmeckt, auf die Ehrenbürgschaft der „sozialistisch-demokratischen Republik Molwanien” anstoßen.

Himmel, wo ist denn meine (Wein-)Heimat?

Aber halt, dieser Ehrenbürger bin ja soeben ich geworden. Himmel, jetzt gilt es Fassung zu bewahren: ich rufe (im geheimen) Bogart zu Hilfe, oder dann eben Ferrer. Es hilft alles nichts! Man zeigt mir die Weinnase.

Ich rechne rasch nach: Wie viel habe ich schon getrunken? Nein, ich bin nicht betrunken, nicht in einen Weinrausch verfallen. Die Nase gilt mir! Zwei Gläser in der Hand, im einen Beaujolais, im andern Riesling, so ergreife ich das Mikrofon. Keine geschliffene Rede, nicht vorbereitet, sondern überrascht, gerührt, dankbar.... was soll ich sagen?

Weinnase, "visionärer Erschaffer unserer zukünftigen nationalen Weinautobahn"
Ganz einfach, die Geschichte der beiden Weine „erzählen”, die ich gerade in der Hand halte.

Zuerst die Riesling-Geschichte. Durch Wein-Plus lernte ich Natz und Max-Georg kennen. Zwei ausgeprägte Rieslingfans: Riesling trocken! Seit vier Jahren versuchen mir die beiden den besten Wein Deutschlands näher zu bringen. Dazu reisten wir gemeinsam schon das vierte Mal in ein deutsches Weingebiet: Drei, vier wunderschöne Tage (diesmal soeben an Saar/Ruwer/Mosel), in wunderschöner Freundschaft, das hat mir der einst schnöde abgelehnte Riesling gebracht. Riesling trocken! Ich sage es (noch) nicht offen, aber ich habe ihn sogar gern!

Und die andere Geschichte: Beaujolais, für mich der „Un-Wein” meines (Wein-)Lebens. Es sind kaum zwei Wochen her, da hat mich Dierk angeregt, einmal über dieses Weingebiet nachzudenken, das bis heute verschlossen ist: „Ja, was weiß ich darüber”, frage ich mich in einem Forumsbeitrag schon fast verzweifelt. Ich schlage in der Literatur nach, recherchiere bei „meinen” Weinhändlern, mit mäßigem Erfolg! Dann kommt Jürgen zu Hilfe. Er verspricht, einen Morgon zum „großen Treffen” mitzunehmen. Es wurden daraus sogar drei!

Und einer davon ist in meinem Glas. Noch immer kann ich mich nicht ganz an die Gamay-Frucht gewöhnen, doch..... Dies ist eben eine Geschichte, die weiter gehen wird.

Dominik, als Staatspräsident der sozialistisch-demokratischen Republik Molwanien

Schlagartig ist mir bewusst: Der Weinnasenpreis ist ein Preis für das „Geschichten erzählen!” Weingeschichten. Christian Segers, auch „Weinnase” genannt und Stifter des Preises, ist vor allem ein „Geschichten-Erzähler”. „Architekt der prachtvollsten molwanischen Luftschlösser”, steht in der soeben verliehenen Urkunde. Das stimmt. Doch Luftschlösser sind mitunter wirklicher, solider, beständiger als jene aus Stein und Mörtel, ja sogar als jene aus Beton. Sie können in ihrer Grund-Botschaft sogar viel „wahrer” sein, als alle belegbaren und messbaren Faktenreihen, auch wenn es um Weine geht.

Preisträger sind immer auch Botschafter. Botschafter wofür? Mit der Schönheit ist es längst vorbei, da kann ich nicht mehr aufs Podest steigen. Mit dem Wissen, na ja, da hört es oft kurz hinter Bordeaux auf. Vielleicht aber Botschafter der Weingeschichten, Botschafter für Menschen, die hinter dem Wein stehen, die ihn machen, verkaufen, erdulden, genießen, benoten....

Der Weinnase-Orden und Zeichen der soeben erhaltenen Ehrenbürgerschaft

Da kommt mir „der einzige Master of Wine der Schweiz” in den Sinn. Sein exklusiver Titel wird ständig vermarktet, er steht „über dem Menschen”, der dahinter zu stehen hat. Der Titel ist zu seinem wichtigsten „Verkaufsargument” verkommen. Ich kann es nicht mehr hören, andern geht es wohl genau so. Nun aber bin ich „der einzige Weinnasen-Preisträger der Schweiz”. Keine Angst, ich werde den Titel nicht vermarkten. Ich habe nichts zu verkaufen, es seien denn: meine Geschichten des Weins und die Geschichten der Menschen, die mit ihm umgehen.


Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Weinnasenpreisträger)


Peter Züllig

27.10.2006


Schweizer Pinot nannte man früher abfällig "Beerliwein"


Heute lässt er sich durchaus mit den besten der Welt messen


Heute habe ich keinen Bordeaux, sondern ein einheimisches Gewächs aus dem Keller geholt: einen Jeninser Blauburgunder aus dem Tscharnergut. Und dies hat seinen guten Grund. Heute - wo ich diese Kolumne schreibe - bin ich bereits drei Tage lang im Rebberg bei der Traubenlese dabei gewesen. Es schmerzt der Rücken, es brennen die Hände, die Rebschere hat ihre Spuren hinterlassen.

Weinberg in der „Bündner Herrschaft" und zwar im „Heididorf"

Trotzdem, es kommt ein Glücksgefühl auf, nämlich das einzubringen, was schon in ein, zwei Jahren höchsten Genuss bereiten kann: einen der besten Pinot Noir der Schweiz, aus einem Rebgebiet in Nordbünden, wo wir auch auf die Reben von Gantenbein, Marugg, Fromm, Grünenfelder stoßen.

Die Bündner Herrschaft ist ein ganz spezielles Weingebiet: es liegt über dem noch ganz jungen Rhein und wird begünstigt von einem warmen Bergwind, dem Föhn.

Empfang im Weinberg durch „Bacchus"...

Im Herbst, wenn das Mittelland in einem fast undurchdringlichen Nebelmeer versinkt, scheint in den vier Weindörfern Fläsch, Maienfeld, Jenins und Malans sehr oft die Sonne, sie „kocht" die Trauben, die im höchstgelegenen der vier Orte - in Jenins (635 Meter über Meer) - meist zuletzt geerntet werden. Hier in der Bündner Herrschaft wachsen auf rund 260 Hektaren gut 90 Prozent Blauburgunder-Reben oder eben - wie wir lieber sagen - Pinot Noir.

...... und den Winzer Gian Batista von Tscharner
Es ist ein verhältnismäßig kompaktes Rebgebiet, nicht sehr steil, daher gut zu bewirtschaften. Dabei sind die Böden der vier Gemeinden recht unterschiedlich: In Maienfeld (dem „Heididorf") besteht er vor allem aus phosphorreichem Mergel, in Fläsch ist der Boden eher lehmig, in Jenins und Malans sind es magerer Kalk und Schiefer. Dadurch entstehen - für den Kenner erfassbar - durch die Lagen deutliche Unterschiede bei den Weinen, zumindest so lange sie später nicht allzu „überholzt" werden. Auf der Etikette der Roten steht deshalb in der Regel auch das Herkunftsdorf.

Typisch für die Schweiz sind die vielen kleinen Rebbergbesitzer, die weit weniger als ein Hektar bebauen. Neben dem Hauptberuf pflegen im Kanton Graubünden (Gesamtrebbestand: ca. 420 Hektaren) immerhin 250 Winzer ihre Kleinstweinberge, während 40 vollberufliche Winzer je zwischen 3 und 10 Hektaren bewirtschaften.

Doch davon möchte ich jetzt nicht weiter erzählen, sondern vom „Wimmle" in der Herrschaft, wie es Weinfreunde und -geniesser erleben können.

Weiße Rebsorten sind hier die Ausnahme, es sind nur 10 Prozent
Vor drei Tagen hat der Winzer mit der Lese begonnen und uns - wie immer - recht kurzfristig „aufgeboten" . Als erster empfängt uns „Bacchus", der kleine, aufmerksame und meist auch ordentlich laute Dackel des Winzers, dann ist er es selber, mitunter auch sehr laut, bestimmt, herzlich: eben wie ein seiner Sache ganz sicherer Feldherr. Allein schon seine Gestalt und seine bestimmten Anweisungen schaffen Voraussetzungen, unter denen man exakt, „pingeliggenau", mit den nötigen Instruktionen versehen, mit Kiste und Schere bewaffnet durch die langen Reb-Reihen zieht.

Es ist eine wunderschöne Arbeit, die reifen, vollen, süßen Trauben in den Händen zu halten. In den Händen, die rasch klebrig werden, denn die unreifen Beeren und die Faulen und die Zurückgebliebenen müssen entfernt werden. Das sieht oft aus, als ob man Fische ausnehmen würde, nur die Farbe und der süßliche Duft erinnern immer daran, dass es hier um Trauben geht.

Blauburgunder im Bündnerdorf Jenins, am Fuße der Berge
Es ist auch nicht immer ganz einfach, das Winzerlatein zu erfassen, geschweige denn zu verstehen. Letztes Jahr waren es die stiellahmen Dolden, die uns Mühe bereiteten, diesmal sind es die „Sekundärtriebe". Ich bin schon gespannt, was es das nächste Jahr sein wird.

Höhepunkt eines jeden „Wimmle-Tages" ist das Essen im Freien unter den stolzen Bündner- und St.Galler-Bergen. Nach vier anstrengenden Stunden winkt der Aperitif: Natürlich ein Weißer aus dem Tscharner-Gut. Ja, es werden hier auch Weissweine angebaut. Dieses Jahr beginnt die Lese sogar mit Chardonnay und Pinot blanc, unten im Heididorf Maienfeld. Erst dann geht’s hinauf nach Jenins, wo hauptsächlich der Blauburgunder wächst.

„Déjeuner sur l’herbe". Warten auf das wohlverdiente Mittagessen

Aus einer erstklassigen Küche wird jeden Tag ein Eintopf angeliefert: Nie schmeckt mir ein Essen und ein Wein so gut wie hier oben im Bündnerland, mitten in den Reben.

Eigentlich müsste jeder begeisterte Weintrinker ein paar Wochen im Rebberg arbeiten, bei der Lese dabei sein... Erst dann, darf er über ein Gewächs urteilen und seine Kommentare abgeben. Arbeiten in einem Winzer-Betrieb, wie es die meisten in der Schweiz sind: familiär. Wo nicht Arbeiter aus Polen oder Rumänien zur Lese eingeschleust werden, sondern der Winzer mit seiner Familie, seinen Freunden, Bekannten, mit Rentnern, Hausfrauen, Feriengästen, Weinfreunden, Festangestellten selber Hand anlegt, ohne das Feld auch nur einmal zu verlassen und dauernd die Arbeit der kleinen, freiwilligen Kompanie zu überprüfen und  zu dirigieren. Es sind in der Regel immerhin etwa dreißig Personen.

Walter Bernina, jedes Jahr bei der Weinlese mit dabei, mit 87 Jahren aber auch noch auf den höchsten Gipfeln, signiert hier sein Berg-Buch

So sieht die Weinernte eben aus, in einem typischen, guten schweizerischen Winzerbetrieb!

Jetzt - wo beim Schreiben die Müdigkeit nach der Tagesarbeit langsam hochkriecht - da brauche ich einen guten Schluck Pinot Noir, Jeninser. Er ist doppelt und dreimal so gut, wie an jedem andern Tag, vor allem gibt er Kraft, dem in den nächsten sechs bis zehn Tagen mit dem gleichen Hochgefühl zu begegnen.

Prost, herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

07.11.2006


Mosel - Saar - Ruwer


Es sind Menschen, die den Wein machen


Was macht ein Schweizer, der mit zwei deutschen Weinfreunden an die Saar fährt? Er besucht einige Spitzenwinzer. Warum eigentlich? Ihre Weine sind im Handel erhältlich, die Preise ab Hof auch nicht verlockend günstiger. Was zieht also den Weinfreund zu den Produzenten? Am Verkosten der Weine allein kann es nicht liegen.

Für mich ist es die Heimat des Weins: Landschaft, Boden, Menschen in ihrem Alltag, ihrer Tradition, mit ihren Ansichten und Erfahrungen. Es ist das Leben, dort wo der Wein wächst.

Berühmter Ausblick auf die Mosel

Deshalb erzähle ich nicht von den Weinen, denen ich begegnet bin, sondern von den Persönlichkeiten, den Winzern und ihrer Art, uns unbekannten, selbsternannten Weinliebhabern zu begegnen, zwar kurzfristig angemeldet, doch eher zufällig auf den Hof gekommen, um - wenn alles gut geht - ein paar wenige Flaschen oder Kartons zu kaufen.

Sechs unterschiedliche Hofvisiten sind Anlass, um etwas zu beleuchten, was ich so gerne als „Menschen hinter dem Wein” bezeichne, und was mich in allen Weingegenden immer wieder auf viele Weingüter lockt.

Doch fangen wir an! Der Name des Hofs oder des Winzers ist hier Nebensache: es geht um den Typus von Winzer, um die persönliche Begegnung mit verschiedenen Weinwelten.

Weinberg an der Ruwer

Da ist der Typus „Bauer und Jäger”, wie man sich eben einen rauen, mit der Natur verbundenen, sicher aber auch schlauen „Bauern” vorstellt: etwas laut, nicht gerade gepflegt, sehr zielstrebig, der seinen Besitz - sei er nun materiell oder geistig - lautstark verteidigt. Er poltert gegen vieles, fast alles: Vorschriften, Politik, Uneinsichtigkeiten, unvernünftige Menschen.... Doch er meint es nicht so ernst, wie es daher kommt. Mit seinen Weinen geht er liebevoll um. Auf jede Frage folgt ein Redeschwall, er erzählt und erzählt. Für die Zuhörenden scheint er sich wenig zu interessieren. Er ist überzeugt, seine Weine sind die besten.

Ganz anders auf dem zweiten „Hof”. Er ist nicht allein Weingut, sondern auch Hotel und Restaurant: Hier essen wir, und bitten nachher um eine kleine Verkostung. An diesem Mittag sind kaum Leute im Lokal. Der Winzer kommt zwar rasch vorbei, sagt ein paar unverbindliche Worte, dann aber ist er weg - beschäftigt. Den Wein schenkt die nette Kellnerin ein. Später stellt uns die Winzerfrau die gekauften Kartons bereit, ein Gespräch kommt auch nicht zustande. Anonymer Geschäftsalltag!

Ähnliches erleben wir auf dem nächsten Weingut: Restaurant und Hotel. Der Patron taucht gar nicht erst auf. Die Bitte - nach reichlicher Konsumation - wird zwar erfüllt, routiniert, unpersönlich, fast schon widerwillig... Es sind keine Gäste mehr da, nur noch die Kellnerin (oder Chef de Service). Wir möchten ein paar Kartons kaufen und am andern Tag abholen. Bezahlen geht nicht, das Büro geschlossen... Wir lassen es sein!

Feierlich, vornehmer Degustationsraum auf einem Weingut an der Saar
Dann Besuch bei einem der großen Weingüter mit klingendem Namen. Nicht der Besitzer, der Kellermeister empfängt uns in einem eindrucksvollen Degustationsraum. Es ist eher eine vornehme, große Stube mit antiken Möbeln, alten Landkarten an der Wand, umgeben von leeren Flaschen der besten Weine der Welt... Wir warten, haben dafür Verständnis, denn die Lese wird in wenigen Tagen beginnen. Wir sind lange allein im Saal. Ab und zu taucht der Kellermeister auf, stellt zwei Flaschen hin.... ist nett, höflich... verschwindet aber sofort wieder. Wir warten. Dann der nächste Anlauf: zwei drei Sätze Das Telefon klingelt: er ist wieder weg... wir warten. So geht das munter weiter, bis wir eine Bestellung aufgeben, die Weine erhalten und zum nächsten „Hof” ziehen. Der Kellermeister entschuldigt sich zwar, schenkt uns zum Trost eine Flasche... Danke!

Beim nächsten Winzer war ich vor Jahren schon. Damals an einem Sonntagmorgen! Ich erinnere mich: persönlicher, herzlicher Empfang, interessante Gespräche. Doch diesmal, zwar noch derselbe Winzer, der gleiche Ort, aber viel geschliffener, professioneller. Es herrscht zwar noch die gleiche Höflichkeit, das gleiche Engagement. Doch Routine, Leerformeln, schon tausendmal wiederholt. Verkaufsroutine, das Interesse wirkt gespielt, die Diskussionen zwar heftig, aber flach, zu oft geführt. Da hat sich ein Weinenthusiast zum Weinprofi gemausert, der weiß, wie er sich zu geben hat...

Auf einem Weingut, wo nicht nur Wein wächst

Und nun zum Typ: herzlicher Sonderling. Hier sind wir nicht angemeldet, „trampeln” also einfach rein. Der Winzer ist noch in den Arbeitskleidern, er muss sich noch umziehen, um zum nächsten Anlass zu hetzen... Doch er hat Zeit für uns. Er richtet es so ein, dass wir - wie zufällig - durch Hof und Weinkeller gehen, um den kleinen Degustationsraum zu betreten. Er erzählt von seinem Wein: frei, schon fast spitzbübisch, wortschwallartig, aber interessant. Man hat den Eindruck es sei alles ganz persönlich, zwar etwas gehetzt, trotzdem herzlich. Es ist eine kurze Begegnung - doch sie bleibt mir in Erinnerung. Hier wird Wein nicht nur verkauft, sondern auch erduldet und errungen.

Und schließlich noch der Typus des offenen, um beste Weinqualität bemühten, doch nicht nur auf seinen eigenen Wein bezogenen Winzer. Er nimmt sich Zeit, gibt zwar zu erkennen, dass die Lese begonnen hat. Doch Kontakte scheinen ihm wichtig zu sein, er vermittelt nicht den Eindruck, man habe ihn gestört. Er drängt uns keinen Augenschein auf, macht aber jede Einsicht in seinen Arbeitsort möglich... Er erkundigt sich nach unseren Vorlieben, unseren Erfahrungen. Ist sogar interessiert an Weinen anderer Gegenden. Weltoffen, gewandt, so mein Eindruck. Vielleicht spürt man, dass wir uns jetzt an der Mittelmosel befinden, mit den berühmten Lagen und den vielen Touristen.... Da braucht es keine Anbiederung, auch an Übung im Umgang mit „Weintouristen” fehlt es kaum. Ein Winzer, der weder die Geschäftigkeit eines Topmanagers noch die Kumpanei eines geschäftewitternden Verkäufers zeigt, sondern sachlich, korrekt, interessiert, verbindlich seine Weine präsentiert.

Überraschungsbesuch im Weinkeller

Sechs unterschiedliche Begegnungen, natürlich auch vom Zufall abhängig, ins Tagesgeschäft der Winzer eingebettet, Momentaufnahmen aus dem Alltag auf den Weingütern. Und doch: von welchem Weingut werde ich - unabhängig von der Weinqualität - meinen Freunden und Bekannten erzählen? Welchen Wein werde ich bestellen, wenn er im Restaurant auf der Karte ist? Wer wird mir in Erinnerung bleiben, wenn ich an Mosel-Saar-Ruwer denke?

Sind dies nicht Fragen, die stark ins Gewicht fallen, wenn wir Weine trinken und darüber reden? Es sind weitaus bessere Merkmale als alle noch so gekonnten Weinbeschreibungen und Bewertungen, denn im Wein begegnen wir immer auch Menschen. Und die interessieren nicht nur Weinfreaks, sondern alle, wo und wann sie auch immer Wein trinken.


Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

24.11.2006


Eine zurückgelassene Flasche Côte-Rôtie


Das Geschenk eines Weinfreunds und Kenners der Rhône-Weine


Die Flasche, von der ich heute erzähle, wurde nicht vergessen oder gar als minderwertig stehen gelassen. Sie ist vielmehr ein Geschenk, eine Geste des Danks für die Nutzung unserer kleinen Wohnung in Südfrankreich. Côte-Rôtie, 2004, Reserve du Domaine, Michael & Stéphane Ogier.

Kann man einem Weinfreund, der Bordeaux über alles liebt, überhaupt einen Côte-du-Rhône schenken? Man kann, wenn man weiß, welche Produzenten hier überdurchschnittliche Weine machen. Weine, die sich sogar mit dem Burgund oder gar dem Bordelais messen lassen.

Ausblick vom TGV. Im Hintergrund die Hügel der Côte-Rôtie

Auch Weine aus der nördlichsten Appellation des Rhône-Tals: aus der Côte-Rôtie, die am rechten Ufer des Flusses kurz nach Vienne beginnt, nur etwa 190 Hektaren Rebland umfasst und sich an den steilen Hängen hoch über der Rhône dahinzieht.

Ich kenne das Rhône-Tal aus früheren, stürmischen Jugendjahren, als noch keine Autobahn und kein TGV so resolut in den Süden strebten; als ich mich - wie viele andere Jugendliche - aufmachte, um spätestens in der Provence das „wahre Leben” zu suchen; als ich für Rebberge kaum einen Augenaufschlag riskierte und in der Regel „vin de table” trank, also weder Côte-Rôtie und schon gar nicht Bordeaux.

Den „zurückgelassenen” Wein stellen wir schon am zweiten Tag nach unserer Ankunft auf den Tisch. Da fragt Heide: „Wo liegt denn eigentlich diese Côte-Rôtie?” Ich stottere etwas unsicher: „Im Rhône-Tal, ich glaube im nördlicheren Teil, ich glaube....” Sicher bin ich überhaupt nicht. Google steht mir hier nicht zur Verfügung, und die Weinliteratur ist bei mir zuhause in der Schweiz. Ein alter „Hachette” und der „Kleine Johnson” stehen zwar auf dem Gestell, doch der Rest ist Literatur, auch Weinliteratur, aber ausschließlich über Languedoc-Roussillon.

Mit der Schnellbahn (TGV) in den Süden. Berühmte Weingebiete werden weiträumig umfahren

Das Öffnen der Flasche, plopp, hilft über die Verlegenheit hinweg: Im Glas überrascht mich eine noch purpurne, bläuliche, tiefe, fast schwarze Farbe. In der Nase: zuerst einmal rote Beeren, ein würziger Duft (Zimt, Lorbeer, Nelken) und dann gekochte Dörrpflaumen. Im Gaumen: zart, rund, doch auch strukturiert, und schließlich - eine ganze Veilchenlandschaft, bis zum sich lange dahinziehenden Abgang. Holz, ja das hat der Wein: aber ohne Aufsehen zu erregen, und um diskret den Veilchenduft in einen zarten Vanille-Ton aufgehen zu lassen.

Die übliche Redewendung: „typisch für die Gegend” steht mir hier nicht zur Verfügung, denn ich kenne die Côte-Rôtie-Weine so gut wie nicht. Und auch die Produzenten Michel und Stéphane Ogier können mir nicht aus der Patsche helfen: sie sind mir unbekannt. Langsam beginne ich mich über meine Wein-Gebiets-Ignoranz zu ärgern.

Côte-Rôtie: gibt es da nicht auch eine „Côte brune” und „blonde”? Den Unterschied kenne ich zwar nicht. Ist dieser Wein nun aus dem „brune” oder dem „blonde” Gebiet? Der alte Hachette verrät wenigstens eine damit verbundene Legende: Es soll das Andenken an einen gewissen Herrn Maugiron sein, den einstigen „seigneur” von Ampuis, der seine Ländereien seinen beiden Töchtern vermachte, der einen - der Blonden - den Teil „blonde”, der andern - der Braunhaarigen - eben den Teil „brune”. Ich liebe solche Geschichten, auch wenn sie wohl so kaum stimmen. Sie enthalten immer auch einen guten Teil der Traditionen, des Alltags und der Emotionen, die in den Weinen wieder zu finden sind.

Annäherung an die zurückgelassene Flasch

Aber, habe ich nicht soeben ein Sakrileg begangen und einen Wein viel zu früh geöffnet? Ein tieffarbener Côte-Rôtie, so melden meine Erinnerungsfetzen, soll gut und lange lagerbar sein, ja geradezu Flaschenreife brauchen. So wie der Wein sich jetzt präsentiert - fruchtig, würzig, verführerisch - lässt er sich gut trinken. Was aber daraus einmal werden könnte, das wird sich mir wohl nie erschließen.

