Hier sind alle "Getrunken" der letzten Zeit zu finden. Es sind keine Weinbeurteilungen der üblichen Art. Vielmehr Weingeschichten, Geschichten, welche mir die Weine erzählen.
Ältere "Getrunken" und eine Excel-Liste sind am Schluss dieser Seite zu finden. Die gleichen Weinnotizen findet man auch auf meinem Blog
Mein Elan - er hielt über viele Jahre an - einst fast täglich, heute noch wöchentlich - ein Weinerlebnis zu beschreiben und (wenn immer möglich) eine kleine Geschichte zu erzählen, ist leicht ins Stocken geraten. Nicht nur wegen Corona, vor allem weil ich inzwischen unglaublich viele Weine kommentiert habe (rund 2'000) und sich da die Geschichten immer öfters wiederholen. Doch es geht weiter, im etwas gemütlicheren Trab,
Zur ersten Staffel "Getrunken" nur noch im Archiv zu erreichen
Zur zweiten Staffel "Getrunken" von Juli 2015 bis Juli 2016
Zur dritten Staffel "Getrunken" von Juli 2016 bis Januar 2018
Zur vierten Staffel "Getrunken" von Januar 2018 bis März 2020
Zur fünften Staffel "Getrunken" vom März 2020 bis November 2021
Fortsetzung
Da blitzten selbst berühmteste Namen, aller höchstes Lob und exorbitante Preise bei mir ab. Als sich dann auch Robert Parker (in den späten Achtzigern) im Bordeaux festgebissen und so manches hochgeschaukelt hat, hatten Bordeaux-Imitationen (bei mir) kaum eine Chance. Bienen wechseln erst dann ihr Bezugsgebiet, wenn es erschöpft ist.
Ich gebe zu, etwas – oder sogar viel - von diesem Verhalten habe ich übernommen. Schon früh legte ich mich fest auf das Bordelais und erforschte und erprobte die vielen Weine, Cuvées, Regionen, Kellertechniken etc. Das hat mich über Jahre – mehr oder weniger – resistent für Neues und Anderes gemacht. Besonders den Bordeaux-Blends – als sie immer häufiger in nahezu allen Weingebieten auftauchten und ab und zu auch Furore machten – war ich abhold: den Supertoskanern, Australiern, Kaliforniern und wie sie alle heissen...
Auch
dem kalifornischen Weinpionier Jerry Lohr, der im Bordeaux-fernen Amerika eine neue Weinkultur mit-aufgebaut hat. Natürlich habe ich ab und zu "genascht", probiert, erprobt, verglichen... So richtig
vermochten aber all die Blends nicht in mein Weinbild eindringen, bis... Ja, bis mir einer meiner bevorzugten Weinhändler eine Flasche schenkte – natürlich zum Probieren - die ich sonst nie gekauft
hätte.
Doch trinken, das wollte ich sie schon. Eine Cuvée nach dem Muster «Pomerol», ausgerechnet nach dem Vorbild einer Kleinregion mit seinem ganz spezifischen, eigenen Charakter (ich erinnere an Namen wie Pétrus, Lafleur, Latour à Pomerol Conseillante…). Durchwegs mit einem hohen Merlot-Anteil und einer Dominanz von Aromen, die man in dieser Konzentration nur hier findet: Eleganz dominiert die durchaus prägnante Füll und das Fett, Kraft und Wucht wird durch Charme und Leichtigkeit in Schach gehalten, blaubeerig, leicht verstreutes Zedernholz, sanft, oft sogar cremig, Anklänge an Feigen und leichtes Unterholz.
Lassen sich solche Noten, solche Eigenschaften einfach – mir nichts, dir nichts – übertragen in ein anderes Weingebiet, auf einen andern Kontinent, mitten in eine andere Tradition (Cola-Welt), andere klimatische Verhältnisse, andere Eigenschaften des Bodens? Diese Flasche – geografisch ein falscher Pomerol - ist ein echter Pomerol: im Geschmack und Harmonie, vor allem aber nach seiner immerhin 35jährigen Reifung. Da hat ein Wein den langen Prozess bis zum fast (oder ganz) perfekten Lagenwein durchgemacht, tiefes Pomerol, das die Idee von Pomerol mitgetragen hat, aber ohne das sonst allzu dominante Holz, ohne falsche Fruchtigkeit, ohne erzwungene Typizität. Während der Jahrgang 1997 im Bordelais schwächelte (und viel zu teuer auf den Markt kam), hat er ausgerechnet den besten Nicht-Bordeaux-Bordeaux hervorgebracht, den ich bisher getrunken habe. Einen Wein, der sich – das behaupte ich nun – durchaus mit einem Pétrus 1997 messen kann. Erstaunlich!
Finca Mas d'en Gil: Coma Vella 2016, Bellmunt, Priorat, Katalonien, Spanien
Welchen Wein trinken wir? Zu welchem Essen, wann, wo? Diesmal sind eingeladen in ein gutes Lokal, zu einem guten Essen, zu einem guten Wein. Gut ist ein weiter Begriff, undefiniert, Ausdruck von etwas
Besonderem. Schliesslich hat die Gastgeberin Geburtstag. Es fällt mir die Aufgabe zu – wie so oft – den Wein zu wählen (selber schuld, schliesslich schreibe ich oft über Wein). Nur, was sind die Kriterien? Vier verschiedene Essen, vier verschiedene Vorlieben, vier verschiedene Geschmäcker in Sachen Wein. Da tippt man gerne auf bekannte Namen: Gastroweine. Weine, die «schmecken», gefallen (und nicht zuletzt auch bezahlbar sind). Weingebiet, Rebsorten, jung, alt, bekannt, traditionell…? Und dann erst noch die unsäglichen Empfehlungen auf der Karte: passt zu… In diesem Fall hilft meist die Erinnerung. Was haben wir mit den Gastgebern weinmässig erlebt? Da ist die Wahl (unter anderem) auf Spanien gefallen, besonders auf das Priorat. Grenache, spanisch Garnacha. Eine meiner bevorzugten Rebsorten, etwas ausserhalb des Mainstreams. Obwohl die Auswahl gross ist, so viele Priorat-Weine sind nicht auf der Karte, zwei, vielleicht drei. «Coma Vella», zwei Angaben auf der Weinkarte geben den Ausschlag; Jahrgang 2016, immerhin sechs Jahre alt, also kein Jungsporn mehr, (wie so häufig in Restaurants) und die Rebsorten Grenache (mehrheitlich) und Syrah, Ich erwartete einen kräftigen, fruchtigen, dunklen Wein und hoffte, die Flaschenreifung hat in gebändigt und im Temperament gelegt. Irgendwie fehlte mir auch die typische Grenache-Note, der mit aus der Languedoc so sehr vertraut ist. Tatsächlich, der Wein ist runder, geschmeidiger – ohne auch nur im Geringsten ein Charmeur zu sein. Erst im Nachhinein habe ich der Weinliteratur entnommen, dass der Wein in der Regel zu mehr als 50 Prozent aus der nicht sehr bekannten Rebsorte Cariñena (Samsó oder Mazuelo) gekeltert ist. Auch eine kräftige, spanische Traube, die im Wein Spuren von Pfeffer, Lakritze und viel mineralische Noten hinterlässt. Mir gefiel dieser etwas andere, besondere, oder eben gut Wein, weil er einen eigenen Charakter und trotz seiner «Erdigkeit» viel Luft und «Fröhlichkeit» entwickelt hat. Nicht ich, der Wein hat die «Qual der Wahl» gut gelöst.
Dirk Swanepoel: Swanepoel 2019,Pinotage, Oude Compagnies Post, Tulbach, Südafrika
Pinotage ist kein Prestige-Wein. In Weinkreisen knapp geduldet, als Besonderheit von Südafrika knapp akzeptiert. Mit diesem fest verankerten Wissen bin ich – schon vor Jahren – zweimal nach Südafrika gereist.
