Getrunken 4. Teil (ab Januar 2018 - März 2020 ) aktuell

Hier sind alle "Getrunken" der letzten Zeit zu finden. Es sind keine Weinbeurteilungen der üblichen Art. Vielmehr Weingeschichten, Geschichten, welche mir die Weine erzählen.
Ältere "Getrunken" und eine Excel-Liste sind am Schluss dieser Seite zu finden. Die gleichen Weinnotizen findet man auch auf meinem Blog

 

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Bild: caved estephane
Bild: caved estephane

13. März 2020

 

Eric Gellec: Petite Envie Rouge, Pinot Noir/Carignan/Syrah/Marselan, Pouzolles, Languedoc, Frankreich

 

Noch nie habe ich ein «Getrunken» zu einem Wein verfasst, der etwa fünf Euro, also weniger als 10 Euro kostet. Ich bin nämlich der Ansicht, dass jede verlässliche Weinproduktion ihren Preis hat: allein schon durch die «Verpackung», von der Glas-Flasche bis zum Press-Korken, die Verarbeitung von der Ernte bis zur Vermarktung, ganz zu Schweigen von der (motorisierten) Arbeit auf dem Feld. Selbst die «Massenproduktion hat eben ihren Preis. Hier unten – ganz im Süden Frankreichs – ist zwar alles etwas anders. Der «kleine Wein» hat hier noch Tradition. Der Alltagswein für gemütliche Stunden, zum Nippen auf der Liege, Lesen der Zeitung und dem Small Talk nach der Arbeit. Doch darüber schreibt man nicht.
Ausgerechnet heute habe ich eine aktuelle Weinempfehlung von Rainer Schönfeld (Gruppe «Bordeaux&Riesling und so…) gelesen – von einem der besten und  präzisesten Weinkommentatoren überhaupt –, der einen Literwein, deutlich unter 10 Euro, so kommentiert: «Einen halben Tag auf der Maische stand er. Saftiger, kühler Duft nach frisch angeschnittener Birne. Oder frischen Birnenschalen. Köstlich trocken, gradlinig, noch dezent traubig - ist ja auch gerade erst abgefüllt». Er gibt ihm zwar nur 84/100 Punkte, doch: «Ein wunderbarer Essensbegleiter und abends-auf-dem Sofa-Wein.»
Das hat mir Mut gemacht, meine einen Gaumen mit einen vergleichbaren Wein zu «belasten» oder zu prüfen. Zwar nicht mit einen weissen, mit einem roten, einheimischen, gewachsen, gereift hier zwischen Meer und Berge. Und siehe da, es ist ein Wein, über den man sonst nicht spricht. Kein Holz, kein Schnickschnack, gradlinig und – sauber. Ein «Mümmelwein», den man durchaus geniessen kann.  Frei von jeder Punktejagd, einfach ein Getränk, das man gut und gern trinkt, das nach Wein schmeckt und nicht nach Perfektion schielt: mit Noten von roten Früchte, unkompliziert und rund. Kurzum trinkig. Meine Erkenntnis: vielleicht müsste man solche einfachen, gut gemachten Weine vermehrt im Auge behalten (und auch öfters besprechen), dann würden der Offenwein in Restaurants rasch an Qualität zulegen. Es gibt nämlich den guten «Billigwein» durchaus, man muss nur nicht zu viel erwarten und Augen und den Gaumen offen halt.

09. März 2020

 

Château Mire l’Etang: Cuvée des Ducs de Fleury 2016, La clape, Languedoc

 

Es ist für mich nicht ganz einfach über Weine des Languedoc zu schreiben. Die eigentliche «Hausse» - vor gut zehn Jahre auf dem Höhepunkt – ist längst abgeklungen, verflacht. Andere Weingebiete sind heute «in». Die Spitzenweine aus dem einstigen Gebiet der «Billigweine» konnten sich international durchgesetzt und sind heute fast überall zu finden – nicht nur auf dem traditionellen europäischen Weinmarkt, auch in der sogenannten «neuen Weinwelt». Einige der grossen Namen – Pioniere von einst, die dem Wein in Frankreichs Süden Leben eingehaucht haben – sind zurückgetreten oder sind gestorben. Auf vielen Weingütern ist eine neue Generation an der Arbeit – meist gut ausgebildet an den Wein-Universitäten. Die veralteten «Caves Coopératives» wurden zusammengelegt, mit der neusten Technik ausgestattet und hoch professionell geführt. Ja, Languedoc-Roussillon ist grossmehrheitlich ein attraktives Weingebiet geworden.
Es sind 20, 30 Jahre her, da habe ich viele der Weingüter besucht und immer wieder berichtet (vieles davon ist noch immer nachzulesen im Magazin-Archiv von Wein-Plus.eu oder (später) auf meiner eigenen Homepage (sammlerfreak.ch). Inzwischen befasse ich mich vor allem mit dem breiten Angebot von guten Weinen aus erstarkten Genossenschaften und einzelner Weingüter, die den Anschluss an den internationalen Markt suchen. Da gibt es einiges zu entdecken. Doch – viele dieser Weine sind bei uns (Schweiz, Deutschland) kaum erhältlich. Wie soll man über Weine reden, die man bei uns nicht kaufen kann? Ein Spiegelgefecht!
Deshalb habe ich hier auf einen Wein «zurückgegriffen», den ich vor dreissig Jahren entdeckt habe, der – so meinte ich damals – ganz im Schatten vom Platzhirsch auf «La Clape» stand, alles redete von Château Négly, einem der ersten Weine «haut de gamme». Ich fand die Weine von Mire l’Etang zumindest so ausdrucksvoll und eigenständig wie die des Nachbarn Négly. Und ich sollte Recht bekommen. Diese Cuvée  gehört zu den besten «Genussweinen» oder sagen wir besser: zu den Weinen mit dem perfektesten Preis-Genuss-Verhältnis: rund, saftig, anhaltend im Abgang, dicht und fruchtig, nicht hochgepäppelt und international geglättet, wie leider viele der «neuen» Weine auch hier in der Languedoc. Und was mich geradezu fasziniert, der leichte Hauch von Thymian der den Wein begleite und fast schon einmalig macht.

07. März 2020

 

Vignobles des trois châteaux: Les Déesses Muettes Obsession 2017, Pic Saint Loup, Languedoc, Frankreich

 

Ja, die «stummen Göttinnen» – es gibt sie noch, zumindest beim Wein. In diesem Fall am Pic Saint Loup, dem steilen Berg-Zahn nördlich von Montpellier. Etwas fett ist sie schon, diese «Göttin», doch auch elegant, standhaft im Gaumen, blumig und voller Frucht. Seit mehr als dreissig Jahren verfolge ich die Entwicklung im grössten Weingebiet des Südens Frankreichs: das Auf-und-Ab, das Loslösen vom Ruf des Massenweins, das Vordringen in den internationalen Weinmarkt, die Pionierleistung einzelner Winzer und die Wut gegen Billigwein-Importe, die den Markt so sehr belasten. Es ist ein interessantes, spannendes Weingebiet, voller Überraschungen, mitunter auch Enttäuschungen. So sind auch diese «stummen Göttinnen» eine Überraschung und keine Enttäuschung. Ein Wein aus dem Preissegment, das vor allem von Winzer-Genossenschaften (caves coopératives) abgedeckt wird (10-15 €). Weine, wie sie auch in kleineren Lebensmittelgeschäften häufig im Regal stehen. Keine Billigweine – vielmehr Charakterweine, vielfältig und doch unverwechselbar. Geprägt vom Terroir: dem Klima, dem Boden und nicht zuletzt auch von den «einheimischen» Rebsorten, hier Syrah und Grenache, in einer vorbildlichen Ehe.  

16. Februar 2020

 

Weingut Hannes Reeh: Zweigelt Unplugged 2018, Burgenland, Andau, Österreich

 

Unglaublich saftig, fruchtig, präsent. Zwar noch sehr jung. Eigentlich viel zu jung, so wie er eben oft in Restaurants angeboten wird, wo Alterung zu aufwändig und daher ehr rar ist. „Unplugged“, ein Begriff aus der Musikszene – Auftritt ohne elektronische Hilfe, ohne Verstärker. Den Wein habe ich vor gut einem Jahr zum letzten Mal getrunken, als «Neujahrfesttagswein» am Silvesterabend - wie auch gestern - in einem guten Speiserestaurant. Die Wahl hat mit zwei Dingen zu tun: 1. Der österreichische Zweigelt zählt zu den bevorzugten Weinen meiner Frau, wenn wir auswärts Essen und die Weinkarte eigentlich «nur» mainstreamig ist. 2. Der Wein von Hannes Reeh ist ein typischer Gastrowein – eigenständig, unverwechselbar, eigentlich etwas Besonderes – auch bei einem Faktor x3 für einen guten Tischwein im Restaurant. Zudem ein guter Essbegleiter, auch bei währschafterer Kost. Gestern war das Essen nicht «währschafter», was eher für eine «leichtere Weinweinwahl» gesprochen hätte. Doch meine Neugier war grösser, als das Abwägen nach Grundregeln des Food-Pairings. Und siehe da: Der Wein hat das Essen zwar nicht «unterstütz», aber auch nicht «erschlagen». Damit konnte ich – so quasi auf zwei Geleisen geniessen – durchaus den Abend verbringen. Und zwar mit Spass. Und wenn ich jetzt – nachträglich – auf die Wein-Notiz von damals im «Getrunken» zurückschaue, so kann ich auch heute wieder dazu stehen. «Modern – ohne Firlefanz – gradlinig – eigenständig, nicht schielend nach Bordeaux, in die Toskana, zur Übersee- Welt, nach... Zwar barriquegelagert, aber nicht barriquebetont… Schmeichelnd, aber nicht anbiedernd. Einfach «nur» Wein.»

15.Januar 2019

 

Château Pavie 1996, Saint-Emilion, Bordeaux, Frankreich

 

Ein hervorragender Wein, eine ausgezeichnete Flasche, im eigenen Keller gelagert, mehr als 20 Jahre! René Gabriel hat dem Wein damals knappe 16/20 Punkte gegeben: «Im Gaumen erst füllig, weiches Extrakt… raues Finale, - Schlechter Wein. Mieser Premier Cru…». Ich erinnere mich noch gut, ich habe den Pavie 1996 trotzdem gekauft, weil ich ihn schon damals deutlich besser einstufte. Gabriel hat ihn übrigens später auch viel positiver beschrieben. Der Wein ist zwar deutlich stiller geworden, fast schon in sich gekehrt, mit einem unglaublich schönen Trinkfluss, sanft und doch viel, viel Wein. Viel Bordeaux und eine abgeklärte Reife, nicht schrumplig, voll Eleganz, fast noch jugendlich fröhlich. Pavie, damals – trotz hervorragender Lage – ein Sorgenkind in St.Emilion. Veraltete Keller, vernachlässigte Reben, verpatzte Vinifizierung, sagte man. Dann kam «Großmarktketten-Besitzer» Gérard Perse, kaufte das Weingut und investierte viel Geld in Keller, Reben und Land. Und siehe da: 1998 kam der erste «grosse Pavie» ins Fass und kostete bei der Auslieferung gleich dreimal soviel wie der «alte Pavie», nämlich etwa 150 Franken. Seither ist der Preis weiter gestiegen, analog den Punkten der Weinkritiker, bei guten Jahrgängen bis zu 500 Franken (die Flasche).  Diesen Hype wollte ich nicht mitmachen, 1999 kam der letzte Pavie in meinen Keller. Und da liegt er noch! Das seltsame aber ist: der Pavie vor 1998 ist im Preis kontinuierlich mitgestiegen – obwohl er ja noch «kein guter Wein war, mieser Premier Cru.» So wird der Pavie 1996, den ich jetzt im Glas hatte, für 200 Franken angeboten. Und alle vorangehenden weit schlechteren Jahrgänge (19191-1994) um 150 Franken. Dabei hat der 94er damals in er Subskription noch gut 30 Franken gekostet.
Spätestens in Anbetracht dieser Wein- und Preisentwicklung hat sich meine Erkenntnis gefestigt: Wein wird halt auch – und preisentscheidend – im Kopf gemacht.

15.Januar 2019

 

Châteeau Pape Clement 1996, Pessac Leognan, Bordeaux, Frankreich

 

Manchmal macht man im Leben – auch im Weinleben – «verrückte» Dinge, die man Jahrzehnte später nicht mehr so richtig verstehen kann. So habe ich zum Beispiel vom Bordeaux-Jahrgang 1996 so tüchtig subskribiert, dass ich heute darunter fast schon zu leiden habe. In zwanzig Jahren tut sich viel, nicht nur beim Menschen, auch beim Wein. Damals – fast noch Bordeaux-Anfänger – habe ich tüchtig zugeschlagen: Es war der erste wirklich gute Jahrgang nach 1990. Wie habe ich darauf gewartet (und fast alles geglaubt, was die Wein-Auguren geschrieben haben). Ich erinnere mich noch gut: lange und sorgfältig sondiert, ausgwählt, viel Zeit verwendet, um meinen (damals noch mageren) Bordeaux-Keller sinnvoll zu bestücken: natürlich nur mit Gutem, für alle erdenklichen Gelegenheiten etwas: für die Festtage, wie für den Alltag, für gesellige Runden und Mitbringsel bei Besuchen. Teurere, mittlere und einfache Weine, an die dreihundert Flaschen. Dann kam also das grosse Warten, zehn Jahre und mehr, dann sollen die Wein optimal trinkreif, so quasi auf dem Höhepunkt ihres Weinlebens. Aber auch ich – der Weintrinker – habe mich in dieser Zeit verändert. Bordeaux ist nicht mehr das AundO der Weinwelt. Neue Erfahrungen, neue Weingebiete, neue Ausbaumethoden, neue Rebsorten, neue… So ist das Weinleben eben weitergegangen, bei mir und auch beim Wein. Viele Flaschen Bordeaux 1996 – blieben doch im Keller liegen und sollten – höchste Zeit – doch endlich Platz machen. Dazu gesellt sich die Erfahrung: viele der Weine – die kleineren, als Alltagsweine gedacht – verlieren an Präsenz, an Kraft, an Harmonie, an… Da tut sich ein Graben auf – und der wird immer grösser. Es zeigt sich, dass der Unterschied von «Klein» zu «Gross» wächst, fast schon progressiv – jedenfalls unglaublich rasch. Während dieser «Pape Clement» 1996 – heute ein gut Hundertfrankenwein – «noch voll da ist» – ja weit runder, nuancenreicher, vielschichtiger, als je zuvor -, so hat «de Fieuzal» 1996 (ebenfalls Appellation Pessac Leognan) – ein damals etwa 40-Franken-Wein – seinen Höhepunkt bereits überschritten und der «Latour-Martillac» 1996 (gleiche Appellation) – damals hochgelobt – bereits ein eher ausdrucksloses Weinchen geworden ist, vor zehn Jahren aber – so meine Weinnotizen – noch «ein eleganter, fruchtiger Wein mit Zukunft war». So bringt eben die Zukunft nicht immer das, was man sich so vorstellt und verspricht. Sie ist mitunter unberechenbar und kann schwer vorhergesehen werden.

Bild: Gemeinde Andau
Bild: Gemeinde Andau

07.Januar 2019

 

Weingut Johann Schwarz: Schwarz Cuvée 2015, (55% Merlot, 20% Cabernet Sauvignon, 20% Cabernet Franc, 5% Schwarz Rot (Zweigelt)), Burgenland, Andau, Österreich

 

Als Bordeaux-Liebhaber bin ich skeptisch, zurückhaltend und vorsichtig, wenn ein sogenannter „Bordeaux-Blend“ angeboten werden, selbst wenn der Erzeuger ein renommierter „Weinkünstler“ ist. Die spezielle Bordeaux-Rebsortenwahl (MER-CS, CF und ein kleiner Anteil meist regionaler Traubensorten) gehört ins Bordelais. Da stimmen die äusseren Bedingungen, vor allem das Terroir (Klima, Terrain und Boden), das Wissen und die Erfahrung (vor allem beim Ausbau in Holz). Trotzdem gibt es immer mehr Bordeaux-Blends in fast allen Weingebieten der Welt. „Bordeaux“ ist zum internationalen Geschmack geworden. Österreich - auch das Burgenland - und seine Spitzenwinzer machen keine Ausnahme. Bordeaux-Blends gibt es überall. Aber auch gut? Hervorragende? Gar bessere, als im Bordelais?
Vom Weingut Johann Schwarz, dem Metzgermeister, der zum Winzer wurde, habe ich den bekanntesten – und persönlichsten – Wein schon öfters getrunken oder degustiert, den „Schwarz Rot“, hundert Prozent Zweigelt. Es ist – für mich - zweifellos einer der besten Zweigelt, die ich kenne und die ich immer wieder mal dem „Bordeaux“ vorziehe! Einmal habe ich sogar den Winzer selbst getroffen, an der ProWein in Düsseldorf. Doch getreu meinen eingeschlichenen Vorurteilen, habe ich seine Cuv
ée eher stiefmütterlich behandelt, Halt ein Bordeaux-Blend von Neusiedlersee.
Nun aber – gleichsam als «Nachweihnachtsfest» - kam die «SchWarz Cuvéé» ins Glas, eine Flasche, die unter dem Weihnachtsbaum gelegen hat, geschenkt von meinem Schwager, der zwar Schwarz heisst (aber nicht mit dem Winzer verwandt ist). Ganz grossen Dank, an die beiden Herren Schwarz. Der Abend war ein einziges Vergnügen! So gut wie ein Bordeaux-Vergmügen!
Der Wein könnte vom rechten Ufer (Saint-Emilion) im Bordeaux kommen. Unglaublich elegant, geschmeidig süffig, verführerisch. «Des is e guada Stoff», steht auf der Etikette. Kein Schwindel, es stimmt. Die «Verführung» kommt wohl vom grossen Merlot-Anteil im Wein, aber auch von einem subtilen Umgang bei der Vinifizierung und vor allem leisen Ausbau. Nichts von Holzdominanz, von Schwinger-Muskeln und «Hackfleisch». Eine wunderbare Vermählung der Traubensorten, denen noch ein kleiner «Schuss» von Zweigelt beigegeben ist, sozusagen ein Andenken an Österreich. So lasse ich mir Bordeaux-Bends gefallen, wenn sie als sehr guter Wein daherkommen und nicht als Zwangs-Imitation aus dem Bordeaux.

Bild: Katalonien Tourismus
Bild: Katalonien Tourismus

06. Dezember 2019

 

Weingut Wolkenberg: Roter Riesling 2015, Brandenburg, Deutschland

 

Bei diesem Wein ist vieles (alles?) etwas anders. Angefangen beim Namen: es ist der Name eines niedergebaggerten Dorfs im Süden des Landes Brandenburg, dort wo die Sorben lebten, die kurz vor-und-nach der «Wende» (Wiedervereinigung Deutschlands) umgesiedelt wurden, weil ihr Dorf 1991/92 für den Braunkohlenabbau  abgebrochen wurde. Ein schmerzliches, fragwürdiges Kapitel im Wiedervereinten Deutschland. Es betraf – wie fast immer in solchen Fällen – eine ethnische Minderheit, in diese, Fall die Sorben. Bis zum Jahr 2011 wurden durch den Braunkohleabbau 17 Dörfer abgebaggert. Als allmählich ein Umdenken begann (und die Rendite kleiner wurde) zogen sich die zerstörerischen Bagger zurück – und es begann die Rekultivierung. Dort wo einst Wolkenberg gestanden hat, wurde ein Rebberg errichtet, auf dem fünf weisse Rebsorten angepflanzt wurden. Und das ist das zweite Ausserordentliche an diesem Wein: die fast verschwundene Rebsorte «Roter Riesling» ist eine dieser Neuanpflanzungen. «Roter Riesling», eine Rarität, kaum mehr als dreissig Hektaren in Deutschland, eine davon auf dem neuen Rebgelände «Wolkenberg». Und, wie ist er, der weitgehend unbekannte Wein? Irgendwie fehlt mir ein Massstab, ein brauchbarer Vergleich. Ohne all das Wissen um dieses Experiment würde ich den Wein schlicht als «Riesling» bezeichnen, das «Rot» fehlt mit, zumindest bei der sensorischen Auslegeordnung. Vielleicht etwas kräftiger, etwas kompakter im Gaumen, leicht süsser als der «trockene» Riesling und – zumindest diese Flasche – mehr Säure, die der stoffige Wein durchaus verträgt. Das Besondere an diesem Wein ist seine Geschichte. Eine Geschichte, die durchaus die Kultur des Weinbaus bereichert.

Bild: Katalonien Tourismus
Bild: Katalonien Tourismus

06. Dezember 2019

 

Costers del Ros: L'Oblia 2006, Gratallops, Priorat, Katalonien, Spanien

 

In meiner Priorat-Erkundung habe ich eine Pause eingelegt. Die Weinwelt ist einfach zu gross, viele Weine zu interessant, der Keller zu klein geworden. Nach vielen Bordeaux, Pinots, Languedocs, Schweizern… jetzt der Weg zurück zum Priorat, nicht reumütig, aber wieder mit frischem Neugier-Elan. Der Griff zu diesem Wein ist willkürlich, einfach in die Priorat-Restbestände gegriffen. Noch selten habe ich so ein «Goldhändchen» gehabt. Klar, Priorat-Hammer hat mir den Wein empfohlen (und geliefert). Eine sichere Adresse für Weine aus dem Priorat! Doch dies ist auch schon wieder zwei, drei Jahre her. Aus seiner Perspektive bin ich zu oft und zu lange fremdgegangen. Ohne schlechtes Gewissen. Um viele Weingeschichten reicher. Jetzt die Rückkehr in den Norden Spaniens:
dunkel, bärbeissig, aufmüpfig wie die Katalanen, das habe ich erwartet. Dann war er geschmeidig und sanft, manierlich und würzig, im Abgang auf der laaangen Bank. Eine Cuvée – wohl mit einem guten Anteil von Cabernet Sauvignon, also Blick über die Berge nach Bordeaux. Sollte mir eigentlich entgegenkommen. Er tut es auch: er ist einfach wilder als der – immer gepflegtere – Bordeaux. Carignan – wohl in der Minderheit – nimmt das Zepter in die Hand. Tannin, noch viel Tannin auch nach dreizehn Jahren, aber geschliffen, gewoben, die sanfte Frucht umgarnend, Da ist noch Platz für Gewürze, für subtilere Noten, für einen runden, wohligen Körper. Die Rückkehr hat sich wirklich gelohnt.

06. Dezember 2019

 

Château Figeac 1997, 
Saint Emilion, Bordeaux, Frankreich

 

Es gibt für mich nicht nur einen, es gibt mehrere Bordeaux-«Lieblingsweine». Sie ist zwar ein trübes Kapitel geworden: diese Klassengesellschaft im Bordelais. Die «Spitze» wird immer «spitziger», das heisst teurer, «geschliffener», perfekter, exklusiv-besser… ein Hightech-Produkt, gemacht für ein exklusives Weinvergnügen. Wobei das Vergnügen dem Prestige meist nachhumpelt. Ich gehöre noch zu jener Generation, die in den frühen 80er Jahren – angeregt von Robert Parker – das Weingebiet Bordeaux gleichsam neu entdeckt und definiert haben. Die Klassifikation spielte eine viel kleinere Rolle als heute und die Qualität musste noch nicht mit Prestigepreisen bezahlt werden. Da konnte man sich sogar noch leisten, den «Ausone» zum Lieblingswein zu erklären. Und der «Figeac» stieg 1985, 1996 und 2006 in der Klassifikation von Saint Emilion – trotz höchster Qualität- nicht in den höchsten Rang auf, mit der Begründung: «zu billig und wird in Warenhäusern, deshalb nicht grand-cru-classé A würdig!». Aus dieser bordeauxechteren Zeit stammt meine Liebe zu «Figeac». Der geniale Thierry Manoncourt machte da schon gute, immer bessere, grossartige Weine, verpasste aber den Aufstieg in die höchste Klassifizierung bis zu seinem Tod (2010). Bis heute blieb Figeac – inzwischen «Grand-cru-classé B» – unterbewertet, halt nicht ein glorifizierter Prestigewein! Zwar wird im Augenblick «Figeac 2012» noch immer – jetzt für 179 CHF – im «gehobenen» Warentempel «Globus» angeboten, aber der inzwischen in die höchste Klasse aufgestiegene Angélus (gleicher Jahrgang) kostet beim Weinhändler rund das Doppelte. Die Geschichte von Figeac ist letztlich die Geschichte von Bordeaux, die Geschichte von Geld und Prestige und immer weniger vom individuellen Weinvergnügen. Ein Beweis ist dieser 1997er Figeac – aus einem sogenannt schlechten Jahrgang – der schon viele der höher qualifizierten -Weine weit überflügelt: tief und noch voller Präsenz, warme Noten und frischer Tabak – und dies nach 20 Jahren in der Flasche.

26. November 2019

 

La Fleur Saint Georges 2003, Lalande de Pomerol, Bordeaux, Frankreich

 

 

Den ganzen Abend fragte ich mich: Wie kam der Wein nur in meinen Keller? 2003 - ein Jahrhundertsommer. Ich subskribierte sehr zurückhaltend, den meine Notizen von der Primeur-Probe waren durchzogen, mehr als durchzogen. Etwa so: «unausgewogen, opulent, überkonzentriert, zu viel Frucht». Kommt dazu, das ich mit dem hochgejubelten Jahrgang 2000 – Jahrtausend-Jahrgang – den Keller ordentlich bestückt hatte. Warum denn dieser weitgehend unbekannte «Fleur Saint-Georges» aus dem Bordeaux-Satelliten-Gebiet, Lalande de Pomerol. Eine Überraschung: der Wein war gut, sogar sehr gut: rund, dicht, fruchtig (noch immer, nach so vielen Jahren), nicht blumig, vielmehr Obst, viel Obst, elegante Säure, warmer Abgang. Ich komme nicht aus dem Staunen heraus. Keiner der sogenannt „sicheren Werte“, modern elegant, reif… Es muss doch einen Grund geben, warum ich vor 15 Jahren diesen Wein gekauft habe. Im grossen „Féret» nur eine Zeile (Angabe der Grösse des Weinguts und der Anteile an Rebsorten), mehr nicht. Doch dann taucht im «wine-searcher» ein Name auf: «Producer: La Fleur de Bouard». Da ist der Groschen gefallen.Es ist der Zweitwein des Château, das der Familie Hubert de Boüard de Laforest gehört, die es kurz zuvor gekauft hat (1998). Hubert de Boüard, ist auch der Besitzer von «Angélus»das inzwischen (2012) Premier Grand Cru Classé A geworden ist. Natürlich meine Neugier – jetzt erinnere ich mich -, was wird aus dem unbedeutenden Weingut in einer bedeutenden Hand? Das zu wissen, war wohl mein Kaufimpuls. Jetzt, sechzehn Jahre eine Antwort: ein guter Kauf. Der Wein kostet selbst in hervorragenden Jahrgängen (wie 2010) um 20 Franken. Vielleicht kann man sich doch auf gute Namen verlassen! Viel mehr noch als auf den Preis.Und nach Jahren wird oft auch der "Zweitwein" (junge Reben) erstweinig.

21. November 2019

 

Les Crus Faugères Mas Olivier : Primeur 2019, Faugères, Languedoc, Frankreich

 

Wie beschreibt man einen Wein, der kein Wein ist, bestenfalls ein «weiniges» Getränk, kein Rosé, aber rosafarbig wie der «legendäre» Bazooka-Kaugummi, den die US-GIS in den Filmen immer so lässig kauten. Erwähnt man überhaupt den Wein, wenn man behauptet, ein ernsthafter Weinliebhaber zu sein?