Zurück nach Vienne. Steht dort nicht eine römische Pyramide, die für das Grab von Pontius Pilatus gehalten wurde? Aber das ist wieder so eine alte Geschichte...

Gibt es da, im alten, einst von den Römern besetzten Gebiet nicht noch viele steinerne Zeugen, die darauf hinweisen, dass in der Côte-Rôtie und im etwas südlicher gelegenen Condrieu die ältesten Weinberge Frankreichs liegen und heute noch fast unbekannte, kleine mittelalterlich anmutende Dörfer, abseits der großen Straße in den Süden?

Ein Wein, der in den letzten Jahren zum Geheimtipp wurde
Zurück zum Wein und zu den blassen Erinnerungen an das, was an Kenntnissen über das Rhônetal überlebt hat oder gar nie vorhanden war. Der Wein ist wohl aus Syrah gekeltert, aber so klassisch, rhônetalmäßig? Ist da nicht noch etwas drin, was ihn weicher, aber auch fruchtiger, eigenständiger, eleganter macht? Vielleicht etwas Viognier, das soll hier ja erlaubt sein! Ich weiß es nicht! Und gerade dieses Nichtwissen macht es so spannend: einen Wein zu genießen, über den man so viel wie nichts weiß, keine Parkerpunkte kennt und nur auf die eigene Nase, den eigenen Gaumen angewiesen ist. Zwar aufmerksam gemacht, von einem österreichischen Kenner des Rhônetals.

Wenn ich morgen mit dem TGV das Tal hinauf - mit 300 Stundenkilometern - brause, werde ich wohl spätestens nach Valence die Augen offen halten, denn auf den nächsten 100 Kilometern fahren wir durch den nördlichen Abschnitt der Côte du Rhône. Und ganz zuletzt - nach einer Viertelstunde - taucht wohl auf der linken Seite (rechts der Rhône) die Côte-Rôtie auf: für ein paar Augenblicke - keine 10 Kilometer lang, oder eben nur knapp 2 Minuten. Doch die Zeit genügt, um zu träumen: von einem mir noch verborgenen Rebgebiet, wo Weine entstehen, die man getrost jedem Weinfreund schenken kann. Oder eben: mit viel Charme auf dem Tisch stehen lässt.


Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)

NB
Diese Heimfahrt war aber - in bezug auf die Côte-Rôtie - eine riesige Enttäuschung. Während sich das alte Bahntrasse - bedrängt von der Rhône und den steilen Rebhängen - dicht an der Côte-Rôtie dahinzieht, liegt die neue TGV-Linie gut 14 Kilometer östlich der Rhôneschleife. Weder der Fluss noch die Rebberge sind zu erspähen. So rückt eben ein herrliches Weingebiet auch aus dem Bewusstsein der Südwärtsreisenden.


Peter Züllig

08.12.2006


An Festtagen knallen die Korken: Champagner


Edler Wein oder bloß Sprudelwasser?


Mein Weinfreund Max-Georg spricht immer von „Sprudelwasser”, wenn er Champagner meint. Damit hat er auch schon manches Missverständnis geschaffen. Ist Champagner wirklich „nur” ein teures „Sprudelwasser” oder eben doch Qualitätswein? Diese Frage beschäftigt mich schon lange.

      20 Millionen Flaschen Champagner in den Gewölben von Pommery

Also bin ich einer Einladung von Weinenthusiasten nach Reims gefolgt, mitten ins Herz der Champagne. Als Student der Kunstgeschichte war ich einst mehrmals in dieser Stadt. Doch damals habe ich weder die vielen Champagnerproduzenten mit klingendem Namen, noch die berühmten Reblagen der „Coteaux de la Montagne” wahrgenommen. Mein ganzes Augenmerk hat sich auf die Kultur gerichtet: auf die gotische Kathedrale „Notre-Dame” aus dem 12. Jahrhundert, auf das „Palais du Tau” mit dem sagenhaften Schatz vieler Jahrhunderte, auf die Basilika „Saint-Remi”, wo der Zwillingsbruder von Romulus (Gründer von Rom) begraben ist, oder auf die Bauten des einstigen Klosters „Saint-Remi” aus dem 17. und 18. Jahrhundert, wo jetzt historische Zeugnisse von vorgeschichtlicher Zeit bis hin zum zweiten Weltkrieg präsentiert werden.

Heute, vierzig Jahre später, sehe ich von all dem nichts. Die Zeit reicht nicht einmal für einen flüchtigen Blick in die weltberühmte Kathedrale. Doch auch die Rebberge, wo die Trauben für den Champagner wachsen, bleiben mir verborgen: Nebel, Nebel, Nebel...

116 Stufen zum 18 km umfassenden unterirdischen Keller
Dafür besuche ich drei berühmte Champagner-Häuser, um mich dem Geheimnis des Champagners doch etwas zu nähern. „Louis Roederer”, eines der wenigen großen Traditions-Unternehmen, das heute noch in Familienbesitz ist und nicht zu einem der Großkonzerne für Luxusgüter gehört, wie zum Beispiel „Pommery”, wo man über eine Treppe mit 116 Stufen in 30 Metern Tiefe 20 Millionen eingelagerte Flaschen erreicht und unterwegs durch die Katakomben einer unglaublichen Vielfalt von moderner und älterer Kunst begegnet. Nicht in Reims, in Aÿ ist die Domaine „Bollinger” zuhause, 1829 gegründet, wiederum einer der letzten weltberühmten Betriebe, die seit Jahrzehnten von der gleichen Familie geführt wird. Diese schon einmalige Tradition wird dokumentiert, indem uns der heutige Patron, Ghislain de Montgolfier, ein Ur-Ur-Enkel des Gründers, im Stil des engagierten Unternehmers persönlich begrüßt, ein Relikt aus der „Gründerzeit” an einem Ort, wo sonst möglichst geschliffene, meist aber beliebig austauschbare Manager stehen.

Zum ersten Mal habe ich den Eindruck, Champagner kann doch etwas mehr sein, als nur „Luxusgut” oder prickelndes „Sprudelwasser”, als Begleiter in hehren Augenblicken: Neujahr, Geburtstag, Hochzeit oder ganz einfach nur Pause eines Konzerts, einer Oper oder eines Theaters.

      Begrüßung von Ghislain de Montgolfier auf Schloss Bollinger

Noch immer bewege ich mich im Bereich der Cuvée ohne Jahrgang, von den Jahrgangs-Champagnern wage ich nicht zu sprechen. Allein schon der Preis verhindert eine etwas breitere Degustations-Erfahrung. Kostet doch ein „Bollinger” „Brut Grande Année 1999” stolze 85 Euro, ein „Brut RD 1996” fast das Doppelte, 140 Euro (Richtpreise). Pommery ist da etwas billiger, dafür weit weniger exklusiv: „Brut Cuvée Louise 1998” ist für 116 Euro zu haben, der Brut Crand Cru 1998 gar schon für 37 Euro. Und Roederer lässt sich preislich mit Bollinger vergleichen: Brut Cristal 1999, zum Beispiel, kostet 132 Euro....

Erst jetzt, wo ich im Weinführer die Richtpreise nachschlage, läuft es mir „kalt über den Rücken”. Dies erinnert mich an Bordeaux.

Zum Abschluss der Reims-Reise wird uns vor einem achtgängigen Menu ein „Cristal 1999” (Roederer) aus einer Jéroboam serviert. Prickelnd, frisch, edel, wunderschön auch in den Aromen, sich im Gaumen verändernd, entwickelnd. Ich habe es genossen! Habe ich aber diesen Tropfen wirklich so geachtet und genossen, wie einen Bordeaux aus der gleichen Preisklasse? Nein!

      Kunst im Keller von Pommery

Champagner bleibt für mich eine unbekannte Schönheit: Attraktiv, genussreich, edel und - bei einer etwas längeren Beschäftigung - durchaus so spannend nuanciert, wie ein großer Bordeaux.

Mit einem ersten, zaghaften Schritt habe ich mich aufgemacht, auf die Suche von guten Cuvées ohne Jahrgang. Umfassende Degustationen, wie sie meist vor den Festtagen in Weinzeitschriften auftauchen, waren mir dabei behilflich. Zu empfehlen: Henriot: Brut Souverain (26 €), in der „Revue du Vin de France” mit 17/20 Punkten benotet. Dann aber auch - trotz meiner Naivität bezüglich Champagner ausführlich getestet: Louis Roederer: Brut Premier, sehr frisch, mit viel Finesse und vor allem schöner Länge. Und Moët et Chandon „Brut impérial”, aus dem weltweit wohl berühmtesten Haus der Champagner: eigenwillig im Charakter, nichts von „Sprudelwasser”, vielmehr elegant, im Abgang mit schon fast salzigen Noten... All diese Weine kosten um 30 Euro.

      Zur Degustation bereit

Doch was schreibe ich da, was zitiere ich - Amateur - aus meinen spontanen Notizen? Hochstapelei oder ein Versuch, aus „Sprudelwasser” einen differenzierten, französischen Spitzenwein werden zu lassen, der genau so nuanciert zu genießen und beschreiben ist, wie ein großer Bordeaux? Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Ich werde üben, üben, üben..... Da sind mir die kommenden Festtage sehr willkommen. Prost!
 
Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)
 
NB. Ich habe in Reims auch einen Bollinger „R.D” (récemment dégorgé) 1996 getrunken. Aber da hat es mir die Sprache verschlagen!


Peter Züllig

21.12.2006


Braucht der Weingenießer jeden Tag einen guten Tropfen?


Vier Wochen ohne Wein


Achtung Spital. Im Straßenverkehr werden Gefahren markiert. "Vorsicht, Kranke brauchen Verständnis und Ruhe"
Immer wieder habe ich mir in meinen Phantasien vorgestellt, wie es ist, wenn ich eines Tages über längere Zeit - Wochen, vielleicht sogar Monate - keinen Wein trinken kann, darf. Kein Problem, sag ich mir, denn süchtig bin ich ja nicht! Wirklich nicht?

So ganz sicher fühle ich mich trotzdem nicht, denn im Alltag gibt es abends täglich Wein (etwa zwei große Gläser). Mit andern Worten: wir leeren zu zweit täglich eine Flasche. Dazu kommen die Veranstaltungen, Degustationen, Winzerbesuche, Einladungen und, und, und....

Damit berühre ich wohl einen Bereich im Leben von Weingenießern, der auch heute noch weitgehend tabuisiert wird. Nämlich die abgewandelte Gretchenfrage: Wie hast Du es mit dem Alkohol? Natürlich gut, immer unter Kontrolle, ab und zu etwas viel.... aber: kein Problem.

Die geliebte Weinwelt rückte prlötzlich weit weg, wurde bedeutungslos, marginal
So oder ähnlich denken wir wohl alle, die einen Teil ihrer Liebe dem Wein geschenkt haben. Die auf der Alkoholwerbung in Frankreich verlangte Warnung erweckt in uns nur ein müdes Lächeln: „L’Abus d’Alcool est dangereux pour la santé à consommer avec moderation” (Der Missbrauch von Alkohol gefährdet die Gesundheit und ist deshalb mit Bedacht zu konsumieren). Diesen Bedacht oder diese Vernunft besitzen wir selbstverständlich, daran zu zweifeln ist gar nicht möglich.

Allfällige Zweifel werden rasch in guten Argumenten erstickt. Periodisch tauchen in Zeitungen und Zeitschriften „wissenschaftliche” Berichte auf, nach denen Wein der Gesundheit nur förderlich sein kann. „Rote Weine für ein langes Leben”, so oder ähnlich lauten die Schlagzeilen - beruhigt ungemein. Offensichtlich sind solche Meldungen dem Weintrinker ein Bedürfnis, denn sie sind genau so häufig wie undifferenziert.

Rehabilitation: Ort zum Nachdenken, zum Bilanz ziehen und Kräfte sammeln

„Moderater Rotweinkonsum soll vor Herzleiden schützen,” heißt es diesmal, und es sind britische Forscher (wer, wo, wann - dies bleibt unbekannt), die „im Wein eine Stoffgruppe identifiziert haben soll, welche helfen könnte (Konjunktiv!), die Synthese jenes Proteins zu unterdrücken, welche für die Verengung der Herzgefäße verantwortlich ist.”

Mein erster Schluck nach vier Wochen
Offensichtlich werden solche Meldungen gebraucht, um all die verborgenen „schlechten Gewissen” von Weintrinkern zu beruhigen und ihre Phantasien den stillen Ängsten zu entreißen.

Nein, ich bin nicht zu den Abstinenten „konvertiert”, doch ich begegnete soeben der Weinenthaltsamkeit auf fast brutale Art.

Ich musste mich einer Operation unterziehen, die allerdings mit dem Weinkonsum nichts zu tun hat. Doch in diesem Zusammenhang kamen die „Leberwerte” auf den Tisch, respektive ins medizinische Bulletin. Sie stimmten mich nachdenklich, auch wenn die Herren und Damen Ärzte viele Gründe für den (zu) hohen Wert ausmachten: Cholesterin, Antibiotika, Essgewohnheiten - aber auch Alkohol.

Und plötzlich ist mir da die Lust an einem „guten Tropfen” abhanden gekommen. Doch der Arzt, unentwegt positiv, wollte meine Lebensgeister nach der Operation anregen. Zum ersten Mal in meinem Leben hat mir ein Chefarzt ein Glas Roten ärztlich verordnet. Obwohl es ein Bordeaux war, von meiner Frau ins Spital gebracht, wollte mir der sonst so geschätzte „Prieuré Lychine”, überhaupt nicht schmecken. Ich ließ das halbe Glas stehen. Und dies sollte für vier Wochen der letzte Schluck gewesen sein.

Da lach ich wieder und freue mich auf einen guten Tropfen

Mein Gesundheitszustand verschlechterte sich, ich musste mehrere Eingriffe über mich ergehen lassen, überstehen. Meine gehegte und gepflegte Weinwelt rückte weit weg, wurde bedeutungslos.

Nur in den vom Morphium evozierten ungeordneten Phantasien tauchten immer wieder Weinszenen auf. Nicht Trinkszenen - nein, Weinwissen, wie Typizität, Jahrgang, Terroir-Eigenheiten, Appellationen, Weinkellerordnungen.... Trinken wollte und konnte ich aber keinen Wein; ich war vielmehr glücklich, mit ein paar Schluck Tee. Habe ich mich damit endgültig aus der Weinszene verabschiedet?

Der Eintretende sei gegrüßt! Der Austretende kehrt zurück in den Alltag
Jetzt, gut vier Wochen später, bin ich in einer Klinik zur Erholung. Zum ersten Mal wieder in einer Umgebung, in der zum Essen Wein getrunken wird. Die ersten paar Tage habe ich fast mitleidig auf die gefüllten Gläser geschaut. Wie kann man nur Wein trinken? Dann aber bemerkte ich, wie ich verstohlen auf die Weinkarte schielte, bis ich dann mutig meinen ersten Wein nach einem Monat bestellte.

Die Spannung war groß: kann ich einfach so - mir nichts, dir nichts - zurückkehren in den Alltag? Wie schmeckt der erste Schluck? Ich habe zuerst einen einfachen, aber guten Schweizer Wein bestellt, den ich kenne und bisher geschätzt habe. Das Erlebnis: eine intensive Wahrnehmung, viel intensiver, als alles, was ich in Bezug auf Wein bisher erlebt habe. Die Holznoten waren unheimlich dominant, fast bitter, das Aromenspektrum kaum auszuloten. Immer wieder steckte ich die Nase ins Glas und nippte an dem Wein... Zuerst war es bloß ein halbes Glas, dann allmählich ein ganzes, schließlich waren es fast zwei kleine Gläser....

Als nächstes bestellte ich einen Bordeaux: „Le Boscq”, 1998. Da wähnte ich mich erstmals im Leben zurück. Diese Vielfalt, diese Einmaligkeit, diese Tiefe in der Nase, dieses sich entwickelnde Gefühl im Gaumen, dieser unendlich lange Abgang - stundenlang.

Das Spitalzeichen ist weggeräumt, das Lebenszeichen aufgetischt
So wurde ich durch eine Zwangsabstinenz gezwungen, Wein anders zu erleben. Nicht so oberflächlich, wie bisher, wo Weingenuss schon fast zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Wie lange wird dieses Gefühl, dieses Erleben dauern?

Ich weiß es nicht!

Ich ahne nur, dass ich viel nachdenklicher, viel genussbewusster geworden bin, dass ich nicht so ohne weiteres in das Früher zurückkehren werde. Nicht weil ich Angst habe vor allzu drastischen Leberwerten, sondern weil ich jetzt weiß, dass ich ohne Wein durchaus leben kann; dass meine Suchtphantasien eben nur Phantasien sind und mir letztlich das Leben wichtiger ist, als alle guten Weine dieser Welt.
 
Dass es aber auch ein Leben mit Wein gibt, stimmt mich glücklich und ich hoffe, dieses Glück hält an.

 
Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

02.01.2007


Deutsche Weine haben es schwer in der Schweiz


Doch der Riesling setzt sich langsam durch


 

Auch die Weinszene hat ihre Vorurteile und Klischees. So sind zum Beispiel alle Bordeaux sündhaft teuer, alle Kalifornier schmecken gleich, Österreich produziert nur „Grünen Veltliner”, in Deutschland sind die Weine immer süß.... Dies alles ist mit Sicherheit falsch, obwohl dabei immer auch ein Kern von Wahrheit verborgen ist.

 

Besuch bei Peter Jakob Kühn, Rheingau

 

Viele prestigeträchtige Bordeaux sind tatsächlich viel zu teuer, doch es gibt auch den guten einfachen erschwinglichen Bordeaux; viele Kalifornier sind Massenweine die sich tatsächlich kaum unterscheiden; in vielen Dorf-Wirtschaft der Ost-Schweiz wird nichts als „grüner Veltliner” angeboten; deutsche Weine sind - im Vergleich zu den Schweizerweinen - alles andere als wirklich trocken.

 

All diese Beispiele stammen aus dem Alltag, werden genährt aus den Erfahrung, vor allem beim Konsum in den Gaststätten. Es ist noch gar nicht lange her, da habe ich in deutschen Gasthöfen immer „den trockensten offenen Roten” bestellt und dabei immer einen - für meinen Gaumen - viel zu süßen Wein erhalten.

 

Der Weinkenner weiß natürlich, dass die Wirklichkeit anders aussieht, dass es in Deutschland durchaus viele Weine gibt, die trocken, ja in ihrer Art „Weltklasse” sind, allen voran der Riesling.

 

Berühmte deutsche Reblagen hoch über dem Rhein

 

Beim „Alltagsweintrinker” ist dieses Wissen aber noch längst nicht angekommen. Die kleine Schweiz (knapp 7,5 Millionen Einwohner) ist von vier großen Nationen umgeben, zwei davon haben in Bezug auf Wein weltweit viel zu bieten: Frankreich und Italien. Dorthin wendet sich der weintrinkende Schweizer zuerst, sicher nicht nach Norden (Deutschland) oder Osten (Österreich).

 

Der umfassende Wein-Einkaufsführer der Schweiz, „vinfox”, listet 350 führende Weinhändler in der Schweiz auf, mit einem Angebot von 132.400 Weinen von 8.200 Produzenten, auf 540 Seiten. Deutsche Weine nehmen gerade mal 6 Seiten davon in Anspruch (zum Vergleich: Frankreich 223, Italien 126, Spanien 28 Seiten).

 

Zwar bieten rund 50 Händler auch deutsche Weine an, meist aber nur ein paar wenige, von einem oder zwei Weingütern. Vor allem sind es „süße” Weine, nebst Riesling, stehen die Beeren- und Trockenbeerenauslese und der Eiswein im Mittelpunkt. Also Spezialitäten, die auch in der Schweiz längst anerkannt sind.

 

In der Schweiz kennt man vor allem Weine von der Mosel

 

Seit einigen Jahren gibt es aber ein paar größere Weinvertriebsfirmen, die systematisch auf deutsche Weine setzen. Zum Beispiel „Boucherville” in Zürich, „Riesling” in Bern, und vor allem „Gerstl” in der Ostschweiz (Bad Ragaz - heutiger Firmensitz Zürich). Die drei Weinhandlungen haben eine stattliche Auswahl an deutschen Weinen, und zwar nicht nur Weine mit viel Restsüße, sondern durchaus auch trockene Rieslinge. Stellvertretend zitiere ich Max Gerstl, den Mitbegründer des Weinfestivals in Bad Ragaz (alle zwei Jahre). Er hat schon vor ein paar Jahren seinen „Cave Bordelais” umbenannt in „Weinselektionen Gerstl” und damit nach außen dokumentiert, dass er fortan nicht mehr „nur” Bordeaux anzubieten hat: „Bisher konzentrierte ich mich vor allem auf restsüße Weine (aus Deutschland). Mittlerweil - und ich gebe es gerne zu - bin ich nach anfänglicher Skepsis mit den so genannt Großen Gewächsen in eine neue Dimension vorgestoßen....” Da ist natürlich besonders interessant, welche Weine der „Deutschlandpionier” unter den Schweizer Weinhändlern in sein Programm aufgenommen hat. Zuerst einmal 8 Namen: Robert Weil; Rheingau, Jakob Jung, Rheingau; Peter Jakob Kühn, Rheingau; Klaus Peter Keller, Rheinhessen; Wittmann, Reinhessen; Steffen Christmann, Pfalz; Michael Fröhlich, Franken; J. J. Prüm, Mosel.

 

Wohl einziger Händlerkatalog der Schweiz, der nur trockene deutschen Rieslinge auflistet
Schon jetzt sehe ich die Leser die Nase rümpfen: Alles sogenannt „Große Gewächse” von durchaus reputierten Winzern Doch wo sind die andern? Die Pfälzer, die Saarländer, Badener, die von der Aar..... Der Weinhändler, der ja die Weine in der Schweiz zu verkaufen hat, begründet seine Zurückhaltung so: „Noch ist in der Schweiz die Nachfrage nach diesen Weinen eher bescheiden, deshalb reicht uns ein Angebot von 10 Weinen. Ich hatte also die wunderschöne Aufgabe, aus 150 Weinen die 10 Besten herauszusuchen....” Ob dies wirklich die 10 besten trockenen Rieslinge sind? Da erlaube ich mir kein Urteil. Seit vier Jahren ziehe ich einmal im Herbst ein paar Tage mit meinen deutschen Weinfreunden durch die besten Riesling-Gegenden: Rheingau, Franken, Pfalz, Mosel-Saar-Ruwer... Und überall - geführt von meinen lieben deutschen Gewährsleuten - habe ich recht viele gute, ja ausgezeichnete, einmalige Weine entdeckt. Nicht nur bei den berühmten Namen und unter den „Großen Gewächsen”.

 

Das Beispiel zeigt, wie rasch und gründlich Klischees und Vorurteile die Weinszene beherrschen, wie rasch und gründlich alles in einen großen Topf (wohl Weinbottich) geworfen wird, und wie differenziert doch die weltweite Weinszene in Wirklichkeit ist.

 

Angebot der renommierten Weinhandlung „Globus”. Ein einziger deutscher Riesling im Katalog

 

Letztlich ist der Markt und nicht die Qualität entscheidend für das, was aus den verschiedenen Weinregionen der Welt angeboten wird. Der Markt aber richtet sich an den sogenannten „Massegenschmack”, der nur mit viel Aufwand und sehr langsam zu beeinflussen ist. Deutsche Weine sind halt nicht „in” in der Schweiz - und da hat es selbst der beste Riesling schwer.

 

Von den deutschen Rotweinen möchte ich gar nicht reden: Sie machen nur etwa ein Prozent der ohnehin spärlichen deutschen Angebote aus und beschränken sich fast ausschließlich auf Spätburgunder. Lemberger, Dornfelder, Zweigelt, Merlot, Sankt-Laurent... aus Deutschland gibt es kaum. Sie alle sind in der Schweiz so gut wie unbekannt. Und was man nicht kennt, das hat eben auch keinen Markt.