Das erste Mal aus Interesse an einem Land, das so viel Schönheit, so viel Fruchtbarkeit vorzuweisen hat, aber auch viel Leid und Not durch Herrschaft und Unterdrückung. Es war die Zeit nach der Freilassung Mandelas und der Aufhebung der Apartheid-Gesetze. Da lernte ich auch die Weine von Südafrika kennen und verliebte mich – als Bordeaux-Enthusiast – zum Entsetzen meiner Weinfreunde - in den Pinotage. Meiner Frau ging es ähnlich. Ihr wurde verziehen, unter dem Motto: in Weinfragen eben zu emotional und nicht ganz, ganz auf der Höhe. Mir, dem Bordeaux-Beschreiber lastet dieser Fauxpas bis heute an. Ganz so ernst nimmt man mir die Urteilsfähigkeit in Sachen Wein seither nicht mehr ab. Also sind wir nochmals – mit mehr Zuwendung zum Wein – an die Südspitze von Afrika geflogen, zu einer Weinerprobungsfahrt. Und siehe da, die Liebe zum Pinotage ist geblieben, verstärkt durch den inzwischen fast weltweiten Trend, mit Bordeaux-Bends aufzutrumpfen und den überteuerten Prestigeweinen aus dem Bordelais Paroli zu bieten. Da wurde der einst so stiefmütterlich behandelte Pinotage zur kleinen Weingöttin, für mich und meine Frau. Inzwischen hat nämlich auch Südafrika gelernt mit dieser Rebsorte umzugehen, sie so zu verarbeiten und präsentieren, dass sie selbst dem vorurteilbelasteten Weinkenner zumindest etwas Achtung und Anerkennung abringen kann. Zum Beispiel mit diesem «Swanepoel» (rot) eines jungen Winemakers, der das Weingut von seinen Eltern erst 2018 übernommen hat und noch voll Experimentierlust ist. Sein Parade-Wein, ein weisser Pinotage, mit viel Schmelz, Samt und feinen Duft- und Würznoten, ist bereits eine kleine Sensation, vor allem weil er einen bezaubernd dichten Körper haben soll, sagt man in Weinkreisen.
Wir haben jetzt nicht seinen weissen, sondern seinen roten Pinotage im Glas und vergleichen ihn – wie könnte es anders sein – mit den besten seiner Gattung: Kanonkop, Piekenierskloof, Beyerskloof und wie sie alle heissen. Swanepoel muss den Vergleich nicht scheuen. Im Gegenteil: Da wird die junge Rebsorte (eine Kreuzung von Pinot Noir und Cinsault) geradezu mit Handschuhen behandelt, nicht in ein Frucht- oder Kraft-Korsett gesteckt, sondern ihm möglichst viel Freiheit gewährt. Die Freiheit, auch weniger definiert fruchtig zu sein, die Freiheit samtig und weich zu wirken, anders zu sein als nur ein Kraft- Fruchtpaket. Zu Beispiel elegant, feingliedrig, mehr beerig als fruchtig, mit Tanninen, die mehr gleiten als stossen. Ein Wein zum Verweilen.
Morlanda Viticultors del Priorat: El Vol de l'Aliga 2019, Priorat, Katalonien, Spanien
Der « Flug des Adlers » ist ein Mythos, seit Jahrtausenden ein Symbol für die Herrschaft und Grösse von Göttern. Wenn ein Wein so benannt
wird, muss er etwas Besonderes sein, schon
fast ein bisschen göttlich. Es ist schwierig, mit dieser Erwartung in der Weinwelt einen eigenen Platz
zu finden. Zumal der Wein aus einer Gegend kommt, die erst vor zwanzig, dreissig Jahren in die erlauchte Gesellschaft ernstzunehmender Weine aufgestiegen ist. Da haben es die Bordeaux-Blends
(Merlot, Cabernet Sauvignon und…) einfacher, sie
erinnern rasch einmal berühmte Bordeaux-Grössen (wenn auch nur in weiter Ferne). Auch die roten Burgunder (Pinot Noir) haben sich zu etwas wie einem «internationalen Geschmack» durchgerungen.
Darin suhlen sich viele, allzu viele Weine aus der riesig gewordenen Weinwelt.
Aber eine Mischung von Grenache (Carnacha) und Carignan (Cariñena) und erst noch zu gleichen Teilen) ist ein eher regional begrenzter Typus von Wein: vorwiegend in Spanien und Südfrankreich beheimatet. Dass er zu Adlerflügen fähig ist, muss zuerst noch bewiesen werden. Liefert dieser Wein aus dem Priorat den Beweis? Ja und nein! Er ist – das muss deutlich festgehalten werden – einfach noch zu jung, sollte drei, vier Jahre gelagert werden. Dann wird vielleicht der Adler aus der Flasche steigen und seine Eleganz und Schönheit zeigen können. Was mich jetzt schon begeistert, das ist die «Reinheit» des Weins, seine Tiefe, seine Verbindlichkeit. Carignan hat ihm die Fülle der Tannine gegeben und die dunkle, fast schwarze
Farbe. Die Würze (von Lorbeer bis Zimt) und die Frucht (Kirschen, Pflaumen) kommen eher von der
Rebsorte «Garnacha». Doch die Harmonie haben die beiden noch nicht gefunden. Sie sind nach drei Jahren noch immer in ihrem «Honeymoon»,
im Strudel wechselnder Gefühle, sogar im Kampf um die Vorherrschaft in der Ehe. Wer darf wann dominieren? Die Anmut oder die Kraft? Das Symbol des Adlers umfasst beides, aber erst bei seinem
majestätischen Flug.
Bodega Volvoreta: L’Amphore 2019, Tinta de Toro (100%), Toro, Kastilien, Spanien
Der Name sagt es: Es ist ein besonderer Wein, ein Amphorenwein, ausgebaut in spanischen Ton-Gefässen (Tinaja). Vor gut zehn Jahren wurde die uralte Methode – Weine in eingegrabenen Amphoren auszubauen – von experimentierfreudigen Winzern wiederentdeckt. Gleichsam als Antwort auf die immer raffinierteren und perfektionierteren Weine, die aus computer-gesteuerten Kellern kommen und oft von Holz nur so strotzen.
. «Zurück zur Natur», eine Devise, die von Zeit zu Zeit auch in der Weinkultur auftaucht. Meine ersten Amphorenweine habe ich in Georgien und Armenien verkostet. Sie waren nicht nur gewöhnungsbedürftig, sondern oft recht seltsam. Ich erinnere mich noch gut an die abschätzigen Kommentare an professionellen Verkostungen und in Weinforen. Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt, man hat gelernt, mit Weinen umzugehen, die in Ton ausgebaut werden. Es hat sich auch immer deutlicher gezeigt, dass ein Kompromiss zu finden ist, zwischen moderner Vinifizierung, Barrique (Holz) und langsamer Ausbau in Ton. Es ist aber nicht nur die Rückkehr zu historischen Ausbaumethoden, es ist auch die Rebsorte, die hier nicht ganz alltäglich ist. «Tinta de Toro» ist nicht die übliche Tempranillo-Traube, sondern etwas kleiner, dickschaliger, mit höherem Tanningehalt, aus der in der Regel kräftige Weine entstehen. So jedenfalls waren meine Erwartungen. Was ich dann im Glas hatte, war ganz anders. Sehr fruchtig, aber weich, zurückhaltend, elegant, mit angenehmer in Fülle im Gaumen, die Tannine geschliffen, feinkörnig und durchaus verbindlich (auch nicht aufsässig in der Säure). Ein «warmer» Wein, der sich trinkig anfühlt und seine leichte Fruchtigkeit bis in den Abgang trägt und erstaunlich lange nachklingt. Kein aufregender Wein, weil er seine Kanten offensichtlich irgendwo liegen gelassen hat. Eher ein stiller Wein, der aber grosse Harmonie ausstrahlt und beachtliche Eigenständigkeit.