Doch, Wein ist nicht ein uniformiertes Produkt, das so oder so zu schmecken hat. Genau so, wie es die fast schon «heilige» Lehre (mit einem eigenen Vokabular und einer eigenen Bewertungsskala) vorgibt. Immer wenn etwas «anders» ist beim Wein, zum Beispiel durch andere Ausbaumethoden, durch andere (seltene) Rebsorten, andere (weinfremde) Aromen, zu viel oder zu wenig Süsse…
entzündet sich eine Diskussion, die meist mit der Feststellung endet: «über Geschmack lässt sich nicht streiten!»

Der sogenannte «Primeur», schon kurz nach der Vinifizierung abgefüllt und ausgeschenkt, ist so ein «Unwein». Eigentlich gehört die verhältnismässig junge Tradition, denn Jungwein zu vermarkten, ins Beaujolais. Immer im November, am dritten Donnerstag des Monats wird der «Beaujolais Nouveau» - oder eben der «Primeur» - erstmals entkorkt und tüchtig gefeiert. Nicht nur in Frankreich, fast schon rund um die Welt: «Le Beaujolais nouveau est arrivé», mit einem Fest soll er – der neue Jahrgang – empfangen werden. Die Winzer des Weingebiets «Beaujolais» erstritten sich in den Fünfzigerjahren das Recht – entgegen dem französischen Weingesetz – ihren Jungwein schon drei Monate nach der Lese auf den Markt zu bringen, den «Beaujolais nouveau».

Der Wein – und das weinselige Fest – sind in den letzten Jahren stark in Verruf geraten. Der Wein «sei zu jung und unausgewogen, schmecke häufig zu vordergründig nach Banane oder Tabak, habe kaum Gerbstoffe und Körper», so die gängige Kritik. Das Volksfest der Ankunft des Weins ist zu reinen Promotion mutiert und hat dem Beaujolais – als guter Wein – mehr geschadet als gedient. Also: Schwamm darüber, verschweigen, zumindest in «seriösen» Weinkreisen.
Es lockt mich doch – auch weil hier in Frankreich – in den Weinregionen noch einiges anders ist - ursprünglicher, echte, traditionsbewusster – jedes Jahr irgendwie dabei zu sein. Es ist der einzige Moment, wo ich «Primeur» (verbunden mit dem aktuellen Jahrgang) trinke. Inzwischen gibt es Primeur-Weine nicht nur im Beaujolais, auch in andern Regionen. Zum Beispiel in Languedoc – sogar in der renommierten  Appellation «Faugères». Eine Neuheit, «Primeur 2019» vom Mas Olivier. Und, wie schmeckt er? Ehrlich, nicht wie Wein, eher wie flüssiger Bazooka (Aroma der Wintergrün-Beere), nicht süss, aber (für einen Wein) eigenartig, oder einzigartig. Wenn ich den Gedanken verscheuche, Wein zu trinken, dann schmeckt er gar nicht schlecht.

Hier der Link zur Kolumne (und Bildern) die ich vor zwei Jahren hier eingestellt habe

08. November 2019

 

Black Stallione, Estate Winery: Cabernet Sauvignon AVA 2015, Napa Valley, Kalifornien, USA

 

Es gibt Weine, die hier - im «Getrunken» - kaum auftauchen. Ganz einfach, weil ich sie selten oder nie trinke, obwohl sie berühmt, bekannt und vielbesungen sind. Weine zum Beispiel - wie dieser Borderaux-Blend – aus Kalifornien, dem berühmtesten Weingebiet Amerikas, aus dem Napa Valley. Die Missachtung dieser Weinregion ist eine Unterlassungssünde, denn ein Bordeaux-Liebhaber kommt am Napa Valley nicht vorbei, ob er die Weine als Epigonen bezeichnet oder ihnen Eigenständigkeit zumisst, ein Vergleich mit Bordeaux ist sozusagen Pflicht. Die Kür – je nach Vorliebe – wird sogar erwartet. Ich habe mich schon vor Jahren der Plicht gestellt, die Kür aber vermieden. Viele der Weine sind - aus meiner Sicht gut -, sogar sehr gut, oft ausgezeichnet. Warum also mein  «Bogen» um diese Weine? Warum nicht mehr Offenheit für eine moderne Weinkultur? Dies habe ich mir immer wieder überlegt. Vorurteile? Unzulässige Verallgemeinerung? Es gibt auch da (wie in allen Weingebieten) gute und weniger gute Weine. Weine, die ich gerne trinke und Weine, die mir nicht schmecken. Vielleicht ist das, was an «amerikanischer» Ess(un)kultur die Welt überschwemmt, was mich auch vom Wein abhält? Meine (eher unbewusste) Einstellung ist zu kalifornischen Weinen, ist fast so,  wie die Vorstellung,, die Schweiz bestehe nur aus Schoggi und Banken.

So kam es gekommen, wie es kommen musste. Auf meiner Schiffsreise in Norwegen stand schon am ersten Abend diesen Kalifornier auf dem Tisch. Natürlich – so mein geheimer Kommentar – ein Wein für Touristen gemacht. Norwegen, das Land mit dem strengen Weinmonopol (ohne selbst Wein produzieren zu können) orientiert sich der berühmtesten Weingebiete, von der Toskana, über Bordeaux, bis Kalifornien. Nicht die allerberühmtesten Namen stehen auf der Karte. Die wären im Restaurant (im teuren Norwegen) kaum absetzbar. Das Angebot ist so etwas wie die Auswahl eines «Nicht-Weinlandes», das den Gästen etwas Gutes – zumindest Klingendes – anbieten möchte. Doch Halt! «Wenn schon ein Kalifornier im Glas, dann lege doch alles ab, was an Vorurteilen mitschleppt wird! Geniesse den Wein! 

Er ist tatsächlich gut! Doch das persönliche Happyend will nicht kommen. Ich habe den Wein getrunken, mit Andacht, mit Ehrfurcht, durchaus auch in önologischer Offenheit. Es ist keine Wein-Bombe, wie ich erwartet habe. Es ist eher ein Wein der stilleren Töne. Zwar ordentlich Holz, viel Frucht, Cassis, Pflaume, Brombeere… Das Bordeaux-Feeling ist da: das Holz, das samtene Kleid, die Struktur, der fruchtig-erdige Abgang. Wenig auszusetzen: und doch, alles etwas eindimensional, alles eine Spur zu stark, zu ausgeprägt. Zwar Sinnlichkeit, doch kein Spiel mit den Sinnen. Irgendwie viel Mache – viel Wissen, wie ein kalifornischer Wein zu sein hat – ins Glas gedrückt. Oder doch wieder diese Vorurteile?

28. Oktober 2019

 

Weingut von Tscharner, Schloss Reichenau: Jeninser Blauburgunder «Mariafeld» 2011, Reichenau-Tamins, Graubünden, Schweiz

 

Ungeduld blockiert so manches grossartiges Weinerlebnis. Dass man Bordeaux-Weine mindestens zehn Jahre lagern muss, hat sich inzwischen herumgesprochen. Dass man auch andere Weine – vor allem die Roten – nach ihrer Auslieferung noch lange im Keller liegen lässt, ist eine Erfahrung, die jeder Weintrinker immer mal wieder gemacht hat. Doch eingebürgert hat sich das Warten noch nicht. Einerseits sind da die zu warmen Keller, denen man den Wein nicht gern anvertraut. Es ist aber auch die zunehmende Mobilität, die das «Mitschleppen» alter Weine mühsam macht. Schliesslich sind es auch die Erfahrungen in den Restaurants, wo so ziemlich alle Weine zu früh auf die Karte kommen. Primärfrucht, das ist die gängige Weinerfahrung. Kommt dazu: die Angst, auch ein teurer Wein könnte abgebaut und nicht mehr voll geniessbar sein. Alles Gründe, um einen Wein jung zu trinken – immer öfter direkt aus den Regalen der Weinhandlungen, Lebensmittelgeschäften und Supermärkten (die oft schon gar keine Weinregale mehr haben). Auch wer all dies weiss und seine Trinkgewohnheiten so einrichten möchte, wird nicht selten von der Ungeduld getrieben. Wie wird wohl der Wein sein, der Jahrgang, die spezielle Abfüllung, die Cuvée…? Die gängige Weinerfahrung kommt kaum über den Primäraromen hinaus. Vielleicht müsste man doch vermehrt das lange Warten auf sich nehmen, um ein neues «Weinbild» kennenzulernen. Nicht nur bei den Spitzenweinen aus dem Bordelais.

Das Weingut von Tscharner – zum Beispiel – achtet bei seinen Spitzenweinen auf den so wichtigen und für viele Weine entscheidenden Aspekt der Reifung, der Harmonisierung, der inneren Stabilität. So wird beim «Blauburgunder «Mariafeld» - laut Prospekt – dieses Jahr der Jahrgang 2013 zum Kauf angeboten, also ein Wein, der vor sechs Jahren vinifiziert worden ist. Ob sich das Warten lohnt, muss der Winzer kalkulieren, denn der lange Ausbau – ob noch im Fass oder in der Flasche – ist nicht nur aufwändig, sondern verteuert den Wein. Wie sehr es sich lohnt, habe ich bei diesem «Mariafeld» aus Jenins gemacht. Er lag zwei, drei Jahre noch bei mir im Keller, dann die erste Flasche, Zapfen weg, und schon strömt ein köstlicher Duft aus dem Glas: die Nase geht spazieren und geniesst – noch vor dem ersten Schluck – die Aromen von Beeren – zuerst Erdbeere, dann Brombeere, allmählich Kirsche bis hin zur Johannisbeere. Ein süssliches Gemisch vom Beeren- und Blumengarten. Was ab dem ersten Schluck begeistert, ist seine Harmonie: Sanftheit und Wildheit, Samt und Lebhaftigkeit, das Holz gut verarbeitet und mit würzigen Noten von Zimt, Pfeffer, Gewürzen ergänzt und tanzend in den langen Abgang geschickt. Es mag am Burgunder-Klon «Mariafeld» liegen, dass der Wein - trotz des hohen Alkoholanteils und einer gewissen Ungestümtheit - an Weichheit und Ausgewogenheit – ich bin versucht zu sagen: an Anmut – bis in den Nachhall hinein eine Wohligkeit verströmt.
Wer meine Weinnotizen kennt, der ist vielleicht überrascht von meiner fast schon weinseligen Beschreibung. Zu recht! Doch wenn Warten so belohnt wird, wie hier, der mag durchaus für einmal fast schon ungebührlich schwärmen.

17. September 2019

 

Weingut Georg Schlegel: Pinot Noir Reserve 2015, Jenins, Bündner Herrschaft, Kanton Graubünden, Schweiz

 

Jenins, eine der vier Wein-Gemeinden der Bündner Herrschaft, lockt an schönen Wochenenden besonders viele Wanderer an. Ein paar wunderschön gelegene Restaurants präsentieren nicht nur eine schöne Aussicht über die Reben, auch vorzügliches Essen (im Augenblick ist Wildzeit!) und natürlich Weine der Gemeinde, der Gegend. Da ist die Auswahl gar nicht so einfach. Inzwischen gibt es eine ganze Reiche von Winzern, deren Weine Beachtung verdienen. So aussergewöhnlich (schön) die Lage ist, so ausserordentlich sind auch viele – immer mehr – ihrer Weine. Für mich muss es – in dieser Weingegend – ein Pinot Noir sein. Da kann sich die «Herrschaft» durchaus in der «Spätburgunderwelt» behaupten. Ja, sogar mit der eigenen Art und den eigenen Nuancen einen eigenen Charakter zeigen. Es gibt da immer mehr Weine, welche die Durchschnittlichkeit eines guten «Landweins» verlassen und sich zu kleineren oder grösseren Persönlichkeiten entwickelt haben. Viele davon haben ihren eigenen «Liebhaberkreis». Das ist auch gut so, denn gute Weine sind nicht «Massenprodukte», sondern oft individuelle Kleinode, die sich durchaus voneinander unterscheiden. So nutze ich die Gelegenheit – wie eigentlich immer in den Weingebieten – mit den oft feinen Unterschieden im Wein-Charakter – gleiche Rebsorte, gleiches Terroir – vertraut zu machen. Die Weinkarten in guten örtlichen Gaststätten sind wichtige Wegweiser und Anlass, nicht immer den gleichen «Lieblingswein» zu trinken. So habe ich mich diesmal in Jenins für den Pinot Noir (Reserve) von Georg Schlegel entschieden. Ein herrlicher Herbsttag, «Waidmanns Gourmet-Teller» vor mir und im Glas ein weicher, ein samtiger Pinot Noir, ein leicht süsslicher – keine kitschige, eine bestimmt fröhliche Süsse – Duft, fruchtige Aromen von Beeren bis Mandeln – und eine klare Säurestruktur zähmt die vermeintliche Süsse. Der spontane Eindruck: eine geglückte «Vermählung» von der Tradition des Spätburgunders (eher tanninmild, eher blass in der Farbe, aber intensiv in den Aromen) und einem modernen Stil (mit mehr Gerbstoffen, auch weniger Säure und hoher Präsenz im Gaumen). Schon dieser eine Pinot Noir lohnt, vermehrt in der Bündner Herrschaft einzukehren. 

17. September 2019
 

 

Tarcisio Lavarini, Weinanbau, Import: Wallenstadter Auslese 2016, Blauburgunder, Walenstadt, Schweiz

 

 

Viel ist nicht zu erfahren über diesen Wein. Er steht unter dem Siegel: AOC St.Gallen, muss also – laut Deklaration - aus einem der acht (meist winzigen) Reblagen von Walenstadt stammen. Es ist ein Landwein, ein guter sogar, doch einer, wie es ihn in der Schweiz aus vielen Rebberge gibt. Ein Blauburgunder (Pinot Noir) wie es ihn – vor allem in der Ostschweiz, unaufgeregt und nicht aufregend. Durchaus süffig, aber brav. Vielleicht die beste Eigenschaft: ehrlich, wohl ohne Zusätze, ohne Holz… Warum ich über diesen Wein hier kurz schreibe? Er stellt das dar, was die Weinszene der Schweiz, zumindest im Osten des Landes, prägt: Die Kleinteiligkeit. Da gibt es Wenig grosse Rebflächen, und wo diese eine erkennbare Einheit bilden (wie zum Beispiel in der Bündner Herrschaft), so unterteilen sie sich in kleine Einheiten, die jeweils einem andern (Berufs-) oder Hobby-Winzer gehören. Ausgeprägte – auf Qualität bauende – Spitzenwinzer gibt es in jeder Region vielleicht einen, vielleicht ein paar wenige. Allerdings immer mehr, denn man braucht sich auch in der Schweiz nicht mehr (hinter den berühmten Gewächsen) verstecken. Der Schweizerwein tritt immer selbstbewusster, immer eigenständiger auf und erobert mit ihrer Spitze allmählich auch einen Platz im internationalen Weinhandel. Doch weitaus die Mehrheit der Schweizerweine baut auf den «Lokalkolorit», ein «Einheimischer» eben. Er wird vorwiegend (wenn nicht ausschliesslich) dort konsumiert, wo er herkommt, meist auch nur dort vermarktet. «Ein Wein aus meinem Dorf», «…aus meiner Heimat», ist bei Bewertungen immer wieder zu lesen. Und da – bei diesem Lokalkonzept – wäre Aufregung, wäre anders sein ein, nicht von gutem. Deshalb sind diese Landweine so unglaublich ähnlich, meist auch das, was man als «leicht» bezeichnet. Hier zum Beispiel 12.8 % Vol. Alkohol. Ich nenne sie Feierabendweine und mache mir meist kaum gross Gedanken. Im «Gebrauch» so etwas wie das «Coca Cola» des Weins. Nur eben viel echter, ehrlicher.

 

25. August 2019

   

Weingut von Tscharner, Reichenau-TaminsChurer Blauburgunder 2015 "Johann-Baptista" Churer Blauburgunder 2015 "Gian-Battista", Graubünden,    
                                Schweiz
 

Zwei Weine, zwei Winzer, zwei Erlebnisse - im Glas, friedlich nebeneinander. Eine Art Konkurrenz, doch nur Konkurrenten in dem, was wir gemeinhin «Stil» nennen, nicht in der Qualität. Im Rebberg waren die Trauben noch vereint, gewachsen auf dem gleichen Boden, gepflegt von den gleichen Händen, erzogen im gleichen Geist. Erst im Keller wurden sie etwas anders behandelt (ausgebaut): das eine Mal kräftiger – vom Vater – das andere Mal zurückhaltender, verhaltener – vom Sohn. Die gleichen Trauben, die gleiche Sorgfalt, die gleich Liebe zum Wein.

Die Frage nach dem «besseren» Wein ist da überflüssig – sie lässt sich (das ist das Schöne bei diesem Nebeneinander) nicht ausmachen, aber sie lässt etwas zu, was man sonst so leicht und gern beiseite schiebt, vor allem bei der Weinkommentierung: den eigenen Geschmack, die eigene Vorliebe, eigene Masstäbe. Da spielen bestimmte Erwartungen mit: Gewohnheiten, Vertrautheiten und – nicht zuletzt - der Anlass, die Stimmung, die Begleitung des Weins, wenn sie konsumiert werden. In diesem Fall war die Stimmung, die eines Festtages, einer Geburtstagsfeier in Begleitung eines Festessen (ein wunderbar weiches, saftiges, dezent gewürztes, fantastisch grilliertes Rindsfilet mit einer kräftigen Barolosauce). Und siehe da: die Wein haben sich «gewandelt», oder war es nur der Geschmack der Geniessenden? Oder das, was sich aus der Verbindung vom Wein mit dem Essen entwickelt oder entwickeln kann? Stichwort: food pairing.

Noch selten habe ich so deutlich erlebt, wie sich das Empfinden, das Erleben, die sensorische Wahrnehmung verändern kann: verbessern, beruhigen oder fordern, ja sogar herausfordern. Der eine Wein kann beruhigen, still oder andächtig werden lassen, der andere (wie hier) eher laut pochen, laut seine Präsenz markieren und verlangen, sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Dabei wird etwas immer mehr geschätzt: auch beim Wein, auch in der Schweiz: das Alter. Die Weine von Gian Battista – vor allem jener Wein, den er mit der Unterschrift auf der Flasche zeichnet – war schon immer länger im Fass, und auch länger in der Flasche (Flaschenreife), als fast alle andern Schweizerwein. So jedenfalls habe ich es empfunden, seit ich den Wein kenne. Es sind Weine, die reifen dürfen, nein reifen müssen. Sie ertragen Ungeduld schlecht. Ihre Kraft ist nicht die der Jugend, sondern die der Präsenz, der Harmonie, der Statur, aber auch der Besinnlichkeit, der Konstanz. Wenn nun Johann Baptista etwas andere Weine macht, die eleganter, feingliedriger, vielleicht auch zurückhaltender sind – sogenannt «moderne Weine» - dann ist die Versuchung gross, sie früher aus dem Keller zu entlassen und nur auf die Frucht zu bauen, und die Harmonie, das Verschmelzen der Tannine zu wenig zu beachten. Doch die Weine, die seine Unterschrift – Johann Baptista - tragen, sind genauso Warten und Geniessen, auf Geduld gebaut, trotz der Betonung der Jugend und einer – für mich der grösste Unterschied – unbeschreiblichen Offenheit, die den Charakter des Weins prägt und bestimmt, auch wenn das «Alter» - damit die Lagerfähigkeit und die Flaschenreifung – vorbereitet wird. Nicht ein «junger Wein», der schon nach etwa zwei Jahren als «Ungestüm» auf den Markt kommt, weg will aus dem Mutterhaus, sondern ein Wein, der mit der Eleganz spielt, ja flirten kann.

25. August 2019

   

Weingut von Tscharner, Reichenau-TaminsChurer Blauburgunder 2015 "Johann-Baptista" Churer Blauburgunder 2015 "Gian-Battista", Graubünden,    
                                Schweiz
 

Zwei Weine, zwei Winzer, zwei Erlebnisse - im Glas, friedlich nebeneinander. Eine Art Konkurrenz, doch nur Konkurrenten in dem, was wir gemeinhin «Stil» nennen, nicht in der Qualität. Im Rebberg waren die Trauben noch vereint, gewachsen auf dem gleichen Boden, gepflegt von den gleichen Händen, erzogen im gleichen Geist. Erst im Keller wurden sie etwas anders behandelt (ausgebaut): das eine Mal kräftiger – vom Vater – das andere Mal zurückhaltender, verhaltener – vom Sohn. Die gleichen Trauben, die gleiche Sorgfalt, die gleich Liebe zum Wein.

Die Frage nach dem «besseren» Wein ist da überflüssig – sie lässt sich (das ist das Schöne bei diesem Nebeneinander) nicht ausmachen, aber sie lässt etwas zu, was man sonst so leicht und gern beiseite schiebt, vor allem bei der Weinkommentierung: den eigenen Geschmack, die eigene Vorliebe, eigene Masstäbe. Da spielen bestimmte Erwartungen mit: Gewohnheiten, Vertrautheiten und – nicht zuletzt - der Anlass, die Stimmung, die Begleitung des Weins, wenn sie konsumiert werden. In diesem Fall war die Stimmung, die eines Festtages, einer Geburtstagsfeier in Begleitung eines Festessen (ein wunderbar weiches, saftiges, dezent gewürztes, fantastisch grilliertes Rindsfilet mit einer kräftigen Barolosauce). Und siehe da: die Wein haben sich «gewandelt», oder war es nur der Geschmack der Geniessenden? Oder das, was sich aus der Verbindung vom Wein mit dem Essen entwickelt oder entwickeln kann? Stichwort: food pairing.

Noch selten habe ich so deutlich erlebt, wie sich das Empfinden, das Erleben, die sensorische Wahrnehmung verändern kann: verbessern, beruhigen oder fordern, ja sogar herausfordern. Der eine Wein kann beruhigen, still oder andächtig werden lassen, der andere (wie hier) eher laut pochen, laut seine Präsenz markieren und verlangen, sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Dabei wird etwas immer mehr geschätzt: auch beim Wein, auch in der Schweiz: das Alter. Die Weine von Gian Battista – vor allem jener Wein, den er mit der Unterschrift auf der Flasche zeichnet – war schon immer länger im Fass, und auch länger in der Flasche (Flaschenreife), als fast alle andern Schweizerwein. So jedenfalls habe ich es empfunden, seit ich den Wein kenne. Es sind Weine, die reifen dürfen, nein reifen müssen. Sie ertragen Ungeduld schlecht. Ihre Kraft ist nicht die der Jugend, sondern die der Präsenz, der Harmonie, der Statur, aber auch der Besinnlichkeit, der Konstanz. Wenn nun Johann Baptista etwas andere Weine macht, die eleganter, feingliedriger, vielleicht auch zurückhaltender sind – sogenannt «moderne Weine» - dann ist die Versuchung gross, sie früher aus dem Keller zu entlassen und nur auf die Frucht zu bauen, und die Harmonie, das Verschmelzen der Tannine zu wenig zu beachten. Doch die Weine, die seine Unterschrift – Johann Baptista - tragen, sind genauso Warten und Geniessen, auf Geduld gebaut, trotz der Betonung der Jugend und einer – für mich der grösste Unterschied – unbeschreiblichen Offenheit, die den Charakter des Weins prägt und bestimmt, auch wenn das «Alter» - damit die Lagerfähigkeit und die Flaschenreifung – vorbereitet wird. Nicht ein «junger Wein», der schon nach etwa zwei Jahren als «Ungestüm» auf den Markt kommt, weg will aus dem Mutterhaus, sondern ein Wein, der mit der Eleganz spielt, ja flirten kann.

01. August 2019

  

Domaine Ollier-Taillefer: Castel Fossibus 2015, Syrah-Grenach-Carignan, Faugères, Languedoc, Fos, Frankreich

 

«Tag der offenen Türe» auf einem Weingut, das ich vor gut zwanzig Jahren zufällig entdeckt habe, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Faugères. In einem von Schiefer geprägten Gebiet, an den Ausläufern des «schwarzen Bergs», etwa 30 Kilometer vom Meer entfernt. Es ist eine eigene Appellation - ich glaube, es ist die jüngste im Languedoc – aus der einigen auch bei uns bekannten Namen kommen: Château Estanilles, Domaine Alquier, Abbaye Sylva Plana, Domaine du Fraisse… Damals, vor mehr als zwanzig Jahren, begann die Entdeckung der Languedoc als eine Weingegend mit Weinen «haut de gamme», Spitzenweine also, in einem Gebiet, das generell vor allem für Massenproduktion bekannt war. Immer mehr Winzer haben sich aus den traditionellen – damals noch schwerfälligen und überalterten – Genossenschaften gelöst und Weine gekeltert, die sich zuerst in Frankreich, dann auch international durchsetzen konnten. Eine neue Generation selbstbewusster Winzern hat auch in den – von Traditionen geprägten - Winzervereinigungen die Marschrichtung vorgegeben. Sie möchte Eigenwilligkeit und Eigenständigkeit eines riesigen Weingebiets wahren und doch gefragte Weine zu machen, aus Rebsorten, die seit Jahrzehnten – ja Jahrhunderten – in der Languedoc heimisch sind. Also wenig Liebäugeln mit internationales Modetrends, die viele Weingebiet in den letzten Jahren erfasst hat. (Zum Teil leider auch die Languedoc).
Dies ist mir auf dem Wein-Fest wieder einmal so richtig bewusst geworden. Da wird das gemacht, was Wein – als Naturprodukt – bieten kann: Genuss und Freude, Harmonie und eine besondere, differenzierte Erlebniswelt. In den Weinen ist das drin, was die Natur und das Können des Winzers in einen Wein bringen können, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und die Weine kosten, was sie als landwirtschaftliches Spitzenprodukt sicher wert sind: zwischen 10 und 25 Euro (ab Hof). Einen Tag zuvor habe ich mich mit dem neusten Weinschlager des Luxuskonzerns LVMH (Moët Hennessy – Louis Vuitton) befasst, mit einem Wein aus China, eine Flasche für gut 300 Euro. Mehr als zehnmal so teuer wie der beste Wein auf dem Weingut in Faugères, wo seit Jahrhunderten Reben wachsen und Rebbauern von ihren Produkten leben. Warum der grosse Unterschied? Wie der eine Wein vom Himalaya kommt, auf 2’000 Meter Höhe wächst, und darum etwas Besonderes ist: ein Luxusprodukt, - besonders geadelt nicht durch einmalige Qualität, vielmehr durch seine Exklusivität. Das kleine „µ“s (Mü) besser – was oft kaum festzustellen ist – wird durch einen viel wichtigeren Wert überlagert, den Prestigewert. Er bestimmt den Preis und das Prädikat, «einer der «besten Weine der Welt zu sein». Ihn getrunken zu haben, ist eine Sehnsucht, die den Wert bestimmt und sich gut vermarkten lässt. Da lob ich mir eine andere Weinwelt - wie auf dem Fest in Faugères - wo es auch beste Weine gibt, aber ohne horrenden Prestige-Zuschlag.