 

Siehe oben, zu Beginn der Kolumne.

 

Herzlich


Ihr/Euer


Peter (Züllig)


Peter Züllig

18.01.2007


Bilder, die kommen mir nicht aus dem Sinn


Dokumente aus dem Süden


Es sind immer wieder Bilder, die mich berühren, ansprechen, treffen, und meist mehr sagen als noch so viele kluge Artikel. Es sind Bilder, die zwar wenig erklären, dafür aber laut sprechen, rufen, schreien! Solch ein Bild hat mich aufgeschreckt. Es wurde als ein „Bild des Jahres” in der südfranzösischen Regionalzeitung „Midi Libre” zum Jahresende publiziert. Darunter die Schlagzeile (übersetzt) „In Sète, am 6. März 2006, eine Aktion der regionalen Winzer, gegen den Wein, der aus dem Ausland eingeführt wird.....”

Schockbild im „Midi Libre”: Aktion von Winzern gegen den Import von Billigweinen

Tatsächlich - ich habe es schon fast vergessen - hat im März des vergangenen Jahres ein „Comité d’Action Viticole” in den Departementen „Hérault” und „Aude” zugeschlagen. In Vinassan haben etwa 30 vermummte Männer, mit Werkzeugen bewaffnet, die Weinlager eines Großhändlers heimgesucht und die Schleusen der „Cuves” geöffnet: 15.000 Hektoliter Wein sind dabei ausgelaufen.

Ich meine das verständnislose Kopfschütteln zu sehen, das durch die „Weinwelt” von Hamburg bis Wien geht: „Gewalt, das ist doch keine Lösung! Die sollen bessere Weine machen!” Und all die dreimalklugen Kommentare: „Strukturbereinigung ist dringend nötig, auch im Languedoc!” Gegen die Globalisierung lässt sich nichts machen, der Wettbewerb bringt dem Konsumenten nur Vorteile: billiger und besser!

Schlagzeile vom Dezember 2006 im „WeinWisser”: Baron d’Arques: Mouton-Wein aus dem Languedoc
Am gleichen Tag entdeckte ich ein anderes, kleineres, viel friedlicheres Bild, im „WeinWisser” von René Gabriel. Die Bildlegende: „Baronin Philippine de Rothschild mit ihren beiden Söhnen Philippe (links) und Julien.” Das Bild entstand in Bordeaux, anlässlich der Präsentation des zweiten Jahrgangs von „Baron d’Arques”, einem Weingut der Rothschilds in der Nähe von Limoux, im Herzen der Languedoc. Die einstige Domaine „Lambert” wurde vom Mouton-Unternehmen vor fünf Jahren gekauft, renoviert, mit moderner Technik versehen und zum Teil neu bepflanzt. Jetzt präsentiert also das Bordeaux-Unternehmen seinen Wein aus dem Languedoc, 35 Euro die Flasche. „Sehr gut”, schreibt Gabriel, „aber teuer.”

Mouton Rothschild ist nicht das einzige Bordeaux-Unternehmen, das den Süden entdeckt. Ein für den Wein geradezu ideales Klima, vorzügliches Terroir, riesige mit Rebstöcken bepflanzte Flächen, im Vergleich zu anderen Weinregionen billiges Land, verkaufswillige Winzer.... Mondavi ist es zwar vor Jahren nicht gelungen, im Languedoc Fuß zu fassen, dafür sind andere gekommen, wohlgelittenere: Depardieu, Magrez, Rothschild und, und, und... Und ich meine, die Weinwelt zwischen Hamburg und Wien wieder jubeln zu hören: „Eine echte Chance für die Region, ein Gewinn für eine große Gegend....”

Winterlicher Rebberg: ein winziges Stück von 300.000 ha Land, mit Reben bepflanzt

Ich sitze am Quai des Jachthafens von Cap d’Agde, einem Ferienort, der vor dreißig Jahren „aus dem Boden gestampft” wurde. Jetzt, im Winter, ist es ruhig auf der Promenade, wo sich im Sommer der Urlaubstrom wälzt. Soeben habe ich eine gute Stunde den Pétanque-Spielern zugeschaut, ihrem rauen Dialekt gelauscht, das leidenschaftliche Spiel verfolgt. Die „alte Garde” der Languedocien, wie sie zum Beispiel von Pagnol beschrieben und auf die Leinwand gebracht wurde. Eine liebevoll gezeichnete - für uns exotische - Welt. Jetzt ist sie fast unter sich. Die Retortenstadt zählt im Winter vielleicht 2.000 Einwohner, im Sommer werden es 200.000 sein!

Hunderte, ja Tausende von Jachten, die billigsten zu knapp 100.000 Franken, die teuersten weit über eine Million, schaukeln verlassen im Hafen. Vor mir ein Glas „Vin de Table” - namenlos - wohl von einer der vielen Genossenschaften. Der Wein ist jung, frisch, fruchtig - aber auch etwas sperrig: fast wie die Menschen, die im Hinterland leben, nur ein paar Kilometer vom mondänen Strand entfernt. Wie die Pétanque-Spieler, die sich jeden Nachmittag treffen. Wie die Winzer, die am Samstag persönlich auf dem Markt ihre Produkte anbieten, auch im Winter.

Am sonst mondänen Quai: Ein Glas „Vin de Pay” zu drei Euro

Und ich genieße den „Vin de Pay”. Wieder sehe ich die Weinwelt zwischen Hamburg und Wien die Nase „rümpfen”: Schrecklich! Das ist doch kein Wein! Und ich stelle mir vor, dass auf all den Jachten vor mir Qualitätswein von Rothschild, Magrez, Depardieu aufgetischt wird, 30 Euro und viel mehr, die Flasche.

Mein Glas „Languedoc” kostet im Restaurant drei Euro, im Bistro auf dem Land noch viel weniger. Und plötzlich tauchen wieder die beiden Bilder auf: zwei Weinwelten, die sich wohl nie vertragen werden. Die eine wird schließlich Sieger sein, denn der Markt wird es richten. Der Konsument bekommt besseres, für weniger Geld, so die reine Lehre.

Im Jachthafen sind meist „ander” Weine gefragt, jene die über 50 Euro kosten

Und ich denke an die Menschen, die den Wein machen, an die verzweifelten Männer, die mit „Gewalt” ihre ohnehin karge Existenz verteidigen, an die Global-Player, die hier noch günstiger, noch besser produzieren können, an die importierte Massenware Wein, die modisch aufgebessert mit chicken Etiketten versehen - für wenig Geld - auf den Markt kommen.

Der „Vin de Pay” vor mir entwickelt sich unversehens zum großen Wein, zum Erlebnis, zum Genuss - als wäre es ein Mouton. Ich bin so glücklich, dass ich dabei nicht nur Wein, sondern mit dem Wein eine Gegend, Menschen, ihre Arbeit und ihre Sorgen besser verstehen lerne.


Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

02.02.2007


Ein Rebberg mitten in Paris


Wein - der von der Steuer abzusetzen ist


Halt auf Verlangen: Rebberge in Paris
Durch verwinkelte Straßen und über romantische Plätze mit klingenden Namen, wie Moulin de la Galette, Place du Tertre, Cortot, Saint Vincent, Rue de Saules.... kurvt ein Kleinbus im Viertelstundentakt durch das legendäre Künstlerviertel Montmartre in Paris. Kurz nach dem Quartiermuseum (Musée de Montmartre) taucht eine Haltestelle auf mit der Bezeichnung „Les Vignes” (Reben oder Rebberge). Tatsächlich gibt es einen kleinen Weinberg auf Montmartre, wohl der letzte in und um die Weltstadt. Er liegt gegenüber dem Geburtshaus des Malers Maurice Utrillo, im Zentrum des noch weitgehend dörflich anmutenden Quartiers. Auf nur 1556 Quadratmetern breiten sich 27 verschiedene Rebarten aus, angeblich sind es alle, die für die französische Weinwelt wichtig  sind. Der exotisch anmutende Weinberg ist für die vielen Touristen zwar einsehbar, doch nicht zugänglich. Was auch verständlich ist, möchte man doch im Herbst - am traditionellen Winzerfest auf Montmartre - den eigenen Wein kredenzen.
 
Clos Montmartre: Rebberg mit 27 Rebsorten

„Clos Momartre” ist ein historisches Relikt, zwar erst 1933 von der Gesellschaft „Le Vieux Montmartre”, den Bewahrern der alten Traditionen, neu angelegt. Doch der „Hausberg” von Paris wurde schon zu gallo-römischen Zeiten mit Reben bepflanzt und noch im 17. Jahrhundert waren die meisten Bewohner von Montmartre in den Rebbergen tätig. Erst im 19. Jahrhundert breitete sich die Stadt so stark aus, dass die Rebberge allmählich verschwinden mussten. Um den Wein, der damals hier gekeltert wurde, war es offenbar nicht schade, denn der Volksmund hielt schon damals fest: „C’est du vin de Montmartre. Qui en boit pinte en pisse quarte” (« Dies ist Wein von Montmartre. Wer davon eine « pinte » (ca. 1 Liter)  trinkt, der pinkelt eine „quarte” (67 Liter)”.
 

50-cl-Flasche "Clos Montmartre" zu ca. 40 €
Jedes Jahr findet im Oktober ein Straßenfest statt, wo der Wein des Vorjahres für ca. 40 Euro verkauft wird (50-cl-Flasche!). Allerdings, und dies ist das Besondere: der Wein wird in den Kellern der Mairie (Stadthaus des 18. Arrondissements) gekeltert. Der Erlös fließt vollumfänglich den Sozialeinrichtungen zu und ist deshalb von den Steuern abzusetzen (wenn man in Frankreich wohnt!).
 
„Clos Montmartre” ist nicht nur eine romantische Erinnerung an frühere Winzerzeiten, er symbolisiert auch das Künstlerleben auf Montmartre, der Keimstätte des Impressionismus und so mancher weiterer Kunststile. Renoir, Degas, Cézanne, Van Gogh, Seurat, Toulouse-Lautrec…. Sie alle lebten (zumindest zeitweise) auf Montmartre, viele von ihnen sind auf dem Friedhof von Montmartre begraben. Und bei fast allen hat der Wein, der Alkohol, eine wichtige, oft sogar verheerende Rolle gespielt. Künstler-Biografien, die einen direkten Zusammenhang mit Wein aufweisen, gibt es da recht viele. Zum Beispiel Toulouse-Lautrec, der als Bohémien das Pigalle (am Fuße des Montmartre) berühmt gemacht hat. Der aber auch immer mehr dem Alkohol verfiel und auf dem elterlichen Weingut "Malromé" südlich von Bordeaux Tage der Erholung verbrachte, auch dort gestorben ist und auf dem nahen Friedhof begraben liegt.
 
Vor den vielen Touristen gut geschützt

Lautrec ist auch der wichtigste Porträtist von Figuren, die das weinverliebte Künstlerleben auf Montmartre geprägt haben. La Goulue zum Beispiel, die Königin des „Cancan”, und ihr Partner „Valentin”, der im bürgerlichen Leben Weinhändler war. Erst am Abend schlüpfte er jeweils in die Rolle eines Schlangenmenschen, der in den verruchten Cabarets auftrat. Das „Musée de Montmartre”, direkt am Rebberg gelegen, beherbergt viele Zeugnisse der oft tragischen Geschichten von Menschen, die mit dem Wein lebten, daraus vielleicht sogar ihre künstlerische Kraft schöpften, darin aber auch ebenso oft untergingen.
 

Berühmtes Plakat von Toulouse-Lautrec mit Goulue und Valentin
La Goulue provozierte Skandale, verschleuderte später ihr Vermögen, wurde unter anderem Raubtierbändigerin und endete als kleine Verkäuferin von Erdnüssen und Streichhölzern in den Cafés von Montmartre, jeden Tag stockbetrunken. Valentin verschwand plötzlich aus der Szene, niemand weiß mit Sicherheit, was aus ihm geworden ist. Zeitzeugen sagen, er hätte ein Bistro eröffnet, andere behaupten, er sei Arbeiter in einer Aufzugsfabrik geworden.

Nördlich vom „Clos Montmartre” liegt auch das Haus des berühmten Cabaret du „Lapin-Agile”, Treffpunkt und Heimat so vieler Künstler wie Renoir, Verlaine, Courteline, Picasso, Max Jaocob und und und. Wer Lust hat, etwas von der Geschichte und Atmosphäre des „Vieux Montmartre” zu erfahren, der klicke auf www.au-lapin-agile.com. Da taucht in Ton, Wort und Bild das „alte Dorf” mit seiner Weinseligkeit wieder auf, das Leben auf Montmartre, rund um den wiedererstandenen Weinberg, dessen Ertrag die heutige Künstlergemeinschaft von Montmartre, jenen Menschen  zukommen lässt, die jetzt in Elend, Armut und Not auf Montmartre leben, nicht unähnlich jenen großen Künstlern, die heute postum gefeiert und deren Werke hoch bezahlt werden.

Herzlich

 
Ihr/Euer

 
Peter (Züllig)


Peter Züllig

15.02.2007


Müssen Bioweine anders schmecken?


„Bio” modernes Märchen?


Wir sind im Rhônetal bei einer Weinpräsentation der „Découvertes en Valée du Rhône”. Da stürzt „Weinnase” auf mich zu, mit einem Glas in der Hand: „Peter, riech einmal daran!” Ich bemühe die Nase, dann den Gaumen. Der Wein schmeckt anders! Aber wie? Da - etwa vor vier Jahren - ist bei mir erstmals der Gedanke aufgetaucht: Bioweine könnten anders schmecken, denn das, was Christian ( „Weinnase”) aus dem riesigen Angebot ausgewählt hat, ist ein Biowein.

„Biodorf”, eine „biologische” Siedlung, vor 30 Jahren erbaut270

Ich hatte die kleine Episode längst vergessen, als im Forum die Frage aufgetaucht ist: „müssen Bioweine wirklich anders schmecken”? Die Diskussion ist angestoßen, doch nur wenige nehmen daran teil. Bioweine sind - zumindest für „Weingenießer” - offensichtlich kein Thema (mehr).

Und wieder erinnere ich mich, es sind noch weit mehr Jahre her, da hat mein Freund (ein Burgunderkenner) kategorisch erklärt: „Bioweine sind keine Weine!” Er könne sie „blind” erkennen. Tatsächlich habe ich bei der nächsten Bordeaux-Probe einen Biowein als Piraten eingeschmuggelt. Er wurde sofort entlarvt.

Der Rebberater zeigt Schädlinge an den Reben
Inzwischen ist das Label „Bio” marktfähig geworden. Im Inhalt zwar immer noch verschwommen, ein werbewirksamer Kurz- und Universalbegriff für unterschiedliche Dinge: naturnah, ökologisch, giftfrei, anthroposophisch, gesund, besser....

Auch Weinzeitschriften und Fachblätter haben sich des Themas angenommen. Nirgendwo habe ich so viele Winzer getroffen, die behaupten, „biologisch” zu arbeiten, wie in Frankreich.

Was „biologisch” bedeutet, das bleibt definitionsbedürftig. Die Deutung reicht von der vielzitierten Mondphase hin zur großindustriellen Bioproduktion.

Vor gut 30 Jahren bauten wir - 12 Familien und ein bekennender anthroposophischer Architekt - ein „Biodörfchen”. Damals kam - nach der Betonphase - die „Baubiologie”, und wir galten als Pioniere, die ihre Häuser getreu nach den Ideen von Hubert Palm, dem Vater des biologischen Bauens, errichteten. Fast dreißig Jahre lebe ich nun in diesem Haus. Lebe ich besser?

Ich lebe gut. Aber besser?

Weinabfüllen im Biodorf
An einer Instruktion erklärt uns der regionale Rebberater, wie die Reben im Winter zu schneiden sind. Dabei zeigt er auch Triebe mit Schildläusen, Schwarzflecken und Schwarzrot: Sie sind zu behandeln mit Ölpräparaten und Fungiziden. Sofort geht die Diskussion los. Gibt es Alternativen? Es werden auch Namen von Bioprodukten genannt. Der Rebenexperte schüttelt den Kopf.

Man spürt, von „Bio” hält er nicht viel, dafür plädiert er: „Bitte nur die betroffenen Stellen behandeln, nicht den ganzen Rebberg mit Giften vollspritzen. Sonst trifft es zu viele Nützlinge. Dies ist keine Annäherung an die Grünen und kein Kniefall vor den Biophantasten, dies ist schlicht gesunder Menschenverstand!” Poing, das sitzt.

Wieder erinnere ich mich an meine eigene „Annäherung” an die Bio-Philosophie unseres Biodörfchens. Mir ist die Begegnung nicht leicht gefallen - noch heute gelte ich als (fast) unbelehrbar. Nachdem ich meine kleinen Salatsetzlinge im Biogarten (trotz Schneckenhag) zum fünften Mal ersetzt habe (20 Cent das Stück), halten die „verbotenen” Schneckenkörner halt doch Einzug in meinen Garten, schön versteckt unter üppigwachsenden Zierblumen. Auch Fernsehen, mit all den schädlichen Strahlen wurde mir schon damals (berufsbedingt) zugestanden, und mein Laster (Wein) produzierte bestenfalls ein mitleidiges Lächeln. Als ich aber begann, auf unserer Terrasse Wein aus einem natürlichen Holzfässchen in Flaschen abzufüllen, dabei Naturkorken verwende, da wird mir mein Laster verziehen. Ich bin - wenigstens weinmässig - rehabilitiert.

Hans-Ulrich Kesselring, ein sensibilisierter Schweizer Spitzenwinzer
Und meine Winzerkontakte. Dazu gehört auch ein profilierter Schweizer Winzer, Hans-Ulrich Kesselring. Sein Image: ein Tüftler und Analytiker, der in seinem hauseigenen Labor - das selbst einem Michel Rolland Ehre machen würde - all das analysiert, was Wein gut, ja besser machen könnte: Boden, Pflanzen, Naturprodukte, Nützlinge etc. Im Weinberg und im Keller handelt er danach. Kesselring ist also in vielem das „Gegenbeispiel” eines Biobauern. Nun hat aber dieser Ostschweizer Winzer einen mehrtägigen Kurs zum Thema biologischer Rebbau besucht. Er gibt offen zu, dass er mit den Mondphasen, den Kuhhörnern und den homöopathischen Dosen immer noch seine Mühe hat: „Als ein Zweifler sitze ich hier, nicht weil ich nichts glaube, sondern weil ich alles für möglich halte.” Mit diesem Thomas-Mann-Zitat beschreibt er sein Gefühl nach 4 Tagen Biodynamik. „Also ließ ich mir von einem Anthroposophen den besten und den schlechtesten Pflanzzeitpunkt dieses Frühjahrs errechnen. In je 5 Blöcken à 10 Exemplaren pflanzten wir gleiche Reben zu den beiden Zeitpunkten und warten gespannt auf ihr Werden unter verschiedenen Sternen! Eine unerwartete Veränderung bemerkte ich an mir selber: Plötzlich fällt es mir leichter, Geld für Kompost auszugeben als für einen neuen Traktor.”

Solche Gedanken kommen schon fast einer „Bekehrung” gleich. Bekehrung? Tatsächlich hat der Biogedanke rasch einmal etwas mit Religion zu tun, vor allem dann, wenn der „alleinseligmachende” Anspruch und damit eine Bekehrung verbunden sind. Fast jede „Bekehrung” zieht eine Art Krieg mit sich, ein heiliger Kriege, und wo Krieg ist, ist auch die Inquisition nicht fern.

Aber weiß ich jetzt, ob Bioweine anders schmecken?

Jugendsünde eines streng katholisch erzogenen Buben: als Messdiener haben wir, wann immer es ging, Messwein verkostet, natürlich vor der Wandlung (Konsekration), also wenn der Wein noch Wein ist und nicht „Blut Christi”. Schon da wollte ich - neugierig, wie ich nun mal bin - wissen, ob denn nach der Wandlung der Wein anders schmeckt. Erst viele Jahre später, nach dem 2. Vatikanum, erhalte ich eine Antwort. Dem Laien wird nun ab und zu in der Kirche nicht nur das Brot (Oblate) gereicht, sondern auch ein Kelch mit Wein. Meine grenzenlose Enttäuschung: er schmeckte nicht anders... und doch ist er - nach der Lehre der Kirche - anders, nicht mehr nur Wein, sondern....

Angebot von „Bioweinen” im Spezialgeschäft

Seit dieser Urerfahrung lebe ich auch mit dem Biowein in Frieden. Ich versuche zwar ab und zu herauszufinden, ob er nun wirklich „anders schmeckt”. Verkoste zwei Weine, vergleiche einen aus „biologischem” Anbau und einen „Konventionellen”. Sicher, sie sind unterschiedlich. Sie sind anders. Es sind aber auch nicht die gleichen Weine: anderes Terroir, andere Vinifikation, andere Reben... Genau so, wie zwei konventionell ausgebaute Weine immer anders sind, wenn sie nicht aus dem gleichen Fass, dem gleichen Jahrgang oder vom gleichen Winzer stammen. Nur nennt man dies dann nicht „Biodifferenz”!

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

02.03.2007


Domaine Peyre Rose, Languedoc


Das Aschenbrödel unter den Prinzessinnen


Es war rasch einmal klar, wer die echten Prinzessinnen waren. Sie haben alle klingende Namen, stammen von königlichen Höfen: Corton-Charlemagne, Figeac, Beaucastel, Branaire-Ducru, Montrose, Latour, Yquem. Dazu gesellt sich ihre lang gereifte Würde: geboren 1943, 1955, 1959, 1962, 1967, 1970, 1986... Gehegt und gepflegt, unter besten Bedingungen, aufgewachsen und erzogen an den edlen Höfen.

Was hat da - mitten in dieser illustren Prominenz - der Nachwuchs aus dem bäuerlichen Languedoc zu suchen? Er trägt zwar einen schönen Namen: „Peyre Rose”, doch er kommt ganz aus dem Süden Frankreichs, wo heute immer noch mehrheitlich „vin de table” für die „Massen” produziert wird.

Degustation der „Revue du Vin de France” mit Prinzessinnen und einem „Aschenbrödel”

Doch die Rose ist jung, fast noch im Kindesalter, kaum acht Jahre zählt sie und buhlt bereits um die Gunst einer erlesenen Schar von Weinenthusiasten. Wenn dies nur „gut geht”!

Die Rede ist von einer „Brautschau”, genannt: „Grande Dégustation” der „Revue du Vin de France”, bei der unter dem Motto „50 ans de Grands Vins” 12 ganz unterschiedliche Weine zu verkosten sind. Weine - aus dem Bordelais, aus dem Burgund, von der Rhone, der Loire, aus dem Elsass und eben - der Languedoc.

Der älteste Wein ist ein Kriegsjahrgang, der auch bei Auktionen nur noch ganz selten auftaucht; den ich - zum Beispiel - bisher noch nie getrunken habe. Château Latour, 1943, Pauillac: zweifellos der „Star” des Abends. Mehr als 60 Jahre lang in der Flasche und noch „dieses Leben, diese feinen Nuancen in den Aromen, diese Kraft und Präsenz”. Unglaublich!

Dann: Château Montrose, 1962, Saint-Estèphe. Die Freude beginnt schon beim Hinsehen: tiefschwarzes Auge, kaum Brauntöne, wunderschöne Reflexe, vif und agil. Was das Auge verspricht, bestätigen die Nase und vor allem der Gaumen: kräftig, fast noch fett und doch spielerisch leicht, frisch. All das mit über 40 Jahren! Besser - so meint der Chefdegustator der „Revue du Vin de France”, Raoul Salama, kann ein gereifter Cabernet Sauvignon nicht sein. Und ich muss ihm Recht geben.