Darüber schreibt man doch nicht: Beaujolais Nouveau. Das ist kein Wein, das ist ein alkoholisches Getränk, das möglichst rasch getrunken werden muss. Und der Tag, an dem die ersten Flaschen auf den Markt kommen, ist tüchtig in Verruf geraten. Eine Art Wein-Halloween, eine Mischung von Tradition und Kommerz, stark Amerika orientiert, wo der Beaujolais Nouveau – vorrangig in den 90er-Jahren – in Massen abgesetzt werden konnte. Eigentlich ist das traditionelle Fest eine «Erfindung» des vergangenen Jahrhunderts. Vorher war Sankt Martin (11. November) der Tag, an dem traditionell der neue (noch sehr junge Wein) in Frankreich gefeiert wird. Ähnliche Traditionen gibt es auch in anderen Weinregionen (zum Beispiel in Portugal «mit dem „vinho verde“), doch nur der neue Beaujolais hat es geschafft, zu einer weltweit verbreiteten Marke zu werden und zu einem Fest, das sich - zumindest in Frankreich (mit Ausnahme im Gebiet von Beaujolais (Lyon)) - weitgehend in die Bars verzogen hat.
Doch, was ist vom Wein zu halten? Spätestens bei dieser Frage treten bei Weinfreunden meist Runzeln auf, meist wird ihr Widerwille lautstark kundgetan: «Von Beaujolais Nouveau spricht man nicht!» Dem füge ich – als Weinfreund – bedenkenlos bei: Den trinkt man. In guten Jahren (und bei bestimmten Anlässen) sogar mit Genuss. Da lohnt es nicht, Punkte zu vergeben oder sich in feinsinnige Diskussionen zu verstricken. Das tue ich ja bei «Cola» auch nicht, obwohl es da – habe ich mir sagen lassen – auch grössere Unterschiede geben soll. Man muss dem Wein auch nicht das abverlangen, was man sonst bei Weinen tut: Erkennbarkeit, hohe Winzergunst, orgastische Geschmackserfahrungen: kurzum «hohe» Weinkultur. Meine bisherigen Erfahrungen - in der Regel einmal im Jahr – haben nicht dazu geführt, den Beaujolais Nouveau zu klassifizieren oder ein Weingut oder Lieblingswinzer auszumachen. Ohne das Brimborium rund um den Wein, bleibt er das, was er in diesem Fall ist (oder sein will), ein gutes, frisches (als Wein – sogar als Gamay – erkennbares) gutes Getränk, das eher an den Sommer erinnert, als dass es die einsetzende Winterkühle oder -kälte erträglicher macht.
Es ist ein Liebhaberwein, «nur» fünftplatzierter in der Rangordnung der Cru Classé von 1855, aber schon seit Jahren ein ausgezeichneter Wein, heute nahe bei den 2ème Cru. «Superdelikat und
zum Ausflippen schön», so der Kommentar eines Weinhändlers meines Vertrauens zum Jahrgang 2018. Oder zum Jahrgang 2018: «IIn Vollendung». Wenn Grand Puy Lacoste trotzdem nicht in den Sog der Spekulationspreise geraten ist – auch nach Jahren nicht – liegt der Grund doch bei der seit 167 Jahren
«festgemauerten» Klassifikation der Médoc-Weine. Ein Umstand, der das Bordeaux-Preisgefüge immer wieder ordentlich durcheinander bring.
In diesem Fall haben wir es mit einem «alten» Wein zu tun, aus einem Jahr, das eher mittelmässig war. Zwar warm, doch gemessen am Folgejahr (1982) sogar bescheiden. Also blieb der Jahrgang – bis
heute – so gut wie «unbemerkt». So kam er – wohl in einem Auktionslot – auch in meinen Keller, wo er – gut gehütet – viele Jahre liegen blieb. Jetzt aber musste er ins Glas. Ich wollte es wissen.
Der erste Eindruck: langweilig. Abgebaut? Doch noch – sowohl in der Nase, auch in der Farbe, auch in der Harmonie noch voll präsent. Geleitet durch die (eher äusserlichen) Kriterien begann ich
den Wein zu beobachten, immer wieder zu testen, zu erfassen, zu erleben. Und siehe da: er entwickelte sich – in kurzer Zeit – zu einem Genusswein, wie ich ihn – unter den «Altweinen» - schon
lange nicht mehr angetroffen habe. Ja, er bäumte sich in seiner Altersstruktur auf. Führte immer mehr in die Tiefe, zu fast vollkommenen Noten, präsent, rund, harmonisch… Ein Wein, der zu seinem
Alter steht und nicht vorgibt, etwas anderes zu sein, als ein guter, ein genüsslicher Wein.
Weder das prächtige Château, noch die Qualität des Weins, werden in der Klassifizierung aus dem Jahr 1855 gebührend gewürdigt: «nur» troisiéme cru classé. Dabei hat das Weingut nicht nur eine stolze Geschichte (im 17. Jahrhundert Hoflieferant des «Sonnenkönigs»), auch seine Besitzer hatten Rang und Namen. Charles Palmer (1777 –1851) – von ihm hat das Château den Namen - war Politiker, Generalmajor und Weinbauer, ein reicher Mann, bis er kurz vor dem Tod in Konkurs ging und „von denen gemieden wurde, die ihn einst umworben haben“. Von den guten Zeiten des Châteaus ist einiges übrig geblieben (oder wieder auferstanden), als in den Dreissigern (des 20. Jahrhunderts) drei Familien (Mähler-Besse, Ginestet und Mialhe) den Rest des einstigen riesigen Weinguts (160 Hektaren) übernahmen. Wer die Bedeutung und Geschichte des Weinguts nicht kennt, bekommt die $würde und Qualität spätestens beim Kauf der Weine zu spüren. Eine Flasche «Palmer» kostet heute (je nach Jahrgang) annähernd so viel wie einer der fünf Premier Crus im Médoc (um 400-500 Franken). Interessant ist der Zweitwein, «Alter Ego», der eigentlich kein Zweitwein ist, sondern eine zweite Marke, die es seit 1998 gibt. Der frühere Zweitwein, «Réserve de Général» (von jüngeren Rebstöcken und aus schlechteren Lagen), wird nicht mehr produziert. Man wollte mit «Alter Ego» einen neuen Wein machen, mit gleicher Qualität wie der Erstwein «Palmer», der durch andere Vinifizierung und ein anderes Verhältnis der Rebsorten, einen Wein machen, der deutlich früher konsumiert werden kann. Mit der Betonung auf
Frucht ist er «geschmeidig, rund, intensiv und frisch» schon nach wenigen Jahren. Mein Fehler ist es, dass ich den Wein nicht «jung» getrunken habe, sondern ihm (wie dem «Palmer») mehr als zwanzig Jahre Kellerlagerung gegönnt habe, so, dass ich jetzt nicht weiss, ob er sein Versprechen gehalten hat, bereits als «Jungwein» höchsten Genuss zu bieten. So wie er sich jetzt präsentiert, ist er etwas weniger intensiv, deutlich weniger frisch, bereits abgeklärt und mehr harmonisch als aufregend ist. Der pralle, Terroir-geprägte Charakter, die Erdigkeit, des Erstweins erreicht er nicht. Noch ein Wort zum aktuellen Preis (Jahrgang 1999): «Palmer» ca. 250-300 Euro; «Alter Ego» um 100 Euro. Gekostet hatte er damals 35 Euro. Auch überlagerter Wein kann noch grossartig sein. Aber nicht zwangsläufig.