26. Juli 2019

  

JeanJean: Cuvée Gris Sauvage Sable de Camargue, Les Embruns, Rosé, Frankreich

 

Da liegt man im spärlichem Schatten stundenlang am Meer, erhitzt von der Sonne, gekühlt vom leichten Meereswind, der den Schweiss kühlt. Ab und zu ein erfrischendes Bad. Wassertemperatur fünfundzwanzig Grad (oder mehr?). Ein etwa hundert Meter breiter Sandstreifen, zwar dicht bevölkert, trotzdem dominiert der Sand, viel Sand. Zurückgekehrt in die Wohnung, den Sand mit den Duschstrahl weggefegt, greift man liebend gern zu einem kühlen Glas Wein. Rosé ist gefragt. Sie stehen wie Heere von Landsern beim Eingang eines jeden Lebensmitteladens in Strandesnähe. Wer kann da widerstehen? Bei der Hitze! Schliesslich trinkt man den Wein kühl (so um sechs Grad). Die Frische rettet sich bis in den Abgang hinein und verschluckt so ziemlich jedes Aroma. Wenn dann nach all dem Sand des Tages auf dem Etikett noch «Sable de Camargue» steht, dann ist dies eindeutig zu viel des Sandes. Es führt unweigerlich zu Überlegungen: Was ist eigentlich ein Cuvée gris, woher kommt der Begriff «Embruns» (Gischt) im Weinvokabular? Und der Sand? Zuerst zum «Grauwein»: eine Art von Rosé mit extrem kurzer Mazeration, so dass das blasse Rot fast schon im klaren Grau («cris») – traubengrau - verschwindet. Les Embuns erinnert an den Boden, auf dem die Reben stehen – nahe am Strand: auf Sand, Sand, wo die Gischt fast immer zu sehen und zu hören ist. Die billigsten dieser Rosés kosten kaum drei, die teuersten um sechs, sieben Euro. Ein gutes Geschäft in heissen Tagen, auch für einen Multiplayer wie «JeanJean», der sowohl die grossen Stores als auch die kleinen Läden «um die Ecke» mit seinen Produkten überschwemmt. Nach Qualität fragt in dieser Situation kaum jemand – Hauptsache der Wein ist kühl und frisch. Der Rest verschwindet hinter dem Durst. 

Saint-Hippolyte CC BY-SA 4.0
Saint-Hippolyte CC BY-SA 4.0

20. Juli 2019

 

Les Vignerons de Fontès: Les Larmes du Volcan 2018, Rosé, Coopérative de Fontesole, Languedoc, Frankreich

 

«Die Tränen des Vulkans». Allein schon der Name ist poetisch, ja mythisch und regt die Phantasie an. Tut es auch der Wein? Ich sehe schon das Stirnrunzeln in den Gilden der hohen Weinkunst. Was ist dabei schlimmer? Der Rosé oder die Herkunft aus einer Cooperative? Beides, einer ernsthaften Weinbesprechung kaum würdig. Die Verachtung der Rosés beruht vor allem auf der «Schindluderei», die mit so manchem Rosé (zweifelhafter Herkunft) betrieben wurde und noch immer wird. Nichts von der anspruchsvollen «Saignée-Methode» (das vorzeitige Abziehen des Mostes beim Rotwein), die vom Winzer einiges an Beurteilungsvermögen verlangt und gute Weinhandwerkskunst sein kann, sondern ein Gemisch von Rot-und-Weiss oder ein halbvergorener Saft junger Reben. Die EU hat zwar – nach Protesten französischer Winzer – die vorgesehene Lockerung der Vorschriften für Rosé fallen gelassen. Rosés mit Herkunftsbezeichnung (AOC) sind zumindest «echt». Sind sie aber auch wirklich gut? Kalt getrunken – wie das bei Rosés üblich ist – lösen sich differenzierte Aromen schnell auf, verschwinden in der Kälte des Getränks. Seit ich zum Teil im noch wärmer gewordenen Süden Frankreichs lebe, habe ich die «Hochnäsigkeit» der «Nördler» abgelegt und den Zugang zu den oft in Kälte erwürgten Schönheiten der Rosés gefunden. Und ich beginne zu begreifen, dass jeder renommierte Winzer auch einen prestigeträchtigen Rosé keltert – durchaus mit der Handschrift seines Weinguts. Tavel (Rhône) ist zwar immer noch das Mass aller Rosés, doch längst nicht mehr so hoch über allen andern thronend (ausser in Bezug auf den Preis). Diese kleinen «Tränen» des Vulkans sind zwar keine Ziselierarbeit, aber sie verkörpern eine sehr gut gemachte Weinfrische: elegant und fruchtig. Man staune: sogar voll von Finessen, nichts von Dominanz der Johannis- und Erdbeer-Aromen, die viele Rosés noch immer prägen, vor allem im eher billigen Segment.

10. Juli 2019

 

Château du Margaux: Pavillon Rouge 1996, Zweitwein, Margaux, Bordeaux, Frankreich

 

Weine des Premier-Cru-Weinguts Margaux.(seit 1855) sind längst zur "Privatsache" geworden. Kostet doch die Flasche (wie alle fünf Premier Cru) beim aktuellen Jahrgang (2018) rund 600 CHF. Kein Wein, den an einfach so aufstellt zum Genuss, zur Freude, zum Trinkvergnügen. Es ist durchaus Privatsache, wenn Weintrinker oder Liebhaber so tief in die Tasche greift - greifen kann - für ein paar (kurze) Trinkmomente, die im nachhinein meist als "Momente für die Ewigkeit" bezeichnet werden. Man muss schliesslich die Relation - Preis-Genuss - irgendwie begründen. Übrigens die meisten der höchstbezahlten Bordeaux (dazu gehört auch Margaux) wandert aals Kapitalanlage und Spekulationsobjekt durch die Weinwelt, bevor sie dann - nach Jahren - meist als Prestige-Objekte in einem Glas landen. 

Pavillon Rouge ist ein "echter" Margaux, zwar nicht der grosse, der kleine. Er kostet ein Bruchteil des "gossen Bruders", 2018 in der Subskription knapp um 200 CHF. Als sogenannter Zweitwein wurde er aus den noch (zu) jungen Reben des Weinguts gekeltert, in der Regel ziemlich gleich wie der Erstwein, aber bedeutend weniger "vornehm" und prestigemässig natürlich weniger repräsentativ. Diesen 1996er habe ich damals subskribiert, eine ganze Kist (12 Flaschen) zu 450 CHF. und inzwischen fast alle Flaschen getrunken oder (ab und zu) auch verschenkt. Eine Preissteigerung war vorauszusehen. Der mehr dreiundzwanzigjährige Wein wird jetzt zu 200 CHF gehandelt. Ein (zu)teures Trinkvergnügen für einen Zweitwein. Zum letzten Mal habe ich den Wein vor fünf Jahren getrunken und gleich eine Kolumne bei "Wein-Plus" geschrieben. Hier zu erreichen. Was ich damals zu sagen hatte. trifft noch immer zu, "Für mich ist es ein wunderschöner, eleganter, seidiger Wein, kein Protz, aber voll ausgezeichneter Aromen: Kräuter, einheimische und exotische, Walderde , Noten von Blumen und Trüffeln und noch immer mit verhaltener Frucht." Aber eben nur ein Zweitwein. Dieser "Makel" hat sich inzwischen noch gesteigert, nicht die Qualität, der Prestigewert ist weiter gesunken.

06. Juli 2019

 

Weingut Andreas Schwarz: Pinot Noir 2008, Freienstein, Kanton Zürich, Schweiz

 

 

Wenn man vom Schweizer Pinot Noir spricht, dann denkt man unwillkürlich an die vier Gemeinden in der Bündner Herrschaft. Da gibt es auf engstem Raum eine ganze Reihe der wohl besten Pinots der Schweiz. Etwas weiter verstreut in der deutschsprachigen Schweiz finden wir ein paar Weingüter, die vielleicht nicht ganz die gleiche Aufmerksamkeit geniessen, wie die Bündner Winzer, aber durchaus mithalten können, ja mit ihrer Innovation und Präzision immer wieder neue Massstäbe setzen. So auch das Zürcher Weingut Schwarz, das vor allem das Potential von mehr als 40jährigen Reben einbringen und nutzen kann. Seine Pinots erreichen eine unglaubliche Tiefe und Harmonie. Pinotfrucht – auch bei einem zehnjährigen Wein – die noch immer das Szepter führt. Zwar nicht dominant – wie bei jüngeren Pinots des Weinguts – dafür bestens eingewoben in die relativ stumpf gewordene Säure und dem gut verarbeiteten Holz. Ich liebe diese subtilen, aber intensiven Weine, die (leider) oft, ja sogar meist, übersehen werden, vor allem, weil sie nicht mehr mit Kraft (wie in ihrer Jugend) auftrumpfen, sondern mit einer eher stillen, intensiven Eleganz. Pinot Noir, die heikle, oft zickige Dame, ist in Würde und Schönheit alt geworden.

21. Juni 2019

 

Domaine Bonneau du Martray:
Corton-Charlemagne Grand Cru 1994, Côte de Beaune, Burgund, Frankreich

 

Es ist immer wieder die gleiche, oder eine ähnliche Geschichte. Teure oder rare Weine, die nicht als solche erkannt werden, die im Keller herumgeschubst, liegengelassen, vergessen und schliesslich irgendwann – womöglich sogar als Kochwein – in die Küche kommen. Dieser Burgunder hat so einen Hintergrund. Er lag jahrelang im Keller einer Freundin, Rotweintrinkerin, die mir ihre alten und uralten Weissweine «zum Kochen» «entsorgt» hat, weil in meinem eigenen Weinkeller – typisch Rotweintrinker – fast keine Weisse liegen, jedenfalls nicht solche, die sich zum Kochen oder für ein Fondue eignen. Dieser Burgunder stand mehrere Wochen in meiner Küche, inmitten anderer Weine, bereit in einer guten Sauce zu verschwinden oder ein Gericht zu verfeinern. Da Bordeaux meine Weinwelt ist und ich das Burgund – trotz vielen Annäherungsversuchen – eher schlecht kenne, hat mich beim ersten Blick auf die Etikette, sowohl die Appellation als auch der Name des Produzenten zwar leicht elektrisiert, aber keinen Notstopp ausgelöst. Mein Gericht am Herd musste abgeschmeckt werden, es brauchte dringend etwas Weisswein. Also schwupps – es eilt – Flasche öffnen, einen grossen «Gutsch» in die Pfanne, zur weiteren Veredelung der Speise. Erst am Tisch – vor dem angerichteten Teller – nehmen wir uns Zeit, den «Kochwein» etwas genauer anzusehen und vor allem auch zu verkosten. Nein, es wurde uns nicht schwarz vor den Augen, aber ich erinnerte mich blitzartig an eine ähnliche Situation. Da wollte ein Bekannter ein paar alte Flaschen «Cheval blanc» - aus der Hinterlassenschaft von Verwandten kurzerhand entsorgen. Entsetzt – ja empört – konnte ich ihn noch rechtzeitig daran hindern. Und jetzt dies: der Verdacht, mein «Kochwein» könnte in eine hohe, oder gar zur höchsten Liga gehören, kam schon beim ersten Schluck. Er war – gerade wegen des fortgeschrittenen Alters des Weins – so gut, dass wir uns für den Rest des Abends damit vergnügten. Leider nur mit dem Rest des Weins. Zum Glück kommt der Charakter eines «grossen» Weins schnell zum Vorschein. Auch hier! Ein wunderbarer, runder, harmonische Burgunder, gereift, mit immer mehr, sich immer stärker ausbreitenden feinen Aromen von Zitrusfrüchten, Mandeln, Birnen… die Frucht ist zwar nicht mehr wirklich da,  sie wird nur noch angetupft und löst sich rasch in Harmonie mit mineralischen und an Gewürz erinnernden Noten auf. Und vor allem ist er noch präsent im Gaumen, mit einer unglaublichen Länge. Erst ein paar Tage später – jetzt wo ich darüber berichte – habe ich nachgeschaut. Auch mein Weinhändler bietet den Wein an, er schreibt (allerdings zum jetzt aktuellen Jahrgang): «Ein Wein für die Ewigkeit!» und kosten tut er um 250 Franken. So kurz und unerwartet kann «Ewigkeit» sein.

12. Juni 2019

 

Weingut Vilèm Kraus:
Dornfelder 2015, Mělník, Tschechien

 

Die kritische Betrachtung der Weinkarten gehört – kurz nach Ankunft in einem Land – zu meinen schon fast unabdingbaren Gewohnheiten und zwar schon beim ersten Essen im ersten Lokal. Wenn man mit einer Gruppe unterwegs ist, kann man (sich in der Regel) Wirtschaft nicht aussuchen. Diesmal ohnehin nicht, denn wir sind mit einem Passagierschiff auf der Moldau und auf der Elbe unterwegs. Für eine Woche an Bord, am gleichen Tisch, mit der gleichen Weinkarte und einem guten, aber begrenzten Menu-Plan. «Vollpension». Da beschränkt sich die kulinarische Gestaltung im Wesentlichen auf die Auswahl des Weins. Eigentlich liebe ich dieses unprätentiösen Esssen und Trinken, weil darin viele lokale und regionale Eigenheiten – wenig gefiltert – sichtbar und erlebbar werden. Natürlich ist es – gerade im Touristenbereich – immer häufiger das, was man unter «internationale Küche» versteht. Dies gilt auch für den Wein. Ich suche in der Karte immer möglichst lokale oder regionale Weine, meist mit Namen und oft auch Rebsorten, die ich nicht (oder kaum) kenne. Vinologische Erfahrungserweiterung. Sie gehört für mich zu jedem neu besuchten Land. Schon der erste Blick in die Weinkarte auf dem Schiff in Prag war keine Überraschung, obwohl ich über den Weinbau in Tschechien so gut wie nichts weiss. Da ich wenig Weisswein trinke, waren es vorerst die Roten, die mich interessierten. Drei Rote aus Tschechien (nebst einem «Hauswein») und ebenso viele Weisse. Die Nähe zu Österreich (Tradition und Kultur der einstigen Habsburger Monarchie) ist natürlich auch bei den Ess- und Trinkvorlieben spürbar. Ein Dornfelder also war es, der erste tschechische Wein, den ich so ins Glas bekam. Dornfelder, nicht gerade die Rebsorte meiner Träume. Ein böhmischer Wein – und schon war ich in Wein-Böhmen, einem der beiden grössten Weingebiete des Landes (später lernte ich auch unterscheiden). Der Wein: meine Neugier verlor sich rasch, leicht, beschwingt, stark «kirschig», «sauber», aber nicht das, was wirklich grosse Lust bereitet. Muss ja auch nicht sein! Zwar «trinkig», aber kaum viel mehr.  Was mich sofort wieder «versöhnt» hat: seine Ehrlichkeit. Kein Liebäugeln mit anderen Weinregionen (der Welt). So quasi: ich bin ein Böhmer aus Mělník, ich nehme meine idyllische Flusslandschaft mit. Den gleichen Wein habe ich am letzten Tag der Schiffsreise nochmal eingeschenkt: und oh Wunder. Ich fand ihn – den gleichen Wein viel besser, viel aussage- und genusskräftiger, viel mehr Tschechien – oder eben Böhmen – als das, was ich in dieser Woche getrunken habe. Wohlverstanden, auf einer Fluss- und nicht einer Weinreise.

30. Mai 2019

 

Weingut Vilèm Kraus:
Dornfelder 2015, Mělník, Tschechien

 

Die kritische Betrachtung der Weinkarten gehört – kurz nach Ankunft in einem Land – zu meinen schon fast unabdingbaren Gewohnheiten und zwar schon beim ersten Essen im ersten Lokal. Wenn man mit einer Gruppe unterwegs ist, kann man (sich in der Regel) Wirtschaft nicht aussuchen. Diesmal ohnehin nicht, denn wir sind mit einem Passagierschiff auf der Moldau und auf der Elbe unterwegs. Für eine Woche an Bord, am gleichen Tisch, mit der gleichen Weinkarte und einem guten, aber begrenzten Menu-Plan. «Vollpension». Da beschränkt sich die kulinarische Gestaltung im Wesentlichen auf die Auswahl des Weins. Eigentlich liebe ich dieses unprätentiösen Esssen und Trinken, weil darin viele lokale und regionale Eigenheiten – wenig gefiltert – sichtbar und erlebbar werden. Natürlich ist es – gerade im Touristenbereich – immer häufiger das, was man unter «internationale Küche» versteht. Dies gilt auch für den Wein. Ich suche in der Karte immer möglichst lokale oder regionale Weine, meist mit Namen und oft auch Rebsorten, die ich nicht (oder kaum) kenne. Vinologische Erfahrungserweiterung. Sie gehört für mich zu jedem neu besuchten Land. Schon der erste Blick in die Weinkarte auf dem Schiff in Prag war keine Überraschung, obwohl ich über den Weinbau in Tschechien so gut wie nichts weiss. Da ich wenig Weisswein trinke, waren es vorerst die Roten, die mich interessierten. Drei Rote aus Tschechien (nebst einem «Hauswein») und ebenso viele Weisse. Die Nähe zu Österreich (Tradition und Kultur der einstigen Habsburger Monarchie) ist natürlich auch bei den Ess- und Trinkvorlieben spürbar. Ein Dornfelder also war es, der erste tschechische Wein, den ich so ins Glas bekam. Dornfelder, nicht gerade die Rebsorte meiner Träume. Ein böhmischer Wein – und schon war ich in Wein-Böhmen, einem der beiden grössten Weingebiete des Landes (später lernte ich auch unterscheiden). Der Wein: meine Neugier verlor sich rasch, leicht, beschwingt, stark «kirschig», «sauber», aber nicht das, was wirklich grosse Lust bereitet. Muss ja auch nicht sein! Zwar «trinkig», aber kaum viel mehr.  Was mich sofort wieder «versöhnt» hat: seine Ehrlichkeit. Kein Liebäugeln mit anderen Weinregionen (der Welt). So quasi: ich bin ein Böhmer aus Mělník, ich nehme meine idyllische Flusslandschaft mit. Den gleichen Wein habe ich am letzten Tag der Schiffsreise nochmal eingeschenkt: und oh Wunder. Ich fand ihn – den gleichen Wein viel besser, viel aussage- und genusskräftiger, viel mehr Tschechien – oder eben Böhmen – als das, was ich in dieser Woche getrunken habe. Wohlverstanden, auf einer Fluss- und nicht einer Weinreise.

30. Mai 2019

 

Johannes Meier, Schlossgut Bachtobel: Pinot Noir Nr. 4 2016, AOC Thurgau, Weinfelden, Schweiz

 

Seit 2016 heisst es auf dem renommierten Weingut «Bachtobel» in der Ostschweiz nun auch: «Zum Vierten». Es ist nämlich der vierte Pinot mit den markanten, schlichten Namen: «1», «2», «3» und eben «4». Viel mehr steht nicht auf der Etikette, zumindest nicht auf der Vorderseite. Auf der Rückseite dann die verlangten Angaben, um ein AOC-Wein zu sein: «2026, AOC Thurgau, 75 cl, 13% vol. – sélection de clones et élevage en barrique» und natürlich auch der obligate Hinweis auf Schwefel. Nur das schwarz/weiss-Bild - ein stattliche Herrschaftshaus – auf der Etikette, lässt erahnen, was in der Flasche verborgen sein könnte. Natürlich, Wein. Aber was für ein Wein? Ein – wie das Haus - stilvoller, herrschaftlicher, gepflegter, auf seine Geschichte bedachter Wein? Dies Eigenschaften lassen zu Recht von allen vier Pinots des Weinguts sagen. Die «Nummer Vier» aber legt noch einen Zacken zu, vor allem in seinem Anspruch ein «Adliger» zu sein. Nicht durch seine Kleider, nicht durch sein Gebaren, vielmehr durch «innere» Werte. Nach Aussen ist er so schlicht und prägnant wie sein Etikett, nach Innen aber ist er noble, abgeklärt, unglaublich harmonisch und strahlend, erinnert an den Status eines «Seigneurs», nicht an den eines Herrschers. Wäre der Wein ein Mensch, würde man von Empathie reden, doch kann man das auch bei einem Wein?  Ich meine. «man kann», sobald man Empathie nicht nur als Fähigkeit der Menschen definiert, sondern als Möglichkeit, «treffsicher in die Gedanken- und Gefühlswelt der Menschen» einzutauchen und da die  eher verborgenen Sinne und Wünsche ansprechen. Ein vielschichtiger Blauburgunder – in seiner möglichen Tiefe – kann dies weit besser als all die «Kraft- und Fruchtbomben», die immer mehr ein Masstab für «Spitzenwein» sind. Allein schon der Alkoholanteil steigt und steigt (mit Hilfe von «Turbohefen» oft sogar zu mehr als 15% vol.) und das «Holz» wird oft als bestimmender Aromenfaktor eingesetzt. Nicht so bei den vier nummerierten Pinot Noirs vom Bachtobel. Da wird auch der rarste, der «grösste» der vier Weine – Nr. 4 – nicht vordergründig «erschlagen», durch von die Frucht, das Holz und den Alkoholanteil. Im Gegenteil: Hier wird versucht, einen «grossen» Wein herzustellen – allein durch die Auslese des bestes Traubengut, durch alte Reben, sorgfältigste Vinifikation und behutsamer Ausbau, Dieser Wein hat von allem: Frucht, Säure, Holz, Alkohol… - aber nicht in Fülle (oder gar Überfülle), sondern in einer nachhaltigen Harmonie, die beeindruckend ist.  

30. Mai 2019

 

Bodega Finca Villacreces Ribera del Duero : Finca Villacreces Reserva 1999, Quintanilla de Onésimo, Spanien

 

Der Jahrgang verrät: Dieser Wein stammt noch vom ehemaligen Besitzer des bekannten Weinguts, von Pedro Cuadrado, der schon in den Siebzigerjahre den Rebberg angelegt hat und mit seinen Weinen rasch zur Spitze der Ribera del Duero-Weine aufgestiegen ist. Zwar nicht ganz so bekannt, berühmt (und teuer) wie die Weine seines Nachbarn, der «Vega Sicilia», dem «Bordeaux» Spaniens. Inzwischen ist das Weingut – aus Altersgründen – an die Bodegas Izadi verkauft und der Wein noch «bordeaux-iger» geworden, das heisst etwas feiner, differenzierter und eleganter, nicht mehr ein «reiner» Tempranillo, sondern leicht verschnitten mit Cabernet Sauvignon und wohl auch Merlot. Eigentlich gehe ich diesen «modernen» Weinen in der Regel aus dem Weg, weil ich die Anlehnung an die Cuvées mit Cabernet (und meist auch mit Merlot) eher langweilig finde, obwohl ich ihre Qualität durchaus anerkenne. Dieser «alte» «Villacreces» ist aber in meiner Wert- und Geschmacksvorstellung noch von jener Wildheit und Präsenz, die ich bei den spanischen Tempranillo-Weinen so schätze. Zwar hat der Wein viel an Frucht verloren (er ist schliesslich schon 20jährig), doch überzeugt noch immer durch seine Kraft und Präsenz, durch seine Eindeutigkeit und Tiefe, durch seine Verankerung in der «Welt der Gewürze» und den harmonischen Reifetöne. Abgestreift (oder verarbeitet) sind sonst dominanten Mokka-, Bitterschokolade- und Holz-Noten. Für die einen nimmt die Säure einen zu grossen Platz ein, ist zu dominant (vor allem weil die Frucht verblasst ist) für andere (zum Beispiel für mich!), ist sie das Tor zu einem Weinerlebnis, das durch Abgeklärtheit (und auch Einmaligkeit) besticht. Was für die einen eben als «alt» bezeichnet wird, ist für mich so etwas wie «Besinnlichkeit». Nicht Flatterhaftigkeit, wie so mancher «junge» Wein, sondern bedächtig und – man erlaube mir den Begriff – nachhaltig.

26. Mai 2019

 

Bodegas Maurodos: San Romàn 2015, Tinta de Toro (Tempranillo) Duero-Tal (Castilla y Leon), Spanien

 

Menschen neigen zur Gewohnheit. Da sind auch Weintrinker nicht ausgeschlossen.  Sie haben meist ihre Lieblinge, bevorzugen bestimmte Rebsorten oder schwören auf bestimmte Stile: hart, weich, fruchtig, mineralisch… Natürlich habe auch ich meine «Lieblinge», meine Weingebiete, meinen Weintypus... Obwohl ich mir Mühe gebe, eine möglichst breite Palette an Weinen und Weinstilen kennen zu lernen und hier im «Getrunken» zu dokumentieren, erliege ich immer wieder meinen Gewohnheiten. Beim genauen Hinsehen ist dann die Auswahl und Zuwendung zu Weinen doch nicht so umfassend und ausgewogen wie ich mir so gerne einrede. Wenn ich nicht ab und zu bewusst und angestrengt  ein «killing my darlings» betreibe, lande ich immer wieder dort, wo ich mich wohl, oder eben zuhause fühle. Gut so, denn es muss ja nicht jeder Schluck ein Experiment sein, nicht ein Ausflug ins Unbekannte. So gehe ich ab und zu mal – im Jahr so fünf, sechs Mal – in ein ausgezeichnetes kleines Restaurant mit spanischer Küche. Dazu passt natürlich nur ein Spanier, soweit geht meine Flexibilität. Rasch habe ich mich einmal aufs Priorat festgelegt, Garnacha-Weine liegen mir, das Verhältnis Preis-Leistung stimmt, ein Produzent mit klingendem Namen, der Genuss garantiert. Also: beachte den Anfang der Geschichte, der Wein in diesem Restaurant zum spanischen Gericht ist immer der selbe. Fünf oder sechs Mal im Jahr trinke ich ihn also: er gehört bereits zum Ritual, zur Stimmung, zum Wohlbefinden. Einmal haben wir – zusammen mit Freunden – als zweite Flasche des Abends einen ganz anderen Wein bestellt. Obwohl ich weiss, dass die Wirtin, der Wirt nur gute, nur sehr gute Weine ausschenkt, fand ich ihn schrecklich. Also… Jetzt eine neue Erfahrung. Wir waren wieder mit Freunden im Lokal. Ich bestand darauf, dass ein anderer Weinliebhaber der kleinen Gruppe die Auswahl trifft. Die Auswahl: natürlich ein Spanier, aber keiner aus dem Priorat, kein Grenache, kein… sondern eben diesen Tina de Toro aus dem Duero-Tal. Und? Was hat gesiegt? Die Gewohnheit oder die Neugier, die Begegnung mit einem (für mich) neuen Wein oder die Sehnsucht nach Vertrautheit? Etwas einfach ausgedrückt: Verstand oder Herz. Der Verstand – in diesem Fall: der Weinverstand – hat gesiegt und das Herz ist nachgerückt. Es hat den Wein – so wie er ist, nämlich anders – akzeptiert und auch genossen. Ein Fruchtwein, voll, rund, elegant, samtig mit Holz- und Schokoladenanklänge, mit mineralischen Noten, die sich anfänglich hinter der Frucht verstecken…
dann aber da sind. Kurz gesagt: Kraft und Harmonie. Was will man mehr von einem guten Wein? Vielleicht etwas mehr Gelassenheit, etwas mehr Zurückhaltung, etwas mehr Verbindlichkeit. So jedenfalls denke ich jetzt, nachdem der Genuss längst vorüber ist und nur noch seine Wucht Unverbindlichkeit nachklingt.  