Programm: 50 Jahre der großen Wein

Mitten in diese „Prominenz” hinein platzt die junge Dame aus der Languedoc. Jahrgang 1998. Sie ist nicht einmal das Kind besonders alter Reben - diese wurden erst zwischen 1983 und 1988 gepflanzt. Das Weingut hat zwar einen guten Namen, tanzt aber noch nicht auf den großen Bällen. Weinkenner sind ihm schon begegnet, beklagen aber häufig den - für Languedoc - doch recht hohen Preis und seine etwas rustikale Art. Herkunft: die Appellation „Coteaux du Languedoc”, die größte, vielfältigste und unspezifischste Appellation der Gegend. Die Domaine „Peyre Rose” liegt auf dem „Plateau de Peyrals”, nordöstlich von Pézenas, etwa 200 m.ü.M., wo zwar die Sonne brennt, doch auch die Winde (Mistral, Tranmontagne) heftig blasen und die Nächte kühl werden.

Die Cuvée „Clos Syrah Léone” ist eines der beiden „Lieblingskinder” von Marlène Soria, der Winzerin auf dem noch jungen Weingut (die andere wird „Clos de Cistes”, genannt, gedeiht also auf schieferhaltigem Boden). „Syrah Léone” ist keine ausgeklügelte Mischung von Traubensorten, sondern ein „gewöhnlicher” Syrah, ergänzt mit etwa 5 Prozent „gewöhnlichem” Mourvèdre (zwei Traubensorten, die traditionell ins Languedoc gehören). Sie wird nicht im Barrique ausgebaut, reift vielmehr vier Jahre im Gärtank, dann erst wird sie abgefüllt und in verhältnismäßig kleinen Mengen auf den Markt gebracht.

Das „Aschenbrödel” Domaine Peyre Rose, präsentiert von der Winzerin Marlène Soria


In Saint-Emilion würde man wohl schon von einem „Garagenwein” sprechen. Bei der Verkostung in der illustren Runde kann das „Kind aus dem Süden” nicht nur mithalten, es buhlt bereits um die Königinnenwürde mit all ihren
entwickelten Reizen. Für das Auge: tiefes, schon fast schwarzes Granatrot. Für die Nase: ein leiser Hauch von kräftigen roten Beeren, Tabak, Lorbeer und Kirschen. Für den Gaumen: anfänglich etwas mineralisch, dann immer würziger, sehr konzentriert, saftig, eingewoben in sanfte, markante Tannine. Für den Genuss: ein langer Abgang in Samt und Seide, weich, umgeben von orientalischen Gewürzen und Tabaknoten.

Für all jene, die der jugendlichen Prinzessin noch nie begegnet sind (auch ich habe sie zum erstenmal persönlich getroffen) entspricht diese Beschreibung (meinen Kurznotizen entnommen) einer Charakterisierung, wie sie für manchen ausgezeichneten Syrah-Wein zutrifft.

Viel wichtiger als die isolierte Beschreibung ist das Umfeld: sind die andern Prinzessinnen, unter die sich das Aschenbrödel unauffällig gemischt hat. Nach ihr tritt „Figeac” auf, Jahrgang 1986, Saint-Emilion: der Wein hat Ansätze zu einem gereiften Bordeaux, ist aber insgesamt eine Enttäuschung. Dann „De Beaucastel”, Châteauxneuf-du-Pape, 1978. Etwas brav, allzu gleichförmig, fast körperlos, doch auch hier wieder dieser typische Lorbeerton. Keine Enttäuschung: eher „na ja”.

Nochmals von der Rhone: Maison Jaboulet Aîné, „La Chapelle”, 1970. Viel körperreicher als sein Vorgänger, warme Gewürze, delikat im Bukett. Doch die Erinnerung an das Aschenbrödel lebt weiter. Also härtere Konkurrenz auffahren! „Branaire-Ducru”, Saint-Julien, 1959, fast schon 50 Jahre gereift! Viel spritziger, präsenter, lebendiger als der schon etwas fragile Figeac. Trotzdem: eine Verliebtheit stellt sich nicht ein.

Nach dem Ereignis: 120 halbleere Gläser mit exklusivsten Weinen

Also noch „härteres” Geschütz: „Montrose”, Saint-Estèphe, 1962. Schwarze Schokolade, leicht seifig, Alterswürze. Lässt sich sicher nicht mit einem Jungsporn vergleichen, altersgeprägtes Caramel in einer kräftigen
Struktur eingebettet, dies kann begeistern! Es begeistert mich auch, und trotzdem: Woran liegt es, dass ich die „Rose” nicht vergessen kann, vielleicht an den Schuhen des Aschenbrödels?

Also ein letzter Versuch mit einem Premier-Cru, jetzt aus Pauillac, „Latour ”, 1943. Unglaublich frisch, tiefe Duftnoten, weiche Struktur, unglaublich nuancierte Nase... Zweifellos die Königin!

Da kann das Aschenbrödel doch noch nicht mithalten, auch wenn ich einen Abend lang immer wieder mit ihm geflirtet und getanzt habe.

Reife, Alter, Renommee, Erfahrung, Würde, Einmaligkeit stehen dem gegenüber, was ich als moderne Schönheit bezeichnen möchte. Ein Beweis, dass eine „große Degustation” auch mit nicht ganz „großen Weinen” doch zum einmaligen, unvergesslichen Erlebnis werden kann.

Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

02.03.2007


Domaine Peyre Rose, Languedoc


Das Aschenbrödel unter den Prinzessinnen


Es war rasch einmal klar, wer die echten Prinzessinnen waren. Sie haben alle klingende Namen, stammen von königlichen Höfen: Corton-Charlemagne, Figeac, Beaucastel, Branaire-Ducru, Montrose, Latour, Yquem. Dazu gesellt sich ihre lang gereifte Würde: geboren 1943, 1955, 1959, 1962, 1967, 1970, 1986... Gehegt und gepflegt, unter besten Bedingungen, aufgewachsen und erzogen an den edlen Höfen.

Was hat da - mitten in dieser illustren Prominenz - der Nachwuchs aus dem bäuerlichen Languedoc zu suchen? Er trägt zwar einen schönen Namen: „Peyre Rose”, doch er kommt ganz aus dem Süden Frankreichs, wo heute immer noch mehrheitlich „vin de table” für die „Massen” produziert wird.

Degustation der „Revue du Vin de France” mit Prinzessinnen und einem „Aschenbrödel”

Doch die Rose ist jung, fast noch im Kindesalter, kaum acht Jahre zählt sie und buhlt bereits um die Gunst einer erlesenen Schar von Weinenthusiasten. Wenn dies nur „gut geht”!

Die Rede ist von einer „Brautschau”, genannt: „Grande Dégustation” der „Revue du Vin de France”, bei der unter dem Motto „50 ans de Grands Vins” 12 ganz unterschiedliche Weine zu verkosten sind. Weine - aus dem Bordelais, aus dem Burgund, von der Rhone, der Loire, aus dem Elsass und eben - der Languedoc.

Der älteste Wein ist ein Kriegsjahrgang, der auch bei Auktionen nur noch ganz selten auftaucht; den ich - zum Beispiel - bisher noch nie getrunken habe. Château Latour, 1943, Pauillac: zweifellos der „Star” des Abends. Mehr als 60 Jahre lang in der Flasche und noch „dieses Leben, diese feinen Nuancen in den Aromen, diese Kraft und Präsenz”. Unglaublich!

Dann: Château Montrose, 1962, Saint-Estèphe. Die Freude beginnt schon beim Hinsehen: tiefschwarzes Auge, kaum Brauntöne, wunderschöne Reflexe, vif und agil. Was das Auge verspricht, bestätigen die Nase und vor allem der Gaumen: kräftig, fast noch fett und doch spielerisch leicht, frisch. All das mit über 40 Jahren! Besser - so meint der Chefdegustator der „Revue du Vin de France”, Raoul Salama, kann ein gereifter Cabernet Sauvignon nicht sein. Und ich muss ihm Recht geben.

Programm: 50 Jahre der großen Wein

Mitten in diese „Prominenz” hinein platzt die junge Dame aus der Languedoc. Jahrgang 1998. Sie ist nicht einmal das Kind besonders alter Reben - diese wurden erst zwischen 1983 und 1988 gepflanzt. Das Weingut hat zwar einen guten Namen, tanzt aber noch nicht auf den großen Bällen. Weinkenner sind ihm schon begegnet, beklagen aber häufig den - für Languedoc - doch recht hohen Preis und seine etwas rustikale Art. Herkunft: die Appellation „Coteaux du Languedoc”, die größte, vielfältigste und unspezifischste Appellation der Gegend. Die Domaine „Peyre Rose” liegt auf dem „Plateau de Peyrals”, nordöstlich von Pézenas, etwa 200 m.ü.M., wo zwar die Sonne brennt, doch auch die Winde (Mistral, Tranmontagne) heftig blasen und die Nächte kühl werden.

Die Cuvée „Clos Syrah Léone” ist eines der beiden „Lieblingskinder” von Marlène Soria, der Winzerin auf dem noch jungen Weingut (die andere wird „Clos de Cistes”, genannt, gedeiht also auf schieferhaltigem Boden). „Syrah Léone” ist keine ausgeklügelte Mischung von Traubensorten, sondern ein „gewöhnlicher” Syrah, ergänzt mit etwa 5 Prozent „gewöhnlichem” Mourvèdre (zwei Traubensorten, die traditionell ins Languedoc gehören). Sie wird nicht im Barrique ausgebaut, reift vielmehr vier Jahre im Gärtank, dann erst wird sie abgefüllt und in verhältnismäßig kleinen Mengen auf den Markt gebracht.

Das „Aschenbrödel” Domaine Peyre Rose, präsentiert von der Winzerin Marlène Soria


In Saint-Emilion würde man wohl schon von einem „Garagenwein” sprechen. Bei der Verkostung in der illustren Runde kann das „Kind aus dem Süden” nicht nur mithalten, es buhlt bereits um die Königinnenwürde mit all ihren
entwickelten Reizen. Für das Auge: tiefes, schon fast schwarzes Granatrot. Für die Nase: ein leiser Hauch von kräftigen roten Beeren, Tabak, Lorbeer und Kirschen. Für den Gaumen: anfänglich etwas mineralisch, dann immer würziger, sehr konzentriert, saftig, eingewoben in sanfte, markante Tannine. Für den Genuss: ein langer Abgang in Samt und Seide, weich, umgeben von orientalischen Gewürzen und Tabaknoten.

Für all jene, die der jugendlichen Prinzessin noch nie begegnet sind (auch ich habe sie zum erstenmal persönlich getroffen) entspricht diese Beschreibung (meinen Kurznotizen entnommen) einer Charakterisierung, wie sie für manchen ausgezeichneten Syrah-Wein zutrifft.

Viel wichtiger als die isolierte Beschreibung ist das Umfeld: sind die andern Prinzessinnen, unter die sich das Aschenbrödel unauffällig gemischt hat. Nach ihr tritt „Figeac” auf, Jahrgang 1986, Saint-Emilion: der Wein hat Ansätze zu einem gereiften Bordeaux, ist aber insgesamt eine Enttäuschung. Dann „De Beaucastel”, Châteauxneuf-du-Pape, 1978. Etwas brav, allzu gleichförmig, fast körperlos, doch auch hier wieder dieser typische Lorbeerton. Keine Enttäuschung: eher „na ja”.

Nochmals von der Rhone: Maison Jaboulet Aîné, „La Chapelle”, 1970. Viel körperreicher als sein Vorgänger, warme Gewürze, delikat im Bukett. Doch die Erinnerung an das Aschenbrödel lebt weiter. Also härtere Konkurrenz auffahren! „Branaire-Ducru”, Saint-Julien, 1959, fast schon 50 Jahre gereift! Viel spritziger, präsenter, lebendiger als der schon etwas fragile Figeac. Trotzdem: eine Verliebtheit stellt sich nicht ein.

Nach dem Ereignis: 120 halbleere Gläser mit exklusivsten Weinen

Also noch „härteres” Geschütz: „Montrose”, Saint-Estèphe, 1962. Schwarze Schokolade, leicht seifig, Alterswürze. Lässt sich sicher nicht mit einem Jungsporn vergleichen, altersgeprägtes Caramel in einer kräftigen
Struktur eingebettet, dies kann begeistern! Es begeistert mich auch, und trotzdem: Woran liegt es, dass ich die „Rose” nicht vergessen kann, vielleicht an den Schuhen des Aschenbrödels?

Also ein letzter Versuch mit einem Premier-Cru, jetzt aus Pauillac, „Latour ”, 1943. Unglaublich frisch, tiefe Duftnoten, weiche Struktur, unglaublich nuancierte Nase... Zweifellos die Königin!

Da kann das Aschenbrödel doch noch nicht mithalten, auch wenn ich einen Abend lang immer wieder mit ihm geflirtet und getanzt habe.

Reife, Alter, Renommee, Erfahrung, Würde, Einmaligkeit stehen dem gegenüber, was ich als moderne Schönheit bezeichnen möchte. Ein Beweis, dass eine „große Degustation” auch mit nicht ganz „großen Weinen” doch zum einmaligen, unvergesslichen Erlebnis werden kann.

Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

15.03.2007


Happy Birthday


Nun stoßen wir an mit sechs Gläsern Wein



Der Milchschoppen und die Wiege liegen 50 Jahre zurück!

Was wird nicht alles getan, um einen „runden” Geburtstag würdig zu feiern? Und wenn es sich gar um ein halbes Jahrhundert handelt? Dafür gibt es so viele Varianten, wie es Menschen gibt.

Geburtstagstafel vor der Feier
In diesem Fall ist Barbara das Geburtstagskind. Vor drei Jahren schon hat sie, die Weinliebhaberin und Absolventin der „Académie du Vin et du Goût”, den großen Tag geplant. Eine Degustation soll es sein, eine mit vielen „edlen” Weinen und sechzehn auserwählten Gästen, ihre besten Freundinnen und Freunde. Voraussetzung für alle Geladenen: Wein müssen sie gerne haben. Mir fällt die Aufgabe zu, den Anlass zu organisieren, die Weine zusammenzustellen, den Abend zu moderieren. Fünfzig Jahre, das ist ein gutes halbes Leben: was lässt sich dazu in der Weinsprache sagen?

Das Vokabular ist zwar groß und bunt: trocken, edelsüß, rassig, nervig, strahlig, rund, mollig, zartbitter, süffig, elegant, vielschichtig, reif, am Höhepunkt, dicht, vollmundig, gehaltvoll, kernig, mächtig, feurig, lang anhaltend, unendlich, strahlend, klar, verhalten, zart, würzig, kraftvoll, blumig.... Damit lässt sich gut eine Huldigung an die Jubilarin gestalten, ein bezauberndes Kränzchen binden. Aber, wie drückt man all dies (und noch viel mehr) in und mit dem Wein aus?

Und zwar so, dass auch nach dem x-ten Glas und der x-ten Flasche der denkwürdige Anlass nicht zum Saufgelage verkommt? Dass das Erlebnis einen unendlich langen Nachhall hat, einen Abgang, der die Nachhaltigkeit des Anlasses dokumentiert.

Tischset mit Wettbewerb

Es ist mir rasch klar: Bordeaux muss es sein. Dieser eine Name der Stadt im Südwesten Frankreichs ist „in allen Sprachen der Welt zum Synonym vom großen Wein geworden” (Antoine Lebègue). Doch Bordeaux ist so unterschiedlich und vielfältig wie die Rebfläche, die sich dort über 120.000 Hektaren ausbreitet.

In dieser verzwickten Situation hilft in der Regel ein passender Jahrgang: 1957. Oh je, nach Parker: „ ein fürchterlich kalter, nasser Sommer und eine kleine Ernte.” Nein, der Jahrgang 57 hat im Bordeaux keinen guten Ruf. Trotzdem ein Hoffnungsschimmer: dem „Haut-Brion” 57 hat Parker immerhin noch 1997 90 Punkte gegeben, dem „Lafite Rohtschild” 86-88 Punkte und „Lynch Bages”, dem „Mouton des kleinen Mannes”, 88 Punkte. Oh Schreck. Die Preise für diese „seltenen” Weine sind in den letzten Jahren so hoch geklettert, dass selbst eine hochedle Geburtstagsfeier diese kaum verkraften kann. Ich notiere: Latour 1957 - 520 SFr. (330 €), Mission Haut-Brion 1957 - 347 SFr. (220 €), Pichon Comtesse de Lalande 1957 - 210 SFr (133 €) etc.

Weit abschreckender noch als die hohen Preise ist die Verfügbarkeit des Jahrgangs: Er taucht so gut wie nie in den Auktionen auf.

Da hat mir die liebe Barbara wirklich eine ordentliche „Knacknuss” gegeben, die sich so leicht nicht öffnen lässt, auch nicht mit Geld und Zeit.

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Nun möchten Sie natürlich wissen, wie ich die Aufgabe gelöst habe, wie der Abend verlaufen ist, wie die Halbjahrhundertgrenze übersprungen wurde.

Barbara (Originalausspruch): „Es hat nicht weh getan!” Dieses „Nicht-weh-tun ” entpuppt sich nach und nach zu einem eindrücklichen Erleben von Mensch und Wein, von Genuss und Freude, von Erfahrung und Hingabe.

Die erste Rund nach dem Vorspiel (Avinieren!) bringt vier Weisse ins Glas: „Smith-Haut-Lafitte”, 1996, „Rabassière”, 2005 (ein Viognier von der Rhône - also ein Pirat), Carbonnieux, 1989, und „Amigne de Gilbert Devayes”, 2002 aus dem Wallis (sozusagen der „Hofnarr”!)

Seltene 57er - besser als ihr Ruf
Bordeaux gegen ein Stück Heimat von Barbara. Sie ist im Wallis aufgewachsen, wo heute die Autochthonen so begehrt sind und ihre zweite geografische Liebe, quasi ihre Ferienheimat, ist Bourdic, ein kleines Dorf in Südfrankreich, zwischen dem Meer und den Cevennen.

Damit lässt sich die Türe zum Weinabend weit öffnen: Zwei weiße Bordeaux, der eine 19 jährig und schon ordentlich gealtert, der andere erst zehn Jahre alt, noch jugendlich, im schönsten Festtagskleid; ein smarter Duché von Uzès (Bourdic liegt nahe dieses kleinen Städtchens), ein echter Großherzog und ein Bauer aus der Schweiz, vom Wallis, ein wilder Einheimischer, der sich längst zum eleganten Herrn gemausert hat.

26 Flaschen werden dekantiert
Keine Bange, ich zähle jetzt nicht all die 26 geöffneten Flaschen auf, reihe nicht Namen und Herkunft aneinander. Ich will nur zeigen, wie ein Geburtstag gefeiert werden kann, so, dass der Nachhall noch Monate, ja Jahre andauern wird.

Erleben ist eben etwas anderes als bloß Wissen, zur Kenntnis nehmen, nur Feiern, einen Tag begehen....

Erleben ist Leben, ist das, was uns reich macht, was in uns bleiben wird. Da ist eine Weindegustation nur ein äußerlicher Umstand - ein Moment eben im Leben, wo Erleben möglich ist.

Wenn wir, die 16 Gäste, fortan in Gesprächen mit Wissen auftrumpfen, zum Beispiel, dass die besten Bordeaux, der schwachen Siebner-Jahrgänge (57, 67, 77, 87 und 97) gar nicht so schwach sind, sich durchaus mit Weinen aus guten Jahrgängen vergleichen lassen, dass man sie nicht nur kritisieren, sondern auch genießen kann, dann haben wir all dies erlebt. Oder, wenn wir erzählen, wie der 57er Latour immer noch dem 92er Latour ebenbürtig ist, nach 45 Jahren - und zwar nicht auf einer minderen Stufe. Oder wenn wir beschreiben, worin sich der 100% Merlot-Wein „La Fleur de Gay” aus Pomerol vom 100% Merlot-Wein „Cuvée C” aus Bourdic unterscheidet, dann ist dies nicht bloß Erinnerung, sondern Erfahrung, gespeichert im Moment des Genießens.

Kritisch prüfende Festtagsrunde

Vielleicht ist Genuss die einzig richtige Form, einen „runden Geburtstag” zu begehen. Das kann, muss man aber nicht unbedingt mit Wein tun, denn der Genuss ist so vielfältig, wie alle guten Weine auf unserer Erde.

Happy Birthday, Barbara!


Herzlich
Ihr/Euer

Peter (Züllig)


Peter Züllig

30.03.2007


Schnäppchenjagd, wo es kaum mehr Schnäppchen gibt


Bedeutendste Weinauktion seit zehn Jahren



Zugegeben, es hat mich sehr viel Überwindung gekostet, als ich - vor Jahren - zum ersten Mal inmitten von Weinhändlern, Agenten, Sammlern, Liebhabern und Spekulanten an einer „großen und bedeutenden” Auktion teilnahm und der Dinge harrte, die da kommen sollten.

Vor der Auktion wird degustiert und kritisch geprüft


„Eine Originalholzkiste Château Margaux, 1996, 7.710 Franken sind geboten, zum Ersten - zum Zweiten - und - zum Dritten. Das Lot geht an den Bieter 37! - Zum nächsten Lot. Ich muss beginnen bei 3.450 Franken. Wer bietet mehr?.....”, so der Auktionator. Es ist nicht einfach, als Anfänger dem Geschehen zu folgen, und noch viel schwieriger ist es, ohne größere Risiken und Verluste ins Geschehen einzugreifen. Auktionen haben ihre eigenen Gesetze.

Inzwischen zähle ich mich bereits zu den Routiniers. Meist habe ich die Materie (und mich selber!) im Griff, das Geschehen „unter Kontrolle”. Ein wirkliches Schnäppchen entgeht mir selten. Nur - es gibt immer weniger Schnäppchen und immer mehr Schnäppchenjäger.

Es wacht das strenge Auge des Gesetzes: der Notar
Die meisten Weinliebhaber und -käufer kennen Auktionen nur vom Internet. Da geht es ab und zu auch hektisch zu und her, vor allem in den letzten Minuten und Sekunden. Doch die Atmosphäre fehlt, jene coole Fiebrigkeit, die immer wieder aufkommt, sobald ein „schönes und begehrtes Lot” ausgerufen wird. Allein schon am Klang der Stimme, den kleinen Nuancen beim Ausrufen durch den Auktionator ist zu erkennen, dass jetzt eine heiße, ja eine ganz heiße Phase beginnt.
 
In meinem Kopf nisten sich da immer auch jene häufigen Sensationsmeldungen ein, die periodisch das weltweite Auktionsgeschehen begleiten. Etwa: „Im britischen Auktionshaus Sotheby's wurde eine Flasche 1784er-Lafite für stolze 200.000 Euro versteigert.” Ein anderes Beispiel: „Mehr als 9,7 Millionen US-Dollar wurden beim Auktionshaus Zachys für den Keller eines einzigen Weinsammlers eingenommen.” Oder: „Auf einer Auktion in New York ist eine Kiste mit sechs Magnumflaschen eines Burgunderweins von 1985 für 170.375 Dollar versteigert worden.”

Nachdenklich schaue dann ich auf mein schmales Budget - ein paar hundert, vielleicht einmal bis zu drei-, viertausend Franken. Da ist bei Christie’s oder Sotheby's gar nichts zu holen. Selbst in Auktionen von bescheideneren internationalen Häusern, wie Wermuth, Steinfels, Koppe und Partner wird es in der Regel (viel) teurer.

Sammlung von 61 Flaschen Mouton Rothschild von 1945-2003

Warum, frage ich mich, verbringe ich so viele Stunden und Tage an Auktionen, warum gehe ich so gerne hin?
 
Es ist einerseits die Atmosphäre, die immer wieder fasziniert. Vor allem aber ist es der „Puls” der Wein-Sammler- und -Genießer-Welt. Hier werden nicht Preise gemacht, sondern hier bestimmt die Nachfrage die Preise und Entwicklung des Wein-Welt-Markts. Was durch die vielen Weinpublikationen erst viel später bekannt wird, zeichnet sich an einer Auktion viel früher ab, vorausgesetzt, man weiß die Zeichen richtig zu deuten.
 