« …, das Gute liegt so nah!» Dies kommt mir in den Sinn, wann und wo auch immer ich Barolo oder Barbaresco im Glas habe. Das ist leider nicht allzu häufig. Warum nicht? «Die Macht der Gewohnheit», um sprichwörtlich weiterzudenken. Frankreich, Österreich, Argentinien, sogar Südafrika und Australien, liegen für mich weinmässig viel näher. Eigentlich wäre das Piemont aber näher, so nahe, dass ein Besuch ein Katzensprung» wäre. Weinmässig erst noch spezieller, eigenständiger und spannender, denn die Rebsorte Nebbiolo gibt es fast ausschliesslich hier, im Nordwesten Italiens. Meine Annäherung an diese Traube (und ihre Weine) hat schon einige Begegnungen hinter sich: intensive, flüchtige, erstaunliche, begeisternde. Doch nie hat die Liebe – besser: die Bekanntschaft – so richtig überdauert. Wie ein Gewohnheitstäter bin ich immer wieder zurückgekehrt zum Cuvée à la bordelaise, zum vertrauten Pinot Noir, sogar zum eigenwilligen Pinotage oder dem speziellen Garnacha aus dem Priorat. In vielen Gebieten der Welt gibt es gute, ja sensationelle Weine. Weine, die sich – sobald einmal «Wurzeln geschlagen» – fast flächendeckend in der Weinszene ausbreite. Der Barolo – hundert Prozent Nebbiolo – ist und bleibt ein «Italiener», seit Hunderten von Jahren schon. Irgendwie ist er sesshaft geblieben, mit seiner Langlebigkeit und Eleganz. Für mich – ich gebe es zu – immer wieder etwas Besonderes, abgehoben, entflohen, den vielfältigen – oft auch austauschbaren – Weinbegegnungen. So etwas, wie der bekannte Unbekannte. Dafür ist dieser Barolo, der schon acht Jahre «alt» ist, im Erleben und Auftritt aber noch blutjung, ein genussvolles Beispiel. Seine Tannine: bereits geschliffen, in eine Aromenvielfalt ausgebreitet, Blumen und Früchte in der Nase, im Gaumen bis in den langen Abgang hinein. Trotz seiner Intensität (und Kraft) unaufdringlich fein. Kein «Wow-Wein», vielmehr ein kleines Kabinettstück, ausgebaut im «Fuder» (grosses Holzfass), nicht eingepresst im sonst üblichen gewordenen Barrique. Ein Wein, der viele Töne anschlägt, nicht überlaut, nicht herrschend, eher an der langen Leine gehalten. Vielleicht liegt der Grund, dass ich die Barolos und Barbarescos nicht oft in den Alltag einbette, weil ich Angst habe, dass sie dort erschlagen werden. Nicht weil sie schwächlich sind, sondern weil ihre Kraft und Intensität nicht an geschwollenen Bizeps zu messen ist.
Irgendwie ist der Jahrgang 2001 in Bordeaux durch das Sieb des Interesses gerutscht. «Eingeklemmt» zwischen dem Jahrtausend-Jahrgang (2000) mit entsprechendem Kauf- und Preisrausch, dem frühreifen 2003 (tropisch heisser Sommer, fast wie dieses Jahr) und dem nachträglich stark aufgewerteten 2005er. Einzig der deutlich gesenkte Preis – nach dem überbordenden 2000er – konnte dem Jahrgang etwas Schub geben. Tatsache aber ist: dass der 2001 bei den Händlern lange liegengeblieben ist. Jetzt, gut zwanzig Jahre später, präsentiert sich der Wein – wie so oft bei Langzeit-Beurteilungen – viel besser als sein Ruf. Die «Comtesse-de-Lalande» allerdings – lange Zeit dem Nachbarweingut «Pichon-Longueville au Baron» ebenbürtig (für mich sogar bevorzugt!) – schlitterte bereits in eine (leichte) Krise. Die energische «Schlossdame». May Elaine de Lencquesaing, dachte bereits an ihren Rücktritt, fünf Jahre später wurde das Weingut an das Champagner-Haus Roederer verkauft (Aktienmehrheit). Wie gesagt, zwanzig Jahre nach der einstigen Kauf-Entscheidung (en Primeur) sieht vieles ganz anders aus. Der einst eher harte, tanninreiche Wein ist weicher, zugänglicher, eleganter geworden. Auch dezente Süsse in der Nase. Die Frucht ist noch da, von zarten orientalischen Holztönen begleitet, deutlich auf dem Weg zu Tertiäraromen (getrocknete Früchte). Weil er noch immer saftig ist, bis tief in den erstaunlich langen Abgang hinein, würde ich den Wein dem höher dotierten «Baron» - der noch immer etwas brachial ist - vorziehen. Aber eben, den «Baron» hatte ich schon länger nicht mehr im Glas. Ich werde bald – solange der Eindruck der «Comtesse» noch lebendig ist – den «Baron» des gleichen Jahrgangs – an einem schönen Herbstabend- trinken. Herbst in der Natur, Herbst im Wein. Nomen est omen.
Ab und zu treffe ich auf Weine aus Gegenden, die ich noch nie im Glas hatte. Vor allem in Restaurants, in denen ich etwas ratlos die Weinkarte durchstöbere. Rasch noch ein «Zweierli Roten», vor dem Schlafen, nach dem Theater oder Konzert, mit Freunden, in einer zufällig ausgewählten Wirtschaft (die in der Nähe liegt, und noch offen ist). So zum Beispiel kürzlich in Oberammergau (Bayern), wo ich es wagte, einen Bordeaux-Blend zu bestellen, ganz einfach, weil bezüglich Traubensorten der Abend mit Vertrautem ausklingen soll. Ok, Cabernet-Merlot sagte ich mir, Kurtatsch hingegen sagte mir nichts. Also rein geschnüffelt, rein geschluckt. Vielleicht nicht ganz so wohlwollend, weil mir Bordeaux aus Norditalien (Südtirol) eher exotisch schien. Mein erster, spontaner Kommentar: noch jung. Das mit der Harmonie – so mein Eindruck – hat noch nicht ganz funktioniert. Irgendwie schien mir der Wein aufgeregt, sogar etwas aggressiv. Die Säure erdrückte die Frucht, und die Frucht verlief sich in der Mineralität. Es war nicht die geschmeidige Belanglosigkeit, die in solchen Momenten bei Weinen dieser Preisklasse (etwa 15 € ab Hof) eine Wohligkeit aufkommen lassen. Es war kein Schlummertrunk, vielmehr ein eigenständiger – sogar eigenwilliger – Wein, der geradezu nach etwas Fingerfood verlangt hätte, zum Beispiel nach einem speckumwickeltes «Häppchen». Doch so etwas war um diese Zeit nicht zu bekommen. So blieb es also beim Wein und der Hoffnung von gutem Schlaf. Und das hat funktioniert. Irgendwie habe ich von einer Weingegend geträumt, die ich nur schlecht kenne, wo aber Wein aus dem Boden quillt und im Glas immer weicher und eleganter wird. Ich habe mich – wenigstens im Traum – angenähert und er hat mich anscheinend doch wohlig bis tief in den Schlaf hinein begleitet.
Der Wein war noch kaum im Glas, wurde ich schon gefragt: «Wie schmeckt er?» Die Antwort: «harmlos», um gleich zuzufügen: «kalt und ohne Fehler». Damit wollte ich ausdrücken: «Wenn der Wein so kalt serviert wird (es war ein sehr heisser Sommertag), dann sind die feinen, differenzierten Chardonnay-Töne noch nicht zu erkennen. Nur Fehltöne würden auffallen». Ich hatte recht. Auch etwas länger im Glas war der Wein unauffällig, durchaus süffig, aber ohne breites Spektrum, wenig Tiefe, bescheidene Aromatik. Chardonnay ist die bekannteste (und wohl auch beliebteste) Rebsorte für runde schöne Weissweine. Sozusagen angepasst an die Terroirs in nahezu allen Weingebieten der Welt, gibt es eine grosse Spannweite in seiner charakteristischen Aromatik, vom komplexen bis zum einfachen Wein. Vorbild – zumindest in den Köpfen der Winzer, aber auch der Konsumenten, ist sicher der Burgunder (von wo der Chardonnay kommt), also eher aus der Mitte oder dem Norden in Frankreich. Dieser Chardonnay wird aber in der heissesten Region des Landes an- und ausgebaut, in der Languedoc, ganz nahe vom Mittelmeer. Eigentlich ist dies eine Rotweingegend, Weisswein – in grösserem Umfang – wird hier erst in den letzten Jahren vinifiziert. Entsprechend sind die Erfahrungen auf vielen Weingütern noch bescheiden. Ich weiss nicht, ob es an der Erfahrung liegt oder in der Philosophie der Domaine, dass dieser Wein bescheiden wirkt, jedenfalls ohne Ecken und Kanten und leider auch im Spektrum der Aromen brav. Mehr als unauffällig, schon eher «harmlos». Dies kann durchaus ein passabler Basiswein sein (Kosten im Handel so um 10 CHF), die Sélection Parcellaire (vom gleichen Weingut) ist eindeutig der prägnantere Wein, aber nur etwa 6 CHF teurer.