Burg-Rebberg in Prag
Burg-Rebberg in Prag

09. April 2019

 

Weingut Regina Coeli: Frankovka (Blaufränkisch) 2017, Privlastkem Pozdni Sber,  Mären, Subregion Znojemská, Dolní Kounice, Tschechien

 

Weine aus Tschechien habe ich bisher noch nie getrunken. Bei uns sind sie auch kaum erhältlich. Nur im Urlaub in Tschechien – da trifft man sie und mit etwas Neugier kann man darüber auch einiges erfahren.  Es gibt eine Weintradition auch in Tschechien. Der Weinbau kann jedenfalls bis zu den Kelten zurück nachgewiesen werden. Doch heut liegt das grössere Weingebiet der ehemaligen Tschechoslowakei (rund zwei Drittel) in der Slowakei. In der Tschechischen Republik werden Reben vor allem in Mähren angebaut (entlang der Grenze zu Österreich) und in vielen eher kleinen Weinbergen in Böhmen (entlang der Elbe).  Bis zum 30jährigen Krieg (anfangs 17. Jahrhundert), war Böhmen - vor allem rund um Prag - noch ein stattliches Weingebiet. Doch Krieg und später die Reblaus hat die Tradition des Weinbaus weitgehend besiegelt. Der Rebbau war eher noch ein historisches Relikt, denn ein ernst zunehmender Wirtschaftszweig. Zwar hat das kommunistische Regime die Landwirtschaft «rationalisiert» und auch den bescheidenen Rebbau auf maschinelle Bewirtschaftung und Massenproduktion umgestellt. Wirklich gute Weine gab es bis 1990 kaum mehr.  Dies änderte sich in Hinblick auf den Beitritt zur EU, als in recht kurzer Zeit ein neues Weinrecht – Vorbild Deutschland – geschaffen und bis 2004 mehrfach verbessert wurde. Auch kleinere Betriebe – vor allem die einstigen Rebberge bei Schlössern, Burgen und Palästen – hatten wieder eine Chance. Viele von ihnen wurden systematisch nach altem Muster wiederhergestellt. Sogar in den Gärten der Prager Burg gibt es wieder Reben. Ob es auch königliche oder kaiserliche Tropfen sind, wage ich zu bezweifeln. Jedenfalls sind mir diese nicht begegnet.  Was zumindest in den Touristen angeboten wird, das sind eher Landweine. Brav, unspektakulär, oft recht dünn und in Bezug auf die Rebsorten nicht das, was man gerne mal vornehm nennt. Ich habe vor allem Frankovka (Blaufränkisch), Zweigelt, Svatovavřinecké (St. Laurent), vereinzelt Pinot Noir und sogar Cabernet Sauvignon/Merlot angetroffen (bei den Rotweinen). Frankovka hatte ich mehrmals im Glas: immer leicht und fruchtig, mit den charakteristischen Aromen von Kirschen, Waldbeeren, Kräutern und eine Hauch von Minze, zwar typisch im Geschmack, aber auch etwas beliebig im Ausdruck. Alles scheint mir etwas weich und unverbindlich zu sein, selbst in der kaum spürbaren Säure. Nur die Farbe gibt sich bestimmt: dunkel, mit violetten Tönen, die den jungen Wein kennzeichnen.

(Foto: Coppo, Italien)
(Foto: Coppo, Italien)

09. April 2019

 

Weingut Jacqueline Klein: Tribus 2016, Cuvée: Zweigelt, Merlot, Cabernet Sauvignon, Burgenland, Andau,
                               Österreich

 

Seit bald dreissig Jahren schreibe ich nun «Weingeschichten», jedenfalls so lange wie ich ernsthaft begonnen habe, mich mit dem Wein auseinanderzusetzen. Nach der ersten Phase mit Landweinen, steuerte ich zielstrebig auf Bordeaux zu, dann auf den Süden Frankreichs, dann… Allmählich wurde die Palette breiter, das Verständnis wohl auch tiefer (so hoffe ich jedenfalls). Noch immer aber fühle ich mich aber in gewissen Gegenden «noch nicht ganz zuhause». Zum Beispiel in Österreich, wo sich die Weinkultur in den letzten Jahren unglaublich entwickelt hat. Deshalb bestelle ich – wenn immer ich kann – im Restaurant österreichische Weine: Weinviertel, Burgenland, Kremstal, Neusiedlersee, Steiermark… Mit dem Zweigelt habe ich mich längst befreundet, dem Lemberger stehe ich noch etwas hilflos gegenüber und den Grünen Veltliner mag ich schlicht und einfach nicht. Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich nur wenig Weisswein trinken.

Die Chefin des Lokals hat mich zwar gewarnt: Dies sei ein «moderner Wein», was auch immer das heissen mag. Zwar zweigeltbetont, aber – da schreck ich immer öfters zurück – mit Merlot und Cabernet Sauvignon verschnitten. Österreich mit klassischem Bordeaux? Segelt das unter dem Etikett «Modern». Wie viel davon beruht auf Vorurteil, wieviel auf Urteil? Ich weiss es nicht. Der Wein jedenfalls ist anders – und doch irgendwie gleich. Der Zweigelt – er hat meine Wahl weitgehend bestimmt – versteckt sich in und hinter einem recht unverbindlichen Cabernet Sauvignon. Die samtene Textur verliert sich in aufmüpfigen Tannin, die erwarteten Weichselkirschen-Noten verbinden sich mit der Cassis-Gefälligkeit, übergossen vom Sanftmut des Merlot. Ich habe das Gefühl ein «Weder-noch» im Glas zu haben, weder Burgenland noch Bordeaux, weder Aufregung noch Versöhnung. Ist das modern?

 Ich habe vom gleichen Weingut – Slogan: «Klein macht Wein» - schon andere Weine getrunken, zum Beispiel den «kleinen» und den exklusiven Zweigelt, den sehr mineralischen Merlot und sogar den «krauter-verspielten» Syrah. Immer hatte ich das Gefühl, die Handschrift der Winzerin zu erspüren, sogar das Terroir und die Rebsorte, die Sorgfalt und sogar die Eigenwilligkeit. Hier aber – so mein Eindruck – wurde das alles einer eigenwilligen Gefälligkeit untergeordnet, Anderssein im Geläufigen, Bekannten. 

(Foto: Coppo, Italien)
(Foto: Coppo, Italien)

09. April 2019

 

Kartause Ittingen: Stiftungswein 2017, Blauburgunder, AOC, Thurgau, Warth, Schweiz

 

 

Ein Wein, wie ich ihn früher sehr gerne hatte. Ein einfacher, schlichter Pinot Noir. Ein «Landwein», notabene, ohne Holz, ohne Firlefanz, nicht allzu lange auf der Maische gelegen, im Stahltank ausgebaut, der auch nicht mit Alkohol protzt. «Früher» war die überwiegende Mehrheit der roten Schweizerweine so: unaufgeregt, schlicht, ehrlich, nicht «einmalig», eher alltäglich. Dann kam das grosse Buhlen um die Gunst der Weinliebhaber. Der Alltag musste zum Festtag werden, das alltägliche war nicht mehr gut genug. Jedenfalls nicht so gut, dass es sich «vermarkten» lässt. Auch Schweizerweine suchten eine neue Identität: die Pinos wurden schwerer, die Cuvées vielfältiger (ab und zu einfach origineller), das Holz – Ausbau in Barriques – immer dominanter, die Lage der Reben soll mitbestimmen beim Charakter des Weins. All die Erkenntnisse und Errungenschaften moderne Rebpflege und des anspruchsvollen Ausbaus haben den Wettbewerb beflügelt. Nicht nur Barriques, auch der Konzentrator (Umkehrosmose), die Zuchthefe, die automatische Temperatursteuerung, alternative Ausbaumethoden, der Biotrend und, und, und… haben auch in einfachen Betrieben Einzug gehalten. Spitzenwinzer buhlen um das Stückchen «Mehr» (an Qualität oder Gefälligkeit) im Wein. «Landwein» früher ein Markenzeichen, ist nahezu zum Schimpfwort geworden. Doch es gibt sie noch, die guten Landweine, mit ihren unverwechselbaren Aromen von Beeren, Kompott, Früchten… mit freundlichem Tannin und frischem Auftritt. Nur, sie kommen bei «echten» Weinliebhabern und -Spezialisten kaum mehr ins Glas. Zu wenig Aufregung, zu wenig Einmaligkeit. Dies habe ich nun – in den vielen Jahren meiner Weinbegeisterung – auch so gehalten. «Landweine», schon gut, aber… Dieses «Aber» wird immer dominanter zum «Aber-erst-recht». Jetzt erst recht ein guter, sauberer, ehrlicher Landwein, nicht geil, sondern bloss gut.

(Foto: Coppo, Italien)
(Foto: Coppo, Italien)

09. April 2019

 

Cantine Coppo: Pomorosso 1998, Barbera d’Asti, Piemont,Canelli, Italien

 

Die kräftige Farbe hat er behalten, die Frucht fast verloren. Mineralien, exotische Gewürze, Lakritze treten hervor. Die Harmonie ist leicht gestört. Vielleicht kann man sogar sagen: leicht sauer. Der Pomorosso ist kaum wieder zuerkennen und doch stellt er noch so etwas wie ein Erlebnis dar.

Würde man mich fragen: «Kann man einen Barbera d’Asti nach gut 20 Jahren noch trinken?» Ich würde sagen: niemals. Falsch, sagt die augenblickliche Erfahrung. Keine oxidativen Noten, für passionierte «Altweintrinker» sogar ein echter Spass. Am Gaumen noch immer präsent, rund. Im Abgang noch immer Anklänge an Kirschen.

Ich bin ein Liebhaber von alten Weinen. Gewohnt eigentlich nur im Bereich Bordeaux. Da liebe ich das «Implodieren» von Weinen, wenn ihre äusserliche Kraft nachlässt und man beim Geniessen zu seinem Kern vordringt. Es kommt mir oft vor, wie wenn der Wein das Prunkkleid ausziehen würde; ein Prunkkleid, das sehr oft irgendwie künstlich prunkvoll gemacht wurde und im Kern oft gar nicht dazu passt. Es ist, als hätte man irgendwann einmal definiert, wie ein Wein aus diesem oder jenem Château zu sein hat. Danach richtet man sich, darauf zielt viel vom Aufwand, den man bei oder nach der Vinifizierung einsetzt.

Ganz anders hier bei diesem Barbera d’Asti. Es ist es ein ganz natürliches Altwerden, ein Verlieren an Kraft, ein Abschütteln von äusserlichem Tand. Ich habe das Gefühl, der Wein ist dadurch «besinnlich» geworden; er entspricht nicht mehr dem, was wir bei einem  Barbera gewohnt sind; die Aufmüpfigkeit, das Robuste, eine feurige Energie. Es ist nicht einfach ein Abbau der Frucht, es ist ein Verschmelzen der Frucht mit der Säure, dem Alkohol, den Tanninen… Der Wein ist jetzt fragiler, aber nicht gebrechlich, zwar nicht mehr so dicht, trotzdem aber noch elegant, rund und unaufgeregt.

(Foto: Weingut)
(Foto: Weingut)

19. März 2019

 

Domaine Rouge Garance: Les Saintpierres 2015, Syrah/Mourvèdre, Côtes du Rhône Village, Frankreich

 

Wie der Wein in meinen Keller kam, weiss ich nicht. Die überraschende Begegnung beginnt also mit einem Geheimnis. Ich weiss nur, dass die Rhone-Weine bei unserem täglichen, privaten Wine-Management sträflich zu kurz kommen. Zu Unrecht, wie ich nach seinem überraschenden «Glasbesuch» zugebe. Dies ist ein Wein mit sanftem, aber straffem Körper, bei dem sich der recht hohe Alkoholgehalt – was üblich ist, in der südlichen Rhone – hier aber sich wohltuend verkriecht und nicht von ganzen Holzstössen überschüttet wird. Hurra, das Holz ist dezent und gibt den Gewürzen eine Chance und erwürgt auch die Mineralität nicht, die sich bis in den Abgang hinein rettet und im gedehnten Abgang harmonisch nachklingt. Die Balance zwischen Weichheit und Kraft, zwischen Leichtigkeit und Schwere gelingt immer weniger, auch bei teuren Weinen, auch bei Kultweinen nicht. Dies ist wohl der Grund, warum ich die Rhone – vor allem die südliche – oft etwas schnöde bei Seite schiebe. Meine zweite Heimat – auch die Weinheimat – ist das eher westliche Languedoc. Fast alles, was (zu)nahe der Rhone liegt, enthält (zu)viel Syrah – jedenfalls für mich – und «leidet» fast schon Regelmässig an Einseitigkeit: Entweder an zu viel aufgesetzter Kraft und Vordergründigkeit oder – das Gegenteil – an Weichheit, Zartheit bis hin zur Schwerelosigkeit. Für mich liegt die «Schönheit» - auch beim Wein - vor allem im Körper, wo sich im besten Fall Eleganz, Ausgewogenheit, sanfter Schwung und spielerische Kraft entwickeln. Das griechische «Ideal» kommt mir in den Sinn, wohl wissend, dass Laokoon von Schlangen erwürgt wird. «Kalokagathia» die griechische Bezeichnung für körperliche und geistige Harmonie – gut und schön – hat auch beim Wein ihre Bedeutung. «Kalokagathia»  muss aber «von innen» her wachen und lässt sich nicht mit Schminke und Kleidern herbeizwingen

(Foto: KapWeine)
(Foto: KapWeine)

13. März 2019

 

Weingut Olifantsberg; Pinotage 2016, Breedekloof, Südafrika

 

Schon wieder ein Pinotage, ein Wein aus jener Rebsorte, welche im Konzert der Weinkritik ganz selten auftritt. Pinotage, «nicht der Rede wert», behaupten viele Weinliebhaber. Ich war lange versucht, diesem «Geschnatter» zu glauben, der Rebsorte mit Skepsis, sogar mit Verachtung zu begegnen. Bis… ja bis meine Frau begann, den Pinotage anderen Weinen vorzuziehen. Es war auf unserer ersten Südafrikareise, da hat meine Frau immer häufiger zum Pinotage gegriffen, während ich mich quer durch das breite Angebot bewegte; durch Weine, die fast immer – und immer mehr – den französischen Spitzenweinen nacheifern. Vor allem in der Dominanz von Cabernet Sauvignon/Merlot in fast allen Spielarten. Und diese «Spielarten» - im Ausbau, in der Assemblage, in der Konzentration, im Einsatz von Holz etc. – sind immer mehr zum «Markenzeichen» südafrikanischer Weine geworden. Dies ist nicht weiter verwunderlich, musste doch das Land auch in Sachen Wein viel aufholen, um in die höheren Liegen vorzustossen. Das ist auch immer häufiger gelungen, wobei aber viel «Eigenart» oder «Eigenheit» des Weinlands Südafrika verloren ging. Die Anpassung an den vielzitierten «internationalen» Geschmack ist wirtschaftliche sicher wichtig und verständlich, doch dabei geht einiges vergessen. Zum Beispiel die Eigenständigkeit Pinotage, die 1925 in Stellenbosch gezüchtet wurde und meist «als nicht ganz so edel» taxiert wurde. Der «Gummi-Geschmack», die «Bananen», der «Teer» tauchten in Weinbesprechungen auf und wurden– fast schon litaneimässig – immer wiederholt. Jedenfalls bis einmal ein Pinotage des Weinguts «Kanonkop» einen Weinwettbewerb gewann. Seither gilt «Kanonkop» - wieder so eine Stereotype - als bester Pinotage Südafrikas.
Bei meiner nächsten Reise durchs Weingebiet am Südkap schenkte ich dem Pinotage weit mehr Beachtung, und ich begann die seltsame «Weinliebe» meiner Frau immer besser zu verstehen. Zumal  neben den Franzosen – vorwiegend Bordeaux – nun auch ein paar Pinotage im Weinkeller Platz verlangten. Immer wenn ich vom Wein-Rennen um das beste Weingut, den besten Jahrgang, den besten Wein die Nase tüchtig voll habe, greife ich zu einem der Pinotage und bin erstaunt, wie gut, wie trinkig sie sind. Mein Eindruck: Da ist wirklich noch Wein im Glas. Natürlich gibt es auch da den Kampf um «gut, besser, am besten». Doch die Liga stimmt. Es geht hier um gute, eigenständige und «bezahlbare» Weine, die Freude auch machen und Genuss bringen, die nicht darauf aus sind, «Überflieger» zu sein, sondern getrunken zu werden und zwar von vielen und nicht nur von ein paar wenigen Weinenthusiasten. 

27. Februar 2019

 

Domaine Silène des Pryrals:
Rouge 2016, AOC, Languedoc, Frankreich

 

Languedoc - ganz im Süden Frankreichs - war vor  zehn, fünfzehn Jahren unglaublich "en vogue"in Deutschland und in der Schweiz: gute Weine, zu guten Preisen. Das riesige Weingebiet, bekannt oder berüchtigt für "Massenweine", hatte plötzlich mehr zu bieten. Weinliebhaber wussten zwar längst, dass die Region schon in den 90er Jahren erwacht ist. Pioniere unter den Weinhändlern - in der Schweiz war es vor allem Reichmuth - setzten auf das einst verpönte Weingebiet und importierten schon damals eine Reihe ausgezeichnete Tropfen von qualitätsbewussten Winzern. Es waren lange Zeit in etwa die gleichen Namen, die gleichen Weingüter, die in der Schweiz und Deutschland bekannt waren. Etwa zwanzig, vielleicht dreissig sind es, von den anderen weit über Tausend Winzern - Selbstkelterer und Genossenschafter - wusste man lkaum etwas. Kommt dazu, dass die Bezeichnung der Lagen und Qualitätsstufen bis heute so einfach nicht ist. Da gibt es unter anderen das riesige Corbières (ca. 13.000 Hektaren) und das kleine Faugères (ca. 2'000 Hektaren), das eine (Corbières) fast öde und im Sommer brennend heiss, das anderer am Fusse von Bergen, von Wind und Wetter weitgehend geschützt, mitten im Schiefergebiet. Ganz anderes Klima, ganz andere Böden, ganz anderes Terroir. Am vielfältigsten und unübersichtlichsten ist die Appelation "Coteaux du Langudoc", kein zusammenhängendes Weingebiet, vielmehr verteilt über zwei Departemente, gegliedert in Unterappellatonen und Ortsappellationen, die unterschiedlicher nicht sein können. Gerade von da kommen jedes Jahr neue Namen auf den Markt, oft Weingüter, die sich aus einer der Genossenschaften gelöst haben oder von bekannteren Winzern übernommen wurden. "Silène" ist so ein Wein und ein Weingut, das seit gut zehn Jahren zur Domaine Paul Mas (Pezenas) gehört, wie auch weitere sieben Weingüter (oder auch eigenständige "Marken"). Diese Konzentration hat den Vorteil, dass eine weltweite Vermarktung einfacher oder überhaupt erst möglich ist. Dieser Wein ist  - wie viele ähnliche Marken - auch im deutschen Sprachraum zu kaufen (ca. 13 Euro), während er im Languedoc selber eher selten in den Regalen der Weinhändler auftaucht. Mir jedenfalls ist er bisher nie begegnet. Es ist ein richtig "trinkiger" Wein, leicht rauchig, dicht, voll und fruchtig. Ein domestizierter Languedoc, unverkennbar ein Cuvée aus den vier Rebsorten Syrah, Cinsault, Carignan und Grenache. Ein Wein, den man blindverkostet kaum als Marke, aber mit Bestimmtheit als Languedocienner wiedererkennen kann. Ein Wein der ohne grosses Aufsehen auskommt und doch ein ausgezeichneter Vertreter des französischen Südens ist.

cc: Ophrys34
cc: Ophrys34

19. Februar 2019

 

Château de Cazeneuve: Cynarah 2016, Cuvée Syrah, Cinsault et Grenache, Pic Saint Loup, Languedoc, Frankreich

 

Wirklich andere, neue oder gar bessere Weine zu entdecken (als die, die man bereits kennt) ist in jedem Weingebiet möglich, aber aufwändig. Als ich vor vielen Jahren ins südfranzösische Languedoc kam durchkämmte ich so ziemlich jeden Winkel, wo Wein gemacht wird. Und ich war weissgott nicht der Erste. Damals wurde das einstige französische «Kerngebiet» des Massenweins auch als eine Weingegend von Qualitätsweinen entdeckt, nicht zuletzt als Alternative zum sich rasant verbreitenden (internationalen) Cabernet Sauvignon/Merlot-Geschmack (inklusive Barrique, viel Barrique). Das Viergestirn der Rebsorten Grenache, Mourvèdre, Carignan und Cinsault hingegen war etwas ganz anderes, etwas, das sich in den unterschiedlichen Assemblahrn sonst nirgendwo finden liess. Dazu kam auch die Abkehr vom Massenprodukt Wein. Initiative Winzer leisteten Pionierarbeit, eine neue, gut ausgebildete junge Generation übernahm die Betriebe ihrer Väter und Grossväter. Neue Handelswege wurden erschlossen. Languedoc-Roussillon war nun jemand in der sich rasant vergrössernden Weinwelt. Nicht zuletzt waren es auch die günstig produzierenden Genossenschaften, vom Staat mit grossen Investitionen und durch Vermittlung von Wissen gefördert, die eine «Wende» herbeiführten. International tauchen immer mehr beachtliche Weine aus dem Süden Frankreichs auf und nicht wenige neue Namen gehörten zum sogenannten «Weinkult», Produzenten, die es geschafft haben, frankreichweit, aber auch international den Markt zu erobern. In den letzten Jahren ist dies alles (mehr oder weniger) konstant geblieben. Die meisten dieser Winzer (und Genossenschaften) – es dürften etwa dreissig, fünfzig sein – kenne ich inzwischen gut, die meisten habe ich auch besucht, so dass sich die «Weinentdeckung» bei mir drastisch reduziert hat und vorwiegend in den kleinen Shops entlang der Küste stattfindet – wo im Sommer Sonne-und-Meer-Suchende die Gegend «überschwemmen» und im Winter nur Hobby-Kapitäne mit ihren grossen und kleinen Schiffen ankern. In diesen kleinen Weinhandlungen – wo auch Clochards ihre Ration an «Vin en Vrac» beziehen – finden sich in den paar Gestellen – nebst den bekannten Namen – immer wieder auch wenig Bekanntes, sorgfältig ausgewählt zwischen Touristenweinen (schmecken muss es!) und «Vrac-Weinen», die als offene Weine auch in die kleinen und grösseren Bistros wandern. Da diese kleinen Weingeschäfte, die im Sommer von Laufkundschaft leben, untereinander auch in Konkurrenz stehen, kann ein Weinliebhaber hier durchaus «Entdeckungen» machen. Die Verkäuferin verliert sich dann in Superlativen und die Weine sind oft attraktiver in Bezug auf Etikette und Namen, als auf den Wein.

Dieser Cynarah ist so ein Wein, doch hier kann der Inhalt standhalten. Ein weicher, fruchtiger Wein, aber mit Charakter. Mit dem, was ich beim Wein immer wieder suche: Eigenständigkeit, Ausdruckskraft, Harmonie und durchaus auch Genusspotenzial. Der grosse Anteil an Syrah – der fünften Rebsorte im Bunde der einheimischen Gewächse – bringt so etwas wie Geschmeidigkeit, wie Moderne in den traditionsbewussten Wein. Er rückt damit ein gutes Stück näher der Rhone. Grundsätzlich hege ich diesen Weinen gegenüber Vorsicht: sie haben mich schon oft betrogen mit ihrer Schmeichlerei.  Nicht aber hier. Meine Übervorsicht hätte mich glatt um den Genuss eines guten Weins gebracht. 

10. Februar 2019

 

Domaine Vincent Girardin: «Les Rugiens» 1996, Pommard Premier Cru, Burgund, Frankreich

 

Auf diesen Wein war ich besonders gespannt: Jahrgang 1996, für einmal nicht aus dem Bordelais, vielmehr aus dem Burgund. Bordeaux 1996 hatte ich in der letzten Zeit oft im Glas (die 96er lösen sich so allmählich auf in meinem Keller), so dass ich mehr als nur neugierig auf den jahrganggleichen Burgunder war. Wie lange und wie gut hält ein Burgunder? Ich war sogar «giggerig» auf den Wein, denn bei den Burgunderweinen kenne ich mich nicht annähernd so gut aus, wie beim Bordeaux. Meine bisherige Erfahrung – ich spreche nicht von den ganz hoch klassifizierten – ist ein deutlich früherer Abbau des Weins. Nicht nur das: die subtilen Noten des Pinot Noir – also des Burgunders – vertragen sich schlecht mit der Kraft, dem bestimmten Auftreten und – gerade im mittleren Bereich – eher breiten Fruchtigkeit des Bordeaux. Gerade weil ich vor allem «alte» Bordeaux liebe, die sich schon fast burgundisch zurückgezogen und ihr Cabernet-Gewand abgestreift haben, war ein indirekter Vergleich für mich interessant. Meist beschränkt man sich nämlich auf den Unterschied der Rebsorten, auf das durchaus unterschiedliche Terroir (Boden, Klima etc.) und den verschiedenen Ausbau der Weine zu achten, nicht aber auf die Reife und die Wandlung zum - in ins - Alter. Während selbst «kleine» Bordeaux nach zwanzig Jahren meist noch Präsenz, Kraft und Harmonie aufweisen – zwar deutlich gezähmt und oft bis ins Langweilige gerückt – hat der Burgunder seine eigene Entwicklung: Er wird – so mein Eindruck – warm, geheimnisvoll, tiefsinnig. Man muss ihm zuhören, im Gaumen ein paarmal drehen, auf seine «Melodie» und feinen Töne achten. Die Frucht ist nicht einfach weg, sie hat sich gewandelt, ist vielleicht sogar abgewandert in einen geheimnisvollen, fernöstlichen Bereich. Es sind nicht Düfte, vielmehr sensorische Begegnungen, die Assoziationen wecken: an Gewürze, an feine Kräuter, an eine andere Welt. Jedenfalls erlebte ich diesen «alten» Pommard so, während meine Frau mir die Flasche – schon nach dem ersten Glas zuschob: Frucht verloren, abgebaut!

31. Januar 2019

 

Château Montrose 2002, 2ème grand cru classé, Saint-Estèphe, Bordeaux, Frankreich

 

Dies also ist der Dritte im Bunde, der zweite Deuxième Cru in der nördlichsten Haut-Médoc- Appellation, in der es nur fünf der 1855 klassifizierten 61 Weine gibt. Ein paar wenige Weine dieser Appellation tragen den Rang von «Cru Bourgeois», einer Auszeichnung, die zwar alt ist, aber immer wieder überprüft und erneuert wird. Château Meyney, der andere Wein in meiner kleinen «Dreierserie» ist ein Cru Bourgeois und damit mindestens ein klein wenig «geadelt». Zurecht, meine ich, nachdem ich die drei Wein in kurzen Abständen im Glas hatte und mit ihnen je einen Abend verbrachte. Bei solchen «Fernduellen» reduziert sich der sensorische Kampf meist auf das Abwägen der beiden Gleichklassifizierten, also auf Montrose und Cos d’Estournel. Irgendwie wage ich es nicht, den Unteradligen mit den beiden fast Grössten zu vergleichen. Tatsächlich sind die beiden Deuxième Cru (bei der ersten Begegnung) dem Kleinen weit überlegen: kräftiger, bestimmter, dominierender im Auftritt, in der Statur und im Ausdruck. Dann aber, im Verlauf des Abends, wenn die Erscheinung langsam verblasst, werden sie immer ähnlicher, vielleicht sogar – mit einigen Abstrichen – vergleichbar. Doch wer wagt das schon, wenn Qualität immer auch vom Preis mitgekennzeichnet ist?  Zu gross ist das Gefälle! Bleiben wir also zuerst bei den beiden Vergleichbaren, bei Montrose und Cos. Übrigens in diesem Fall auch aus dem gleichen, etwas verkannte Jahr. Cos ist der angenehmere, der verbindlichere, der freundlichere: ein Wein, der auf sein Äusseres und Inneres achtet und sich bemüht, aufgeputzt und geadelt daherzukommen. Der Montrose ist nicht weniger stolz und auf seinen Stand bedacht. Doch er ist eigenwilliger, kann seine «bürgerliche» oder «bäuerliche» Herkunft nicht ganz verleugnen. Eigentlich passt er besser in die Appellation. Er setzt sich weit mehr ab von dem «Königshof» im südlich angrenzenden Pauillac, wo drei der fünf Premier-Cru zuhause sind. Das Flirten von Cos d’Estournel mit den Pauillac-Grössen macht sich sicher bezahlt, dabei geht aber die Eigenständigkeit (auch die Exotik, welche das Weingut schon rein äusserlich zeigt) weitgehend verloren. Man wähnt sich in der königlichen Kutsche, die nach Pauillac unterwegs ist. Anders Château Montrose: Es hat weit mehr seine Herkunft verinnerlicht, erinnert an die «Bauernscholle», allerdings mehr an den «Rosenberg», wo bis heute Reben stehen. Das Erbe von Meyney (es soll das älteste Weingut der Region sein, das schon zu Römerzeiten bewirtschaftet wurde) pflegte man auf Montrose weiter, veredelt es, erhob es sogar in den Adel. Ich habe das Gefühl – auch jetzt nach dieser Verkostung – mehr Boden oder Bodenständigkeit im Montrose zu finden als im Cos. Trotz des Schliffs und Ausbaugehabes, mehr Sand und Kies und Kalk von einem Boden, so nahe der Gironde, zu imaginieren. Irgendwie ist es ein Meyney, aber nicht in der Flasche, sondern im Silber- oder Goldgefäss präsentiert.  