Das große, spannende Unbekannte, das sind die schriftlichen Gebote, die schon bei Auktionsbeginn vorliegen (oft bis zu 80% der Lots). Doch im Saal kennt niemand die gebotenen Limiten - außer der Ausrufer. Und der schweigt! Für die ganz großen Positionen - diesmal zum Beispiel für das Lot 792, eine Mouton-Sammlung 1945 bis 2003, Schätzwert 35.000 bis 45.000 Franken - werden im Saal kaum Gebote abgegeben. Sie gehen anonym weg, irgendwohin in die Welt.

Letzte Konzentration vor der Auktion, im Saal schließlich 100 Leute

 
Ab und zu sagt der Auktionator, wohin die Reise geht: nach Hongkong, nach Russland, nach England, ja sogar zurück nach Bordeaux; in ein berühmtes Restaurant, zu einem bekannten Anwalt, auf eine südfranzösische Jacht... Die Fantasie wird angeregt, der Rest ist Spekulation, denn über verräterische Details schweigt der Mann am Tisch, und der Notar neben ihm achtet darauf, dass ja alles korrekt zu und her geht.
 
Es sind vor allem die „großen Bordeaux”, die Wein-Aristokratie vom Burgund und die italienischen „Supertuscans” wie Solaia, Ornelleia, Sassicaia, Angelo Gaja, die hier gehandelt werden. Diesmal sind es allein 1.200 Flaschen „Premier grand cru” aus dem Bordelais.
 
Dazwischen „verstecken” sich viele Flaschen und Kisten fast aller Kategorien, zu stattlichen Preisen, nur Schnäppchen gibt es kaum (mehr). Eine Auktion dauert viele Stunden, das letzte Mal waren es sechseinhalb, mit einer einzigen kurzen Pause von 20 Minuten. 1050 Lots mussten durch gepeitscht werden, nur 30 davon fanden keine Käufer.
 
Zwei Großflaschen: bloß eine Chimäre?
Hier wird viel Weinwelt sichtbar, weil hier der Weinalltag eingeleitet wird, die Vorlieben, die Preise, die Verfügbarkeit von Weinen. Hier werden - ohne darüber zu reden - mehr Entscheidungen gefällt, als auf allen noch so großen Weinmessen und Degustationen. Hier tritt der Handel (auch die Spekulation) gegen etwas an, was ich als weltweite Weinliebe, Weingeschmack, Weinidee bezeichne. Dieser Wettbewerb um die Gunst wird letztlich zum Prüfstein, wie viel der Konsument bereit ist für ein Produkt (das auch stark Moden unterworfen ist) zu zahlen.
 
Um dies noch etwas konkreter auszudrücken: An der letzten Auktion - von der ich hier berichte - wurden 6.800 Normalflaschen angeboten, dazu 400 Magnum, 29 Doppelmagnum, 240 halbe Flaschen und 10 weit größere Formate (das größte eine 18-Literflasche!). Der Umsatz betrug 1.520.000 Schweizer Franken oder knapp eine Million Euro. Bemühen wir den berühmten Durchschnitt, dann wird an dieser Auktion 190 SFr (120 €) für eine 7,5 dl Flasche bezahlt.
 
Nur ein Zahlenspiel? Weit mehr als dies! Da der weitaus größte Teil der Weine in den weltweiten Handel zurückgehen wird, bahnen sich hier entscheidende Entwicklungen an: welche Weine werden in der nächsten Zeit zu welchem Preis verkauft? Vor allem aber auch: Welche Weine lassen sich wo verkaufen, wie entwickeln sich Angebot und Nachfrage?
 
Trotzdem gibt es an solchen Auktionen, auch in Zeiten der Höchstpreise, immer wieder ein paar günstige Käufe: eben Schnäppchen. Dann nämlich, wenn beschmutzte Etiketten, verschimmelte Kisten, beschriebene oder zerkratzte Aufkleber die Weine für den Handel „unbrauchbar” machen, für den Genießer aber genau so wertvoll sind.
Man ist sich nicht immer einig

 
So habe ich - unter den fast 7.000 Flaschen - 6 Tour de Pez 95 und 6 Haut-Caussan 94 für 15 SFr (9.50 €) die Flasche erstanden. Auch wenn dazu noch rund 20% Aufpreis und Mehrwertsteuer kommen, so ist dies doch ein respektables „Schnäppchen”. Oder: 2 Flaschen Haut-Brion 1964 Schätzungspreis 500 SFr. immerhin für die Hälfte erstanden, während das Nachbarlot 6 Pétrus 1989 (Schätzungspreis 16.000 SFr) für 24.000 SFr. wegging.
 
Für mich sind trotzdem Auktionen längst keine Schnäppchenjagden mehr. Es sind Begegnungen mit den besten Weinen der Welt und mit den Menschen, die dafür viel zu bezahlen bereit sind. Es sind „Realitätsausschnitte” aus einer Welt, die zwar mit Geschäft, letztlich aber doch mit Genuss zu tun haben. Und da gehöre ich - auch mit kleinstem Budget - eben doch dazu.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

12.04.2007


Mit Winzern, Händlern, Agenten, ... und einem Trüffelhund im Rhonetal


Entdeckungen an der Rhone



„Découvertes en Vallée du Rhône” - „Entdeckungsreise im Rhonetal”, so nennt sich eine Veranstaltung, die versucht, alle zwei Jahre die Weinwelt an die Rhône zu bringen. Es ist kein „Salon”, wie wir ihn von Bordeaux, Düsseldorf, Tokio, Verona kennen. Und doch werden etwa 1,5 Millionen Eintritte registriert, von Besuchern aus 35 Ländern, denen 1.000 Winzer 4.000 Weine vorstellen möchten, in 7 Regionen, an 16 verschiedenen Orten, 19 größeren und kleineren Sälen. Die südlichsten und nördlichsten Präsentationen liegen rund 250 Kilometer auseinander, von der Côte Rôtie bis hinunter zur Costières de Nîmes. Die Veranstaltung dauert eine Woche.

Messerummel in den „heiligen Hallen” des Papstpalastes

Soweit die Zahlen, die Begriffe, die Superlative. Was nun? Natürlich, ich stürze mich ins Geschehen. Schon der erste Tag ist viel zu kurz: Anreise, Treffen der Freunde, Bezug der Wohnung, für eine Entdeckung bleibt da kaum mehr Zeit. Auf dem Programm steht ausgerechnet Châteauneuf du Pape, die Parade-Appellation an der Rhône. Nicht weiter schlimm! Hier kenne ich doch den einen oder andern Namen, da habe ich schon den einen oder andern „großen” Wein getrunken. Eine „découverte”, eine Entdeckung, ist hier kaum mehr möglich, und wenn, dann sind bereits Hunderte ebenfalls daran, ein Weingut, einen Wein  auch zu entdecken.

Trotzdem mit den vielen Weinen fast allein
Also warten auf den zweiten Tag: Avignon - drei Präsentationen im imposanten Papstpalast. Es bleibt keine Zeit für Schönheiten der Kunst und historische Exkurse. Im großen Audienzsaal gibt es „Gigondas” und „Côtes du Vivarais” von 70 Produzenten. In zwei weiteren Sälen sind es dann 75 Winzer aus „Côtes du Rhône” und „Côtes du Rhône Village”. Sie alle versuchen, gerade mein Interesse zu wecken.

Mein kindlicher Traum, den ich nicht als Kind, sondern erst als bestandener Herr zu träumen begann, verflüchtigt sich zusehends: nämlich ein gewichtiger Weinkritiker, ein erfolgreicher Weinhändler oder gar ein berühmter Sommelier zu sein. Ich bin heilfroh, dass ich zwar „entdecken” darf, aber nicht muss, dass ich darüber schreiben kann, aber nicht schreiben muss! Was habe ich da gelesen: „N’oublions pas le plaisir!” ( „Vergessen wir das Vergnügen nicht!”).

Das ist schon fast philosophisch!

An diesem Tag mache ich nur „Stichproben”, schaffe 26 Verkostungsnotizen, führe 3 Gespräche mit Winzern und diskutiere mit Besuchern, vor allem mit meinen Freunden aus Deutschland. Immerhin ein Anfang!

Messeführer mit Notizbuch, Glas und Spucknapf; die ständigen Begleiter
Am nächsten Tag - meine Frau ist inzwischen auch eingetroffen - steht leider kein berühmtes Weingebiet auf dem Programm. Dafür sind es vier auseinanderliegende Orte: Roquemaure für die Appellation „Lirac”, Tavel mit seinen eigenen Weinen, Laudon mit „Côtes du Rhône/Village” und Pont du Gard für die „Costières de Nîmes”. Nach fast einer Stunde Fahrzeit erreichen wir den Salon in Roquemaure: 40 Weine stehen auf dem „Entdeckungstisch”, je eine Flasche von jedem Weingut. Ich mache mich an die Arbeit, schaffe immerhin etwa 20, also die Hälfte der Weine, verzichte auf Gespräche, auf Diskussionen. Da gibt es lange Zeit nur noch mich und die Weine.

Ich beginne zu rechnen. Für einen Wein brauche ich - wenn ich ganz schnell mache - vier Minuten: Daten notieren, zweimal den Gaumen füllen, wahrnehmen, überlegen, ausspucken, Eindrücke notieren, mich zum nächsten Wein durchkämpfen. Dies macht bei 40 Weinen 160 Minuten oder annähernd drei Stunden. Ich schaffe in zwei Stunden 20 Weine, dann bin ich erschöpft.

Für die Verpflegung ist bestens gesorgt - die mühsam erkämpfte Sitzgelegenheit im Hof muss verteidigt werden. Und es ist herrliches Frühlingswetter, da verstreicht gut und gerne eine weitere Stunde.

Die einzige Abwechslung: ein Trüffelhund
Auf den Besuch der nächsten drei Präsentationen verzichten wir: die Fahrt allein hätte über eine Stunde in Anspruch genommen. Dafür machen wir einen Besuch in Châteauneuf du Pape bei einem befreundeten Winzer (Thema einer späteren Kolumne). Schließlich landen wir in Orange, rasen durch die Arena, das Kunstwelterbe, und machen uns auf die Heimfahrt (eine weitere Stunde). Nach dem Essen werde ich immer nachdenklicher: 150 Winzer und Weine nicht gesehen, nicht einmal von Weitem, geschweige denn verkostet!

Am dritten Tag mache ich natürlich alles anders: besser. Diesmal sind es 130 Winzer, verteilt auf drei Orte. Wieder eine lange Anfahrt, Picknick am Mont Ventoux und schließlich in Vissan: „Côtes du Rhône/Village”.

Aber halt: da wartet eine weitere Attraktion auf uns. Trüffelsuche! Meine Frau möchte unbedingt hin, ich melde mich ab und wende mich den Weinen zu. Den klugen Trüffelhund habe ich nie gesehen und auch nicht erlebt.

Dafür packt mich der Ehrgeiz, die 56 Weine auf dem Entdeckungstisch zu testen. Um es vorweg zu nehmen: 42 schaffe ich. Dann wird die Ausstellung geschlossen.

Mit einer hohen Erfolgsquote!

Doch ich bin stolz auf die 42 Notizen: Ich weiß jetzt immerhin, dass drei Weine sehr gut sind, einen Kauf wert, dass die (wenigen) Bioweine nicht besser, aber auch nicht schlechter abschneiden, dass die Kooperativen auch gute, immer bessere Weine machen, dass die Weine in dieser Region sehr viel Alkohol haben, dass ich auf der Website das eine oder andere Gut anklicken werde und dass ich einmal - wenn ich das nächste Mal in dieser Gegend bin - den einen oder andern Winzer besuchen könnte, vielleicht - möglicherweise - bei Gelegenheit...

Doch sicher ist es nicht, denn da gibt es noch andere Regionen, in Frankreich, in Deutschland, in Österreich, in Italien, ja sogar in der Schweiz..., die ich schon lange besuchen wollte. Spätestens bei diesem Gedanken kapituliere ich, stelle meine Bemühungen ein, die Rhone zu entdecken, gebe auf, verzichte auf die nächsten 3 Tage im Rummel der „Décvouvertes”, unterdrücke das Interesse an so wichtigen Appellationen wie „Hermitage”, „Crozes Hermitage”, „Côte-Rôtie”. Vielleicht das nächste Mal, in zwei Jahren, dann mache ich alles besser. (Uebrigens: ich war schon das dritte Mal an dieser Veranstaltung, immer etwa mit der gleichen Ausbeute).

Müde und erschöpft, den Gesichtern nach kaum glücklich

Als Journalist habe ich es da gut, ich muss nur das festhalten, was ich möchte, Was ich verkoste, das muss nur für mich allein Bestand haben, nicht vor der Öffentlichkeit, nicht für die Umsatzzahlen, nicht für mein Ein- und Auskommen. Ganz allein nur für mich! Darum habe ich auch auf dieser Entdeckungsreisen „das Vergnügen nicht vergessen!”

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

27.04.2007


Grosse Weine im kleinen Gourmet-Tempel


Pichon Baron besucht Horst Petermann



Trendlokale sind cool, Gourmettempel edel und längst „in”, Geheimtipps sicher nicht mehr geheim, dies auch in Zürich, der größten Schweizer Stadt. Gault-Millau dekoriert seit Jahren acht Starköche in der Schweiz mit begehrten 19 Punkten. Nur zwei von ihnen kochen in der Deutschschweiz, die andern sechs sind im Welschland zuhause. Ein Zufall? Tatsächlich sind unsere französisch sprechenden Landsleute die größeren Genießer. Sie sind der französischen Küche auch viel näher als wir Deutschschweizer, die wir uns eher dem Statussymbol als der Lebenslust und -freude verpflichten.

Kunststube in Küsnacht (bei Zürich): seit über 20 Jahren Gourmet-Tempel

    
Solche Gedanken plagen mich seit Jahren. Bis jetzt war ich nämlich noch nie bei den beiden Spitzenköchen der Deutschschweiz zu Gast, weder in der „Kunststube” von Horst Petermann in Küsnacht (8 Kilometer von Zürich entfernt) noch bei André Jäger in der „Fischerzunft” in Schaffhausen. Gourmet-Tempel sind eben etwas für Götter, statusbewusste Stars, eine gut „betuchte” Klientel. Dies habe ich mir - als Entschuldigung - immer wieder gesagt. Dabei bewege ich mich weinmäßig durchaus häufig in der Liga der „Gourmet-Tempel - und sei es „nur” in Gesellschaft mit einer Flasche aus dem eigenen Keller.
Gala-Diner - eine Stimmung wie in einem Tempel

    
Irgendwie hat sich in mir „Food and Wine” noch nicht richtig gefunden, obwohl ich durchaus gerne gut koche und ein delikates Mahl überhaupt nicht verachte. Doch mir ist es bisher wie so vielen Genießern von feinem Essen und gutem Wein ergangen. Die beiden wollten sich einfach nicht richtig paaren. Koche ich zuhause, da habe ich rasch den passenden, hervorragenden Wein aus dem Keller geholt, doch dem Essen fehlt (trotz heißem Bemühen) die Finesse eines echten Kochkünstlers. Und wenn ich in einem Restaurant mit einer 16-und-mehr-Punkte-Küche einkehre, da wird die Sache mit dem „richtigen, guten Wein” rasch einmal zu teuer - ja bleibt meist unerschwinglich.
     
Also esse und trinke ich weiterhin ab und zu zwar auf „höchstem Niveau”, aber meist getrennt. Ein klarer Makel!
Die Köche stellen sich vor: Horst Petermann (zweiter von links)

Das wollte meine Frau nicht hinnehmen, kurz entschlossen schenkte sie mir - schon vor Jahren - einen virtuellen Gutschein zum Besuch der „Kunststube” von Horst Petermann. Der Gutschein blieb virtuell, Horst Petermann musste auf mich verzichten, jahrelang. Doch jetzt war es so weit: Dem Konzern AXA (Versicherungen) sei Dank. Er präsentierte seine Bordeaux-Weine an einem Gala-Diner bei Petermann: Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das war ein Erlebnis!

Das perfekte Arrangement gehört zu einem perfekten Essen
Nach dem Champagner im Garten: Barnaut, Grand cru  100% Pinot Noir - und dem Entree: Gänseleber mit schwarzen Trüffeln und Artischocken im Sauternesgelee dazu „S” de Suduiraut) wurden aufgetischt: Taubenbrust auf frischen Morcheln - dazu „Petit Village” 1998. Bei Gabriel immerhin 19, bei Parker und WineSpactator um 90 Punkte. Doch dies war nur der Rotwein-Auftakt. Zum gebratenen Wolfsbarsch auf Lauchgemüse mit Rotwein passte der Pichon Baron 1996 - bei Parker ein 91 Punkte-Wein.

Doch es kam noch weit besser: Zum Lammrücken aus Sisteron mit Estragon-Jus passte ausgezeichnet der Pichon Baron 1990. Nun sind wir schon tief in die 90er-Punkte geraten. Als „Zugabe” wurde dann aus einer Doppelmagnum Pichon Baron 1989 ausgeschenkt, der - wenigstens für mich - sehr nahe an die 100-Punkte stößt.

Christian Seely, Generaldirektor von AXA Millésimes stellt seine Weine vor
Zu erwähnen sind noch das Dessert aus kleinen Mandelkuchen, begleitet von exotischen Früchten einer „Crème brûlée” und einem Suduiraut 1989, über den Bettane geschrieben hat: „Ce vin s'avère extraordinaire, mais nos petits enfants le trouveront encore meilleur” (dieser Wein erweist sich schon als außerordentlich, aber unsere Enkel werden ihn noch weit besser finden).
    
Wer jetzt, nach dieser Schilderung, frustriert ist, wem der „Saft” im Mund zusammenläuft, bei wem jede sensorische Aufnahme nun blockiert ist, der muss halt auch ein paar Jahre warten, bis sich der fürstliche Baron mit dem bürgerlichen Petermann trifft, und dann im richtigen Moment „dabei sein”.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

11.05.2007

Nördl. von Bordeaux zuhause, längst aufgebrochen in die Weinwelt

Petit Verdot (Kleiner Grünling)


Als ich zum ersten Mal im Haut-Médoc war, es ist schon einige Jahre her, stand ich bewundernd vor dem imposanten Weingut, das an eine chinesische Pagode erinnert: Château Cos d’Estournel. Wir - ein Winzerehepaar aus dem Jura, meine Frau und ich - diskutierten angeregt etwas abseits der Weintouristengruppe über den soeben beendeten Besuch im Château Montrose (inklusive Mittagessen) und über die Qualität der beiden 2ème Cru der Appellation „Saint-Estèphe”.

Petit Verdot, nicht mehr nur in Bordeaux zuhause
Plötzlich sagte der Winzer: „Schau mal auf die andere Straßenseite, was sind dies für Reben?” Tatsächlich breiteten sich auf der gegenüberliegenden Seite der D2 - der berühmten Weinstraße durch das Médoc - Reben aus, die selbst der Winzer nicht auf den ersten Blick einordnen konnte. Es waren weder Merlot- noch Cabernet-Sauvignon-Stöcke, auch kein Cabernet Franc, Malbec oder Carmanère. Ja, was war es dann?

Die Ernte auf Cos d’Estournel war voll im Gange: Doch hier hing noch die ganze Traubenpracht. Der Winzer stellte mit fachmännischem Gespür fest: „Die brauchen sicher noch ein paar Wochen!” Und dies war das Stichwort: „Petit Verdot”!

Ein Blick in den Bordeaux-Führer belehrte uns - weder Cos d’Estournel noch Montrose weisen auf ihrer Anbaufläche Petit Verdot aus. Also, was könnte es dann sein?

Die Beschreibung trifft zu: eine kleine, zylindrische Traube mit einem langen Stil, die Beeren recht kompakt, kaum flügelförmige Ausreißer an der Traube, kleine, kugelförmige Beeren, die Farbe schwarzblau, eine etwas zähe Haut.... Es muss „Petit Verdot” gewesen sein. Doch sicher sind wir nicht! Später hat mich dann die Bordeaux-Bibel „Edition Feret” etwas beruhigt. Cos d’Estournel hat doch auf 120 Hektaren etwa zwei Hektaren mit Petit Verdot bepflanzt. Haben wir ausgerechnet diese 2 Prozent entdeckt?

Petit Verdot aus Südafrika: aus einer Traube, welche die Wärme liebt

Jedenfalls ließ mich die klassische Bordeaux-Traube „Petit Verdot” - wörtlich übersetzt: „kleiner Grünling” - nicht mehr los, die Beere, die in so manchen guten Cuvées aus dem Médoc in kleinen Anteilen (meist zwei bis fünf Prozent) zugesetzt wird. Die Trauben, welche dem Wein Farbe, Kraft, Würze, vor allem zusätzliche Aromen geben sollen und die als Rebsorte im Médoc zwar drastisch zurückgegangen, dafür aber „ausgewandert” ist. Ausgewandert in alle Welt: nach Australien, Chile, Kalifornien, Spanien, Italien... und die nun auch da und dort sortenrein vinifiziert wird. Dies alles habe ich längst zur Kenntnis genommen, doch ein reinsortiger „Petit Verdot” konnte ich bisher noch nie in mein Glas gießen.

Nun aber war es soweit! Auf der Weinkarte eines noblen Restaurants entdeckte ich: Azienda Aricola - Casale del Giglio SRL - Petit Verdot 2004. Endlich einmal ein „echter” Petit Verdot, aus der eher weniger bekannten, aber aufstrebenden italienischen Weingegend Lazio um Rom. Aus dieser Region schätze ich vor allem den „Vigna del Vassallo” von Mauro-Colle Picchioni, jenen Wein den Parker einmal als den „Cheval Blanc Italiens” bezeichnet hat. Habe ich da mit dem „Petit Verdot” aus dem Hause Casale eine weitere Trouvaille entdeckt?

Ich gebe zu, ich musste meine Erwartungen sofort dämpfen. Der Wein war für mich zuerst fremd, etwas rustikal, ungewohnt, sensorisch schwer einzuordnen, das übliche Weinvokabular wollte so gar nicht passen. Allmählich aber gewann der Wein an Struktur, an einzuordnenden Aromen, an Finessen und mir wohlbekannten Anlehen: schwarze Beeren, vielleicht sogar Zwetschgen - aber da bin ich mir nicht ganz sicher - Heidelbeeren oder ist es Holunder oder... Ich weiß es so genau eben nicht, wie dies oft der Fall ist, wenn man etwas Neues sensorisch zu entdecken beginnt.

Unerwartete Begegnung: Petit Verdot aus Italien

Der Chef de Service, durchaus weinbewandert, glaubt offensichtlich in mir den „Weinverrückten” zu erkennen und lässt sich - wohl deshalb - auf ein Gespräch ein. Ja, dieser „Petit Verdot” sei etwas Besonderes, werde aber nur selten verlangt, von Weinliebhabern, Weinverrückten, Exoten eben!

Der Wein sei auf die Karte gekommen, weil man von der Azienda Aricola - Casale del Giglio sowohl den weißen Chardonay als auch die Roten Cabernet Sauvignon und den „Mater Matuta” auf der Weinkarte führe. Bei einem Besuch auf dem Weingut habe man diesen „Petit Verdot” entdeckt. Bisher habe der Winzer diese Rebsorte dem Cuvée „Mater Matuta” beigefügt (85 % Syrah, 15% Petit Verdot). Da sei er eben auf die Idee gekommen, es mit einem reinsortigen „Petit Verdot” zu versuchen, allerdings nur in kleinen Mengen. Dieser Wein steht nun vor mir - und sogleich das fragende Gesicht: „Was sagen Sie dazu?”.

Noch habe ich wenig zu sagen, ich verkoste, mache mir Notizen, äußere meine ersten Eindrücke...

Da sagt mir der Chef: „Nehmen Sie den Rest der Flasche mit nach Hause, morgen wird er noch viel, viel besser sein.” Und der Chef hat Recht. Der Wein ist am folgenden Tag viel weicher, samtener, viel ausdrucksstarker - viel nuancierter. Petit Verdot begann mir zu gefallen.