Auf Auktionen gibt es noch immer sogenannte «Schnäppchen»: Weine, ausserhalb des Bordeaux/Burgunder-Angebots. Vor Jahren gab es noch die «Schnäppchen-Jäger», welche preiswerte Angebote suchten, um sie dann mit etwas Gewinn wieder zu verkaufen. Diese «kleinen Geschäfte» haben weitgehend aufgehört, sie laufen jetzt vorwiegend über Internet-Plattformen, zu gross ist der Aufwand für Saal-Auktionen.
Trotzdem treffe ich immer wieder auf gute Weine, meist aus Regionen, die als «wenig auktionswürdig» abgestempelt und dort fast schon «verhökert» werden. Eine Entdeckung, dieser Zweigelt aus Gols im Burgenland. Österreichische Weine haben in den letzten Jahren viel an Renommee gewonnen, sind aber noch lange nicht dort, wo für eine einzige Flasche 100 und viel mehr Franken hingeblättert wird. Es ist auch nicht ihr Ziel, im Konzert der Auktionsweine mitzuspielen. Was aber in immer und immer wieder, das sind Winzer in Österreich, die eigenständig und oft eigenwillig ihre Vorstellung von Qualität im Wein umsetzen. Werner Achs gehört zu ihnen. Er konzentriert sich auf zwei, drei spezielle Weine, die in ihrer Art fast schon einmalig sind. Die Cuvée XUR, ausschliesslich aus autochthonen Rebsorten und den klassischen Zweigelt, der vor allem in Österreich zu Hause ist. Obwohl eine verhältnismässig junge Züchtung (1922) hat sich die längst Rebe durchgesetzt, leider aber – so meine Erfahrung – hat aber immer mehr von seiner Eigenständigkeit verloren, seinen eigenen Charakter, verloren. Er ist sozusagen «international» geworden. Ein Phänomen, da nicht nur beim Zweigelt zu beobachten ist. Man hat mir aber schon lange versichert, dass es den «unverkennbaren» Zweigelt, in seiner speziellen Fruchtigkeit, mit seiner speziellen Würze und seinem eigenen Charakter gibt: viel Vanille (nicht geschmäcklerisch süss), Paprika, Kirsche, Brombeeren… Alles sehr prägnant, erkennbar, geniessbar, jedenfalls dann, wenn der Ertrag stark reduziert und der Wein «kräftig», um Qualität bemüht, ausgebaut (und nicht einfach in neues Barrique gestopft) wird. Dieser Zweigelt vom Goldberg (der Name ist Omen) erfüllt diesen Anspruch und hebt sich von fast allen Weinen diese Rebsorte ab, die ich bisher getrunken habe. Weitaus die meisten von ihnen waren eher dünn, zwar trinkig, aber mit wenig eigener Artikulierung, ein eher flüssiger, glatter Trinkstil. Das verleitet mich zu sagen: ein anderer Zweigelt. Selbst nach acht Jahren – und wohl etwas zu alt – noch deutlich anders.
La vie en rose(é) hat einen Dämpfer erhalten. La Canicule ist - mindestens vorläufig – überstanden und damit auch meine
Stippvisite durch die Welt des Rosé. Der rosige Besuch wird ab- oder zumindest unterbrochen. Bisher waren es Languedoc-Weine, die ich konsumiert und kommentiert habe. Jetzt habe ich mich etwas östlicher umgesehen, in der Provence, dem Kernland des Rosé. Hier haben die Produzenten und Weinverbände Alarm geschlagen, als EU-Vorschriften zulassen wollten, dass Rot- und Weisswein zu Rosé verschnitten werden dürfen. Eine Massnahme, welche mehr Wettbewerbs-Gerechtigkeit bringen sollte, denn in vielen Ländern und Regionen ist dies erlaubt. Nicht aber in Frankreich, schon gar nicht in der Provence, wo bis zu 80 Prozent Rosé-Weine hergestellt werden. Aufgrund der Beschaffenheit des Bodens (von Schwemmland bis zu Felsen), den vielen zugelassenen Rebsorten und der zwar heissen, aber unterschiedlichen Klimas, gibt es keinen einheitlichen Roséstil. Im Gegenteil, es wird eine Vielfalt von Rosés angeboten, wie kaum sonst in einer Weinregion.
Was mich an diesem Rosé stört, das ist seine Bezeichnung: «Grand Réserve». Ein «grosser» Wein ist es wahrlich nicht, auch nicht ein teuer, so um 8 Euro. Eigentlich bin ich – aufgrund der - in den letzten Wochen - gemachten Erfahrungen – enttäuscht. Der Wein ist leicht fruchtig und prickelnd. Den Rebsorten (vor allem Grenache und Cinsault) werden keine aufregenden Aromen entlockt; etwas Grapefruit und Mango; er ist weder ganz trocken noch süss; ausgewogen könnte man sagen oder auch «brav»; böse Zungen meinen sogar «langweilig». Eher blass in der Farbe; im Auftritt, unauffällig; ein Wein, den man eher in den «Supermarchés» antrifft, als beim Weinhändler.
Gérard Bertrand: Sphère, Rosé (Cinsault,
Pinot Noir, Grenache), Languedoc, Frankreich
Dieser leicht perlende Wein ist verknüpft mit einem berühmten Namen: Gérard Bertrand, 2020 ausgezeichnet als ««Green Personality of the Year». Doch, ganz so einfach ist es nicht. Das berühmte Weingut «Château l'Hospitalet» in «La Clape» (Narbonne), welches Bertrand seit 2002 gehört, ist so etwas wie das Herz «der Lebensfreude» im Languedoc, verbunden mit Hotel, Gourmetrestaurant, Kunstraum, Führungen, Veranstaltungen, Seminare, alles rund um Wein.
Der umtriebige «Weinmacher» ist mit etwa 15 Weingütern und mehr als 800 Hektaren Rebfläche eine Weininstanz im Languedoc. Einer der Ideen entwickelt, Trends vorgibt, auf vielen «Weinbühnen»
tanzt. Die Bio-Dynamik im Weinbau – die er massgeblich in die südlichste Weinregion Frankreichs gebracht hat – ist nur eine seiner Ideen für nachhaltigen, modernen Weinbau.Eine andere ist die
Vermarktung, die Verknüpfung eines Lebensgefühls mit Wein. Dazu passt dieser «Rosé» ausgezeichnet. Ein nicht ganz übliches Produkt zur Vermarktung von Gefühlen. Weintechnisch gesehen: ein
Sillwein, mit einem geringen Anteil von eigenem Kohlendioxyd. So wenig, dass es noch lange nicht ein Schaumwein ist. «Sphère» ist ein «echter» Rosé, vinifiziert mit kurzer Mazeration und dem Bemühen, viel an „endogenen“ (eigener) Kohlensäure (entstanden bei der Vergärung des Traubenmosts) im Wein
zu behalten. Die kleinen „Perlen“ im Wein geben ihm Frische und animieren zu „Fröhlichkeit“. Mediterranes Lebensgefühl als Antwort auf die aktuelle brütende Hitze.
„Fines Bulles“ steht auf der Flasche (Schraubverschluss), darunter «Lightly Bubbly». Ein Hinweis, für wen dieser Rosé gemacht wurde: mehrheitlich für die vielen Touristen, die den
meist heissen Sommer hier am Meer verbringen. Auch die übrigen, obligatorischen Angaben zum Wein (und eine kurze Beschreibung) sind sowohl in französischer, als auch englischer Sprache auf der
Etikette zu lesen. Nichts Aussergewöhnliches, doch auch ein Hinweis, dass der Wein exportiert wird oder – wie hier – für den Absatz im touristischen Bereich gedacht ist. Um einmal Klischees zu
verwenden: ein typischer «Frauenwein», leicht (11%vol.), fruchtig, «verschmitzt», ein angenehmer Sommerbote. Weinkenner sehen dies wohl anders. Doch hier gilt, weit mehr als in anderen
Weinbereichen: Wein soll Spass machen.