21. Januar 2019

  

Château Cos d’Estournel, 2ème grand cru classé (Superscond), Saint-Estèphe, Bordeaux, Frankreich

 

Die beiden Zweitklassierten der Appellation Saint- Estèphe, Montrose und Cos d’Estournel, liefern sich seit Jahren ein Qualitätsduell auf höchstem Niveau. Wer der «Bessere» ist, entscheidet in der Regel die Vorliebe des jeweiligen Konsumenten. Montrose, eher der «Parker-Stil», kräftig, dominant, muskulös, auch wenn sich in den letzten Jahren einiges «gemildert» hat. Der Cos d’Estournel hingegen, mit deutlich mehr Merlot-Anteil, weicher und breiter, sogar etwas eleganter und hintergründiger. Doch vom Stil, vor allem aber von der Lage des Rebgebietes durchaus vergleichbar. Für mich ist (und war) Montrose immer der leicht bessere Wein, vielleicht auch deshalb, weil es das erste Bordeaux-Weingut war, das ich je besucht habe. Auf diesem Niveau werden Emotionen, Erinnerungen und Einsichten rasch einmal zu Ansichten. Zudem haben beide Top-Güter in den letzten Jahren durch Verkauf (und Generationenwechsel) auf dem Weingut einige Wandlungen hinter sich. Im Preis – ebenfalls durchaus vergleichbar – dominiert in der Regel Cos d’Estournel. In der Akzeptanz (oder Begeisterung) der Weinliebhaber ist der Cos eher der verbindlichere, der mehrheitsfähigere Wein. Das ist auch bei diesem, nicht speziell gutem Jahrgang so. Nehmen wir Parker als (einen) Massstab, hat der Cos die Nase deutlich vorn (93/100 zu 88/100 Parker Punkte). Das Château Meyney, mit fast identischer Lage und ähnlichem Weinstil, welches ich kürzlich hier beschrieben und mit Montrose verglichen habe, gehört durchaus (als Cru Bourgeois) in diesen Kreis, allerdings in einer anderen Preiskategorie und auf anderem Punkteniveau (Parker hat den 2002er gar nicht bewertet, den etwa gleichwertigen 2004er mit 84/100 Punkten). Nun aber habe ich – eher zufällig – nach dem Meyney den Cos d’Estournel im Glas. Auch nach so vielen Jahren noch ordentlich schwarze Frucht, würzig, leicht rauchig, voller Körper, Harmonie und Eleganz in einem. Ich werde in den nächsten Tagen wiedereinmal einen vergleichbaren Montrose trinken und berichten.

21. Januar 2019

 

Château Meyney 1996, St-Estèphe, Cru Bourgeois, Bordeaux, Frankreich

 

 

Es ist eben nur ein Cru Bourgeois, kein Grand Cru also, also keiner der 60 Weingüter im Médoc, die schon 1855 in den Adelsstand erhoben wurden. Pech gehabt! Denn die Liste von Damals wurde in all den Jahren nur ein einziges Mal, bei einem einzigen Weingut, leicht verändert. Neu geadelt wurde niemand. Was bedeutet dies für den Konsumenten. Natürlich, dass der Meyney wesentlich günstiger zu kaufen ist, weit günstiger als die Weine von Château Montrose (Deuxième Cru), das aber nicht weit von Meyney entfernt liegt. Nehmen wir einmal den Jahrgang 2016 zum Vergleich (Altweine können preislich schwer miteinander verglichen werden, weil da noch andere Kriterien ins Spiel kommen.). Also, der Montrose 2016 kostet um 190 CHF, der Meyney 2016 nur ca. 30 CHF. Woher dieser riesige Preisunterschied? Natürlich ist da der «Adel», zweithöchster Rang gegen einen Bürgerlichen. Da sind natürlich auch die berühmten Parker-Punkte: Meyney 1996: 87 von hundert Punkten, Montrose 1996: 92/100. Das sind Welten, Bordeaux-Welten. Und der Zugang zum Adel ist teuer geworden, auch wenn nicht alles glänzt was adelig ist. Damals, als ich den Meyney vor 22 Jahren gekauft habe, galt der Wein noch nicht viel (im Vergleich zum Montrose). Selbst Parker gesteht: «Zum Glück für den Verbraucher werden die Weine von Meyney nach wie vor gröblich unterschätzt.» Ich war der gleichen Meinung, ob aus eigener Erfahrung oder der Zeugenschaft Parkers, weiss ich heute nicht mehr. Jedenfalls war für mich – in all den Jahren – immer ein «Geheimtipp» für guten und erschwinglichen Bordeaux. Als sich dann auch der Stil, der damals noch eher «rustikal» war, hat sich dem Adel angeschmeichelt und damit deutlich mehr Punkte eingefahren. Auch in Sachen Lagerfähigkeit wurden die beiden Weine unterschiedlich eingestuft. Meyney um 15 Jahre, Montrose zwischen 20 und 30 Jahren. Also ist – gemäss Parker Prognose – er Meyney jetzt jenseits der Genussreife. Ein Altwein schon. Soviel zur Geschichte des Meyney 1996. Und die Praxis, der Wein im Glas? Eine fast undurchdringliche schwarze Farbe, ein Bouquet von Kräutern , Pflaumen, Mineralien und Leder, noch viel Körper, wenn auch mit einer leichten Fruchtsüsse. Ehrlich; da freue ich mich über meine innere Wertskala. Viel Geld gespart und viel Genussfreuden gewonnen. So macht Weinkauf (und Lagerung) Spass. Zumindest beim Bordeaux.

12. Januar 2019

 

Willie Malan - Overhex Wines: Survivor Pinotage 2014, Swartland, Südafrika

 

Ab und zu – vielleicht so alle vierzehn Tage – begehe ich in den Augen «echter» Weinliebhaber so etwas wie eine «Todsünde». Ich öffne einen Wein aus Südafrika, fast immer einen Pinotage und – was noch viel schlimmer ist – finde den Wein sogar ausgezeichnet. Wie ist das möglich? Zuerst einmal die Herkunft: Südafrika, lange Zeit (bis 1992) wegen ihrer Apartheid-Politik international geächtet. Und ihre Weine, seit der Ankunft von Hugenotten aus Frankreich (Ende 17. Jahrhundert), von Frankreich (und seinen Weinstilen) beeinflusst, sind so etwas wie Epigonen Frankreichs und fanden in der Weinwelt kaum Beachtung. Erst nach Aufhebung der Apartheid konnten sich südafrikanischer Wein international durchsetzen. Er gewann aber rasch eine stattliche Zahl von Liebhabern, nicht zuletzt wegen seiner Qualität, der Fruchtigkeit, Kraft und Eleganz. Doch in Weinkreisen konnte er sich - in Europa - nie so richtig behaupten. Vielleicht anfänglich, wegen des guten Preis/Leistung-Verhältnisses, vielleicht auch wegen einer gewissen Exotik seiner Herkunft, aus einem Land, das sich - nicht nur weinmässig – in den letzten zwei Jahrzehnten unglaublich stark entwickelt und verändert hat.

 

Und dann noch der «Pinotage», eine Kreuzung von «Pinot Noir» und «Cinsault», in Südafrika gezüchtet. Er konnte es schon gar niemandem recht machen, zumal auch der Umgang mit der neuen Rebsorte (1924 gezüchtet) - selbst in den Anbaugebiet – auf dem Feld und im Keller zuerst erarbeitet werden musste.  Da ist nicht alles rund gelaufen: ein Massenwein zuerst, mit Gummi- und Stallnoten, viel zu alkoholisch, rustikal… Was konnte (und kann man bis heute) nicht alles lesen? Einiges davon ist in den Köpfen hängen geblieben. Weitab von der heutigen Realität. Der Pinotage ist ein eigenständiger Wein, für mich so etwas wie das «Weinvermächtnis» Südafrikas. Kein Epigone, kein «Möchte-gern-Franzose», ein Südafrikaner eben (obwohl er inzwischen auch in Neuseeland, Brasilien Kanada… angebaut wird): urwüchsig, aromatisch, eigensinnig und eigenständig. Ich liebe solche Weine. Weine, die es nicht allen recht machen möchten und meist rasch von Vorurteilen gestoppt werden. Gute Pinotages – nicht jene Massenweine, die zuerst in Billig-Weinshops auftauchten – sind dicht, dunkel und kräftig, fruchtig und würzig wie dieser Wein. Wer sich damit beschäftigt, bei dem tauchen auch Eukalyptus- und Pinien-Anklänge auf. Genau so, wie Südafrika (auch) zu erleben ist.
Für mich keine «Weintodsünde», vielmehr – man verzeihe mir die religionsgefärbten Wortwahl – eine Engelsbotschaft, ein Verkünder, wie Engel Gabriel.

05. Januar 2019

 

Azienda Agricola Coali - Tenuta Savoia : Savoia Valpolicella Classico 2011, Venezien, Sant'Ambrogio di Valpolicella, Italien

 

Noch rechtzeitig vor den Festtagen habe ich - auf dem Weg zurück zum Wein – im Keller eine Flasche aus dem Regal genommen, aus einem Weingebiet, das ich nur sehr oberflächlich kenne: Venezien. Irgendwann, in einer Auktion, wollte ich die Gelegenheit nutzen, um ein paar Weine zu kaufen, die gerade keinen Abnehmer fanden, um aus meinem französischen Weinghetto auszubrechen und nach Italien zu schielen. Im ersteigerten Mischlot war auch dieser Valpolicella, ein Wein, der in der Schweiz sehr populär ist, aber anspruchsvolle Weinfreunde kaum entzücken kann. Oder doch? Der Valpolicella gilt – nach gängigem Muster - als eher leichter, unverbindlicher «Sommerwein», der früh getrunken werden kann, ja getrunken werden muss. Oder dann - als Amarone oder Ripasso - ein Konzentrat-Brocken, der nicht jedermanns Geschmack ist. Und der «Classico»? Sicher kein «Festtagswein». Oder doch? Wie so oft bei tiefverankerten festen Meinungen und Vorurteilen ist alles ganz anders gekommen. Der Wein war: kräftig, verbindlich und gar nicht «sommerlike» aber auch kein Kraftpaket. Wenn man vom Veneto spricht, denkt man unwillkürlich an die vielbesungenen Ripasso und Amarone, Kraftbolzen also. Und wo ist denn der «Classico», der «normale» Rote, der nicht mit einer besonderen Methode vinifiziert wird? Kann er sich als eigenständiger, unverwechselbarer Veneto-Wein behaupten? Bislang zweifelte ich? Zu Unrecht, wenn ich vorbehaltslos diesen «einfachen» Wein analysiere. Da ist recht viel Veneto drin. Nicht aufdringlich, vielmehr elegant, harmonisch – ja verführerisch, weich im Gaumen, mit weichen Tanninen und nicht von Holz übertönter Frucht: leisen Kirschen- und Beerennoten.  Ungetunt. Das gefällt mir, inmitten der immer getunteren Weinen, die sich bemühen möglichst «international» anzukommen und Herkunft so gerne verleugnen.

31. Dezember 2018

 

Weingut Hannes Reeh: Unplugged Zweigelt 2016, Burgenland, Andau, Österreich

 

Drei Begriffe, die hierzulande oft Kopfschütteln auslösen. «Unplugged» heisst so viel, wie «den Stecker gezogen» und bezieht sich in der Regel auf Musik. Bei Unplugged-Konzerten werden keine elektronischen Hilfsmittel, wie Playback, E-Gitarren, Keyboards, elektronische Bass eingesetzt. Übertragen auf Wein: ohne Zuchthefen, ohne Konzentrator, ohne Schönung, ohne all die technischen Möglichkeiten, die  bei der Vinifizierung heute eingesetzt werden. Und dann die Rebsorte Zweigelt: eine Neuzüchtung aus Österreich, sehr beerig, sehr weich, nichts von Italianità oder gar von frankophilen Gefühlen. Österreichisch eben. Da wäre der dritte Nasenrumpfbegriff. Österreichische Weine, unter Weinliebhaber längst ein Qualitätsmerkmal, sowohl in Weinhandlungen, als auch in Restaurants wenig gefragt hier in der Schweiz,

Ausgerechnet einen «unplugged» Zweigelt aus Österreich soll mein Neujahrfesttagswein sein? Dabei ruhen in meinem Keller noch viele, wunderbar gereifte Top-Bordeaux, exzellente Schweizer Pinots, beeindruckende Prioratgrössen, ehrwürdige Franzosen mit Papstkronen… Kaum zu glauben, womit ich das Jahr weinmässig starte. Doch der Start ist geglückt. Der Wein – obwohl er in die Kategorie «Wein ist für alle da» einzuordnen ist – hat Persönlichkeit, hat Charakter, hat Genusspotential. Die Wirtin, die den Wein aus dem gekühlten Schrank holt, meint: «Ein moderner Wein». Modern – ohne Firlefanz – gradlinig – eigenständig, nicht schielend nach Bordeaux, in die Toskana, zur Übersee- Welt, nach... Zwar barriquegelagert, aber nicht barriquebetont… Schmeicheln, aber nicht anbiedernd. Einfach «nur Wein». So wollte ich, so habe ich das neue Wein-Konsum-Jahr begonnen. Ausgezeichnet begonnen, sogar… friedlich, ohne jegliche Prestigeallüren, mit einem Winzer, den ich gerne kennen lernen würde. Allein auf Grund dieses Weins.

31. Dezember 2018

 

Château de Birot 2011, Côtes de Bordeaux, Cadillac, Bordeaux, Frankreich

 

Philipp Schwander – Master of Wine, inzwischen nicht mehr der einzige – ist bekannt als ausgezeichneter Verkoster und begabter Wein-Entdecker. Er entdeckt in vielen Weinregionen das, was qualitativ Bestand hat und bietet es in Firma, der «Selection Schwander» an. Vor allem Weine, bei denen das Verhältnis Preis-Leistung stimmt. Als Verkoster und Weinjournalist reist er auch jedes Jahr zur traditionellen Präsentation der neuen Bordeaux-Jahrgänge. Sein Urteil wird in Weinkreisen stark beachtet und sehr geschätzt. Doch Bordeaux bietet er in seiner Auswahl nur drei an (zwei Rote und ein Sauternes), dies vor allem, weil er zu den Preisexzessen im Bordelais eine eigene Meinung vertritt. «Der weltweite Hype um die berühmten Crus Classés hat in den letzten beiden Jahrzehnten derart groteske Züge angenommen, dass Scharen treuer Bordeaux-Freunde ihrer Lieblingsregion den Rücken gekehrt und sich auf die Suche nach bezahlbaren Alternativen gemacht haben», schreibt er und bietet eine Alternative an, den Wein von Château de Birot – ein Bordeaux, zwar nicht aus dem Kerngebiet – doch zu einem für Bordeaux fast unschlagbaren Preis, knapp um 15 Franken. Ich gehöre – in Bezug auf Bordeaux – inzwischen zu «diesen Scharen», die dem Bordeaux-Preisgefüge sehr kritisch gegenüberstehen. Allerdings habe ich noch zu «normalen» Zeiten genügend hochwertige Bordeaux in den Keller gelegt, dass ich jetzt keine Alternativen suchen muss. Trotzdem – schon aus Neugier – habe ich ein paar Flaschen vom Château de Birot gekauft und die erste davon geöffnet. Keine Enttäuschung, aber auch wenig Begeisterung. Zweifellos ein guter Wein, sogar ein sehr guter Wein, aber doch nicht viel mehr als ein guter «Alltagswein». Zumindest nicht dieser Jahrgang. Verglichen auch mit den «Kleinen» der grossen «Crus Classé» steckt da wenig Bordeaux darin. Der spezielle Charakter des «Bordeaux», die Dichte, die Aromatik, die Tiefe, vielleicht auch die «Schwere», fehlt dem Wein. Er ist – trotz der klassischen Assemblage wie in Saint-Emilion – halt doch kein vollwertiger Bordeaux. Nicht zu vergleichen mit den Weinen aus dem Kerngebiet vom rechten Ufer, auch nicht in der mittleren Preisklasse. Wer diesen Wein als Bordeaux-Referenz nimmt, der wird um ein «Bordeaux-Erlebnis» gebracht. Allerdings kostet auch die kleinsten dieser «Erlebnisse» - doppelt, wenn nicht dreimal so viel wie dieser Bordeaux aus dem Gebiet Cadillac (Côtes de Bordeaux). Mein Eindruck: ein guter Wein zwar, aber noch lange kein Bordeaux.

NB. Inzwischen wurde 2015 das Weingut von einer chinesischen Hotelgruppe gekauft. Allerdings ist der Son des früheren Eigentümers, Arthur Fournier, noch als Berater tätig.

26. Dezember 2018

 

Château Ausone,  1er Grand Cru Classé A, St. Emilion, Grand Cru, Bordeaux, Frankreich

 

«Es war einmal…», so beginnen viele Märchen. Nicht nur Märchen, oft auch Erinnerungen. Es war einmal ein Wein, der war nicht nur grossartig, sondern auch bezahlbar. Zwar teuer, doch Grossartigkeit hat halt seinen Preis. Meine Frau liebte den Ausone über alle Massen. Es war – sozusagen – ihr Lieblingsbordeaux. Doch das war einmal! Vor zwanzig, dreissig Jahren. An Festtagen, Geburtstagen, Lebensereignissen gab es ab und zu mal einen Ausone. Dann aber nahm alles seinen Bordeaux-Verlauf. Die Premier Crus wurden teuer und teuer. Die Liebe zum Ausone musste schmelzen. 1997 – ein eher schlechter Jahrgang – kostete bereits mehr als 300 Franken in der Subskription, die Flasche. Irgendwie wollte ich den rasanten Preisaufstieg nicht zur Kenntnis nehmen. Pendelt sich wohl wieder ein, dachte ich. Ich subskribierte zähneknirschend ein paar wenige Flaschen. Liebe geht vor.  Es war mein letzter en Primeur gekaufter Ausone. Von da an ging es mit dem Ausone aufwärts und mit meiner (und meiner Frau) Liebe abwärts. Beim 2000er – Jahrtausendwein – habe ich noch eine Flasche gekauft. Sie kostete bereits mehr als 1000 Franken, die Flasche. Dann war es aus, mit dem Ausone. Für mich, für uns. Nicht dass der Wein «schlechter» geworden wäre, im Gegenteil. Doch der Run nach Name, Luxus, Exklusivität wollte ich nicht mehr mitmachen. Marktgesetz: irgendwer – es ist eine kleine, immer potentere Schicht – kann und will es sich noch leisten. Also wird an der Preisspirale tüchtig gedreht. Für Geld – immer mehr Geld – ist im Bordelais die «Crème de la Crème» zu kaufen. Das hat längst nichts mehr mit Weingeschmack und Weinliebe, mit Weinqualität und Weinkunst zu tun. Dies alles sind zweifellos wichtige Faktoren, auch beim Ausone und hat durchaus seinen Preis. Doch der weitaus grössere Faktor ist das Prestige, der Kult, der Status vom Luxus. Ausone ist auch eines der wenigen bekannten Weingüter in Bordeaux, die ich noch nie besuchen konnte. Kein Empfang, kein Zutritt für «kleine Weinfreaks»! Ich stand mehrmals – schon fast suchtgleitet – vor den Toren des Weinguts. Da rollten immer mal wieder Limousinen an, geschwärzt die Fenster, gefahren von livrierten Chauffeuren. Die Wagen verschwanden hinter dem massigen Tor… Bordeaux-Geschäftigkeit oder Geschäftstüchtigkeit. Kleine Königreiche, Inseln aus der Märchenwelt. «Es war einmal…» ein Wein, den sich Liebhaber leisten konnten auch wenn sie mit Millionen jonglieren. Vielleicht nicht oft, aber dann, wenn das volle Glas für Glück und wichtige Lebensabschnitte zu stehen hat. NB. Weihnachten war dieses Jahr – nach einer Operation – so ein Tag. Also holte ich einen 1985er Ausone – aus der Zeit von «es war einmal» - aus dem Keller. Allein der Umstand mit einem Ausone anzustossen war das Ereignis. Der Wein aber, eher abgebaut, eher dünn, eher mittelmässig, eher charakterarm – Parker gab ihm einst 85/100 Punkte, später nur noch 75/100, was soviel heisst, wie «noch knapp trinkbar» (in Parkers Auge!). Ein Blick auf die aktuelle Preistafel: «Ausone 1985: 300 bis 430 Franken». Da erinnerte ich mich an den Ausspruch des Kellermeisters eines anderen Premier Cru aus St. Emilion, der bei einem Châteaubesuch sagte: «Ach so gerne hätte ich, dass unser grosser Wein, für viele Weinliebhaber erschwinglich wäre. Ein Beweis für unsere Arbeit, ein Geschenk der Natur für die, die das Geschenk schätzen können.» Doch der Markt will es anders. Rendite ist das Losungswort..

10. Dezember 2018

 

Weingut Vlado Krauthaker: K-7 2015, Cuvée (Cabernet Sauvignon, Merlot, Shiraz, Cabernet Franc, Frankovka, Pinot Noir, Nebbiolo), Kutjevo, Kroatien

 

Die Eintönigkeit im Angebot der Weine in vielen Speiserestaurants macht mir zu schaffen. Das Essen gut, mitunter sogar hervorragend, die Weine dazu allzu oft langweilig, unverbindlich, nichtssagend (und auch teuer). Vielleicht müssten Wirte doch auch lernen, auf der Karte für Flaschenweine nicht nur der gängige (mehrheitsfähige) Weingeschmack zu berücksichtigen, sondern auch die eine oder andere Spezialität anzubieten: ausgesuchte, interessante Weine. Dies wäre wohl in der Kalkulation kein finanzieller Erfolg, als vielmehr eine Frage des Prestiges, guten Images auch für Weinliebhaber (die in der Regel auch gerne Essen und kaum je den billigsten Wein auswählen). Immer mehr Restaurants haben dies erkannt und bieten interessante Weine an, unter dem Motto «Wein des Monats» oder so. Ich bevorzuge solche innovative grundsätzlich, und ich habe dabei schöne Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel diesen kroatischen Wein, eine Cuvée aus sieben Rebsorten. Ich kenne kroatische Weine kaum. Kein Wunder, dass ich sofort darnach gegriffen habe, als der Wein als Monatsangebot auftauchte. Und? Mehr als nur interessant. Viel Würze, nuancenreich, fruchtbetont, im Abgang – bis tief in den Gaumen – saftig, vielleicht sogar etwas gefällig in der Aromatik. Ein exotischer Wein, der doch weitgehend «mehrheitsfähig» sein dürfte. Trotz der Ueberraschung bin ich leicht enttäuscht: Rotwein aus den klassischen Bordeauxsorten drücken dem Wein – trotz der Anreicherung an Rebsorten – den Stempel auf. Seltene Sorten wie Welschriesling (Graševina) oder gar Sansigot, die in Kroatien zuhause sind, hätten mich noch weit mehr interessiert. Doch da wäre das «Monatsangebot» halt doch zu exotisch. Schade!

08. Dezember 2018

 

Bodega Puig: Odys und Seus (Odysseus) 2008, Syrah, Gratallops, Priorat, Katalonien, Spanien

 

Lange musste ich warten, bis meine Neugier gestillt werden konnte. Da liegen bald schon zwei Jahre zwei Weine im Keller – Odys und Seus – die etwas ganz Besonderes sind. Zweimal «Odysseus» - der gleiche Wein, die gleiche Vinifikation, die gleiche Rebsorte, das gleiche Alter – kurzum: zweimal gleich und doch anders. Es sind Weine aus zwei unterschiedlichen Böden – im Rebberg nur zehn Meter voneinander entfernt. Der eine Wein – Odys – kommt von Reben aus «Panal» («Flusskieselboden»), einem Gemisch aus Ton, Kieselsteinen, Sand, Silikon und Schiefer; der andere – Seus – von eisenhaltigem Schieferboden. Für mich ein Experiment, ein Spass, ein Heidenspass! Endlich war es – eigentlich zufällig – so weit. Zwei Freunde, die Wein lieben, Wein kennen und kürzlich im Priorat waren, kamen eher überraschend zu Besuch. Für ein «Geköch» mit passenden Weinen (aus dem Bordelais) bin ich – operationsgeschwächt – noch nicht in der Lage. Also nach dem Imbiss ein Weinspass. Zwei gleiche, grosse Gläser (Riedel-Bordeaux) und Schwuppes Odys und Seus landeten nebeneinander im Glas. Zuerst grosse Gesichter, fragende Augen, verkniffener Mund. Zweifellos ein guter Wein, ein grosser Wein – doch der Unterschied? Allmählich – der Wein ist ja erst auch der Flasche entfesselt worden – entwickelt sich eine deutliche Unterscheidung. Fast einstimmig wird «Seus» bevorzugt. Der bessere Wein, würde man – so im Alltag – sagen. Hier aber – schliesslich nennt man sich in der Runde: Weinfreunde – ist doch etwas grössere Differenzierung gefragt. Schon bald einigt man sich auf «geniale Mineralik», das Wort Schiefer springt in die Runde: vielschichtig, elegant, würzig… was man eben so alles an Wortklauberei zu Verfügung hat. Der «arme Odys» hatte da kaum eine Chance. Oder doch? Es tauchten Begriffe auf, wie: «leisere» Töne, dichte Frucht, viel Harmonie, leicht salzig, lang, lang… Eigentlich hätten wir daraus nun eine Assemblage machen können, sollen, müssen… Vielleicth zweidrittel Seus – für die Kraft, die Ausdrucksstärke, die Persönlichkeit und ein Drittel Odys, gleichsam zur Verfeinerung, zur Veredelung, zur Vertiefung, vielleicht sogar zur Zähmung des Weins. Soweit ist es aber nicht gekommen. Der Riespass endete beim letzten Schluck im Glas. Den Rest in der Flasche habe ich aufgehoben, um später – in aller Unaufgeregtheit nochmals zu schnüffeln, zu verkosten, zu geniessen. Vielleicht gibt es dann noch eine Rest-Cuvée. Wer weiss!?! 