Azienda Aricola - Casale del Giglio - Homepage

Doch ich frage mich: Wie groß ist die „Liebe” zu diesem - trotz allem - exotischen Wein? Da bin ich mir nicht ganz sicher: Braucht es den reinsortigen „Petit Verdot”, ist er ein echter Gewinn für die Weinwelt? Wohl der erfolgreichste und berühmteste reinsortige Petit Verdot kommt aus Südaustralien, wo schon vor vielen Jahren Geroff Johnston mit der Bordeaux-Traube zu experimentieren begann und seit 1994 seinen „Pirramimma - einen reinsortigen Petit Verdot - mit Erfolg vermarktet. Das Vorbild macht Schule, heute wird sowohl in Australien als auch in vielen andern - vor allem warmen - Ländern Petit Verdot angebaut und auch als Sortenwein gekeltert.

Gestern ist ein „Cos d’Estournel” 1995 auf den Tisch und ins Glas gekommen. Großartig! Ich bin begeistert. Sofort beginne ich einzuordnen, zu erschmecken, zu genießen, zu beschreiben... Vergessen ist der Petit Verdot. Vergessen? Nein, ich bin ja so froh, dass wohl etwa 2% Prozent Petit Verdot im Cuvée von Cos integriert ist. Ich weiß nicht, was er darin an Geschmackserweiterung und Struktur bringt. Ich weiß nur, da gehört er eigentlich - in kleinen Mengen - hin.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)

04.06.2007


„Jessy James „ gleitet durch die Reben von Languedoc


Unterwegs mit einer „Pénichette”



Mit der Jessy James durch das Weinbaugebiet der Languedoc

Eigentlich sind es keine Rebberge, sondern große, weite Rebfelder, die vom „Canal du Midi” durchquert werden, in vielen Windungen und Schleifen, 240 Kilometer lang, von Toulouse bis Marseillan. Man dringt leise tuckernd ein in berühmte Appellationen des Languedoc, viele werden auch nur am Rande berührt oder weiträumig umfahren, weil sie eben an Abhängen oder gar in den Bergen liegen.

Eine Reise mit dem „Hausboot” durchs Languedoc ist so etwas, wie ein Liebesrausch mitten in einer Natur, die von knorrigen, meist schon recht alten Rebstöcken besiedelt ist. Sie sind ausgesetzt dem Wetter und dem Wind - vor allem dem Mistral und dem Tramontane - aber auch der mediterranen Sonne, dem warmen oder gar heiß brennenden Klima. Die Berge im Norden und die Hügel an der Küste vermögen die Flora kaum zu schützen. Wer auf der Autobahn durchs Rhôhnetal oder mit dem TGV von Lyon zum „Canal du Midi” im „Pay d’oc” reist, der wird mit einem Schlag von der „Grande Vitesse” zur Langsamkeit umerzogen, von hundertdreißig und mehr Stundenkilometern auf Schritt- und Wandertempo, vier bis höchstens zehn Kilometer pro Stunde.

Langsamkeit: eine neue Erfahrung mit viel Zeit zum Betrachten

Die Reise kanalaufwärts ermöglicht dem Weinfreund eine gemächliche Annäherung an unterschiedliche Klimata einer Landschaft, die Weine in großen Mengen, zunehmend auch in ausgezeichneter Qualität hervorbringt. Weine, die längst nicht mehr bloß als „Vins de Table” - als einfache Tisch- oder Landweine - abzuqualifizieren sind. Selbst die einfachsten Weine verraten immer häufiger ihr besonderes, mediterranes Klima, ihr Terroir auf einem Boden von Mergel, Geröll und Schwemmland, wie er auf der Bootsfahrt durch die Reben hautnah zu erleben und begreifen ist.

Jetzt im Frühling - nach einem auch hier recht milden Winter - wandeln sich die dunkelbraunen, fast schwarzen Rebstöcke - die im Winter bis auf den „Stamm” zurückgeschnitten wurden - in ein hellgrünes weithin leuchtendes Pflanzenmeer, das nur darauf wartet, zu wachsen, um Blüten und später Trauben hervorzubringen.

Romantische Stimmung entlang der fast endlosen Platanenallee

Gemächlich, zwar nicht mehr von Pferden auf dem Treidelpfad gezogen, sondern angetrieben von einem Motor, der gedrosselt und lärmgedämpft kaum wahrzunehmen ist, wird eine Landschaft durchquert, die sich langsam, aber deutlich wandelt, von einem eher milden, in blauen Dunst getauchten und nach Salzwasser duftenden Meeresklima, bis hin zu einer rauen, von der Sonne und dem starken Wind geprägten, den Naturgewalten trotzenden Gegend, die jetzt im Frühling der Vegetation noch Wärme und Kraft geben kann, aber schon in zwei, drei Monaten nur noch die kräftigsten Pflanzen zu ernähren vermag: dies sind die Reben, die Platanen, die Zypressen und immer mehr größer werdende Felder Garrigue (Heide, Unterholz).

Hier also wächst auch das, was im Herbst geerntet und zu Wein gemacht wird; das, wovon ein großer Teil der Bevölkerung lebt, den Menschen Einkommen und Verdienst gibt, was sie aber auch lieben und worauf sie stolz sind. Auf dieser Fahrt ist auch bei mir viel von dem Snobismus abgebröckelt, den wir Weinfreunde oft so unbekümmert zeigen, in schönklingende Beschreibungen verpacken, mit Noten und Punkten versehen und immer darauf achten, für wenig Geld nur das Allerbeste zu erhalten.

Canal du Midi: 1681 eingeweiht, 240 Kilometer lang

Für mich haben die Weine, die wir an den Abenden auf dem Schiff trinken - fast immer aus der Gegend, die wir gerade durchfahren und nur die besten der Region (als „Weinkenner” ist man sich selber ja etwas schuldig!) - einen ganz andern, neuen Charakter erhalten. Sie sind nicht mehr einfach nur brillant gemacht, toll vinifiziert, ausgewogen in den Elementen wie Säure, Alkohol, Frucht, Geschmack; sie werden plötzlich zu einem Teil des Lebens, das nur hier - in dieser Landschaft, in diesem Klima, aber auch nur in dieser Kultur und Tradition - wirklich gedeihen kann. Davon werde ich in späteren Kolumnen noch einige Male erzählen.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

11.06.2007


Zwei Jahre verstreichen von der Fassprobe bis zur Arrivage


Warten auf Bordeaux



Das christliche Kirchenjahr kommt mir in den Sinn: Es beginnt im Advent, mit der Zeit der Vorbereitung und endet im Herbst, nach dem Erntedankfest. Eingeteilt, je nach Konfession, in Weihnachtskreis, Osterkreis und Trinitatiszeit. Der liturgische Kalender der katholischen Kirche hat dazu noch einen zwei- und dreijährigen Rhythmus um die Heilsbotschaft zu verkünden.

Château Pichon-Longueville Baron gehört einmal mehr zu den Spitzenweinen im klassischen Stil

Nein, ich will die Analogie nicht allzu sehr strapazieren, doch der Osterkreis, der mit dem Pfingstfest endet, ist für jeden Bordeaux-Liebhaber die Zeit der entscheidenden Rituale. Die Fastenzeit, die schenkt man sich, doch dann - im Umfeld der Karwoche - beginnt die Pilgerfahrt ins gelobte Land Bordeaux.

Händler, Journalisten, geadelte und selbsternannte Fachleute ziehen - eine Woche lang - von Château zu Château, von Empfang zu Empfang, von Degustation zu Degustation. Fünfhundert, achthundert, ja tausend Fassproben werden stolz - aber auch abgeschlafft und ermattet - vermeldet.

Der Bordeauxfreund zuhause wartet auf die ersten „Rauchzeichen” aus dem Land der Sehnsüchte. Die zentrale Frage ist weit weniger dem Christentum, als vielmehr der Märchenwelt entnommen: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist ....” Nein, nicht die schönste, der beste (Wein) im ganzen Land. Noch vor Jahren, da musste man warten, hoffen, bangen, bis all die Notizen verarbeitet und publiziert waren. Jetzt, im Zeitalter des Internets, da geht alles blitzschnell. Täglich melden die Auguren, was sie in den Gläsern gesehen, erschnüffelt und verkostet haben.

Arrivage 2004: Die Bordeaux-Kisten stapeln sich zum letzten Mal in der Wohnstube

Dann, das Osterfest ist längst vorbei, tauchen die ersten Punkte auf: Die einen halten es mit der Hunderter-Skala, die andern mit der Zwanziger, die Bescheidenen lediglich mit der Fünfer. Die Notizen dazu sind eintönig, meist banal und gipfeln oft in Kurzformeln wie „wow”, oder etwas differenzierter: „blumig, fruchtig, knackig, frisch und lecker”. Als einziger, etwas besser messbarer Anhaltspunkt dienen die Tannine und der Alkoholgehalt, etwa „frisches Tannin, spürbarer Alkohol, Harmonie noch nicht gefunden”.

Mai - Juni: Weinzeitschriften haben ein gemeinsames Thema: Bordeaux 2006
Neugierig, besessen darauf, d i e Wahrheit im neuen Bordeaux-Jahrgang zu finden, habe ich mich wenigstens an der Statistik festgeklammert: Einer der vielen Weinkritiker für eine große Weinzeitschrift hat 359 Fassproben taxiert und beschrieben, das Wort „lecker” kommt darin 15 mal vor, der Begriff „würzig” 19 mal und „eckig” gar 22 mal, Tannine werden 124 mal erwähnt, davon gibt es das eine Mal zu viel, das andere Mal etwas wenig und das „Holz” taucht 67 mal auf.

Weiß ich jetzt mehr - kann ich mich der „Wahrheit” nähern? Der ernsthafte Bordeauxfreund gerät spätestens jetzt in Stress. Der junge Wein - noch fast zwei Jahre verborgen im tiefen Keller der Bordeaux-Châteaux - drängt schon auf den Markt, der „alte” - abgefüllt in Flaschen, vor zwei Jahren gekauft und bezahlt, trifft allmählich ein. Und dies alles in der Zeit vor und nach Ostern. Die Flaschen und Kisten stapeln sich: in der Regel in einer Ecke des Kellers, bei mir - zwecks Aufteilung und Eintragung in die Bordeaux-Statistik und Lagerhaltung - zum Entsetzen meiner Lieben in der Wohnstube.

Und täglich treffen neue „Beurteilungen” ein. Ernsthaft, wie ich die Sache beim Bordeaux anzugehen pflege, trage ich Punkte und Urteile säuberlich in eine Excel-Datei ein. Das artet in Arbeit aus. Bis jetzt sind es sieben Kritiker mit ihren Punkten und Kommentaren, immerhin 3.500 Eintragungen, die längsten an die 1.000 Anschläge.

Fassmacher auf Château Margaux: in diesen Fässern ruhen jetzt die Weine

Das Bordeaux-Fieber steigt: Warten auf den Meister Robert Parker: um ihn und sein Urteil dreht sich die Preisspirale. Er lässt sich immer mehr Zeit, lässt auf sich warten. Doch noch vor Pfingsten ist es soweit: der Meister hat gepunktet.

Erst jetzt geht es so richtig los: die Preise. Früher waren es die Grossen, die den Ton angaben und das Preisniveau bestimmten. Jetzt rücken die Großen ganz am Schluss mit ihren Preisvorstellungen heraus. Quasi, wenn der Markt erkundet ist. Inzwischen bewegen sie sich in einem Umfeld, wo nicht mehr die Liebe zum Wein, sondern der Luxus den Markt bestimmt.

Auf dem Prüfstand: Fassproben von Clos Badon bis Valandraud
Zuerst kommen also jetzt die Kleinen, sie nutzen den Zeitvorsprung für die ersten Verkäufe. Dann sind es die Mittleren, die auf den Markt drängen und die ersten heftigen Diskussionen zum Verhältnis Preis - Leistung auslösen. Und schließlich warten die teuren und ganz teuren Weine Pfingsten ab (Hoffen auf den heiligen Geist?), um dann, eben in diesen Tagen - Mitte Juni - den Kauf „en primeur” zu starten.

Jetzt ist wieder der Bordeaux-Liebhaber am Zug. Was soll er subskribieren - kaufen, so quasi als Termingeschäft - oder warten? Auch wenn er jetzt kauft, werden die Weine erst in zwei Jahren (siehe katholischer Liturgierhythmus) in seinem Keller ankommen: Arrivage. Erst dann kann er überprüfen, wofür er schon jetzt - auf Grund seiner Überlegungen und seines Glaubens - bezahlt hat. Viel Geld, für immer weniger Flaschen.

Vor einem Jahr bin ich ausgestiegen, aus diesem liturgischen Karussell (siehe Kolumne „Abschied von Bordeaux”). Ich mache nicht mehr mit, oder nur noch ganz am Rande. Die 12er und 6er Kisten vom Jahrgang 2004 stapeln sich zum letzten Mal. Dann wird es bescheidener. Dafür habe ich gute Gründe: mein Alter - was ist schon in 10 Jahren, wenn die Weine wirklich reif sind? - und die Entwicklung im Bordelais bei den Weinen mit großen Namen in Richtung Luxus.

Fassprobe: nach geschlagener Schlacht um den besten Bordeaux 2006

Die Bordeaux-Erregung aber, rund um den Osterkreis bis weit nach Pfingsten, ist geblieben. Schweißige Hände, leicht zittrige Lippen, flackernde Augen: sie sind ein sicheres Zeichen, dass ich der Dame „Bordo” noch immer verfallen bin, denn was man einmal innig geliebt hat, ist nicht aus der Seele zu löschen. Auch wenn man vorgibt, den Verstand walten zu lassen, oder sich gar die Liebe in Hass (eine zerstörerische Form der Liebe) wandelt.

Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)

PS. Für all jene, die eine Aufzählung der besten Bordeaux 1996 vermissen und Empfehlungen wünschen: hier die besten Weine gemäß durchschnittlicher Wertung von 9 Weinkritikern.

Für Luxustrinker und Spekulanten:
Cheval blanc, Margeaux, Léoville-Las-Case

Für Liebhaber von Tradition und Namen:
Calon-Ségur, Malescot Saint-Exupéry, Léoville-Barton, Pichon-Longueville Baron

Für Normalsterbliche im mittleren Bereich:
Clos de Lunelle (Côtes-de-Castillon), Cantenac-Brown, Léoville-Poyferré

Für Jäger und Sammler:
Monfollet (Blaye), Moulin Haut-Laroque (Fronsac), Clos du Jaugueryron (Haut-Médoc)

(wie immer, ohne Gewähr)


Peter Züllig

26.06.2007


Duftstoffe und Aromen lösen starke Gefühle aus:


Fernweh und Heimweh


Eine einfache Beobachtung und die anschließende Frage im Forum von Wein-Plus hat mich beschäftigt: „Zur Zeit fällt mir draußen wieder der schöne Duft der Lindenblüten auf. Dieser Duft wird ja auch unter dem Thema floral/blumig beim Geruch von Wein aufgezählt. Welche Rebsorte oder besser noch welcher Wein weist diese Aromen auf?” Ich komme ins Sinnieren!

Die majestätische Linde vor dem Hause schafft eine besondere Aura

Vor meinem Fenster steht ein prächtiger, blühender Lindenbaum. Seit Tagen dringt der leicht süßliche, aromatische Duft in mein Schreibzimmer. Erinnerungen an die Jugend, als wir als Buben noch auf die Linden kletterten, um Blüten zu pflücken und damit ein paar Batzen zu verdienen; an den Tee, den meine Mutter anbrühte, wenn ich Halsweh, Bauchgrimmen, Husten und weiß nicht was hatte; an einen wunderschönen Frühlingstag am Attersee in Österreich, wo wir vor einer Degustation (Thema: Languedoc) bei Fisch und Wein zusammen saßen und ein süßlicher Lindenduft den leicht modrigen Geruch stehenden Wassers übertönte. Heimweh oder Fernweh?

Ich bin an einem See aufgewachsen, ich liebe gekochte Forellen, „Forelle blau” und trinke dazu besonders gerne einen frischen, fruchtigen, würzigen Weißwein. An unserem Tisch bei der Linde am Attersee hat auch ein Winzer aus dem Burgenland Platz genommen. Herbert Lassl aus Sigleß. Wir reden über den österreichischen Wein, die Hexenhügel, die Hallstattkultur, die besondern Rebsorten Österreichs, die Schwierigkeiten der Winzer, die Schönheit der Landschaft und (weil wir gerade an einem herrlichen See sitzen) natürlich über den Neusiedlersee „mit dem besten Klima der Welt für die Entwicklung von „Botrytis cinerea” oder eben Edelfäule”.

Die Lindenblüte entwickelt einen vollen, süßlichen, intensiven Duft

Und ausgerechnet da ist es passiert. Ich beginne mich zu schämen: Was weiß ich über österreichische Weingebiete, was weiß ich von österreichischen Weinen? Und es packt mich das Fernweh. Burgenland.

So weit weg ist das Burgenland nun auch wieder nicht - doch: nochmals gut dreihundert Kilometer westlicher, fast 900 Kilometer von mir zuhause entfernt.

Wir trinken zum Fisch einen Weißen, den der Winzer mitgebracht hat. Ich bin nicht mehr ganz sicher, ist es ein Grüner Veltliner oder ein Welschriesling gewesen. Jedenfalls passt er hervorragend zur Forelle. Und wieder gerate ich ins Sinnieren. Welschriesling? Etwas Nussiges hat der Wein - oder habe ich dies nur gelesen, wiederhole den Eindruck nun getarnt als eigene Erfahrung? Säure und Frucht jedenfalls dominieren. Und diese grünliche Farbe: ist es doch ein Grüner Veltliner gewesen? Ich weiß es nicht mehr, die Aromenerfahrung liegt zu weit zurück.

St. Laurent: kräftig, fruchtig, samtig und vollmundig
Schon mehr als ein Jahr ist dies her: ich bin längst wieder zuhause. Meine jetzt so schön duftende Linde vor dem Fenster entführt mich in die Ferne, ins Burgenland. Da soll es nicht nur Welschriesling und Grünen Veltliner geben, auch Blauen Zweigelt, Laurent, Blaufränkisch, alles Rebsorten, die für mich so gut wie unbekannt sind.

Der Winzer aus dem Burgenland hat nebst dem Weißen noch ein paar Flaschen mehr mitgebracht. Sechs Rote aus seinem Weingut, vom Blauen Zweigelt „Primus ” bis zur Cuvée „Terzo” 2000. Die „Terzo” ist seine Spitzen-Cuvée aus Blaufränkisch, Zweigelt und Cabernet Sauvignon, im Eichenfass ausgebaut. Eine interessante Variante zur traditionellen Bordeaux-Assemblage. Doch davon trinken wir jetzt nichts. Languedoc ist ja das Thema.

Die Cuvée „Ultimo” hingegen verkosten wir am nächsten Tag, in privater Runde, bei einer kleinen Tour d’Horizon durch Österreichs Weinkultur: Blaufränkisch und Zweigelt. Die Cuvée hat mir gefallen, mein Interesse ist geweckt. Fernweh!

Das Aroma der Weichsel ist allgegenwärtig in den verkosteten Weinen aus dem Burgenland

Die restlichen fünf Weine habe ich eingepackt, im Handgepäck im Zug mitgeschleppt und später prompt im Keller vergessen.

Der duftende Lindenbaum hat sie wachgerüttelt in meiner Erinnerung. Anstatt eines Bordeaux 1994 oder 1997 gibt es heute den St. Laurent 2004 aus dem Haus Lassl im Burgenland: die genaue Bezeichnung „Jungfernlese”. Wir sitzen hinter dem Haus im Garten, warten auf zartes Fleisch vom Grill und die Bratkartoffeln. Von der Linde ist hier nichts zu sehen und nichts zu riechen.

Ich tue mich schwer mit den kräftigen, fruchtigen Aromen des St. Laurent. Meine Frau meint lakonisch: Er erinnert mich an einen Schweizer Landwein, einen Pinot, mit einem etwas „anderen” Geschmack: Weichsel, Sauerkirschen. Tatsächlich steigt in mir wieder die Erinnerung hoch: Der Lausbub vom Zürichsee, der die verbotenen Früchte direkt von den Bäumen nascht und dann mit fürchterlichen Bauchschmerzen nach Hause kommt: Heimweh!

Verkostung in Attersee. Ganz rechts Herbert Lassl, Winzer aus Sigleß im Burgenland

Ich gehe in meinen Garten, auch da steht ein Kirschbaum, sind es Weichsel? Ich probiere die unreife rote Frucht. Ja, diese Aromen stecken auch im St. Laurent.

Nun aber geht es an den Zweigelt. Wiederum meine Frau: „das ist also dieser berühmte Zweigelt, ich glaube, ich habe ihn noch nie getrunken!” Und mein Kommentar nach dem ersten Schluck: „Himmel, wieder dieses Weichsel-Kirschenaroma, aber viel weicher, leichter, geschmeidiger als beim St. Laurent. Kein Wunder, der Blaue Zweigelt ist eine Züchtung aus St. Laurent und Blaufränkisch. „Ein Damenwein”, spotte ich und erhalte prompt die viel kompetentere Antwort: „der Wein erinnert mich an Diolinoir, einer Neuzüchtung aus dem Wallis!”

Tatsächlich finden wir auch im Zweigelt die Wärme, die „weinige” Aromatik, die Eleganz und den runden Körper eines Diolinoir! Dies ist vielleicht falsch, doch sicher viel substanzieller als meine flapsige Bemerkung.

Reblandschaft am Neusiedlersee

Es bleibt nicht dabei. Als nächsten Wein - inzwischen ist es schon dunkel geworden, die Grillade längst verzehrt - öffnen wir den Dritten im Bunde: Blaufränkisch. Schon Karl der Große soll diese Rebsorte geschätzt haben, weiß das Wein-Glossar zu berichten. Fernweh kommt auf: ja, das Blaufränkischland, das sich so herrlich zur ungarischen Tieflandebene öffnet. Jedenfalls verrät das, was wir im Glas haben - ein typischer Österreicher aus dem Burgenland - viel Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein, auch eine Leichtigkeit, und wunderschöne Fruchtaromen, eine dunkle rubinrote Farbe und ein - für den Cabernet-Merlot-Trinker - eigenartiges, kräftiges Bouquet, das in mir noch mehr Fernweh auslöst. Heute, ein Tag danach, flutet der Duft der Linde ( „fleur de tilleul”) wieder in mein Zimmer. Ich nehme mir vor, heute abend die beiden eher „internationalen” Weine von Lassl zu trinken, den Pinot noir, 2004, „Jungfernlese” und das Cuvée „Terzo” 2000. Ob sich die Erfahrung der ersten Begegnung wiederholt? Im Vergleich zu gestern kommen uns die Weine jetzt vertrauter vor: Cabernet und Pinot sind uns geläufig. Und trotzdem: sie sind anders als all uns bekannten Pinots, als all die Varianten von Cabernet-Assemblagen. Oder ist es nur weil die Erfahrung von gestern weiterlebt, zusammengefasst etwa so: kräftig, rund, ausgeprägte Aromen und starke Würzigkeit?

Inzwischen habe ich alle fünf Weine während des Schreibens dieser Kolumne tüchtig nachverkostet, ohne auszuspucken. Und jetzt weiß ich, dass österreichischer Weingenuss nicht nur in der Ferne, sondern auch zuhause, unter der blühenden Linde, möglich ist. Heimweh verbunden mit Fernweh?

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

11.07.2007

Am Canal du Midi von Agde nach Carcassonne

Fünf Appellationen, fünf Weine


Der Canal du Midi schlängelt sich 240 Kilometer durch das Rebgebiet der Languedoc. Man sieht - über weite Strecken - zwischen den Platanen hindurch nur Reben, nichts als Reben. Man entdeckt aber kaum - oder nur selten - ein Weingut. Und nur ganz wenige „Caves” (Weinkeller) präsentieren am Kanal ihre Weine.

Fahrt auf dem Hausboot - vorbei an Reben, Reben, Reben

Im gebrauchten Navigationsbuch von Freunden, das ich benutze, steht handschriftlich der Eintrag: „Luki, Wein holen, 3 Liter Rosé!”. Tatsächlich braucht man in der Regel zumindest ein Fahrrad, um an Wein, oder schon eher ein Auto, um an guten Wein zu kommen.