Es ist ein kleines Weingut (7 ha) in einer für den Anbau von Reben ausgezeichneter Lage, auf der Terasse von Larzac. Die drei Rotweine der jungen Domaine (errichtet 2017) haben in der kurzen Zeit bereits Beachtung und Akzeptanz erlangt. Jetzt wurde zum ersten Mal auch ein Rosé gemacht, aus den hier üblichen Rebsorten Syrah und Grenache (wie die Roten). Beim Rosé sind es vorwiegend drei Eigenschaften, die einen Wein prägen: Frische, Frucht und Süsse. In den letzten Jahren ist es auch der hohe Anteil an Alkohol (%vol), der den Weinen ihre angestrebte Leichtigkeit und Frische nehmen. Wie weit die Tannine sich bereits integrieren, ja sachte verschmelzen, kann als weiteres Indiz für die Qualität eines Rosé beigezogen werden. Es ist nicht ganz einfach, bei einem kühl getrunkenen Wein die Fruchtnoten schon in der Nase festzumachen, spätestens aber im Gaumen sollten sie sich entfalten. In diesem Fall von leicht beerigen Noten bis zu leisen Apfelaromen. Die Säure und der Schmelz sollen noch bis in den Abgang hinein spürbar sein. Die alles tippt dieser Rosé an, doch zu wenig deutlich, zu unverbindlich. Kein schlechter Rosé, doch einer, der sich deutlich entwickeln kann. Vielleicht beim nächsten Jahrgang, wenn er den Mut hat, das zu sein, was er sein könnte.
Weder Weiss, noch Rot: Rosé
Domaine Puech-Haut: "Argali"
Mal etwas blasser, mal etwas farbiger: weiss, gelb, ocker, rosé. Mal sanft, mal etwas kräftiger, mal ruhig fliessend, mal perlend hüpfend. Rosé, der Wein, der sich Wein nennen darf und doch kein richtiger Wein ist. Man sucht umsonst nach Kriterien, um ihn zu messen. Die einzige Konstante: er wird kühl, ja kalt getrunken. «Brennend heisser Wüstensand… kein Gruss, kein Herz…alles liegt so weit, so weit…» Ein Getränk für jene Stimmung, die Freddy einst geschaffen hat, als fiktiver Legionär im heissen Wüstensand. Träume, Gefühle, Kitsch?
Kein Wunder, wird Rosé in der ernsthaften Weinkritik weitgehend ausgeblendet. Aber er wird getrunken. Wenn es heiss ist, auch von jenen, die darüber spotten. Zu den besten Rosés im Languedoc gehört sicher der «Argali» von der Domaine Puech-Haut, einem renommierten Weingut nördlich von Montpellier, wo auch hervorragende Rotweine vinifiziert werden. Dieser Rosé – mit Stempel Préstge – zeigt, wie wichtig Rosé-Weine im Süden Frankreichs (nicht nur hier) auch für Top-Weingüter sind, nicht nur, weil es auch ein gutes «Sommergeschäft» ist, sondern weil es zum Ruf eines guten Winzers gehört, einen guten Rosé machen zu können. Denn es ist gar nicht so einfach Frucht und Eleganz, Blumigkeit und Frische in den kühlen Wein zu bringen (getrunken wird er zwischen 8 und 10 Grad). Solche Préstige-Rosé (es gibt sie, allerdings nicht in Massen) kosten rasch einmal 15 – 25 CHF. Was in südlichen Regionen mehrheitlich angeboten und auch getrunken wird, das sind Rosés, die zwischen 4 und 8 Franken kosten. Je nach verarbeiteten Trauben (Rebsorten) und Vinifizierung (wichtig ist der Zeitpunkt von der Trennung von der Maische) entstehen ganz unterschiedliche Rosés. Es ist nicht ganz einfach, in den langen Reihen von Rosés der verschiedenen Weingüter in den Regalen jenen herauszupicken, der den eigenen Vorlieben (Geschmack, Alkoholgehalt, Eleganz, Süsse etc.) gerecht wird. Ich werde deshalb in den nächsten Tagen einige Beispiele vorstellen, von sogenannten Alltags-Rosé, die ich in den letzten (heissen) Tagen getrunken habe.
E.A.R.L. des Eyrins: Cru Monplaisir 2005, Margaux, Bordeaux, Frankreich
Verführerisch klingende Namen wie «Monplaisir» sind Weinliebhabern immer etwas «verdächtig». Dahinter verbergen sich oft sogenannte «Industrieweine», exklusiv für Discounter oder spezielle Verkaufskanäle produziert und mit einem eigenen Label versehen. Das ist bei diesem Wein nicht der Fall, obwohl er nicht
den Namen des produzierenden Weinguts «Château des Eyrons» trägt, weil er kein A.O.C.-Margaux ist (Gemeinde-Appellation), sondern ein Bordeaux supérieur (A.O.C. Bordeaux). Es sind fünf Hektaren des Weinguts, die nicht vom berühmten Namen der Appellation «Margaux» profitieren können und deshalb im Preis günstiger sind. Tatsächlich habe ich den Wein damals – im guten Weinjahr 2005 – auf der Suche nach «bezahlbaren» Weinen für den Alltag entdeckt, sozusagen ein «Alltagsbordeaux», der vor allem zu Fleischgerichten passen wird. Also kein «dünnes» Weinchen, dass sich zwar «Bordeaux» nennt, aber an Kraft und Eleganz den «teuren» Bordeaux weit hinten ansteht. Gibt es überhaupt so etwas, wie einen Bordeaux in der Preisklasse um 15-20 Franken, der wirklich wenigstens einen Hauch von Bordeaux in sich hat und nicht einfach ein Blender ist oder sich hinter dem «Holz» versteckt. Eine Frage, die sich Anbetracht der Preisentwicklung im Bordelais immer häufiger stellt. Damals, vor bald zwanzig Jahren, war der «Run» auf «bezahlbare» Bordeaux noch kleiner. Heute bieten gute Weinhändler immer mehr auch sogenannt «kleine Weine» an, die durchaus im grossen Bordeaux-Konzert mitspielen können, wenn auch nicht als Solisten oder in der ersten Formation. Eine andere Frage betrifft die Haltbarkeit der Weine. Müssen die «Kleinen» früh getrunken werden (was heute auch ein Trend ist) oder profitieren auch sie von einer Flaschenreifung von 10 und mehr Jahren? Ich habe den Wein – wie die «grösseren» Weine – bewusst im idealen Weinkeller liegen gelassen und jetzt – zusammen mit einem vergleichbaren «Marquis d’Alesme-Becker» (3ème cru), 1996, verkostet. Da zeigte sich der Unterschied deutlich. Der neun Jahre ältere Wein hat sich besser entwickelt, ist runder, geschmeidiger, auch tiefer und prägnanter geworden, hat die Tannine feingliedrig verwoben und einen guten Rest an Frucht konserviert. Während der jüngere «Monplaisir» eher flach, ausdrucksschwach, wenn auch kräftig geblieben, aber leicht eckig geworden ist. So leicht lässt sich «Bordeaux» halt doch nicht übertölpeln.