05. Dezember 2018

 

Cal Batllet: Gratallops 5 Partides 2010,
Vi de la vila, Priorat, Katalonien, Spanien

 

Nach dem eleganten, versöhnlichen Bordeaux von Graf Neipperg (Château D’Aguilhe) nun ein Griff zu den Weinen eines Weingebiets, an das ich mich langsam herantaste. Die Flasche ist nicht durchschaubar, schwer, massig. Und der Wein? Nicht massig, aber voluminös, mit Rückgrat und eindeutig, bis in die eher spärlichen Aromen. Cariñena wird in Frankreich Carignan genannt und ist in den fast in jedem der typisch regionalen Weine anzutreffen. Allerdings nur selten sortenrein, meist verheiratet und gezähmt durch Syrah, Grenache, Mourvèdre und Cinsault. Hier aber haben wir die ganze Kraft (und Schönheit) der einen Rebsorte Cariñena, von alten Reben aus fünf verschiedenen Lagen. Da wird nicht lange gefackelt, da wird hingestanden mit Kraft und Überzeugung. Tannin ist zwar reichlich vorhanden, aber gut eingebunden und verwoben in die Struktur. Ich schätze Weine, die eine klare Sprache sprechen, die sich nicht anbiedern und die zu ihrem Status stehen. An Stelle floraler Üppigkeit, prägnante mineralische Noten. Richtig fruchtig wird erst am Gaumen, statt Gefälligkeit zeigt er Charakter. Ein Wein, der zu seiner Heimat steht, der im Süden verwurzelt ist und das auch bei jedem Schluck demonstriert. So viel Ehrlichkeit hat mich überrascht und auch überzeugt. Fülle wird nicht zur Aufschneiderei, sondern zu einer inneren Kraft, zu einem inneren lodernden Feuer, als ob der Wein die Sonne und die Wärme aus den Rebbergen mitgenommen hätte. Ein besondere Weine – meine ich – der in der Kargheit der Frucht (Pflaumen, Feigen, Hagebutten) eine Weichheit und Verbindlichkeit erreicht, die bis in ein langes Finale ausstrahlt. Es bleibt für mich einzig die Frage: Bin ich diesem Wein – nach der längeren Absenz – auch wirklich gewachsen? Ja, die Überzeugung ist da, doch gelingt es mir diese auch in Worte zu fassen?

Foto: Château d'aiguilhe
Foto: Château d'aiguilhe

03. Dezember 2018

 

Château d’Aiguilhe (Comtes von Neipperg): Château d’Aiguilhe 2008,
Castillon, Côtes de Bordeaux, Frankreich

 

Es ist mehr als ein Monat vergangen, seit ich letzte Notiz hier in «Getrunken» veröffentlicht habe. Das Schweigen entspringt nicht einer schlechten Laune, als vielmehr der operationsbedingten Zurückhaltung im Bereich der sensorischen Wahrnehmung. Ich habe mich schlicht nicht getraut, während meines «medizinischen Aufbaus» die persönlichen Eindrücke hier wiederzugeben. Sie waren womöglich allzu persönlich. Nun aber habe ich die Quarantäne verlassen und ich bin – zumindest gestern Abend – nach Bordeaux zurückgekehrt. Natürlich wollte ich nicht gerade mit der ersten Garde einsteigen. Eher ein bescheidenerer Wein geniessen und unter die Lupe nehmen. Graf Neipperg hat da eine ganz Palette, Von La Mondotte über Château Canon La Gaffelière bis zu Château Aiguilhe: andere Stile, andere Reblagen, anderer Ausbau, anderer Anspruch. Ich kenne die Weine von Graf Neipperg seit vielen Jahren, betrete also kein Neuland. Es ist eher eine Rückkehr. Der Jahrgang im Bordelais: nicht berauschend, aber weit besser als 2007. (Ja, diese verflixten 7ener Jahre in Bordeaux!) 2009 war dann aber weit besser und die Preise kletterten in schwindelige Höhen. Nun Castillon ist kein Kerngebiet von Bordeaux, auch wenn Graf Neipperg durchaus weiss, wie man auch da gute Weine macht. Hervorragende Weine zu guten Preisen. Sein Château d’Aiguilhe verkaufte sich damals um 20 CHF, in besseren Jahren deutlich über 30 CHF. Ich habe den Wein an einer Auktion gekauft, um 10 CHF die Flasche. Und? Der Kauf hat sich gelohnt und der Wiedereinstieg auch. Trotz der langen Flaschenreifung ein fruchtiger Wein, intensiv im Aroma und doch weich und zart, beeindruckend in seiner Struktur und schon fast fröhlich im eher kurzen Abgang. Nicht nur ein Rückkehrer-Wein, durchaus ein empfehlenswerter Einsteigerwein. Ein Wein, der auch Bordeauxgewohnten Freunde macht.

30. Oktober 2018

 

Cristian Francès Breton: Va de  Bòlid 2013, Cariñena und Cabernet Sauvignon, Torroja del Priorat, Katalonien, Spanien

 

Es ist eher eine rhetorische Frage, wenn ich in den Keller steige: «Welchen Wein möchtest Du heute trinken?» So eindeutig war aber der Auftrag – glaube ich - noch nie: «Einen Wein aus dem Priorat!» Dein Wunsch sei mir Befehl. deshalb habe ich in das Gestell gegriffen, wo die Prioratweine liegen. Sie ruhen noch, weil ich mit vorgenommen habe, etwas genauer hinzuschauen, gemächlich zu verkosten, eine Meinung herauszuschälen und hier im «Getrunken» zu schreiben, meist nicht nur eine Verkostungsnotiz, viel häufiger und lieber eine Geschichte. Diesmal liegt die Geschichte auf der Hand. Der kuriose Name und das originelle Etikett haben mich sofort angesprungen. Doch die «Geschichte» verriet sie nicht, da musste ich schon googlen. «Va de Bòlid» soll so viel heissen, wie: «Der alles alleine macht». Jetzt ist mir auch das Bild verständlich. «Der Winzer bearbeitet neben seinem Hauptjob bei ‘Mas d´en Gil’ den Weinberg der Familie und macht zwei eigene Weine in Miniauflage im Nebenerwerb», lese ich in Hammers Weinführer. Sozusagen ein professioneller Hobby-Wein..Und der Wein selber? Natürlich ziere ich mich. Meine Dame soll sich zuerst äussern, wenn sie schon – quasi ultimativ – einen Prioratwein wünscht. Ihre erste Bemerkung kommt schnell, spontan: «Voll Kraft, diese Weine!». Tatsächlich, es ist ein kräftiger Wein, nicht so spielerisch wie die Zeichnung auf dem Etikett. Die Nase aber hat mich zuerst gar nicht entzückt. Ein fast schon etwas seichter Muffelton. Doch das hat sich schnell gelegt, die Luft hat den Wein im Glas freundlich und liebevoll empfangen und beruhigt. Auch in der Nase. Im Mund war er von Anfang an reiner, verbindlicher:ausgeprägt rund, würzig, sogar etwas elegant und sehr offen. Vor allem machte er immer mehr Spass. Die Gewürz- und Kirschnoten wagten sich hervor. Und er wurde harmonische und harmonischer - und fruchtiger und im Abgang auch länger und länger. Noch selten hatte ich einen Wein im Glas, der sich in so kurzer Zeit so mächtig entwickeln konnte. Von einem sich zuerst etwas protzig-verhaltenen kräftigen zu einem harmonischen, geschmeidigen Wein, der immer mehr Nuancen verraten hat: ein Hauch von Anis und Granatäpfeln, nicht einfach nur Druck, sondern Eleganz im Gaumen bis in den ordentlichen Abgang hinein. 

Molière
Molière

22. Oktober 2018

 

Prieuré Saint Jean de Bébian: La Croix de Bébian Rouge, AOP Languedoc, Pézenas, Languedoc. Frankreich

 

Weine vom Weingut «Prieuré Saint Jean de Bébian» in Pézenas kannte ich lange bevor ich die Molière-Stadt selber kennengelernt habe. Es war in den Achtzigerjahren, da begann ich mich mit dem Thema Wein ernsthaft zu befassen. Bordeaux tauchte an meinem Horizont auf. Das Weinhaus Reichmuth in Zürich wurde zur ersten «Anlaufstelle», vor allem sein jährlicher Luxuskatalog «Homage au Vin» - in welchem sich Kunst und Wein begegneten.  Reichmuth war Pionier für den Handel mit Languedoc-Weinen in der Schweiz. Er hatte als erster Weinhändler etwa 10 oder 15 Weingüter aus dem Süden Frankreichs im Programm. Weine, die gar nichts mehr mit dem damals noch verbreiteten Image von Massenweinen zu tun hatten. Im Gegenteil, sie konnten mit meiner aufkommenden Bordeaux-Liebe mithalten. Sie waren zwar anders im Geschmack und ab und zu im Holzeinsatz überbordend. Doch sie führten mich in die Gegend, wo ich mich – wie sagt man: in einer Zweitwohnsitz – auch bald einmal auch niederliess. Und was tat ich in Sachen Wein? Ich besuchte, fast schon systematisch alle Weingüter, die ich durch Reichmuth kennen gelernt habe. Nur eines nicht: «Prieuré Saint Jean de Bébian». Warum nicht? Das kann ich noch heute nicht sagen: Zufall oder seine Nähe zu meiner neuen Wohnsitz. Das Nächstliegende übersieht man hallt so gern.
Damals leitete Alain Roux das Familiengut und erneuerte vieles, was allmählich die einfachen Weine zu Top-Weinen machte: frisch, dicht, muskulös, vornehm… Bald einmal – es war um 1990 – übernahmen zwei Journalisten der «Revue des Vins de France» das Weingut und verbesserten, was zu noch verbessern war: vor allem erneuerten sie den Cave und - in kleinen Schritten - auch den Wein. Doch meine eigenen Wein-Recherchen in Languedoc-Roussillon - inzwischen kenne ich etwa fünfzig Top-Weinproduzenten der Region (und es kommen jedes Jahr ein paar dazu) – führten dazu, dass ich meine «alten Lieblinge» vernachlässigte. Erst als ich vor wenigen Jahren in Zürich wieder einmal eine Präsentation der Reichmuth-Weine besuchte, begegnete ich wieder der «Prieuré Saint Jean de Bébian». Da leitete bereits eine neue, australische Önologin das Weingut und präsentierte ihre noch besser gewordene Weine: sie haben an Eleganz gewonnen, auch an Weichheit, Samtigkeit und Duftvielfalt. Wir vereinbarten einen Besuch auf dem Weingut.  Zu meiner Schande: Die Einladung ging unter, ging vergessen, andere Languedoc-Weingüter schoben sich ins Bewusstsein.

 

Und jetzt, im Gestell des Weinhändlers, um die Ecke bin ich auf diesen «La Croix de Bebian» gestossen. Es ist der «kleinere» Wein des Weinguts – zu ca. 10 Euro im Handel zu kaufen. Sein grösserer «Bruder», «le grand vin», kostet rund das doppelte und der exklusive «1152» sogar mehr als 50 Euro. Da habe ich offensichtlich etwas – ja sogar viel – verpasst. Denn dieser kleine «Croix» ist bereits ein sehr schöner Wein: rund, abgeklärt, verführerisch – ein eleganter Tischwein. Vielleicht spricht er mich auch deshalb so sehr an, weil er nebst Mourvèdre etwa 70% Grenache enthält.  Grenache-Weine – vor allem die aus dem Priorat – stehen bei mir im Moment hoch im Kurs. Ich werde aber auch die andern Weine von «Prieuré Saint Jean de Bébian» gelegentlich verkosten und darüber hier berichten. Versprochen!

17. Oktober 2018

 

Château Ollieux Romanis: Atal Sia rouge 2014, Carignan, Grenache, Mourvedre, Syrah, Boutenac, Corbières, Languedoc, Frankreich

 

Eine mutige Bezeichnung für einen mutigen Wein. Mutig? Dort wo einst die Katharer in der Sprache des Volks (und nicht in der Kirchensprache) gepredigt haben, dort hat sich noch einiges erhalten an Ursprünglichkeit und rebellischem Eigensinn. Nicht nur die gigantischen, verfallenen Burgen hoch oben in den Bergen, auch sprachliche Eigenheiten und tief verwurzelte Traditionen. Dies gilt - nicht zuletzt - auch für die Weine. Corbières-Weine sind in der Regel kräftig, eigenständig, oft eigensinnig, wild, ja sogar rau. Sie stellen kaum Fragen, flirten nicht gerne und biedern sich nicht an. So jedenfalls habe ich die Gegend – nahe der Pyrenäen – immer wieder erlebt. Nicht nur die Gegend, auch ihre Weine. «So sei es!» nennt sich dieser Wein, auf Französisch: «ainsi-soit-il» oder eben «Amen!» Imperativ! Mutig! Auch mutig in seinem Auftreten, im Stil: mollig, weich, flaumig, warm. Kein Kämpfer oder Krieger, kein Rebell oder Eigenbrötler. Einer der besten Corbières, die ich kenne. Keine modische Anlehne an den Bordeaux-Stil, kein Liebäugeln mit dem fast allgegenwärtigen Cabernet Sauvignon; ein Einheimischer aus vier der regionalen Rebsorten. Doch mit beeindruckender Tiefe, einer verführerischen Nase: Kakao, Brombeere, Leder. Viel Frucht, die sich aber nicht aufdrängt, sondern im Hintergrund tanzt, eng umschlungen mit der feinen, frischen Säure und dem eleganten, edlen Holz. Und trotz seiner Jugend und ordentlichem Alkoholanteil (14,5 vol%) ein abgeklärter Wein.

13. Oktober 2018

 

Château Martet 1998, Réserve de la Famille, Sainte-Foy-Bordeaux, Bordeaux, Frankreich

 

 

Es gibt Weine, die erschliessen sich nicht gleich bei der ersten Flasche. Doch das Urteil ist rasch gemacht: ausgezeichnet, gut, weniger gut, gar nicht gut! Entsprechend ist das Weinbild geprägt, kaum oder nur schwer korrigierbar. Zumindest geht es mir oft so. Und ich vermute, dass ich da kein «Einzelfall» bin. So geschehen auch bei diesem Wein. Ich kannte ihn nicht, den Wein aus Sainte-Foy-Bordeaux, ganz knapp ausserhalb des Bereichs Saint-Emilion. Einzig eine kleine Bemerkung des Auktionators hat mein Interesse für den Wein geweckt. Das Weingut gehöre dem Sohn von François Mitjaville. Mehr sagte er nicht. Es lagen auch kaum Gebote vor. Auch ich liess das Lot passieren – zurück in die Nachauktion. Nun gehört aber der charismatische Mitjaville (Tertre Rôteboeuf) zu meinen Lieblings-Winzern und seine Weine sind für mich die besten von ganz Bordeaux. Seit Jahren. Ich kenne auch einen Wein seines Sohnes Louis, von der Domaine de l’Aurage in Saint-Genès-de-Castillon. Dieser Wein ist gut, sehr gut sogar: bei uns aber kaum erhältlich. Aber von einem Martet in Saint-Foy wusste ich nichts. Und die meisten Bordeaux-Liebhaber auch nicht. Also musste ich diesen «Martet» haben, meine Neugier war gross, zu gross. Allerdings habe ich bald herausgefunden: das Weingut gehört nicht Louis Mitjaville, er hat aber den Wein als Önologe verantwortet und geprägt. Grund genug für hohe Erwartung. Dann die Enttäuschung. Ist dafür das Alter, die Lage des Weinbergs oder das gar das Können des Weinmachers verantwortlich? Wofür? Eben, dass die hohen Erwartungen gar nicht erfüllt wurden. Nach einigen Wochen wurde dann eine zweite Flasche geöffnet. Ohne Erwartungen, ohne grossen Anspruch. Schliesslich mussten sie getrunken werden, die fünf restlichen Flaschen, denen ich sozusagen nachgelaufen bin. Dann kam sie, die die Überraschung, quasi aus dem Nichts. Ein schöner Wein, ein stattlicher Wein. Keine Wucht, aber ein Wein mit viel Tiefe, viel Harmonie, viel bekannt-unbekannte Aromen. Ein eigenständiger, ein überzeugender Bordeaux. Gründliche Revision des ersten Eindrucks: viel schwarze Frucht (trotz des Alters), Trüffel, Pflaumen, Effeu, Karamell… ausgewogen, stark verinnerlicht, überzeugend. Schade, wenn ich nur die eine, die erste Flasche getrunken hätte. Von sich und ihrem Urteil restlos überzeugte Tester würden wohl von einer «Fehlflasche» sprechen, vielleicht sogar nach einer Referenz-Flasche rufen. Für mich sind es eher die hohen Erwartungen, ist es das Ungewohnte, die zum Fehlurteil geführt haben. Die dritte Flasche (ich habe jetzt noch vier) kann dies bezeugen. Vielleicht.

06. Oktober 2018

 

Château Duhart-Milon (Domaines Barons de Rothschild): Moulin de Duhart 1996, Zweitwein, Pauillac, Bordeaux, Frankreich

 

Ich habe mich gewundert. Dieser Zweitwein lag noch im Keller, umgeben von anderen 96ern, die ich damals recht üppig eingekauft habe. Es war der erste wirklich gute Bordeaux-Jahrgang der 90er Jahre. Doch den «Zweitwein» eines guten, aber nicht überragenden Château habe ich damals kaum eingekellert und schon gar nicht so lange aufbewahrt. Meine Datenbank brachte die Lösung. Es war das Geschenk einer lieben Freundin, die mir den Wein im Jahr 2000 ans Krankenbett (Knieoperation) als «Aufsteller» gebracht hat. Irgendwie war ich für Weinkonsum nicht so richtig «aufgestellt», so wanderte der Wein in meinen Keller. Dort blieb er liegen, bis heute. Und? Ich bin immer wieder überrascht, wie gut auch «kleine» Bordeaux nach so langer Zeit – 22 Jahre – sein können. Zwar nicht mehr mit viel Frucht, dafür umso mehr Gewürzaromen und starke Harmonie. Abgeklärtheit würde ich sagen. Der berühmte «Trinkfluss» überwiegt, die «Aufregung Bordeaux» ist weg. Der Wein kostete damals um die 20 CHF und hatte kein besonders gutes Rating (Wine Spectator 86/100 Punkte). Er ist allerdings im Zuge des Lafite-Hypes (vor drei Jahren) unverhältnismässig im Preis gestiegen: durchschnittlich zuletzt (vor zwei Jahren) kostete er im Handel 70 CHF. Heute ist der Wein kaum mehr erhältlich. Ausgetrunken – ausgedient. Wahrscheinlich hat kaum jemand registriert, was  nach der Flaschenreife mit ihm geschehen ist. Gilt er doch – rein vom Jahrgang her – weit über dem Berg. Ich stelle fest: er ist angekommen «jenseits des Berges» in einem neuen Land, wo die Klassenunterschiede nicht mehr zählen, wo sich vieles «eingemeindet» wurde, wo die Preisangabe kaum mehr zählt, wo andere Dinge zählen: die innere Ruhe, die Kraft des Bestandenen, die Wärme der Abgeklärtheit, die Preisgabe verborgener Werte. Kein Wetteifern mehr um den «Wein zum besten Preis». Einfach da zu sein zum sinnenfrohen Trinken. 

03. Oktober 2018

 

Celler Castellet: Empit Selecciò 2014, Cuvée Carignan, Grenache, Syrah, Porrera, Priorat, Katalonien, Spanien

 

 

Die Befürchtung war da: der Griff in das Priorat-Weingestell sei ein Griff zum Vorschlaghammer. Warum? Ich komme soeben von der Weinlese in der Bündner Herrschaft zurück – mehr als eine Woche täglich, stundenlang in den Weinbergen. Schwerpunkt Pinot Noir, also Blauburgunder. Tolle Trauben, feine Weine (nach der Arbeit). Man sagt: «die Rebsorte sei eine Diva mit Starallüren» und der Wein am ehesten mit filigran zu umschreiben. Ein Modewort, sicher, doch es weist in die richtige Richtung. Feine Weine also, sogar oft zarte Weine, mit viel «verborgenem» oder versunkenem Charakter. Und jetzt der Sprung ins Priorat. Wo in der Regel Kraft herkommt, vorherrscht, starke Charakter dominieren. Der dunkle Grenache gibt den Ton an und – so meine Erfahrung – die hohen Temperaturen lassen den Alkohol-Anteil hochschnellen. Kommt dazu – auch eine Erfahrung -, dass man mit dem Holz meist nicht zimperlich umgeht. Bei besonders gelungenen Weinen spreche ich von «Harmonie auf hoher Ebene». Keine leise, stille, verschmitzte Harmonie. Dieser Wein hat sich der Feinheit verpflichtet, der Bescheidenheit in der Grösse, der Ruhe in der Kraft, der Tiefe im Auftritt, der Eleganz in seiner Bestimmtheit. Es ist kein Vorschlaghammer, den ich da im Keller ergriffen habe. Nein, ein Goldhämmerchen für die feinen Details. Der Wein schwebt, ich schwebe mit. Kein dünner Wein, dicht, verwoben in den Aromen, in der Frische, in seiner warmen Kraft. Er schreit nicht: er singt, er tanzt bis in den ordentlich langen Abgang hinein.

Foto Ch. Rauzan Ségla
Foto Ch. Rauzan Ségla

24. September 2018

 

Château Rauzan: Ségla 1996, Zweitwein, Margaux, Bordeaux, Frankreich

 

 

Der Begriff «Zweitwein» ist – zumindest für jene, die sich in Bordeaux nicht so gut auskennen – verwirrend, vielleicht gar unverständlich. Eine Eigenheit im Bordelais besteht darin, dass sich alle bekannten Weingüter auf einen einzigen Wein beschränken (allenfalls noch einen Weisswein, bei bestimmten Weingütern), der in der Regel den Namen des Château trägt. Man produziert also nicht – wie fast überall in der Weinwelt - verschiedene Weintypen oder Cuvées,  sondern nur den einen Wein, «ihren Bordeaux». Die Differenzierung liegt einzig beim Jahrgang. Denn jeder Jahrgang ist – je nach Entwicklung der Reben – leicht unterschiedlich beim Anteil der Rebsorten, im Ausbau und seinem Stil. Allerdings gibt es immer mehr Châteaux, die noch einen sogenannten «Zweitwein» anbieten. Er stammt aus noch weniger gut entwickelten Parzellen und aus Trauben von jüngeren Reben, die qualitativ den Ansprüchen des Erstweins – den Château-Wein – nicht ganz genügen. Für die «grossen Bordeaux» werden eben nur Trauben von Weinstöcken benutzt, die mindestens zehn Jahre alt sind (meist noch viel älter). Doch ein Rebstock trägt nach dem vierten Jahr gute, verwertbare Trauben. Auch aus ihnen lässt sich ein hervorragender Wein machen, wenn man mit der gleichen Sorgfalt (wie für den Erstwein) arbeitet: in der Auswahl der Trauben, der Vinifizierung, im Ausbau etc. Deshalb bietet man diese Weine als «Zweitweine» an und zwar unter einem anderen Namen. Bei Rauzan-Ségla heisst der Zweitwein «Ségla» (ohne Rauzan). Wie alle Zweitweine ist er viel früher trinkreif, hat meist weniger Tannine (aber den gleichen Stil) und ist weit günstiger als der Erstwein des gleichen Gutes. Je nach Jahrgang kostet der Erstwein von Rauzan-Ségla um die 80 Franken (in hervorragenden Jahrgängen sogar mehr als hundert Franken), der Zweitwein Ségla aber nur rund die Hälfte (um 40 Franken). Eine Frage ist berechtigt: Ein frühreifer Zweitwein – darf der 22 Jahre alt werden? Oder ist er nach so langer Zeit bereits «abgebaut»? Sicher muss er nicht so lange im Keller liegen. Nach 15 Jahren ist seine «Flaschenreifung» vorbei. Wahrscheinlich wäre er vor zehn, fünfzehn Jahren dichter, spritziger, verführerischer gewesen. Wahrscheinlich! Eine gewisse Müdigkeit oder eher «Gelassenheit» ist zu durchaus spüren. Doch einiges von seiner anfänglichen Fruchtigkeit – fast konfitüenrähnlich – hat er bewahrt und in ein etwas breites, samtiges Kleid gehüllt. Noch immer elegant, im Auftritt aber etwas «schlampig»,  etwas unpräzis, wenig verführerisch. Und trotzdem noch ein guter Wein. Ein Wein, der immer noch dem «Erstwein» seine Referenz erweisen darf.

Foto: Heinz Gutersohn
Foto: Heinz Gutersohn

06. September 2018

 

Weingut Pircher: Pinot Noir  2016, Stadtberg Eglisau, Schweiz

 

Es ist kein Geheimnis. In der Deutschschweiz dominiert (bei den Roten) der Blauburgunder, in der Regel mit Pinot Noir bezeichnet. Die Auswahl an Spitzenweinen ist beachtlich, die Entscheidung mitunter schwer. So habe ich kürzlich – für eine private Probe mit einem Weinfreund aus Deutschland – drei Pinots aufgestellt: den fast schon legendären «Gantenbein» (2012), der so etwas wie das Mass der Schweizer Pinots ist, nicht nur sehr gesucht und von der internationalen Weinkritik hochgelobt, sondern auch (für einen Schweizerwein) unglaublich teuer. Ruhm und Namen haben eben ihren Preis. Es ist verlockend, die drei verkosteten Weine miteinander zu vergleichen und so etwas wie eine Rangordnung zu erstellen. Der Beste, der Zweite, der Dritte! Ich habe es nicht getan, weil mir – wie schon lange nicht mehr so deutlich – bewusst geworden ist, wie unterschiedlich Weine in ihrem Charakter sind und wie sehr ein Urteil von den Umständen (Jahrgang, Prestige des Weinguts, Terroir, Erwartungen, Vorlieben, Peis etc.) abhängig ist. Gantenbein, der etwa dreimal so viel kostet wie der Pinot Noir von Pircher, sollte so auf dem ersten Platz stehen und der – zumindest ausserhalb der Schweiz – am wenigsten bekannte «Gian Battista» vom Weingut «von Tscharner» in Reichenau (2012) wäre wohl auf dem dritten (preislich auf dem zweiten) Platz. Was solls? Ich kann mit solchen Vergleichen nichts anfangen. Sicher gibt es so etwas wie «sachliche» Beurteilungen, «objektivierte» Kriterien, an denen man Weine beurteilen und «messen» kann. Bei mir stehen meist ganz andere Fragen im Mittelpunkt. Zum Beispiel die Frage: «Welches ist «mein» Wein?» Oder – wenn man die Winzer kennt: «Lassen sich die Persönlichkeit der Winzer im Wein wiederfinden?» Diese letzte (fast schon unstatthafte) Frage hat mich in diesem Fall verblüfft. Gantenbein, der Unerbittliche, der Kompromisslose, der Konsequente ist am nächsten beim «Idealvorbild» Burgund. Gian Battista, der eher Laute, der Verbissene, der Wagemutige ist in seinem Wein am eigenständigsten, überraschendsten. Und schliesslich Urs Bircher, der eher Leise, der Ruhige, der Vornehme präsentiert sich auch im Wein unaufgeregt, klar, verbindlich. Sein Wein ist spielerisch, frisch, ja sogar «verpflichtend», dem feinen, differenzierten Geschmack verpflichtet. Elegant, differenziert,  sogar sportlich, aber nicht im Gewühl des Kampfsports, vielmehr in der Art des Degenfechten. Es sind gerade diese unterschiedlichen Charaktere von Weinen – der gleichen Rebsorte und der ähnlichen Art von Vinifizierung -, die mich immer wieder neu faszinieren und «meine Weinwelt» so wunderschön und spannend bevölkern. Multikulti!