Gewarnt durch diese Erfahrungen habe ich die Reise auf dem Canal du Midi weinmäßig vorbereitet. In Agde - unserem Ausgangspunkt für die Fahrt kanalaufwärts bis Carcassonne - werden ausgewählte Weine eingeladen. Jeden Tag zumindest ein besonders guter Wein aus der durchquerten oder nächstgelegenen Appellation.

Das Anstoßen mit diesen - meist international bekannten - Languedoc-Weinen gehört nach der Tagesfahrt zum Höhepunkt des gemütlichen, geselligen Abends. Eine Erfahrung - zwar nur im Kopf konstruiert - bewahrheitete sich Tag für Tag. Nach viel Natur, weiter Landschaft, endlosen Rebfeldern und dem Geruch nach modrigem Wasser, Harz, Blütenduft und Wald schmeckt jeder Wein doppelt und dreimal so gut wie zu Hause am Stubentisch. Ich kann dies beschwören, da ich alle diese Weine schon oft und immer wieder zuhause getrunken habe.

Gemuetliche Weinrunde am Abend, nach stundenlanger Fahrt durchs Languedoc

Die erste Strecke unserer langen Fahrt, von Agde bis weit über Béziers hinaus, führt durch das AOC-Gebiet Coteaux du Languedoc. Es ist die größte Appellation, nicht zusammenhängend, vielmehr verstreut über ein riesiges Gebiet. Natürlich gibt es auch hier herausragende Weine, doch darin einen bestimmten Charakter zu finden oder gar ein spezielles Terroir, ist unmöglich.

Unsere Weinrunde auf der gemütlichen „Weinfahrt” starten wir deshalb mit einem Faugères, aus einer Appellation, die wir nicht durchfahren, ja nicht einmal sehen können: Faugères liegt etwa 40 km nördlich vom Kanal, auf einer Höhe bis zu 400 m.ü.M. Auf dem Kanal bleiben wir „unten”, dort wo sich die Ebene dem Meeresspiegel nähert.

Der Dorfladen auf dem Schiff: Einkauf und Degustation

Faugères: da gibt es sehr viele hervorragende Weine, die auch international bekannt und gefragt sind. Wir öffnen keinen „internationalen”, sondern einen „traditionellen” Faugères, der typisch ist für eine Gegend, in der die Winzer mit einer oft rauen Landschaft, mit viel Trockenheit, Hitze und Wind zu kämpfen haben, mit einem Schieferboden, überdeckt von einer Steinwüste, und wo Ertragsreduzierung auch ein Verdikt der Natur ist. Dies alles spürt man im „Castel Fossibus” von der Domaine Ollier-Taillefer. Tiefe, Kraft, Aromatik (Gewürze, Lakritze, rote Früchte), die typischen Anklänge an Schiste (Schiefer) - eine wunderbare im Wein gebändigte Wildheit, ein herrlicher Kontrast zu unserer ruhigen Fahrt auf dem Kanal.

Nach Béziers - mit seinen Wunderwerken, dem Aquädukt, auf dem wir fahren, und sieben Schleusen hintereinander - nähern wir uns dem nächsten berühmten Weingebiet: St-Chinian. Die Appellation berühren wir nur, doch ihr südlichster (flacher) Teil ist in Sichtweite, vielleicht zwei Kilometer entfernt. Im Norden der Appellation gleichen die Weine jenen von Faugères, im Süden aber dominiert das mediterrane Mikroklima. Wir sind von Mimosen, südlicher Vegetation, ja sogar Orangenbäumen umgeben. Also: unsere Wahl, ein Wein aus dem Süden, wieder ein „Einheimischer”, aus einem Familienbetrieb, seit Generationen: Großvater, Vater, Sohn und Tochter. So die „Tradition” auf der Domaine de Jougla. Hier wird ein - für mich - wohl charaktervollster St-Chinian gekeltert. „Le Grand-Père”, wie man auf dem Weingut sagt: würzig, rassig, blumig, geschmeidiger Körper, und erstmals auf unserer Fahrt ist „garrigue”, das typische Unterholz, im Wein zu erschnüffeln. Ich ziehe diesen „kleinsten” unter den Weinen von Jougla dem weit bekannteren Cuvée Signée vor, auch dem im Hachette gelobten „Viels Arracis”.

Eine der spärlichen Einladungen zur Wein-Degustation

Auch südlich von uns liegt ein ganz spezielles Weingebiet, „La Clape”. Es gehört zwar zur Coteaux du Languedoc, doch es hat seinen eigenen Charakter: wild, herb, vulkanisch, dem Wind ausgesetzt, ein kleines Gebirge in unmittelbarer Meeresnähe. La Clape liegt etwa 15 km südlich des Kanals, doch der Bergzug ist gut zu erkennen. Also: jetzt kommt der typische Languedoc-Stil (mit eigenem Clape-Charakter) auf den Tisch. Ich möchte die Felsen, das Meer spüren. „La Falaise” vom Châteaux de la Négly. Falaise bedeutet Felswand, Kliff, Steilküste. Der Wein hat tatsächlich etwas von diesem Charakter, doch eingebettet in ein weiches, feines, frisch duftendes Bouquet, in eine Aromavielfalt, die wohl das ganze Languedoc aufgesogen hat, von den Blumen, Beeren bis hin zu den Garriguefeldern und Steinböden.

Vom Schiff aus nicht erreichbar, Minerve am Fuße der "schwarzen Berge"

Endlich dringen wir mit unserem Boot ein in eine der eigenständigsten Appellationen des großen Weingebiets, ins Minervois-la-Livinière. Hier liegt der Kanal bereits 33 m.ü.M. Im Norden sind die Terrassen des Minervois zu sehen, die sich von den schwarzen Bergen bis fast zum Kanal erstrecken. Minerve, das geschichtsträchtige (Katharer) „Felsennest” hoch über dem Fluss Brian, können wir (leider) nicht sehen, es liegt 15 km nördlich. Doch Weinberge sehen wir, Weinberge, Weinberge... Unser Wein: „Fontaine de Cathala” vom Château Gourgazaud, am Fuß des „Schwarzen Berges”: Ein weicher, feiner, feingliedriger Minervois, ein Cabernet, deshalb „nur” ein „Vin de Pays d’Oc” (die Appellation Minervois erlaubt die Rebsorte Cabernet Sauvignon nicht). Vielleicht hätten wir doch zuerst den etwas wilden „Carignanissime” vom Clos Centeilles entkorken sollen, einen „reinen” Carignan, der die Landschaft so treffend charakterisiert. Beide Weine zeigen das große Spektrum der Weine im Minervois: von eigenständig, ungezähmt, speziell, charakteristisch beim Carignan bis hin zum eher verbindlichen, vollen, cassisnahen Cabernet.

Ein kühler Rosé am Tag

Wir nähern uns allmählich Carcassonne, bewegen uns über weite Strecken zwischen dem größten und heißesten Weingebiet, der Corbière im Süden und dem Minervois im Norden. Die Corbière begleitet uns lange, fast bis zur Katharer-Stadt Carcassonne.

Zum Abschluss also noch ein Wein aus dieser Gegend, aus „Fitou”, einem kleineren Weingebiet, das mitten in der Corbière (allerdings südlich von uns) liegt. Von der Domaine Bertrand-Bergé kommt die Cuvée „Jean Sirven”, so quasi die Krönung von dem, was uns bisher das Languedoc an guten Weinen geboten hat. Da lasse ich (fast) jeden Bordeaux stehen, da falle ich von einem „Wow” ins nächste. Zwar ganz in Barriques ausgebaut (was ich sonst bei den Languedoc-Weinen nicht sehr schätze), gekeltert aus den ältesten Reben des Gutes: Carignan, Syrah und Grenache. Eine herrliche Nase, ein fast endloser Abgang, neben den Aromen der Languedoc-Weine auch eine Spur von Cassis und Lakritze.

Ein großartiger Roter am späten Abend: "Jean Sirven" von Bertrand-Bergé, Fitou

Da, ja da habe ich mich verliebt, wiederverliebt, nicht nur in die Landschaft, die wir so gemächlich durchqueren, sondern auch in die Weine dieser Landschaft. Sicher nicht in alle. Aber in die guten, die besonders guten, die es hier in einer unglaublichen Vielfalt gibt!

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)

25.07.2007


Das beliebteste Gesellschaftsspiel unter Weinfreunden:


Degustieren



Ein echter Weinfreund geht immer und immer wieder in die Lehre, selbst im „zarten” Alter seiner Pensionsberechtigung. Lehrmeister gibt es viele - selbsternannte und auserwählte Gurus der Weinbewertung. Ihnen nachzueifern ist zum gesellschaftlichen Spiel geworden, gekrönt durch das Bewusstsein: alles erraten, richtig getippt und konform bewertet zu haben.

Eine verschworene Gruppe nimmt die Arbeit auf

So mache auch ich mich - immer wieder als Weinnasenlehrling - oft und gerne auf den Weg zu einer Degustation, um meist in einer von zwei Kategorien den Mann zu stellen. Mann? Tatsächlich sind es vorwiegend Männer, die sich diesem freiwilligen Wettbewerb aussetzen. Frauen gibt es auch, sicher, doch sie sind - nach meinen Erfahrungen - meist in der Minderheit, sehr oft auch bloß „Begleitpersonen”, die den sich tapfer schlagenden Mann im Auto sicher nach Hause zu bringen haben.

In meiner Lieblingskategorie werden Weine und Weingegenden präsentiert, die ich nicht oder viel zuwenig kenne. Da schnüffle, nippe, schlucke und spucke ich mit großem Vergnügen: unbekannte Welten, neue Erfahrungen, unerwartete Erlebnisse. Da habe ich auch keine Mühe mitzuhalten und mitzureden, schließlich stuft man mich da als Anfänger ein, und für Anfänger hat man Verständnis, Nachsicht - und oft den Drang, sich als Lehrmeister zu outen. Nur mit dem Punkten, da habe ich dann meine liebe Mühe. Wie soll ich meine Wertskala eichen? Der Vergleich mit Gleichwertigem aus der Region fehlt mir, das Schielen auf des Nachbars Blatt - fast wie in der Schule - bringt oft Erlösung und Rettung vor der Blamage. Doch sonst macht das Ganze Spaß. Ein Gesellschaftsspiel mit neuen Erfahrungen und ernstem Hintergrund. Doch das gibt sich, je mehr der Abend fortschreitet und der Schluckkonsum seine Wirkung zeigt.

Die Utensilien: Drei Gläser, ...

Die zweite Kategorie von Degustationen ist weit anspruchsvoller, eine Herausforderung, mitunter für den Ruf eines Weinkenners existenzbedrohend. Da wird jener Bereich „getestet”, in dem man sich sattelfest fühlt, viel weiß, viel gelesen und so manchen Wein getrunken hat. Da wird das eigene Wissen und die eigene Erfahrung auf den Prüfstand gestellt. Geschafft oder durchgefallen? Alle Weine erkannt, richtig gewichtet, vernünftig gepunktet? Da hängt das Selbstbewusstsein oft an einem dünnen Faden!

Spucknapf und Wasserflasche, ...
An einer solchen Degustation bin ich wieder einmal (zum wievielten?) gewesen und - wie so oft - mit einem zünftigen Komplex nach Hause zurückgekehrt: wenig erraten, eigenwillig gepunktet, Bekanntes falsch zugeordnet, Lieblingsweine unterbewertet, gestaunt über das Fachwissen und die Eloquenz der andern Teilnehmer. Es geht um Bordeaux 2000. Dabei weiß ich so viel über das Bordelais, kann die Erfahrung von unzähligen getrunkenen und verkosteten Weinen vorlegen, habe Hunderte, Tausende Notizen gemacht und noch weit mehr Bewertungen der Wein-Gurus in meiner Datenbank festgehalten. Alles umsonst? Ich tröste mich mit den immer gleichen oder ähnlichen „Ritualen”. Sie sind mir vertraut, ich kann mich darin bewegen, sogar verstecken. Die höchstdotierten Weine kommen meist in der letzten Runde, der „Pirat” (ein Wein, der nicht in die Serie passt!) kann überall lauern, das schmale Vokabular der Spontanbeurteilung ist mir vertraut: tanninreich, fruchtig, verschlossen, komplex, grüne Noten... Aber Achtung: in einer solch erlauchten Runden werden Begriffe und Namen ins Englische transferiert, auch wenn es um französische Weine geht: Grand-Puy-Lacoste wird zum „GPL”, phonetisch „”ji-(”)pi-el”, ein berühmtes Châteaux in St-Emilion, benannt nach dem Abendgebet „Angelus”, wird phonetisch zum „en-j&-l&s” und sein Appellationsnachbar Château Canon von „ca’non” zu „'ka-n&n. Ganz einfach ist es nicht, die Übersicht zu bewahren.
zwölf Weine aus Médoc und Graves, ...

Notfalls kann ich mich retten, indem ich tief ins Glas schaue, es gegen die weiße Unterlage halte und entzückt ausrufe: „immer noch wunderschönes Kirschrot!” oder - in ganz hartnäckigen Fällen - die Nase tief ins Glas stecke und dann im Brustton der Überzeugung verkünde: „leicht nasse Erde, Heu, Kirschanklänge” und dann entzückt: beende: „Lakritze, retronasal klar erkennbar!”

und eine verlockende Speisekarte.
Ich kenne das Spiel mit seinen leicht variablen Spielregeln. Auch deshalb mache ich immer wieder - oft mit Vergnügen - unverdrossen mit. Zum letzten Mal - wie gesagt - mit dem wackeren „Jüngling” Bordeaux 2000. Vier „Flights”: St-Julien, Margaux, Graves und Pauillac, dazu zur Einstimmung drei Rieslinge (Deutschland-Österreich) und zum Käse zwei Sauternes.

Natürlich geht es mir vor allem um die zwölf Bordeaux, die fast alle auch in meinem Keller lagern, aber wohl noch lange nicht geöffnet werden. Neugierig bin ich schon: neugierig zu erfahren, wie sich Gruaud Larose, Léoville Poyferré und Ducru-Beaucaillou inzwischen entwickelt haben. Erste Feststellung: noch viel zu jung. Dann mein Versuch, die Weine dem richtigen Château zuzuordnen. Natürlich: Wein Nr. 2 ist Gruaud Larose: diese überschwänglichen Aromen, Mokka, ja sogar Feigen, die René Gabriel angekündigt hat, kann ich feststellen. Wein Nr. 3 hingegen dürfte Ducru-Beaucaillou sein: voll, robust, fruchtig, mit recht viel Gerbstoffen und Trüffelnoten. Dann muss Nr. 1 der Poyferré sein: St-Julien-typisch, etwas von der Weichheit und Wärme eines Margaux und Kraft von Pauillac, papiermäßig der schwächste der drei Weine.

Was wird da wohl mit der Nase erschnüffelt?
Dann die Ernüchterung: Alles falsch, die statistische Trefferquote ist zwar die gleiche, wie wenn alles richtig gewesen wäre und - o Schreck, der Beaucaillou hat von mir am wenigsten Punkte erhalten - wohl weil ich angenommen habe, den Poyferré vor mir zu haben (gemäß Durchschnittswertung aber der zweitbeste Wein des Abends) Kleinlaut nehme ich das Verdikt zur Kenntnis.

Auf zur zweiten Runde! Margaux: Rauzan Ségla, Giscours, Du Tertre. Jetzt lasse ich die Zuordnung sein: konzentriere mich auf die Punkte. Welches ist der beste, welches der schwächste Wein? Und wieder liege ich statistisch falsch. Der „kleinste” der drei Weine, Du Tertre, ist am zugänglichsten, also erhält er von mir am meisten Punkte. Der Rauzan Ségla aber ist noch unzugänglich, doch das Potential ist zu spüren: feingliedrig, grazil und frisch. Also dafür mehr Punkte: da liege ich nicht schlecht! Den total verschlossenen Giscours habe ich mit wenig Punkten „abqualifiziert”. Na, das geht ja schon etwas besser!

Schließlich gibt es einen Sieger: wieder einmal Château Pichon-Longueville-Baron.
Beim nächsten Flight, da nehme ich mir vor, vorsichtig zu sein, zu üben. Pessac-Léognan: Pape Clément, Smith au Lafitte und Carmes Haut-Brion (ein Liebling von mir!). Und tatsächlich, es geht schon wieder besser! Bei einer Zuordnung liege ich richtig und in der Bewertung nicht allzu daneben. Meinen Lieblingswein habe ich deutlich über dem Durchschnitt bewertet.

Zuversichtlich starte ich in die letzte Runde. Pauillac: Pichon Baron, Lynch Bages, Grand Puy Lacoste. O Wunder, fast alles richtig: korrekte Zuordnung, konforme Wertung, aber eine eigene Meinung. Ich finde den Lynch Bages deutlich besser als den Lacoste und drücke dies durch einen halben Punkt aus.

Zufrieden kann ich mich jetzt den Süßweinen zuwenden. Da ordne und punkte ich nicht mehr, mir genügt das Genießen, mit der stillen Zuversicht, beim nächsten Gesellschaftsspiel namens Degustation - nun besser bestehen zu können.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

07.08.2007


Es gibt nebst Weinabstinenten auch Weintrinker, Weinliebhaber, Weinkritiker


Die Lust des Sammelns


Uralte Sammelstücke, die ihren „Wert” erst preisgeben, wenn sie geöffnet und getrunken werden
Sammler sind ein seltsames Völkchen, meist leicht „Verrückte”, wie man immer wieder - nicht ganz zu Unrecht - feststellen kann. Gesammelt wird schlichtweg alles: Münzen, Briefmarken, Bilder, Kunst, Telefonkarten, Puppen, Bücher, Zeitungen, Teddybären, Schallplatten, Möbel, Autogramme, Fotos, Ansichtskarten, ... natürlich auch Weinetiketten, leere Weinflaschen, Weinkritiken, Korken, Kronverschlüsse, ... Weil ich ein bekennender Sammler und Weinliebhaber bin, sammle ich eben schlicht und einfach Wein.

Wer nicht von irgendeiner Sammelleidenschaft befallen ist, der schüttelt den Kopf und fragt: „Trinkst du sie auch, deine Sammlung?” Ja, ich trinke sie und „vernichte” damit etwas, was ich mit Begeisterung in vielen Stunden, oft mit großen Anstrengungen zusammengetragen habe. „Echte” Sammler werden da bleich, sie geben ihre „Prunkstücke” nicht her, nur der Weinsammler muss sie - irgendwann - hergeben. Wenn er ein echter Sammler ist, wird er seine Weine nicht verkaufen, verschenken oder in eine andere Sammlung integrieren. Nein, er wird sie vernichten, das heißt trinken, und damit das Sammelgut der eigentlichen Bestimmung zuführen: dem Genuss. Erst wenn der Wein getrunken ist, kennt der Sammler sein Objekt auch wirklich, so wie er es eben schon immer kennen und lieben wollte.

Ich weiß, Nichtsammler haben dafür wenig Verständnis. Für sie sind Sammlungen eine Anhäufung von Gegenständen, ein Streben nach Besitz, oft auch eine fragwürdige Kapitalanlage. Nur die allerwenigsten Sammlungen lassen sich verkaufen und - noch weniger - gewinnbringend verkaufen. Zwar steigt der Wert meist mit dem Alter, dem Seltener-Werden, der gesteigerten Nachfrage und der Unwiederbringlichkeit. Doch dies bleibt in den allermeisten Fällen nur ein Papierwert, mehr nicht.

Beim Wein ist es nicht viel anders. Es gibt zwar eine Kategorie von Weinen, die zirkulieren nach vielen Jahren noch auf dem Markt und werden - je nach Nachfrage - auch immer kostbarer und teurer. Damit sind sie auch eine Verlockung, nicht getrunken, sondern in bares Geld umgesetzt zu werden. Ein „echter” Weinsammler widersteht dieser Verlockung - bestenfalls „verscherbeln” seine Nachkommen das geerbte Gut. Ab und zu mit beachtlichem Gewinn, häufiger noch mit herber Enttäuschung.

Schlechte Jahrgänge, trotzdem wertvoll: Das Beste in meinem Geburtsjahr und dem meiner Tochter


Ob sich aus einer Sammlung oder aus ihren Einzelstücken Geld machen lässt, ist schwer zu kalkulieren. Dies geht sicher nicht ohne profunde Kenntnisse, ohne den richtigen „Riecher” und - es ist das allerschwierigste - die Bereitschaft, das von andern begehrte Objekt im richtigen Augenblick loszulassen.

Bei mir trifft vieles davon nicht zu. Die Kenntnisse habe ich mir in den vielen Jahren Sammlerleidenschaft so langsam angeeignet. Der richtige „Riecher” ist bei mir eher dem Toto-Glück vergleichbar, und das Loslassen beherrsche ich nur in einer Richtung: zum eigenen Gaumen. So bin ich eigentlich ungewollt zum sogenannten „echten” Sammler geworden. Ich sammle - es sei hier nicht verschwiegen - Weine aus dem Bordelais. Ja, ich bin Bordeaux-Sammler.

Jetzt, angesichts der Preise für die hochdotierten Weine, werde ich fast täglich auf die „hohen Werte” angesprochen. Tatsächlich haben einige Flaschen, die ich einst „günstig” erstanden habe, heute fast schon einen „unmoralischen” Luxuswert. Was mache ich mit einem Pétrus, den ich vor vielen Jahren noch für 100, 200 Franken gekauft habe, für den aber jetzt an Auktionen 5.000 und mehr Franken geboten werden? Bei guter Gelegenheit ohne Scheu trinken - mit dem Gedanken im „Hinterkopf”, mit jedem Schluck ein paar hundert Franken zu "genießen"? Oder - noch weit schwieriger - die Tatsache dauernd zu verdrängen, einen happigen Gewinn endgültig zu verpassen, selbst wenn das Argument als Entschuldigung auftaucht, mit dem Erlös eben neue, interessante, noch bessere Weine kaufen zu können.

Solche und ähnliche Gedanken sind mir fremd. Nicht weil ich ein „besserer” Mensch, ein versessener Weinliebhaber bin, nein, weil ich ein Sammler bin. Der Sammler hat oft andere Wertordnungen. Was für die einen gänzlich unnütz, Abfall, bestenfalls Tand und ein Kuriosum ist, das ist für den Sammler nicht nur wertvoll, sondern immer wieder ein Ziel seiner Begierde. Der Sammler ist auch ein Jäger, und er lässt sich seine Jagdleidenschaft mehr kosten als er für anerkannt Wertvolles auszugeben bereit ist. Unbegreiflich?

Ich habe mir lange überlegt, was denn meine Sammelleidenschaft - meist ohne dass ich mir dessen bewusst bin - nährt und am Leben erhält. Da ist einmal der Status des „Experten”, den ich mir - als Sammler - ungewollt erworben habe, indem ich in allen Bereichen meines Sammelgebiets jedem kleinsten Detail nachgehe und unter „Gleichgesinnten” Wissen und Erfahrung austausche.

Grenzen einer Sammlung: scheinbar unnütze Ware stapelt sich
Nicht nur der Gegenstand selber wird erkundet, sondern das ganz Umfeld erforscht und wenn möglich mitgesammelt. Der Sammler legt auch Datenbanken an, lernt Fälschungen erkennen und weiß über die Verfügbarkeit jederzeit Bescheid. Kurzum: bald einmal weiß er mehr als viele andere.

Vielleicht ist Sammeln aber auch eine Flucht. Die Flucht aus unserer komplizierten Welt, in einen überschaubaren Bereich mit eigenen Gesetzen und Wertmaßstäben, in eine Welt, wo Gleichgesinnte unter sich sind. Sicher ist es auch das Festhalten an Vergänglichem. Für den Weinliebhaber, bei dem seine große Liebe erst im Augenblick der Vergänglichkeit Erfüllung findet, hat eine Sammlung etwas Tröstliches, etwas, das über die Endlichkeit hinwegtäuscht. Dann ist immer noch die Hoffnung da, Hoffnung auf „Vollständigkeit”. Vollständigkeit statt Vollkommenheit. Die Vollständigkeit wird angestrebt, immer wieder, erreicht wird sie nie. Und trotzdem ist sie konkreter als die Vollkommenheit; sie steht oder liegt in Reih und Glied, sie präsentiert sich als weltlicher Besitz.