Von der Küste bis zum Himmelstor ist es ein langer Weg. Nicht steinig, nicht beschwerlich, durchaus gangbar, aber etwas teuer, wenn man ihn als Weinerlebnis definiert. «La Côte» (die Küste) ist der «Basiswein» des hochklassigen Weinguts «La Négly», ganz im Süden der Languedoc, hoch über der Mittelmeerküste. «La Porte du Ciel» (das Himmelstor) ist in diesem Fall auch im Weingut zu finden. Es ist Spitzenwein («haut de gamme») das Châteaus. Dazwischen liegt die Klippe «La Falaise», ebenfalls ein fruchtiger, intensiver und strenger Wein, im Geschmack ein «veredelter» Einheimischer, aus den Rebsorten Syrah, Grenache, Garignan und Mourvèdre. Über die beiden letzten Weine wurde schon oft – meist überschwänglich – geschrieben. Rund um den Basiswein «La Côte» ist es eher ruhig geblieben in den Weinnotizen: nicht der Rede wert, halt nur ein «Basiswein». Dieses Denken ist grundsätzlich falsch, bei «La Négly» geradezu ein Sakrileg. «La Côte» ist die Grundlage für das, was in den anderen Weinen des Châteaus – subtil entwickelt und austariert – voll zum Tragen kommt: Kraft, an Tiefe, an Raffinesse, Schönheit. Kräftig ist er, der Basiswein, voll von würzigen Kräutern des Südens und auch unglaublich «süffig», zu einem guten Stück Fleisch geradezu «himmlisch», ein Stück Weinvermächtnis der Languedoc. Und sein Preis – um 15 CHF – bereits paradiesisch, leider - in unserer Gegend (Schweiz, Deutschland) - eher schwierig zu bekommen, weil er oft schon rasch ausverkauft ist und verhältnismässig von wenigen guten Weinhandlungen angeboten wird. Der "Porte du Ciel" musste schon vor Jahren subskribieren werden, damit man ihn kaufen konnte. (Was sonst fast nur beim Bordeaux üblich ist)
Château d'Escurac 2004, Cru Bourgeois, Medoc, Bordeaux, Frankreich
Der «Run» auf Bordeaux-Weine im Preisbereich um 15 bis 25 Franken pro Flasche hat nicht ab-, sondern deutlich zuge-nommen. Seit Spitzenweine für «Normalkonsumenten» so gut wie unerreichbar sind und
sich klassifizierte Châteaux immer mehr am Endpreis von 100 Franken orientieren, sind gute und noch erschwingbare Bordeaux mehr denn je gesucht. Früher waren es sie «Geheimtipps», die aber bald nicht mehr so «geheim» waren und auch «industriell» produzierte Weine - wie Mouton Cadet – immer häufiger zum Bordeaux-Groove definiert wurden. Der Bordeauxkenner – «Master of Wine» (nicht mehr der einzige in der Schweiz) – hat diese Entwicklung früh erkannt und eine ganze Palette von «günstigen» und doch eigenständigen Bordeaux zum Preis um 20 Franken in seine «Selection Bordeaux» aufgenommen. Man brauchte aber nicht auf Schwander zu warten. Schon früher war zum Beispiel Château «D`Escurac» einer dieser «günstigen» Bordeaux. Ein Wein, der regelmässig so um 88/100, ja sogar 89/100 Punkte erringen konnte. Heute «D´Escurac» sowohl im besseren Fachgeschäft, als auch beim Discounter erhältlich. Die Frage ist nicht, ob er seinen Preis wert ist, sondern wie lange er gelagert werden kann, oder gelagert werden muss. Das Lagerungsproblem wird immer drängender in einer mobilen Gesellschaft. In der Regel sind Weine in dieser Preisklasse schon ganz jung gut zu trinken. «D´Excurac» eigentlich auch. Doch er kann auch gelagert werden und durchläuft eine Flaschenreifung, die beachtlich ist. Dieser 2004er, immerhin 18 Jahre alt, nicht der beste Jahrgang, ist jetzt auf seinem Höhepunkt. Auf dem Höhepunkt eines «alten» gut gelagerten Wein. Er wird nur noch abbauen und kaum zu einem jener gesuchten Altweine werden. Dafür hat er jetzt Reife und Frucht, dafür hat es sich fast gelohnt, ihn etwas länger im Keller zu lagern. Ich weiss nicht, ob er in den meist angegebenen drei bis vier Lagerjahre besser ist. Ich weiss jetzt aber auch, dass sein Körper doch etwas zu schmächtig ist, um mehr als 10 Jahre in der Flasche zu warten.
Die kleine Flasche, die Hälfte des Volumens einer gängigen Flasche, ist in diesem Fall eine Rarität. Nicht vorgesehen zur Lagerung, eher für den noblen Aperitif. Nicht zum Trinken, zum Nippen, zum Testen, zum Geniessen, mit «natürlicher» Restsüsse. Die Rebsorte: Pinot noir, hier «weiss» ausgebaut. Das heisst, die Trauben werden ganz gepresst, sodass sie kaum Farbe an den Saft abgeben. Es entsteht ein Weisswein, aus roten Beeren, meist in zarter Lachsfarbe und etwas Restsüsse. Der Begriff «Federweiss» ist nicht eindeutig, er wird in verschiedenen Weinregionen unterschiedlich verwendet: zum Beispiel für «Sauser», in Gärung befindlichen Traubenmost. Die französische Sprache ist wesentlich präziser und verbindlicher: «Blanc de Noir» (Weiss aus Schwarz – oder eben aus Blau/Rot). Die Entwicklung der schwach alkoholischen Weine (hier 9% Vol.) wird auf drei bis vier Jahre geschätzt. In dieser Zeit sind sie fruchtig, kräftig, beerig, gehaltvoll… Und dann? Ja, dann beginnt der Abstieg. Dann setzt das ein, was sonst bei kräftigen «Altweinen» mit neuen, verklärenden, verführerischen Aromen umschrieben wird. Ein «Altfederweisser» habe ich bisher noch nie getrunken. Diese Flasche ist im Keller «liegengeblieben», weil sie von Gantenbein ist. Damals, vor bald zwanzig Jahren hat der renommierte Schweizer-Winzer experimentiert, versucht aus verschiedenen Trauben, mit verschiedenen Techniken das Beste herauszuholen, Erfahrungen zu sammeln. Kann man mir – dem Weininteressierten – verübeln, einen «Federweisssen» aus bestem Hause, so lange aufbewahrt zu haben , bis er «untrinkbar» ist? War er wirklich untrinkbar? Er hat standgehalten, aber viel von dem verloren, was ihn einmal ausgezeichnet hat. Er ist aus der Harmonie geraten,
hat Firnis angesetzt, die schmale Säure vermag ihn nicht mehr zu stützen. Doch – es ist das Verdienst der gekonnten, sorgfältigen Weinbereitung, der engagierten Arbeit im Weinberg, dem unbändigen Willen, jedem Wein ein «Gesicht» zu geben (auch einem Federweissen), dass der Wein trinkbarer geblieben. Und erst noch mit ganz speziellen Noten. Eigentlich ein Wein-Abenteuer.
Les vignerons de Farinet: Les Sang de terre
2000, Saillon, Wallis, Schweiz
Clos Montmartre, Cuvée "Michou" 200, Montmartre, Paris, Frankreich
Es muss nicht immer Bordeaux sein! Warum? Weil es nebst den Namen, der sensorischen Qualität, den Preisen, dem Prestige… noch anderes gibt, das für ein Weinerlebnis vielleicht sogar wichtiger sein kann: zum Beispiel der Mythos. Der Mythos des Weins, der Reben, des Konsums, der Geschichte. Als History würde ich dies bezeichnen, als Zeitreise, zurück, wo einmal etwas begonnen hat oder geworden ist.
Etwas, das im Wein – auf natürliche Weise – erhalten geblieben ist, als kulturelles Erbe. Mythen sind Geschichten, die im Kern wahr sind, die aber ihr Kleid immer wieder wechseln, und doch zeitlos bleiben. Von so einer kleinen History-Runde möchte ich erzählen. Sie war für mich echter, weiniger, erlebnisreicher als der Erst- und Zweitwein vom Bordeaux-Giganten «Latour», den wir an diesem Abend auch noch getrunken haben.