Foto: Weingut Kirmann
Foto: Weingut Kirmann

20. August 2018

 

Alfredo Arribas: Trosso Tos Negre 2012, Falset, Montsant, Katalonien, Spanien

 

Es gibt ganz selten Weine, bei denen ich nach der ersten kurzen Begegnung behaupte: «Das ist Spitze». Vor allem nicht bei Weinen, die ich noch nicht kenne. Es ist doch so, dass man auch als Weinliebhaber seine «Lieblinge» hat; Weine, die man kennt, die man schätzt und – Hand aufs Herz – mit dem vergleicht, was man gerade Neues im Glas hat. Kommt dazu, dass man – fast immer – schon etwas gehört oder gelesen hat: vom Namen, vom Winzer, dem Weingut oder seinem Renommee, auch wenn man den Wein bisher noch nie getrunken hat. Allzu viele Geheimnisse gibt es nicht mehr in der Weinwelt. Darum bin ich auch immer vorsichtig bei ersten Begegnungen. Was erlebe ich wirklich, in der Nase, im Mund, im Gaumen. Wieviel davon ist vom Kopf gesteuert, von der Situation, von dem, was man irgendwann, irgendwo einmal aufschnappt hat. So auch bei diesem Wein, der von einem Weinfreund aufgetischt wurde. Und erst noch von einem Weinkenner, der «drus chunt im Priorat». Doch diesmal kommt meine Reaktion schnell, fast wie von einem vorlauten Kind: «Spitze». Erst darnach fange ich an, nachzudenken, zu ergründen, was hinter dem spontanen Ausruf stecken könnte. Sicher einmal die Rebsorte: Grenache, die mir vertraut ist (Südfrankreich) und zu meinen Lieblingen zählt. Ein Bonus, der mit der Qualität des Weins vorerst nichts zu tun hat, vielmehr mit mir, mit meinen Vorlieben. Da ist aber die Nase, eine Nase zum Schnuppern: vielschichtig, verführerisch, geheimnisvoll. Wein, einfach Wein in seiner ganzen Vielfalt und Grösse. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass sich schon in der Nase viel entscheidet. Viel von dem vorwegnimmt, ausmacht, was sich nachher im Mund als «Gehalt» anfühlt, verdichtet und im Ausklang weiterwirkt. Aromen, die sich aus dem Wein lösen selbständig machen, «Geschichten erzählen». Geschichten, denen man lang und gern zuhört: mal reife Frucht, mal sinnliche Verführung, mal leicht-süsse Verlockungen. Der Wein lebt, entwickelt sich, auch in der relativ kurzen Zeit im Glas bis er ausgetrunken ist. Umso mehr ich mir überlege, woher das Spitzengefühl kommt, liegt das nicht nur an den Aromen (ähnliches oder gleiches findet sich in vielen Weinen), sondern vor allem an der Tiefe. Die unglaubliche Tiefe, in die der Wein – zumindest mich – mitnimmt. Dorthin wo Wein Einmaligkeit erreicht. Das ist - zumindest in meinem Weinrepertoire, das nicht bescheiden ist – eher selten der Fall.

 

Foto: Weingut Kirmann
Foto: Weingut Kirmann

20. August 2018

 

Harzer Weingut Kirmann: Cabernet Mitos 2008, Westerhausen, Sachsen-Anhalt, (Saale-Unstrut), Deutschland

 

Es ist einer jener Weine, die man nicht sucht, denen man zufällig begegnet. Wer sucht schon im Harz ein Weingut mit Qualitätsweinen? Die nördlichste Weinregion Deutschlands, Saale-Unstrut, zu der zu Weine von Kirmann weinrechtlich gehören, liegt weit südlicher. Auch wenn der Klimawandel den Weinbau deutlich nördlicher gedrückt hat, so ist doch ein Harzer Weingut so etwas wie ein Exot. Wie ich zu diesem Wein gekommen bin? Ganz einfach durch meine Neugier-Liebe zum Priorat, also durch eine Weinregion im Norden Spaniens. Das kam so: Torsten Hammer, ein Weinfreund in Coswig (Sachsen-Anhalt), bietet in Deutschland Priorat-Weine an und zwar in grossartiger Auswahl (Prioratführer Hammer). Er war kürzlich bei mir in der Schweiz und er brachte nicht «nur» Prioratweine mit, sondern auch zwei aus seiner weiteren Heimat, zwei vom Harzer Weingut Kirmann. Weinliebe findet oft seltsame Wege.
Nicht genug damit. Auch die Rebsorte ist – in meinen Augen – ein Exot. Cabernet Mitos, eine Neuzüchtung (Kreuzung Blaufränkisch und Cabernet Sauvignon), die erst vor rund zwanzig Jahren weinrechtlich zugelassen wurde. Die Rebsorte ist mir bisher noch nie begegnet. Doch auch in der Schweiz sollen – gemäss Statistik – rund drei Hektaren damit bepflanzt sein.

Eine Verkostung mit Freunden – ein seltenes Weinabendteuer. Es kamen am gleichen Abend auch Priorat- und Schweizerweine ins Glas. Nicht irgendwelche, nur von den besten. Ist da der Exot durchgefallen? Oder konnte er in diesem Umfeld bestehen? Er konnte! Nämlich bestehen. Vergleichen lässt er sich kaum. Ist auch nicht nötig, weil er durchaus eigenständig ist: in der Aromatik, in den Fruchtnoten und vor allem seiner Tanninstruktur. Er ist nun zehn Jahre alt, in Barrique ausgebaut, noch frisch, eine abgeklärte (oder abgerundete) Jugendlichkeit. Da mir direkte Vergleiche fehlen, kann ich nur vermuten: was ist dem Boden geschuldet, der Lage, der Rebsorte, dem Ausbau? Die deutliche Mineralik – eine kleine Spur salzig - lässt auf den Boden schliessen, auf die Lage, auf das Terroir. Vielleicht lasse ich mich auch von der dunklen, fast schwarzen Farbe blenden: tippe auf schweren Wein und werde überrascht von samtigen Weichheit, von einer Fröhlichkeit, die sich weit in den prägnanten Abgang zieht. Ein wirklich schönes Weinerlebnis.

Yesuitus2001 CC BY-SA 2.5
Yesuitus2001 CC BY-SA 2.5

20. August 2018

 

Weingut Boris Keller: Œil-de-Perdrix, Rosé, Neuchâtel AOC, Vaumarcus, Schweiz

 

 Auch die Schweiz hat ihren Rosé, den Œil-de-Perdrix, das «Rebhuhnauge», ursprünglich aus dem Kanton Neuenburg. Es ist eines der Beispiele, wo eine Weinregion – vor vielen Jahren – nicht erkannt (oder nicht genug gewürdigt) hat, dass ihr Rosé ein kleines Bijou ist, ein Qualitätswein, wie er sonst nirgends in der Schweiz gekeltert wurde. Man hat ihm zwar einen attraktiven Namen gegeben -  Œil-de-Perdrix – aber den Namen nicht geschützt. So sind halt – vor allem als der Rosésein-Sommerboom eingesetzte – auch in einigen anderen Weingebieten der Schweiz Œil-de-Perdrixs gekeltert worden, so dass er heute nicht mehr ausschliesslich aus Neuenburg kommen muss. Dieser Œil-de-Perdrix ist ein «echter» Neuchâtelois. Man sagt zurecht, es sei das «Original», ausschliesslich aus Pinot Noir gekeltert und zwar so, wie der Weisswein gekeltert wurde. Also nur leicht gepresst und früh von der Maische genommen. Daher seine Lachsfarbe und die unverkennbare Aromatik des Blauburgunders. Doch er hat nicht die Schwere eines Pinots, aber auch nicht die Leichtigkeit, die den Rosés sonst oft zugesprochen wird. Trotz seiner Süffigkeit hat er Charakter, zeigt viel Nuancen und Frucht. Ich mache gerne einen Vergleich aus der Musikwelt. Wenn der Pinot Noir mit nicht allzu schweren Opern, sie zum Beispiel Webers «Freischütz» oder Offenbachs «Hoffmans Erzählungen» verglichen werden könnte, dann ist der Œil-de-Perdrix eine Operette, wie «Der Zigeunerbaron» von Johann Strauss oder «Der Bettelstudent» von Carl Millöcker. Ich weiss, ein unangemessener Vergleich und doch mit einem grossen Korn Wahrheit. Dort die hochkünstlerische Oper (zum Beispiel von Wagner), hier die leichte Operette, die immer mal wieder nicht ernst genommen wird. Dabei ist eine gute Operette genauso ein Gesamtkunstwerk wie die weit angesehenere Oper. Nur eben nicht so ernsthaft zu diskutieren und als Kunstwerk zu beschreiben.

20. August 2018

  

Fattorie Melini: Vigneti La Selvanella 2007, Magnum, Chianti Classico Riserva, Poggibonsi, Italien

 

Es sind die Umstände, die einen Weingenuss stärker prägen als alle anderen Faktoren. Diese Erfahrung macht man immer wieder. Wie mancher Wein schmeckte im Urlaub wunderbar, einige Zeit später, zu Hause, wenn der Urlaub vorbei und die Erinnerung verblasst sind, kommt es oft grossen Enttäuschung: Das also soll ein grosser Wein sein? All die Auguren haben halt doch recht, die von einer Weinkritik grösstmöglichste «Objektivität» verlangen: gleiche Umstände, gleiche Gläser, gleiche Temperaturen, gleiche… und, und, und. Dies sind sicher Faktoren, die für Kauf, Verkauf, Preise, Vergleiche wichtig, ja entscheidend sind. Doch Wein wird vor allem getrunken. Da wird der Genuss gemessen. Nur da! An einem rauschenden Geburtstagsfest, hoch oben in den Bergen (2600 m.ü.M), mit fantastischer Aussicht in die Alpenwelt, begleitet von einem fünfsternwürdigen Essen, reger Diskussion und einer unglaublich guten Musik, in einem grossen Freundeskreis: Welcher Wein ist da der richtige? Es braucht viel Fingerspitzen-Gefühl um der richtige zu finden. All die Faktoren, welche die Weinkritik festhält, werden zwar nicht ausser Kraft gesetzt, aber überlagert von den Umständen, von der Situation. Dieser Wein – ich kann es nicht anders sagen – war genau das Richtige. Es war der beste Wein, den ich je getrunken habe. Urteil an diesem Abend, in dieser Stimmung, in dieser Situation, unter diesen Umständen. Und das ist gut so. Trinkfluss lässt sich nicht berechnen. Er lässt sich nur erleben. Hier, im Nachhinein, noch ein paar gefühlte und erlebte Fakten: dunkel-leuchtendes Rubin, intensiv und vielschichtig, elegant und doch hintergründig, verschmitzt sogar, mit Aromen vom Waldboden bis zu Himbeer, nur der Abgang war kurz, vor allem, weil die Trinkigkeit dominierte. Wein kann und soll eben Spass machen.

17. August 2018

 

Prieuré-Lichine 1982, Margaux,
Bordeaux, Frankreich

 

Es dürfte sehr selten sein, dass dieser Wein aus dem Jahr 1982 im sommerlichen Garten (bei einem Freund) auf den Tisch kommt. Eigentlich ein Ereignis, das schlicht und ohne viel Lärm vorbeigegangen ist. 1982 war einer der besten Jahrgänge in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, noch immer sehr begeht (und auch gesucht). Den trinkt man nicht einfach so weg, wie ein anderer (guter) Wein. Ehrfurcht kommt schon auf, wenn man feststellt, dass er noch präsent ist: "noch voll da!!" Was heisst dies: ein Wein mit wunderschönen Alterstönen, die  in gefühlten 100 zarten Aromen zerfliessen. Klassisch im Stil, echt in seinen Dimensionen echt im Geschmack. Ein stiller Wein - eigentlich. Doch hier kommt die Aura des Jahrgangs dazu. Ist es der Mythos des grossen Jahrgangs, der mich so entzückt? Ist es die Vorstellung, dass dies der letzte Jahrgang des "weinverrückten Amerikaners" Alexis Lichine (gest.1989) war, der im kleinen Dörfchen Cantenac das ehemalige Benediktinerkloster Prieuré-Cantenac wieder zu Weinruhm und Ehre gebracht hat. Sein Buch “Vins et vignobles de France” (1979) steht noch immer in meiner Wein-Bibliothek. Lange vor Robert Parker galt er als "Weinpapst" im Bordelais. Sicher, die Geschichte ist nicht auszublenden. Doch der Wein vermag auch ohne sie bestehen. Die milden Zedertöne umfassen den weichen Körper, der mir fast etwas zerbrechlich erscheint. Ich schlürfe lange, schnuppere lange und messe den langen Abgang aus. Er wird immer länger, dringt immer tiefer ein in den Mythos, in das Wissen, dass das Weingut zwar sehr bekannt und beliebt ist - in der Bordeauxwelt - auch gute Weine hervorbringt, aber keine aussergewöhnlichen. Dieser Wein ist aber aussergewöhnlich: aussergewöhnlich beeindruckend, aussergewöhnlich klassisch. So wie man heute Bordeaux leider kaum mehr antrifft.

A. Michael CC BY-SA 3.0,
A. Michael CC BY-SA 3.0,

06. August 2018

 

Weingut Martha & Daniel Gantenbein: Pinot Noir 2015, Fläsch, Bündner Herrschaft, Schweiz

 

Nochmals Gantenbein. Jetzt will ich es wissen. Ein für alle Mal die Diskussion um die ausserordentliche Stellung dieses Weins beenden. Was hat es auf sich mit diesem Chardonnay von Gantenbein? Kein definitives Urteil – jeder Jahrgang mag etwas anders sein. Auch keine Diskussion über den Preis. Es ist ein ein hervorragender Wein. Er zählt zu den besten Chardonnay, die ich kenne und er ist rar. Das hat seinen Preis. Konsumenten müssen da schon selber entscheiden, wie viel der Weingenuss kosten darf. Ist der dreifache Preis anderer hervorragender Chardonnay aus der Bündner Herrschaft (zum Beispiel von Georg Fromm) gerechtfertigt? Was macht ihn so ausserordentlich? Die Rarität, der international bekannte Name oder entfaltet sich beim Genuss so etwas wie ein Mythos? Etwas, das nur in diesem Wein so zu finden ist? Mythen entziehen sich jeder Preisdiskussion. Eigentlich sind Mythen nicht zu kaufen, zumindest nicht über den Ladentisch. Sie sind bestenfalls zu entdecken, zu erkennen, als Mythos wahrzunehmen. Nicht mit Logos, der die Wahrheit in Beweisen sucht. Mir gefällt der Gedanke des Mythos, mir gefällt der Ausbruch in die Weinmythologie. Warum soll alles immer mit Punkten und Werten gerechtfertigt werden. In diesem Sinn habe ich den Wein eingeschenkt, verkostet,  ergründet und erlebt. Natürlich tauchen auch da bekannte Aromen auf, in der Nase, im Mund, ganz hinten im Gaumen. Etwas, das an Birne, Mandel, reife Äpfel, Banane erinnert. Natürlich spüre ich die Wirkung der Säure, den Saft, die Süsse, die Harmonie. Schliesslich stottere ich noch so etwas wie Eleganz daher, wie Nachhall oder Nachgeschmack. Alles Dinge, die zu erleben sind und von verschiedenen Konsumenten auch verschieden wahrgenommen und gewertet werden. Alles ist da, die Verkostung läuft wie nach Fahrplan. Beruhigend, wenn der Fahrplan stimmt. Doch darum geht es nicht. Es geht um eine Exkursion ins Irreale. Da hört der Wahrheitsanspruch auf, es treten längst vergessene

Grössen auf, Götter, Mythen. Ein guter Wein kann – muss aber nicht ein mythischer Wein sein. Die Wurzeln jedes Mythos liegen in uns, in unserer Bereitschaft den Mythos zu erkennen und ihn anzunehmen. Dies ist auch beim Wein nicht anders. 

26. Juli 2018

 

Domaine du Clos Roca: ecceterra rouge 2015, Pays d’Hérault, Nizas, Languedoc, Frankreich

 

So richtig zugeben mag es niemand. Doch Weine werden auch auf Grund einer attraktiven Etikette gekauft. Vor allem dann, wenn man im Weinregalen eines Lebensmittel-Geschäfts einen Wein auszuwählen hat. Dies geschieht besonders häufig im Urlaub, wo das, was man kennt und gewohnt ist zu trinken, meist nicht verfügbar ist. Es sind dann vor allem die Kriterien, welche die Wahl beeinflussen: Der Preis, die Rebsorte und – bitte nicht den Kopf schütteln – die Etikette. Dies ist auch bei mir nicht anders. Ich verbringe zwar einen guten Teil meines Lebens in einem Weingebiet, in der Languedoc. Da kenne ich  als Weinliebhaber – natürlich viele Weingüter und Weine. Doch ab und zu besorge ich auch mir rasch eine Flasche – quasi als Tischwein – im Lebensmittelgeschäft, zumal das Lagern von Wein – hier im heissen Klima und nahe am Strand – nicht ganz einfach ist. Zuerst immer die Überlegung: Wieviel will ich heute ausgeben. Der Durchschnitt der Weine, in einer kleineren „épicerie“ um fünf Euro, natürlich – wir sind ja in einem Weingebiet – immer auch mit Stapeln von Schnäppchen-Angeboten, meist um drei Euro. Mit einem Preis von annähernd acht Euro gehört „Ecceterra“ schon fast zu den Weinen „haute de Gamme“. Ich wähle diesen Wein – dies habe ich mir erst nachträglich eingestanden – auf Grund der (für mich) attraktiven Etikette. Zwar Mourvèdre und Carignan (gebietstypsche Rebsorten), dazu aber noch Cabernet franc und Cabernet sauvignon (gebietsfremde Sorten). Ich gebe zu, ich möchte vor allem typische Weine, nicht Weine mit internationalem Liebäugeln. Dieser Wein liebäugelt. Trotzdem kaufe ich ihn, eben auf Grund der Etikette. Und dann: ich bin überrascht. Ich finde darin Provence, natürlich Aromen von Provence-Krautern und – gottseidank: die reifen Kirschen und den Tabak ganz im Hintergrund – dafür gut geschliffene Tannine und sogar einen aufregenden Abgang. Ich hätte diesen Wein ohne das besondere Etikett nie gekauft. Und dies wäre jammerschade.

(Bild: Screenshot)
(Bild: Screenshot)

15. Juli 2018

 

Coopératve Fontésole: Les Larmes du Volcan 2016, Fontes, Languedoc, Frankreich 

 

Wieder so ein Wein, von dem man nicht spricht, geschweige denn darüber schreibt. Wenn ich trotzdem ein "Getrunken" verfasse, dann nicht, weil ich ihn eben getrunken habe, sondern weil er in seiner Bedeutungslosigkeit mir plötzlich etwas bedeutet. Nämlich die Erkenntnis (gewonnen aus der unmittelbaren Erfahrung), dass Wein trinken  und über Wein schreiben viel mit Glaubwürdigkeit zu tun hat. Auch der Wein muss glaubwürdig sein. Was heisst das? Er muss das geben, was er versprechen kann: ein Produkt der Natur zu sein, gewachsen in einer bestimmten Umgebung, ausgesetzt dem Klima, dem Wetter, verwurzelt in einem von der Natur geschaffenen Boden, begleitet vom Menschen auf dem Weg von der Traube zum Wein. Ich meine, da hat man - vor allem in grossen Weingebieten - manches falsch gemacht. Man hat zu lange die Reben einzig auf Ertrag getrimmt, auf dass mit der Masse der Lohn eingefahren werden kann. Dies funktioniert nicht mehr. Die Masse „Wein“ ist so riesig geworden, dass – einfaches Marktgesetz – die Preise zusammenkrachten. Dann besann man sich – immer häufiger – auf einen anderen Marktfaktor: den Geschmack der Käufer. Es wurde gedreht und geschraubt, gehätschelt und verfälscht, verbogen und geglättet, bis Weine (vor allem im Keller) entstanden, die im Mainstream des Weingeschmacks mit schwimmen konnten (oft auch nicht!). Die Glaubwürdigkeit des Weinmachens – gerade in Weinregionen – ging immer mehr verloren. Es gibt immer mehr Weine, die austauschbar sind – ich sage: beliebig sind - andere bezeichnen ihn dann als „international“. Dieser Wein – aus einer Coopérative – ist nicht international. Er ist authentisch. Er kann nicht mit klingendem Namen aufwarten, eigentlich nur mit seiner Ehrlichkeit. Dies beginnt bei den Rebsorten (Syrah, Grenache, Mourvèdre), setzt sich fort in der Vinifikation (kein Holz-Parfum) und endet beim Preis und seinem Marketing (kein Buhlen um irgendwelche Punkte oder einen Sonderstatus). Er ist infach Wein, guter Wein. Treffender gesagt ein „sauberer“ Wein, denn er steht zu seinen Aromen: leicht rauchig, verhalten fruchtig, in der Nase Kakao, im Gaumen die erwarteten dunklen Beeren. Schlicht, einfach, oder eben glaubwürdig.

(Bild aus Film vom Weingut)
(Bild aus Film vom Weingut)

15. Juli 2018

 

Puech-Haut: Pemière 2017,

Rosé, Saint-Drézéry, Languedoc, Frankreich

 

Wein soll Freude machen. Dies scheinen Weinliebhaber allzu oft zu vergessen. All das Drum-und-Dran, das fast alle Weine begleitet, von denen „les amateurs de vin“ schwärmen, ist meist wichtiger als es die Momente des Genusses sind. Rosé-Weine sind eigentlich nie Prestige-Weine. Viel eher Weine, von denen man sagt: „Na ja, im Sommer nicht schlecht, aber…“ Die prestigeträchtigen Punkte gibt es nur selten, fast nie. Der einstige Industrielle, Gérard Bru, der seine Firma verkauft hat, um in der Nähe von Montpellier ein Weingut aufzubauen, scheint diese Mentalität zu kennen. Er nennt deshalb seinen Rosé „Première“, also Erstaufführung seiner Weininszenierung. Premieren sind besonders festliche Vorstellungen, bei denen auch das Sehen und Gesehenwerden wichtig sind. Bei der Inszenierung von Rosé ist das Gegenteil der Fall. Man versteckt den Wein, anerkennt bestenfalls seine Frische und seine kurze Strahlkraft. Aber Gesprächsthema sind sie kaum, die Rosés. Sie werden in der Regel auch nicht beim Weinhändler oder gar beim Winzer gekauft, vielmehr im Supermarkt oder im Lebensmittel-Laden. So auch dieser Wein, der im „Huper U“, sehr auffällig, geradezu verlockend angeboten wird. Preis 10 Euro. Für einen Rosé - beim Grossverteiler-  schon fast ein stolzer Preis. Doch er lohnt sich: Der Wein ist zwar etwas gefällig (darf dies ein Wein nicht sein?), aber auch süffig, anders ausgedrückt: elegant, schön, ja sogar eigenwillig schön: zwar blass, attraktiv blass (ungeschminkt), mit zarten Noten von Zitrusfrüchten und Litschi. Obwohl er mit 13 vol% eher kräftg oder schwer sein müsste, ist er leicht und vor allem durststillend. Eine Eigenschaft, die man beim Wein kaum zu erwähnen wagt.

Foto:  Scala dei, Costers del Siurana
Foto: Scala dei, Costers del Siurana

03. Juli 2018

 

Costers del Siurana:  Miserere 1995, Priorat, Katalonien, Spanien

 

 Lustloses Weintrinken. Das gibt es, gottseidank nicht allzu oft. Der Name, der Jahrgang und das Weingebiet sind wichtige Parameter, um Langeweile gar nicht erst aufkommen zu lassen. Im Augenblick beschäftige ich mich mit Weinen aus dem Priorat. Auch mit sogenannte «kleine Weinen», deren Namen ich bisher noch nicht kannte. Ob "gross" oder "klein", sie alle haben bisher Geschichten erzählt: aufregende, beruhigende, lustvolle, geheimnisvolle… Dieser Wein aber erzählt nichts. Schon in der Nase wirkt er dumpf, irgendwie abgestanden, kellerig. Im Gaumen dann:zwar trinkbar, nicht fehlerhaft – aber gepresst und dumpf. Nichts von Aufmüpfigkeit, nichts von Fröhlichkeit, selbst die Harmonie ist ihm abhanden gekommen. Das Geheimnis – so es ein Geheimnis ist – liegt weder im Namen, noch in den Rebsorten (Cariñena, Grenache und wohl noch etwas Cabernet Sauvignon und Merlot) und schon gar nicht im Weingebiet. Das Priorat bringt heute mehrheitlich grossarige Weine hervor.. Es liegt vielmehr am Jahrgang – 1995 –, der zwar «hervorragend» war, aber immerhin 23 Jahre zurück liegt. Gewohnt an Bordeaux-Weinjahre, habe ich keinen Moment daran gezweifelt, dass sich dieser Wein – gerade wegen seiner lange Flaschenreifung – noch mit Lust und Spass zu trinken ist. Icvh habe ihn – im Augenblick "prioratsüchtig" – in einer Auktion erstanden. Nicht für «grosses Geld», eher im Schnäppchenbereich. Mein Vertrauen war offensichtlich zu grenzenlos. Es war – um es einfach zu sagen – ein Fehlkauf. Obwohl ich Altweine den jugendlichen Fruchtbomben vorziehe, und mit «Altweinen» immer wieder grossartige sensorische Erfahrungen mache, liess mich der Wein im Stich. Das Alter kann wirklich zu Grossartigem führen- Doch einfach nur zu hoffen (und zu glauben), das Alter bringe es dann schon, darf (muss) als weintöricht bezeichnet werden. Nicht der Wein ist töricht, der Konsument ist es, der ein Wein so kraftlos werden lässt, bis er keine Geschichten mehr erzählt, keine Geschichten mehr erzählen kann.

18. Juni 2019

 

Gernod&Heike Heinrich: Pannobile 2008, Zweigelt und Blaufränkisch, Burgenland, Österreich

 

Vor einem Jahr (erst) habe ich „Pannobile“ kennengelernt. Ich war auf eine Weintour in Österreich. Da kommt man an „Pannobile“ kaum vorbei. „Pannobile“? Eine Winzervereinigung, die 1994 gegründet wurde um besonders gute Lagen im Burgenland (und einheimische Rebsorten) unter einem gemeinsamen Label zu vermarkten. Jeder und jede der (heute) elf Pannobile-Winzer und -Winzerinnen darf jedes Jahr zwei Weine „ins Rennen schicken“, einen weissen und einen roten. Der Rote, der nur aus vollreifen Trauben von Zweigelt, Blaufränkisch und St. Laurent bestehen darf und zwar aus Lagen, die von der Gemeinschaft (Pannobile-Lagen) genau definiert sind. Jeder der Winzer hat seinen eigenen Stil, jeder der Weine seinen eigenen Charakter. Nur die Qualitäten (und die Vorgaben von Pannobile) müssen stimmen. Entschieden wird von den Winzern und Winzerinnen der Gemeinschaft - nach einer gemeinsamen Verkostung und Diskussion. Es ist schon der vierte Wein, den ich von Pannobile jetzt getrunken habe und jedes Mal – ich muss es gestehen – bin ich nicht nur zufrieden, sogar begeistert. Pannobile ist mehr als ein Gütesiegel – vor allem beim Roten. Es ist ein Stück echtes Burgenland, unverkennbar und doch alles andere als einheitlich oder gar eintönig. Man spürt - trotz der Einschränkungen der Winzer - wie ein einheimische Wein auch zu kann, wenn er international Anerkennung finden soll. Anders als beim Bordeaux – wo einzig die internationale Vermarktung zählt – wird hier die Eigenständigkeit betont: Eigenständigkeit in Bezug auf die Rebsorten, Eigenständigkeit aber auch in der Nutzung der natürlichen Gegebenheiten wie Boden, Klima, Lage etc. Warum hat es so lange gedauert, bis Pannobile auch bei mir „angekommen“ ist?  Einerseits liegt es wohl daran, dass  österreichische Wein in der Schweiz es schwer haben (zu gross ist die Konkurrenz anderer Weinland-Nachbarn), andererseits ist das „Experiment“ einer Winzergmeinschaft, die jährlich höchstens zwei Weine pro Weingut anbietet, daneben aber allen Beteiligten volle Eigenständigkeit und Freiheit lässt, ungewöhnlich. Man kennt eher die Namen der einzelnen Winzer und Winzerinnen und schwärmt für den einen oder anderen ihrer Weine. Dabei kann der Grundgedanke der Gemeinschaft – gleiche Rebsorten, gleiche Philosophie, aber unterschiedliches Handwerk und unterschiedliche Vorlieben – für jeden Weinfreund ein Erlebnis sein, eine Erfahrung, die Wein wieder viel stärker vom Keller (Vinifikation) löst und sich dort orientiert, wo er geschaffen wurde. Unverwechselbar in einem wunderschönen Weinland, in einer einmaligen Weinregion.