So können auch Erfahrungen gesammelt werden. Sie füllen Bücher, Tabellen, Listen, aber auch nur die Erinnerung oder das Arsenal der vergessenen Dinge.

Doch sie sind belehrbar, ergänzungsfähig, sogar austauschbar und halten den Sammler dauernd auf Trab. All dies - und noch einiges mehr - sammelt der Sammler zusammen mit seinen gesammelten Gegenständen. Bei mir sind es Flaschen aus Bordeaux. Bei andern aus dem Burgund, aus Italien, aus Spanien..... Bei wiederum andern sind es „nur” die Etiketten, die Korken, die Beurteilungen. Eines ist sicher: ein Sammler „tickt” anders, ein Sammler ist ein Jäger, ein Sammler kann von Nichtsammlern kaum verstanden werden, schon gar nicht in Bezug auf seine Wertvorstellungen. Da helfen auch Preislisten und Auktionskataloge wenig.

Es gibt auch Zeiten, wo ich diese Sammelleidenschaft als etwas empfinde, „das Leiden schafft”. Zum Beispiel, wenn Preise - nur weil es Sammler gibt - ins „Unbezahlbare” klettern, wenn der Platz auf den Regalen, im Haus oder im Keller fehlt. Wenn mir das Unmögliche bewusst wird, , Vollständigkeit zu erreichen, oder wenn ich die Endlichkeit des Lebens so richtig spüre. Zum Beispiel, wenn ein Wein - laut Beurteilung der Fassprobe - erst im Jahr 2040 und später trinkreif wird, und ich mit tödlicher Sicherheit auch weiß, dass ich dies nie erleben werde. Einziger Trost ist dann, dass das, was ich einst gesammelt habe, erst jetzt höchsten Genuss bringen kann. Übrigens: Ich sammle nicht nur Weine, sondern auch ... Doch lassen wir das. Ich bin eben ein Sammler, auch von Weinerlebnissen, die jetzt zu Kolumnen mutieren.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

0.08.2007

Was trinkt der Weinfreund bei brütender Hitze?


La Canicule, „Hundstage”


Jahr für Jahr zieht es Millionen Urlauber südwärts, in warme, ja heiße Länder, an die brütende Hitze, zu den heißesten Stränden. Ein selbstgewähltes „Leiden” zieht mit: der stete Durst. Was kann der trinkfreudige Weinliebhaber da tun? Natürlich trinken. Aber was?

Der über alles geliebte Rotwein ist in dieser Hitze wohl kaum das Richtige, zudem ist der eigene Weinkeller zuhause geblieben. Eine gute Gelegenheit, Weine der Urlaubsgegend zu erforschen: an den italienischen Stränden den Lambrusco oder den Primitivo, in Griechenland natürlich den Retsina, in Spanien den Rioja, in Frankreich den Grenache oder den Cot. Aber halt: dies sind doch keine Sommerweine, viel zu „schwer” gegen den Durst.

Sommer, Urlaub, Strand. Hier am Mittelmeer


Während ich diese Kolumne schreibe - mit freiem Blick aufs Meer - ziehen die letzten Nachtschwärmer vorbei: „Olé, Olé, Olé, Olé...” Was hat wohl ihre Singfreude so beflügelt, den Wortschatz aber so drastisch reduziert? Wohl vor allem Bier. Tatsächlich ist für den Urlauber die Durstfrage - wo auch immer in der Welt - rasch einmal gelöst: Überall gibt es Bier, inzwischen auch auf Hawaii. Und die eingeschworenen deutschen Weinliebhaber bekommen auch fast überall ihren Riesling, vielleicht nicht ganz den allerbesten.

Für mich - ich gebe es zu - beginnt jetzt die Qual. Ich trinke kein Bier. Nicht aus Überzeugung, sondern weil ich es - oh Schande! - nicht gern habe, weil es mir nicht schmeckt. Und Weißwein trinke ich fast nur in homöopathischen Mengen.

Dabei wurde ich schon zu Hause, lange vor dem Strandleben gründlich durchschaut. Am Schluss der letzten Auktion vor der Sommerpause sagte der Leiter: „Trinken Sie auch im Urlaub einen guten Schluck Wein”. Dann aber fixierte er mich persönlich: „Und nicht nur Rosé!”

Natürlich bin ich leicht rosé angelaufen. Ich, der Bordeaux-Liebhaber, soll ein Rosé-Trinker sein? Wie kann der Auktionator meinen sonst so geheimen Sommerflirt kennen? Natürlich, er muss letztes Jahr meine Bekennerkolumne gelesen haben: „Liebeserklärung an den Rosé”.

Die Bemerkung eines bekannten Schweizer-Weinkritikers schießt mir durch den Kopf: „Bei Weinfreunden kann man mit den Provenienzen in Pink nur schwerlich punkten. Oder wurde schon einmal zu einer Vergleichsdegustation mit solchen Sommerweinen eingeladen?” Ich schäme mich, so bloßgestellt zu werden, in einer so weinbewussten Gesellschaft.

Da habe ich mir vorgenommen, vorsichtiger zu sein, auch wenn der Durst noch so groß sein sollte. Mit Wasser habe ich begonnen, mit Mineralwasser. Da offenbart sich schon die erster Schwierigkeit. Ein Riss geht durch unsere eheliche Beziehung: meine Frau liebt das Wasser „sans bulles”, also ohne Bläschen, ich aber mit.

Kir Royal im Promenaden-Café beim Beobachten der Menschen und Hunde
Doch nicht genug damit: sie liebt den sprudelnden Sekt, ich eher weniger. Doch in diesem Punkt haben wir uns geeinigt. Der Kellner in unserem Lieblingslokal, wo wir stundenlang die vorbeiziehenden Touristen begucken und allem auch ihre mitgeführten Hunde kommentieren, weiß Bescheid: „comme d’habitude” und bringt ohne zu fragen einen „Kir Royal”. Hoppla, jetzt habe ich wohl schon wieder einen „Tolken” im Reinheft eines Weintrinkers.

Es kommt noch viel schlimmer! Sobald die Sonne richtig brennt und nur das Meer noch Abkühlung bringen kann, da braucht auch mein Inneres etwas Kühles:
Frisch gewagt probiere ich es mit den aufreizend bunten, kaltgestellten Blechbüchsen: neuster Hit unter ihnen - direkt aus Amerika importiert - die schwarze Dose „Cola zero” - null Kalorien. Wieder denke ich an den Auktionator, der oft spottet, wenn ein kostbarer Wein irgendwohin abwandert, nach China, Japan oder gar Indien. „Wird wohl bald mit Coca-Cola verdünnt!”.

Schöne bunte Büchsen. Nothelfer bei brütender Hitze


Ich jedenfalls probiere jetzt mit allen Farben und Aromen den quälenden Durst zu stillen. „Das meiste ist zu süß, gleicht eher einem Sirup, zeigt wenig Charakter und ist dünn und aussagelos.” Stop! Dies sind ja die Worte des Schweizer Weinkritikers für den Rosé.

Guter Rat ist teuer. „La canicule”, die Hundstage, wollen sich einfach nicht mit einem guten Tropfen verbinden. Auf dem riesigen Wochenmarkt werden nebst Holzuhren, Badetüchern, Tischdecken, Lederwaren, T-Shirts auch Getränke angeboten, natürlich auch Weine!

Auf dem Markt: Für Weindegustationen ist es zu heiß


„Möchten Sie probieren?” - „Danke, es ist zu heiß!”. Ich habe dann doch probiert, aber erst abends, zuhause, wenn der Durst nicht mehr so groß ist und die Dosenaromen verklungen sind.

Ein Blanquette von Limoux „Aimery Sieur d’Arques” mit prickelnden «Honigbläschen», leicht buttrig, mit  Röstnoten und einer bewundernswerten Länge. Oder aus dem Château du Mas Neuf, Costière-de-Nimes, ein Weisser: blumig, fruchtig, lebhaft, harmonisch, kurzum süffig. Ein eleganter, ausgewogener Südfranzose, mit leichten Gewürznoten, Lakritze, ja sogar Vanille. Und: von Saint-Christol aus der Domaine de la Coste-Moynier ein typischer «Terroirwein», zwar etwas schwer, dunkel, warm im Gaumen (bei dieser Wärme!), doch fruchtig, nuancenreich und angenehm. Schließlich „Les Collines” der Domaine Ollier-Taillefer, Faugères, aus Carignan, Syrah und Grenache, eingebettet in die typischen „Schieferaromen” dieser Appellation, sehr kurz vinifiziert, damit möglichst viel Frucht und möglichst weiche, sanfte Tannine im Wein vorherrschen.

Ein Kuriosum: Weißwein aus Faugères, einem typischen Rotweingebiet
Vom gleichen Weingut: „Cuvée Allégro”, ein Weißer aus einem typischen, fast ausschließlichen Rotweingebiet. Ein Kuriosum, vinifiziert aus den Trauben Roussanne und Vermentino, also aus einer französischen und einer italienischen Weißweintraube, mit einem an Veilchen erinnernden Bouquet, weich, zart und doch feurig.....

So geht es Abend für Abend weiter, fast immer mit einem neuen Weinerlebnis, immer mit viel Vergnügen nach dem grossen Durst. All diese Weine werden wohl kaum exportiert, werden nie Deutschland oder die Schweiz erreichen. Sie sind Produkte einer riesigen Weingegend. Entdeckt - nicht von mir (dafür ist es viel zu heiß!) - sondern von der Tageszeitung „Midi Libre”, die jeden Tag einen „vin d’été”, einen Sommerwein, vorstellt und dabei einen recht guten Geschmack und ausgezeichnete Wein-Kenntnisse verrät. Schließlich publiziert der gleiche Verlag ja auch die wichtigste Weinpublikation des Südens, „Terre de Vins”. Mir bleibt da nur eine kritische „Nagelprobe”: ist das wenig Bekannte auch wirklich gut? Es ist!
Damit wird mein Ruf als ernsthafter, seriöser Weinkenner wohl erneut in Frage gestellt. Was tut’s. Es ist eben so heiß, „la canicule”.


Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig

03.09.2007


Weingenuss aus Italien


Zwei kleine Italiener


Es sind natürlich weit mehr als nur zwei Italiener. Es sind in den vielen Jahren meiner „Weinkultur” doch einige geworden, die ich kenne und schätze. Verglichen aber mit den Franzosen, Spaniern, Österreichern, Deutschen, ja sogar mit den Schweizern sind es doch bescheiden wenige. Warum?

So lernte ich als Dreikäsehoch Wein kennen

Eigentlich gibt es dafür nur persönliche, eher kulturell verankerte Gründe, die offensichtlich tief in meiner Seele verwurzelt sind. Ich kann mir vorstellen, dass es andern Weinfreunden - mit anderen Ländern und Regionen - genau so geht. Doch die zwei Italiener sind bei mir „hängen” geblieben.

Dabei ist Italien das erste „fremde Land”, dem ich in meiner frühsten Jugend, ja Kindheit, begegnet bin. Luigi Perucini hat er geheißen: ein Italiener mit riesigem Schnauzer, radebrechendem Deutsch, lieben und freundlichen Augen. Er war Arbeiter auf dem Bau und scheinbar fast immer vergnügt. Er war so treuherzig, dass er sogar meiner skeptischen Großmutter die Dachmansarde abluchsen konnte, die jahrelang leer gestanden hatte. Dort lebte er allein mit sich, seinen Träumen von „Bella Italia” und dem Bemühen, ein guter Italiener in der Schweiz zu sein.

Ich begegnete ihm fast jeden Abend, wenn er vom Bau nach Hause kam. „Häsch es guet, Peterli?” So begrüsste er mich und ich, der kleine „Dreikäsehoch”, bekam ihn lieb. Er hatte immer einen leicht schmutzigen braunen Rucksack bei sich, aus dem eine dickbauchige Flasche schaute oder gar daran baumelte. Diese rundliche, mit Stroh umfasste, schwere Flasche war für mich der einzige fassbare Begriff für Wein. Chianti, wie ich später gelernt habe.

Lange Zeit, bis tief in meine Studentenjahre, beschränkte sich deshalb meine Weinvorliebe auf Chianti, es musste nicht einmal der „classico” sein, später waren es auch Barolo, Barbera, Montepulciano, Valpolicella und natürlich der Veltliner.

Dann aber verliebte ich mich in die Franzosen und ließ die Italiener schnöde im Süden liegen. Daran änderten auch meine Semester in Kunstgeschichte nichts, obwohl sie mich häufig nach Italien führten. Italien war und blieb für mich das Land der Kunst, Frankreich das Land der Weine. „Vin de Table”, die billigen, heute würde ich sagen: der „Fusel”.

Fahrt ins "Paese del Vino"


Italien wurde für mich erst lange nach dem „vergötterten” Bordelais wieder zu einem interessanteren Weinland. Lange habe ich geschlafen! Es waren nicht die teuren Sassicaia, Solaia und andere „Toskaner”, die mich geweckt haben. Es war vielmehr ein Weinhändler, der nicht nur Bordeaux anbietet, sondern - und dies weit differenzierter - eine Palette von guten Italienern. Inzwischen bin ich so weit, dass ich bei ihm ab und zu auf italienische Entdeckungsreisen gehe. Sie beginnen oft im Friaul, gehen über das Trentino zur Lombardei und zum Piemont, erobern das Barbaresco- und Barolo-Gebiet, erreichen endlich die Emilia-Romagna und die Toskana, dringen in Umbrien ein, verweilen im Latium, um in den Abruzzen, in Apulien und schließlich in Sizilien anzukommen.

Wow, ganz schön anstrengend! Und genussreich. Ich könnte über jede dieser imaginären Stationen berichten. Von den Mythen und Traditionen Siziliens, eingefangen in „Di More”, aus der Fattrie Azzolino, natürlich aus „Nero d’Avola”, doch vermählt mit ganz wenig vom weltgewandten Cabernet Sauvignon. Von der Toskana, der Heimat der Sangiovesetraube, von wo einst die billigen Chianti herkamen, die sich aber - zum Beispiel auf der Azienda Agraria Poggerino - zum eleganten „Chianti classico” gemausert haben. Vom Piemont, dem Barolo-Gebiet, südlich von Alba, wo auf der Azienda Vicivinicola Paolo Scavino ein ausgezeichneter „Barbera d’Alba” gekeltert wird, ohne Barriqueausbau, fruchtig und elegant. Vom Trentino, wo in der Nähe des Gardasees Paolo Cesconi einen Merlot produziert, der nicht im Holz erstickt wird, sondern die ganze Feinheit der Merlot-Traube ins Glas bringt. Vom Veneto, wo es unter den meist verschrieenen Valpolicellas auch echte Größen gibt.

Bekanntschaften aus Trentino, Toskana und Piemont


Zuerst hat sich meine Frau in den einen Italiener verliebt, in einen ordentlich beleibten, aber nicht unförmig dicken Amarone von Lucia Raimondi aus der Villa Monteleone. Es blieb nicht bei einem kleinen Flirt, daraus wurde eine dicke Freundschaft. Dieser konnten weder der weit vornehmere „Campo San Paolo”, ein Spitzen-Amarone vom gleichen Weingut, noch der etwas schlankere „San Rocchetto” von Luigi Lavarini gefährlich werden. Genauso wenig, wie all die anderen Amarone, die wir bisher verkostet haben - auch die viel, viel teureren nicht.

Da musste es ja soweit kommen, dass auch ich die Bekanntschaft, ja Freundschaft eines Italieners suchte, allerdings dauerte dies viel, viel länger. Vielleicht war es doch meine sonst immer geleugnete Parkergläubigkeit, die dann den Anstoß gab, denn Parker bezeichnete den „Vigna del Vassallo” vom Colle Picchioni als „Cheval blanc Italiens”, eine Bordeaux-Cuvée aus Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc, aber nicht aus dem Bordelais, sondern mitten aus Italien, aus dem Latium (Umgebung Rom). Auch daraus ist eine „wunderbare Freundschaft” geworden, mit der ich schon manchen meiner Bordeaux-Freunde genarrt habe. Als Trojanisches Pferd getarnt bringt er so manchen Bordeaux-Experten in Bedrängnis.

Zwei „kleine Italiener”, die unsere frankophile Weinseligkeit tüchtig durcheinander gewirbelt haben.

Zwei kleine Italiener

Ganz „klein” sind sie zwar nicht, die beiden Weine. Verglichen mit den Grossen Italiens sind sie aber bescheiden, unauffällig, dafür charmant und zuverlässig. Sie sind so viel wert, wie sie versprechen. In schnöden Zahlen ausgedrückt: der Amarone kostet (in der Schweiz) etwa 35 Euro, der italienische „Cheval Blanc” 22 Euro, alle übrigen erwähnten Weine zwischen 11 und 24 Euro.

Conny Froboess hat es gespürt, wenn sie in ihrem Gastarbeiterlied gesungen hat: „Eine Reise in den Süden ist für andre schick und fein doch zwei kleine Italiener möchten gern (bei mir!!!) zu Hause sein.” Conny wird mir diese kleine Ergänzung sicher verzeihen.


Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)

17.09.2007


Entdecken Sie das Tessin


Zauberhafte Merlots



Die Überschrift könnte aus der Schweizer Touristen-Werbung sein, von der Vereinigung der Tessiner Winzer oder dann doch von mir, nach einem Anflug schweizerischer Weintreue. Alles falsch! Er stammt vom „besten Sommelier der Welt 2000”, Olivier Poussier, Redakteur bei der französischen Weinzeitschrift „La Revue du Vin de France”. Und es kommt noch weit dicker: „Alors à très bientôt dans le Tessin” (Also auf baldiges Wiedersehen im Tessin).

Das typische „Weinglas” im Tessin, das Boccalino

Was ist in den guten Sommelier gefahren, dass er den Merlot im Tessin sucht und nicht dort, wo er eigentlich herkommt, in Frankreich, im Bordelais? Vor ein paar Jahren war Olivier Poussier mein Tischnachbar im Bordelais. Natürlich haben wir uns angeregt über Wein unterhalten: Er erklärte mir die Besonderheiten der Region Graves, denn wir speisten zusammen im Weingut von Florence und Daniel Cathiard auf dem Châteaux Smith Haut Lafite, südlich von Bordeaux. Ich versuchte bei ihm das Interesse an Schweizer Weinen zu wecken. Vergebliche Liebesmühe, dachte ich.

Wieder ganz falsch! Etwa ein Jahr später hat Olivier Poussier in der „Revue du Vin de France” über das Wallis und seine Weine geschrieben. Über die autochthonen Sorten und die alpinen Verhältnisse im Bergkanton. Und er hat sie gelobt, die Walliser Winzer, mit ihren eigenständigen Weinen. Natürlich, im Weingebiet des Wallis - dem größten in der Schweiz - spricht man französisch, Sein Bericht: also eine freundnachbarliche Geste, dachte ich, so etwas wie eine selbstverständliche Erweiterung von Wein-Frankreich. Liegt ja auf der Hand!

Jetzt aber dies: eine Lobeshymne auf das Tessin. Hier spricht man italienisch. Die Rebberge des Tessins wären also eher Wein-Italien zuzuordnen, sicher nicht Frankreich, dem grossen Gegenspieler der französischen Weinszene. Keine Angst, beide Kantone, das Wallis und das Tessin, bleiben Schweizer und damit sind es auch ihre Weine.

Adoptivkind Merlot

Wie aber ist der Merlot ins Tessin gekommen? Es war natürlich die Reblaus, die - wie in ganz Europa - auch im Tessin gewütet hat. Die alteingesessenen Reben, vor allem die hier kultivierte Americano wurde vernichtet, man musste neu beginnen. Und man begann tatsächlich neu, jetzt mit dem französischen Merlot. Letztes Jahr waren es genau 100 Jahre, seit der damalige Direktor des Instituts für Landwirtschaft den Merlot ins Tessin geholt hat. Gleichsam adoptiert!

Vier wackere Eidgenossen aus dem Tessin: Stucky, Kaufmann, Huber und Klausener
Über die ersten 70 Jahre dieser „Erfolgsstory” hätte der französische Spitzensommelier kaum geschrieben. Es waren meist einfache Merlotweine, die man im Grotto aus dem Boccalino trinkt. Sie waren süffig, in der Schweiz an jedem Stammtisch anzutreffen, aber für den anspruchsvollen Weintrinker nicht von Belang. So kam es, wie es kommen musste: die Tessiner Weinszene schrumpfte. Viele der höher gelegenen Rebberge, die besonders mühsam zu bewirtschaften sind, wurden verlassen, verwilderten. Der Tessiner Merlot kam in die Krise. Dann geschah das, wovon die Tessiner eigentlich nicht gern reden: Der Einzug von jungen Winzern aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz, die einen Traum hatten, den Traum vom Weinbauer, der aus seinen Reben die edelsten Tropfen macht. Stucky, Klausener, Huber, Kaufmann, Zündel, sie alle brachten den Glauben an den Merlot ins Tessin zurück. Die einst „jungen Wilden” bauten wieder Reben an, dort, wo man sie ausgerottet oder verlassen hat. Sie orientierten sich an den Weinen aus Bordeaux, experimentierten, setzten neue Maßstäbe, legten den Wein ins Holz, brachen mit alten Traditionen und nutzten gleichzeitig die kleinteiligen, mikroklimatischen und geologischen Besonderheiten ihrer neuen Wahlheimat. Doch dies ist bereits Geschichte.

Ich plauderte kürzlich an einem wunderschönen Abend am Steintisch vor dem Weingut mit Adriano Kaufmann über die Zukunft. Ja, die Jungen von einst sind älter geworden. Sie hoffen auf ihre Kinder. So ist es auch bei Daniel Huber: sein Sohn lernte zwar Automechaniker, will aber nach einer gründlichen önologischen Ausbildung zurück zu Vaters Reben. Besonders stolz aber ist man, dass jetzt auch die eingesessenen Winzerfamilien nicht mehr nur den Grottowein, sondern anspruchsvolle, hochwertige Weine machen. Es sind vor allem auch da wieder die Jungen.

Kolumnist Olivier Poussier entdeckt das Tessin


So ist es eben gekommen, dass die Botschaft jetzt in ganz Frankreich verbreitet wird: „Folgen Sie mir und urteilen dann selber. Verkosten Sie den „Orizzonte 2005” von Christian Zündel, den Sie nie vergessen werden. Welche Harmonie! Er verführt durch seine reife Frucht, seine volle, rassige Struktur. Degustieren Sie den außerordentlichen „Canto della Terra 2005” von Sergio Monti. Ein fleischiger, gehaltvoller Merlot, gepflegte, noble Tannine, eine wahre Hymne an das Terroir. Plötzlich begreifen Sie, warum diese Weine weltweit bekannt geworden sind und immer wieder mit Gold ausgezeichnet werden” (frei übersetzt). Nach einer Tirade weiterer Lobeshymnen endet die Kolumne des französischen Weinkenners: „Voilà, unsere Degustation der alpinen Merlots geht zu Ende. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, Ihnen zu zeigen, dass man nicht nur in Bordeaux große Merlots finden kann..... Die großen Merlots aus dem Tessin rivalisieren auch mit den berühmtesten Weinen aus der Toskana.”

„Gran Risavier” vom Weintüftler Eric Klausener
Ich bin ganz beschämt. Besonders, wenn ich daran denke, wie ich vor ein paar Jahren mit ein paar Schweizer Weinen zu einer Degustation nach Köln und Bielefeld gereist bin und kaum viel mehr als Häme geerntet habe. Aber halt! Da haben doch schon damals die beiden Tessiner Merlots - als einzige - deutlich über 90 oder eben an die 19 Punkte erhalten. Ist gar die Begeisterung für den Tessiner Merlot nach Deutschland vorausgeeilt? Oder hat René Gabriel gar visionäre Fähigkeiten, wenn er schreibt: „Merlot bekommt Flügel!” Da muss ich aber meine paar Spitzenmerlots in meinem Keller gut hüten. Sonst fliegen sie gar davon.


Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)


Peter Züllig