Die erste Geschichte handelt vom Schmuggler und Falschmünzer Joseph-Samuel Farinet (1845-1880), einem Robin Hood im Kanton Wallis, der das Gute wollte, indem er das Böse tat. Jedenfalls wurde er von der Polizei gejagt bis er unter «ungeklärten Umständen» in der wilden, steilen Salenzschlucht, starb, dort, wo er immer und immer wieder auf der Flucht war. Der Schriftsteller Charles-Ferdinand Ramuz hat die Geschichte in einen Roman verpackt und Farinet so ein
Denkmal gesetzt. Ein Denkmal, das bis heute – in Form des kleinsten, grundbuchlich festgehaltenen Weinbergs der Welt – weiterhin Früchte trägt. Im «Vigne à Farinet» stehen nur drei Rebstöcke, aus ihren Trauben – vermischt mit gutem Walliser-Wein – werden jedes Jahr 1000 Flaschen abgefüllt. Betreut von Persönlichkeiten aus Kunst, Politik und Wohlfahrt, schliesslich verkauft zugunsten «armer Leute». Der kleine Rebberg ist heute «Pilgerstätte» der «Legende Farinet», die noch immer
verehrt wird, weil sie für etwas steht, was Abbé Pierre (langjähriger Besitzer des Rebberges) in seinem Werk «der Nächstenliebe» geschaffen hat. Heute gehört der Rebberg – ebenso symbolträchtig – dem charismatischen Mönch Dalai Lama.
Die zweite Weingeschichte spielt in einer grossen Stadt, einer Weltstadt, in der auch viel Kunst und Künstler zu Hause waren und heute noch sind. Auf dem Montmartre in Paris, wo es einen Rebberg gibt. Nicht so klein, wie der von Farinet, im kleinen Dorf Saillon im Wallis (2000 Einwohner). Aber auch nicht gross und immer mehr bedrängt von einer wuchernden Grossstadt und den vielen Touristen, die das Quartier «La Butte» im 18. Arrondissement heimsuchen, Tag und Nacht. Es ist der Mythos eines «Künstlerdorfs», in dem Renoir, Degas, Cézanne, Van Gogh, Seurat, Toulouse-Lautrec und, und, und… gelebt, gemalt und auch (viel) Wein getrunken haben.
Sicher nicht nur den «Cuvée Michou» vom Clos Montmartre, der jedes Jahr aus dem Ertrag der knapp 16 Aren Reben gekeltert und dann für einen «guten Zweck» verkauft wird (das «Halbeli» zu ca. 50 Euro).
Vor 15 Jahren habe ich in einer meiner rund 220 Kolumnen im «wein-plus.magazin» über die Tradition dieses einmaligen Rebbergs geschrieben. Aus dieser Zeit stammt auch meine einzige und letzte Flasche vom Clos Montmartre, gut gelagert und gehütet im kühlen Keller. Vielleicht etwas wenig Qualität, dafür viel «History», und – man höre und staune – noch immer gut trinkbar. Etwas «sauer», doch das war er schon damals, als ich ihn zum ersten Mal getrunken habe. Sicher wenig Flaschenreifung, viel eher Bewahrung. Geschichte muss man nämlich bewahren, dann macht sie – auch beim Trinken – unglaublich viel Spass.
«Die braune Liesel kenn ich am Geläut», ein viel zitierter Spruch aus Schillers «Tell» (1. Aufzug, 1. Szene). Die «Liesel» ist eine Kuh und Hirten sprechen über ihr Verhalten, sobald ein
Gewitter aufzieht. Der prägnante Satz hat sich längst verselbständigt. Die «Kuh» ist meist keine Kuh mehr, das Geläut keine Glocke und auch die Farben wandeln sich. Der Sinn aber ist der gleiche
geblieben. Für mich ist dieses Zitat schon fast Leitsatz, wenn es darum geht, ein Restaurant auszuwählen, das ich nicht kenne. Die «Liesel» ist in diesem Fall die Weinkarte. Ihr Geläut: die
Weine, rot, weiss, rosé, natürlich abgestimmt an das Angebot auf der Speisekarte. Was taucht da auf: nur bekannte Namen und gängige Rebsorten, geschmeidig Bekannte und schillernde Unbekannte,
Zuflucht zur grossen Liste internationaler Gastroweine, Prestige- oder «Industrie»-Weine. Das Geläut, oft eine Kakofonie, die sich aus der Preiskalkulation ergeben hat. Besonders aussagekräftig
ist das, was im sogenannten «Offenausschank» angeboten wird. im Vergleich zu den Speisen – allzu oft das Getränk für eine billige Imbissecke. Grund genug, dass ich kaum «offene Weine»
bestelle.
In diesem Fall ist es ganz anders. Das Restaurant – früher eines meiner Lieblingslokale – war zwei Jahre geschlossen und hat einen neuen Pächter, eine neue Karte und andere Weine. Meinem
«Liesel»-Grundsatz getreu, konsultiere ich also – noch zu Hause – die Weinkarte. Oh Wunder: es geht auch anders, schon bei der Auswahl. Da gibt es einen «Räuschling» auch im Offenausschank. Eine
Spezialität, hier am Zürichsee. Zwar eine uralte Rebsorte, die – sorgfältig ausgebaut – eine sehr persönliche Visitenkarte sein kann. Ein Leckerschluck für Weinfreunde.
Und das Weingut: sehr persönlich, sehr individuell, sehr qualitätsbewusst. Ein Stück andere Weinwelt, eine schönere, eine typisch schweizerische Oase im Gastro-Wein-Betrieb. Sicher ist es nicht der allerbeste «Räuschling», den ich getrunken habe, aber es ist einer der besten Weissen im Offenausschank. Es ist ein Wein, den man nicht nur gerne trinkt, sondern auch gerne davon erzählt.
Ich erinnere mich an eine Aussage von drei Winzern, über ihr Ziel an einem Projekt «3R Räuschling», (zu der auch das Weingut Rütihof gehört), in der das Wesen des Rieslings mit einer Zürichsee-Stimmung umschrieben wird: «Die frische, kühle Luft über spiegelglatter Wasseroberfläche an einem Sommermorgen, die gespenstische Stimmung an nebligen Herbsttagen und die zum Greifen nah liegenden verschneiten Berggipfel an frostig-sonnigen Winter-tagen.» Etwas von dieser Stimmung vermittelt auch dieser – der «kleinere Bruder» - der beiden Räuschlinge vom Rütihof. Es ist eben «nur» der kleinere Bruder des R3 (eine Assemblage, von drei der besten Räuschling-Produzenten am Zürichsee). Aber auch kleinere Brüder wollen ernst genommen werden und wissen sich auch zu behaupten.
Allein schon der Name sollte hellhörig machen. "Pergué pas?", das ist der Ausdruck für "Pourquoi pas?" (Warum auch nicht?), ganz im Süden Frankreichs, im Pay d'oc. Da kommt der Wein auch her, aus einem Familienbetrieb (in der 6. Generation) im südlichen Teil der Appellation Fitou, nicht allzu weit von der spanischen Grenze entfernt. Ich habe das Weingut seit vielen, vielen Jahren immer wieder besucht.
Diesmal habe ich einen Wein «entdeckt», der wohl das Interessanteste ist, was ich in der letzten Zeit im Glas hatte. Die Frage ist berechtigt: „Warum auch nicht?“ Der Wein nimmt konsequent einen Trend auf, der in der letzten Zeit immer häufiger zu beobachten ist: mit weniger Sulfiden - in diesem Fall: keine bei der Verifikation zugesetzten Sulfide. Das ist in der letzten Zeit der dritte oder vierte Versuch von Sulfid reduzierten Weine, den ich wohlwollend, aber misstrauisch degustiert - nein getrunken - habe. Es ist der glücklichste «Versuch» mit nur dem natürlichen Anteil von Sulfiden im Wein auszukommen. Es zeigen sich plötzlich neue Aromen, feine, feingliedrige Nuancen im Geschmack, in der Nase, in der Harmonie - bis tief in den Abgang hinein. Die Rebsorte: 100% Grenache noir, genauer gesagt, der Grenache-Klon Lladoner (oder Lledoner), von einer sehr alten Rebe, die schon im Mittelalter (angeblich auf dem Pilgerweg von Saint-Jacques-de-Compostelle) in die Languedoc kam.