18. Juni 2019

 

Celler Escoda Rivero: Prior Pons 2004, La Vilella Alta, Priorat, Katalonien, Spanien

 

Bei Weinen, die ich nicht oder nur flüchtig kenne, Pflege ich die Angaben der Weinführer (und auch jene der Produzenten) zu konsultieren und zwar erst dann, wenn ich meine Degustationsnotizen gemacht habe. Diese Kontrolle dient der Verifizierung von grundlegenden Informationen. Zumindest bewusst lasse ich mich dabei von Urteilen (und den meist eintönigen Beschreibungen) kaum beeinflussen. Mein Selbstbewusstsein als kritische Weintrinken hätschelt den eigenen Stolz. Doch diesmal hat die Übersetzung aus dem Katalanischen eine Beschreibung kreiert, die mir gefallen hat und mich noch immer beschäftigt:  «Langer Spaziergang im Mund». Genau, das ist es, was der Wein in meinem Mund unternimmt: einen Spaziergang - und erst noch einen langen. Spaziergänge sind entweder langweilig (ich erinnere mich an die Zwangsspaziergänge mit meinen Eltern!) oder sie sind spannend, öffnen neue Sichten, appellieren an Gefühle, vermischen Staunen und Vertrautheit, sind geschaffen um immer wieder etwas Neues zu erleben. Genau das macht dieser Wein. Äusserlich ein Kraftprotz, innerlich voll Sanftheit, Gefühle, Verführungskraft. Eigentlich war ich skeptisch, fast wie ein Junge, der gar nicht gern auf Spaziergänge geht. Zuviel Cabernet Sauvignon (ca. 40%), zu wenig Grenache (15%) – meine bevorzugte Rebsorte im Priorat. Überhaupt habe ich Mühe mit Cabernet Sauvignon, die jedem Wein einen «internationalen Touch» gibt. Motzend wackle ich auf solchen Spaziergängen hinterher- heute noch - nichts vermag meine stocksaure Laune zu verbessern. Nicht so hier: Der Mundspaziergang ist spannend, emotional, abwechslungsreich, interessant… kurzum von jener Qualität, die ich leider nur selten antreffe. Keine ausgefahrenen Wege, kein Déja-vu. Auf dem Weg begegne ich typischen spanischen Tapenaden, die ich so liebe; exotischen Früchten, die ich verehre; eine Tiefe, die mich fast erschaudern lässt und eine Fröhlichkeit, die ansteckend ist. Dies hätte ich dem Wein nicht zugetraut, es aber erlebt, dank Mundspaziergang.

30. Mai 2018

 

Unterganzner, Erbhof Josephus Mayr:

Lamrein, Lagreintrauben, Kardaun / Bozen, Italien

 

Beim Wein ist es wie im Leben: ab und zu tritt man in ein «Fettnäpfchen», ab und zu in ein «Paradies», in ein Weinparadies. Eigentlich waren hier die Voraussetzungen für das Fettnäpfchen, gegeben; dass ich in ein wahres, kleines Paradies eintreten durfte, ist dem Zufall – und vielleicht meiner Liebe zur Kunst – zu verdanken. Der Wein war ein «Findelkind» in einer Auktion, eingeklemmt in eine Reihe von hochberühmter Namen. Niemand im Saal hat ihn beachtet, obwohl er - wie ich später feststellte – zu den berühmtesten Weinen Italiens zählt. Zumindest in der Schweiz hat man dies kaum zur Kenntnis genommen, denn Vorurteile leben unglaublich lang. Das Südtirol ist – in Bezug auf Wein – hierzulande geradezu ein Eldorado der Vorurteile. «Kalterer» und "Magdalener" wurden als billige, offene Dutzendwein nahezu in jeder «Beitz» (einfache traditionelle Wirtschaft) angeboten. Weinkenner rümpfen noch immer die Nase, obwohl diese Tradition längst vorbei ist und auch Südtiroler Weine einen beachtlichen Status erworben haben. Doch das Wissen um die Südtiroler ist irgendwo stecken geblieben, leider auch bei mir. Dieser Wein hat mein Interesse geweckt, auf Grund der Etikette mit einer  eine Radierung von Markus Vallazza, einem bekannten Südtiroler Künstler. Er war mir ein Begriff, noch mehr aber sein Sujet, die historische Figur Oswald von Wolkenstein, Dichter, Komponist, Künstler, Ritter des späten Mittelalters. Ein Wein, der auf dem Etikett diesem in der Kultur tief verwurzelten Menschen die Ehre erweist, muss etwas Besonderes sein. Auch etwas Besseres? Wow, etwas Nochbesseres. Ein Wein, der nur so strotzt von Kraft, Aromen, Harmonie, Eigenwilligkeit, Tiefe und – man erlaube mir den Begriff – Schönheit. Nicht Gefälligkeit, vielmehr Einmaligkeit, Charakterstärke und Aromenreichtum. Im Glas: dunkelblau, näher dem Schwarz als dem Rot. Wer auf Grund der Farbe eine «Bombe» erwartet, ist überrascht von seiner Weichheit und Würze. Es ist der Augenblick wo Kraft zu Samt wird, wo Wein zum grossen Erlebnis findet.

 

Foto: Enoturismo
Foto: Enoturismo

18. Mai 2018

 

Rucahue Malbec Single Vineyard : Malbec 2013, Loncomilla Valley, Chile

 

Es gibt Weine, von den man kaum spricht. Man trinkt sie. Man trinkt sie sogar gerne. Es sind Weine der «vernünftigen» Preisklasse. Was heisst da «vernünftig»? Wein – ein Genussprodukt – hat, wie alle Genussprodukte, oft wenig mit Vernunft zu tun: eher mit Zuneigung, mit Liebe, mit Leidenschaft und – dies darf nicht übersehen werden – mit Prestige. So gibt es beim Wein – wie bei allen sogenannten Luxusgütern – so etwas wie eine Klasseneinteilung:
Weine des Alltags, meist als Begleitung beim Essen, Weine der Beiläufigkeit. Kriterium: Sie müssen «schmecken» und im preislich im Verhältnis zur Mahlzeit stehen. Es sind Weine, die vor allem bei Discountern oder im Dorf- oder Quartierladen gekauft werden. Die Frage nach Produktion, Traubensorte, Winzer oder gar Qualität taucht kaum auf, von Luxus redet da niemand.
Dann die Weine des Genusses, meist ausgesuchte Weine, in der Regel auch mit mehr oder weniger «Prestige» behaftet. Sie sollen etwas Besonderes sein. Weine, die man nicht einfach nur trinkt, sondern geniesst, auch darüber spricht. Die nicht in einfach in einem Gestell aufgereiht sind , sondern bewusst gewählt, ausgewählt wurden. Ausgewählt, mit mehr oder weniger Weinkenntnissen.
Schliesslich sind da noch die Weine der «Luxusklasse». Weine, für die man bereit ist, mehr zu bezahlen, viel, je nach dem auch mal zu viel. Es sind Weine der Leidenschaft. Für Weinliebhaber: Weine des höchsten Genusses. Dieser Genuss ist zu steigern (real oder eingebildet) bis man dafür kaum mehr Worte findet. «Geil», ist da der in Mode gekommene Ausdruck. Es sind Weine, die meist auch einen «Handelswert» haben, auch mal Investitionsweine, die sich nach dem Prinzip «Angebot und Nachfrage» ihren Wert erobern.
Zurück zu meinem Chilenen. Er fällt wohl – wie so mancher Wein – aus diesen drei Kategorien. Preislich liegt er eher im Segment der Alltagsweine. Auch mit wenig mit Prestige behaftet. Die Traubensorte «Malbec» ist hierzulande geschmacklich nicht massenkonform. Wenn schon Malbec, dann müsste er aus Argentinien stammen, nicht aus Chile, einem Land, das eher der Massenproduktion zuordnet wird (obwohl dies längst nicht mehr stimmt). Also ein Wein, der durch die «Maschen fällt». Zumindest in der Weinkritik und im Bewusstsein der Weinliebhaber. Schade, denn der Wein ist gut. Eher eigenständig als elegant, eher charaktervoll als geschmeidig, eher aussagekräftig als beiläufig, eher bestimmt als nebulös in den Aromen und im Gesamteindruck. Ich liebe diese Art von «Alltagsweinen», weil sie sich dem Alltag entziehen und doch nicht auf das Podest der «Fest- oder Genussweine» gestellt werden. An unserem Alltagstisch ist der Ausdruck gefallen: «ein gutes Weinchen».

15. Mai 2018

 

Vinyes de Manyetes: Solertia 2008, Gratallops, Priorat, Katalonien, Spanien

 

 

Meine «Entdeckungsreise» durchs Priorat geht weiter. Dieses Mal mit dem Wörterbuch in der Hand: «Solertia» oder «Sollerita» bedeutet so viel wie «die Schläue, geistige Gewandtheit, Geschicklichkeit, Anstelligkeit». Mühsam hervorgekramt aus alten (verhassten) Lateinerzeiten. Doch irgendwie gefällt mir der Begriff, auch wenn er so eindeutig nicht ist. Irgendwie vermittelt er den Eindruck von etwas Geheimnisvollem, vielleicht sogar (abgeleitet): von Bauernschläue. Jedenfalls ist der Wein kein «gewöhnlicher» Wein, keine Garnacha-Bombe. Er bewegt sich auch nicht am oberen Limit des Alkoholvolumens (Vol.%), zeigt viel Mineralik, Fleisch und Schmelz. Ein fleischiger Wein also: nein, ganz und gar nicht. Eher auf der fröhlichen, «luftigen», verführerischen Seite. Man darf sich nicht täuschen lassen vom Auge, das den Wein in die dunkelste Ecke schiebt: schon fast schwarz, blauschwarz. Beim ersten Schluck meint man, der Wein müsse die Zunge belasten, die Schwere in den Gaumen tragen. Nichts von dem: vielmehr fröhliche, bestimmte Harmonie. Ein Genusswerk, das tief und fein gewoben ist. Ich gebe zu, dass mir Cabernet Sauvignon- und/oder Syrah-Anteile eher im Garnacha eher suspekt sind. Ich meine die Eigenständigkeit einer Rebsorte «verbindlich», nehmen ihm die Originalität. Aber nicht hier, in diesem gereiften, eigenständigen bis eigenwilligen Wein. Also doch Schläue? Vielleicht doch die Schlauheit von René Barbier (Clos Mogador), der dem Wein in den «Geburtsjahren» (aus dem dieser 2008er stammt) noch Pate gestanden ist. Ehrlich gesagt, ich würde jetzt gerne einen halb-so-alten «Solertia» zum Vergleich herbeiziehen. Weine aus der Kategorie «zehn Jahre darnach» sind gar nicht so einfach zu bewerten. Die sonst übliche «^Momentaufnahme» hat sich da meist zum festen Charakter entwickelt. 

12. Mai 2018

 

Château Lagrange 1982, 3ème cru classé, Saint-Julien, Bordeaux, Frankreich

 

Diese Flasche habe ich gehütet wie meinen Augapfel. Es war der erste 82er-Bordeaux in meinem Keller. Ein Wein aus einem sogenannten «Jahrhundert-Weinjahr». Er war so etwas wie das Grundinventar zu meiner Bordeaux-Sammlung, mit der ich in den späten Achzigerjahren begonnen habe. Damals wusste ich noch so gut wie nichts von «Urbi und Orbi», den der Bordeaux-Papst Parker Jahr für Jahr verkündet: «Als ich im April 1983 im ‘Wine Advocate’ meinen Bericht über den 1982er veröffentlichte, brach ich zum Ausdruck, dass ich nie zuvor reichhaltigere, konzentriertere, vielversprechendere Weine gekostet habe…er ist nach wie vor der Bezugspunkt für die Grösse, die ein Bordeaux erreichen kann.» Sein Punktesegen labte damals noch nicht mein Herz und sprengte nicht mein Portemonnaie. Es war einfach ein Wein aus einem guten Jahr, der meiner miserablen Startphase in Sachen Bordeaux (in den frühen 90er-Jahren) etwas Hoffnung gab. Doch ich musste noch lange warten, bis ich von einem vergleichbaren Jahr mehr Flaschen subskribieren konnte. Denn das vergleichbare Jahr 1990, war für mich damals einfach unerschwinglich, zu teuer. So blieb dieser 82er aus Saint-Julien für lange Zeit so etwas wie das Prunkstück im Keller. Unangetastet bis gestern, obwohl ich später erfahren musste, dass dieser Wein dem Bordeaux-Papst nur 85 oder 86 Punkte Wert war. Doch, was scheren mich Punkte, wenn es um einen Mythos geht, den Mythos vom Jahrhundert-Jahrgang. Jetzt, gut dreissig Jahre später wollte ich es doch wissen. Inzwischen ist es ja ein «alter Wein» geworden. Er ist mit mir zusammen gealtert. Als gestern Freunde – auch Weinliebhaber – zu Besuch kamen, holte ich auch diese Flasche aus dem Keller. Wir begannen einen kleinen «Tour d'horizon» - mit vier ganz unterschiedlichen Bordeaux – mit dem altgedienten Lagrange 1082: Noch immer leicht fruchtige Noten, voll ausgereift, harmonisch, offen – ja charmant, ausdrucksstark, mit vibrierendem, halligem Abgang. Ein guter Altwein. Ein hervorragendes Beispiel, was aus einem Wein werden kann, wenn man ihn werden lässt. Und er blieb der Wein der Runde, auch als angeblich höherwertige Weine ins Glas kamen: ein Sechsundachtziger, ein Neunziger, ein Zweitausender. Berühmtere Namen, doch keiner war überzeugender.

07. Mai 2018

 

Cave Rhodan, Olivier und Sandra Mounir: Cornlin 2016, Salgesch, Wallis, Schweiz

 

Mein «Dauerkampf» um gute Weine in Speise-Restaurants (zu «moderaten» Preisen) ist nicht ganz neu. Es scheint einfach unglaublich schwer zu sein, dass Wirte auf ihr Angebot an guten Tischweinen ihr besonderes Augenmerk richten. Oft wird angeboten, was ihre Getränkelieferanten an Wein im Programm haben oder es wird – einzig auf den guten Preis achtend - von Wein-Grosslieferanten bezogen, die nicht selten auch die Kalkulation und die Weinkarte mitliefern. Vielen Wirten fehlen auch spezielle Sommelier-Kenntnisse, so dass beim Tischwein eine unglaubliche Beliebigkeit die Regel ist. Auch der Irrglaube, es müsse ein möglichst breites Regionen-Spektrum sein, führt zu unbefriedigenden Weinangeboten. Anders in einem Lokal meiner Region, das eigentlich vor allem eine Bäckerei und kein ausgesprochenes Speiserestaurant ist. Hier werden (fast ausschliesslich) Weine von einem einzigen Weingut angeboten. Keine riesige Auswahl, nur eine oder zwei der üblichen Rebsorten (aus der der Schweiz). Beim Weissen: einen Fendant (Johnannisberg) und zwei Spezialitäten aus dem Wallis: Heida und Petite Arvine; bei den Roten: Pinet noir und ein Dòle, dazu die autochthone Rebsorte «Cornalin». Also keine grosse Auswahl, dafür eine ausgezeichnete, auch qualitativ beachtlich. Als Organisator eines Banketts habe ich den «Cornalin» gewählt. Warum? Weil es kein Wein ist, der überall auf der Karte steht und doch «mehrheitsfähig» ist. Es ist eine der ältesten Rebsorten der Schweiz: dunkel, mit konzentrierter Frucht, milder Säure und weichen Tanninen. Gerade als junger Weine – im Restaurant sind es fast immer junge Weine, die angeboten werden – hat er vertraute Aromen: Sauerkirschen, Waldbeeren, Nelken. Vor allem aber ist er kräftig und trotz seiner Verbindlichkeit von eigenwilligem Charakter. Nicht nur die Tischrunde war voller Lob, ich auch. Meine neue Erfahrung: geht halt doch, auch in nicht auf Wein spezialisierten Gaststätten.

03. Mai 2018

 

Bernard Magrez: Château Pape Clément 1996, Pessac-Léognan, Bordeaux, Frankreich

 

Die Unterscheidung zwischen Alltagswein und Sonntags- oder Festtagswein ist eher albern und gar nicht wein- und genusskonform. Sie bezieht sich - im Grunde genommen - ausschliesslich auf den Preis. An besonderen Tagen – zum Beispiel an Sonn- und Festtagen – ist man eher bereit, etwas auszugeben für den Genuss, etwas grosszügiger zu sein – auch mit sich selbst. An Werktagen, das ist der Alltag, für den hat man in der Regel auch ein imaginäres Wein-Budget, selbst wenn ein Wein längst bezahlt ist und im Keller liegt. Ich ertappe mich selber bei diesem Denken, obwohl ich dies – nicht nur nach aussen – vehement bestreiten würde. Die Logik ist aber einfach: besondere Tage rufen nach etwas Besonderem, auch – oder vor allem – beim Wein. Bei einem guten Glas mit einem Gast oder an einem geschäftlich oder prestigebeladenen Anlass ist dies klar. Da muss etwas Besonderes ins her. Aber, was ist besonders? Da spielen auch das Prestigedenken mit, eine besondere Wertschätzung oder berechnende Überlegungen. Das ist verständlich und durchaus auch «menschlich». Gerade beim ist das Renommee einer «guten Flasche» ein beliebtes Tummel- und Spielfeld. Die Bordeaux sind grundsätzlich dazu geeignet. Prestige-Weine für Festanlässe. Vor allem jene aus Châteaux mit hohem Ansehen (die verhältnismässig viel – oder mehr – kosten). Pape Clément ist so ein Wein. Vorbehalten für besondere Momente, also ein klassischer «Festtagswein». Nicht ganz so teuer wie die Weine aus dem fast benachbarten Haut-Brion, sein Preis: in «guten Jahren» deutlich über hundert Franken. Trotzdem kam er gestern – an einem ganz gewöhnlichen Tag – bei uns auf den Tisch. Irgendwie schauten wir schon andächtig oder ehrfurchtsvoll drein. Der letzte Besuch auf dem Schloss, die wunderschöne Anlage mitten in der Vorstadt, die edle Präsentation, der grosse Park, das Glashaus von Gustave Eiffel in bestem Jugendstil – all das kam mir in den Sinn und wurde so quasi mitgeliefert mit dem Wein. Und der Wein selber? Ein hervorragender Wein, sicher. Trotz des Alters mit tiefdringender Frucht, in fast zärtliche Reinheit und Finesse. Kein Bluffer, auch nicht allzu kräftig, vielmehr elegant und vornehm. Doch ich frage mich: was wäre der Wein ohne sein Renommee, ohne seinen prestigeträchtigen Ruf? Er wäre das, was er ist: ein sehr guter Wein, der mir durchaus an dem einen Tag Festtagsfreuden bringen kann; an einem anderen aber ganz anders ankommt: unauffällig, sogar bescheiden, alltäglich. Die Tatsache aber bleibt:: es ist einer der besten 96er, der sich in mehr als zwanzig Jahre hervorragend entwickelt hat. Mit seinem eigenen Stil. «Alte Schule» habe ich irgendwo gelesen, ist durchaus nachzuvollziehen. Ein richtiger Festtagswein?  Preislich bestimmt, doch der Genuss hat auch an Festtagen seine eigene Richtschnur und diese richtet sich - gottlob - nur selten nach dem Preis.

Marquise de Pompadour (Gemälde von François Boucher)
Marquise de Pompadour (Gemälde von François Boucher)

21. April 2018

 

Cave Coopérative de Castelmaure SCV: La Pompadour 2015, Corbières, Languedoc, Frankreich

 

Ab und zu gibt es Weine, von denen ich ein zwei Flaschen auf Grund des Namens und/oder der Etikette kaufe. La Pompadour ist so ein Wein. Der Name erinnert an eine der berühmtesten Maitressen der französischen Könige. Sie war die Geliebte von Ludwig XV, der von 1710–1774 König von Frankreich war und die Jean-Antoinette Poisson im Jahr 1745 „ nicht nur zu seiner offiziellen Mätresse machte, der ersten Bürgerlichen mit diesem Status am französischen Hof überhaupt, sondern sie im Juli desselben Jahres auch zur Marquise de Pompadour mit Landsitz und eigenem Wappen erhob. Obwohl ihr vertrauter Verkehr mit dem König nur bis 1751 dauerte, behielt sie die Stellung als offizielle Mätresse bis zu ihrem Tod 1764“ (Quelle: wikipedia)

Natürlich hat dies nicht viel mit dem Wein zu tun. Ein Name nur – und doch eine Anspielung auf eine schöne und berühmte Dame, die über Jahre recht viel Einfluss am königlichen Hof hatte. Der Wein ist auch eine Homage an die Familie Pompadour, welche in der Gegend, wo heute dieser Wein wächst, lange regiert hat, bevor die Kurtisane in Versailles eingezogen ist. Mich faszinieren solche Assoziationen und auch historische Hintergründe beim Wein, auch wenn es nur der Name ist. Dies kann auch Anlass sein, nachzudenken, zu sinnieren, vielleicht sogar nachzuschlagen, was es zu dem Wein auch noch zu sagen gäbe.

In diesem Fall ist wohl eine Aussage des verantwortlichen Weinmachers: „Wir  träumten wir von einem Marquise-Wein, fein geschliffen…“ Der Name des Weins ist also nicht Zufall, auch nicht nur eine historische  Erinnerung an die Familie Pompadour. Er ist auch Programm: „ein Marquise-Wein“. Nun hat das Wort Marquise eine ganze Reihe von Bedeutungen: ein Schirmtyp, ein Stoffvordach, ein Schmucksteinschliff… und natürlich ein französischer Adelstitel. Um diesen Adelstitel geht es wohl und um den Reiz der Marquise, die selbst einen König bezaubern konnte. Charmant, edel, elegant, seidig, reif, verführerisch, so die Attribute zum Wein. Er heisst ja nicht zufällig „La“ Pompadur, also die Pompadur und damit kann nur die Marquise gemeint sein, die von Ludwig XV geadelt wurde. So „daneben“ sind diese Bezeichnungen nicht. La Pompadur ist zugänglich, sogar diplomatisch, kräftig und weich zugleich, verführerisch und selbstbewusst, auch typisch für Südfrankreich und doch eigenständig als Wein. Ein vergnüglicher Wein.

 

18. April 2018

  

Château Ollieux Romanis: Cuvée Classique 2016, Corbières, Languedoc, Frankreich

 

 

Ein Weinliebhaber kennt - in der Regel – die „Flaggschiffe“  der bekanntesten Weingüter aus verschiedenen - vielleicht sogar aus vielen – Weinregionen. Mehr sicher nicht, es sei denn, er (oder sie) hat sich einer bestimmten Region, einer bestimmten Rebsorte oder einem bestimmten Weinstil ganz zugewandt. Meist sind es Urlaubseindrücke oder Empfehlungen eines Weinhändlers, welche die Liebe zu einem Weingebiet oder einem Weinstil wecken. Auch mir ist es so ergangen. Da kam ich vor gut dreissig Jahren in den Süden Frankreichs, in ein riesiges Weingebiet, das damals noch weitgehend schlief. Mehr noch, es produzierte namenlose Massenweine, die mich an die „Algerier“ erinnerten, die wir in der Studentenzeit fast ausnahmslos getrunken haben. Dann aber lernte ich die  Weinregion Languedoc-Roussillon kennen und schätzen. Zuerst waren es ein paar wenige Weine und „Mustergüter“, noch nicht sehr viele. Allmählich wurden es mehr. Auch meine Liebe zu diesen regionalen Weinen wuchs und mit ihr auch das Interesse. Heute kenne ich weit über hundert Produzenten der verschiedenen Appellationen. Was heisst da „kennen“? Ich kenne ihre Namen, ihre Bedeutung, meist auch ihre „Philosophie“ bezüglich des Weins. Doch kenne ich auch ihre Weine? Da muss ich gestehen: im Grunde fast nur ihre „Flaggschiffe“. Also die Prestigeweine vieler Weingüter. So auch bei diesem Château. Seine „Flaggschiffe“ – den „Atal Sia“ oder die„Cuvée Or“ habe ich mehrmals getrunken und auch beschrieben. Aber die Cuvée Classique – einen der gewöhnlicheren – sagen wir: weniger anspruchsvollen Weine des Weinguts – immerhin mit einem jährlichen Ausstoss von weit mehr als 100‘000 Flaschen – habe ich bisher noch nie getrunken. Dabei ist es ein guter, ein sehr guter Wein, der – wie so viele Weine – im grossen Angebot der Languedoc-Weine untertaucht, zwar rege getrunken wird (nicht nur lokal, regional), durchaus auch international. Das heisst: er ist in ganz Frankreich, auch in Deutschland und weitere Ländern erhältlich. Nur darüber reden oder schreiben: das tut bestenfalls der Händler oder die Werbung. Dabei ist es ein durchaus beachtlicher Wein: klassisch, das heisst ein Verschnitt von Carignan, Grenache und Syrah (den wichtigsten Rebsorten der Region) und zwar so dezent vinifiziert, dass man den Ausdruck „sanft“, vielleicht sogar „warm“ verwenden darf. Unauffällig – aber nachhaltig. Die angepriesenen Aromen – Brombeere, Kirsche, Mokka, Johannisbeere etc. – sind durchaus wahrnehmbar, aber nicht aufgesetzt. So harmonisch in Tannine gewoben, dass sie ein Ganzes bilden, einen in sich geschlossenen guten Wein.

(Foto aus der Filmpräsentation des Château)
(Foto aus der Filmpräsentation des Château)

08. April 2018

 

Château Poujeaux 1996, Moulis, Cru Bourgeois, Haut-Médoc, Bordeaux, Frankreich

 

Es ist - nach allgemeinem Sprachgebrauch - ein "kleiner" Wein. Gemäss der in fast Stein (oder Marmor) gemeisselten  Hierarchie in Bordeaux "nur" ein Cru Bourgeois und "nur" aus der Gemeindeappellation Moulis, einer der zwei Appellationen im Médoc, die keine Weine mit der Bezeichnung "Grand Cru Classé" haben. Entsprechend ist auch sein Preis (um 30 Franken, je nach Jahrgang), der sich nach strengen hierarchischen Regeln richtet (weniger stark nach der Qualität). Doch Poujeaux ist seit vielen, vielen Jahren ein sehr zuverlässiger, ein sehr guter Wein. Er wird von Parker zwar lobend erwähnt, erntet aber kaum mehr als 88 Punkte. "Man ist sich unter Fachleuten einig", dass die beiden Weingüter Chasse-Spleen und Poujeaux "die besten Weine von Moulis erzeugen". Der Preis und die verlässliche Qualität sind die wichtigsten Gründe, warum Poujeaux immer auch rege subskribiert wird. So auch von mir, vor zwanzig Jahren, schon damals für 34. Franken die Flasche - also etwa zum heutigen Preis. Die Frage stellt sich aber - wie bei allen Bordeaux dieser Kategorie: Hat es sich gelohnt, sie im Keller zwanzig Jahre liegen zu lassen oder sind sie sie bereits abgebaut, haben sie den Zenit überschritten? In der Regel ist es tatsächlich so, dass die Weine dieser Kategorie jung zu trinken sind. Meist nach der "Faustregel", so im Alter von zehn Jahren. Dieser Poujeaux hat gut das doppelte an Jahren hinter sich und er ist noch voll da. Reif natürlich, vielleicht nicht mehr das, was man gerne als "sexy" bezeichnet, sondern altersgeklärt, Nicht mehr so spitz und angriffig wie in seinen jungen Jahren. Dafür gut strukturiert, ausgeglichen, mit mehr Wein- und nicht (mehr) nur Eichenholzintensität. Ein Abendwein - möchte ich fast sagen. Er bringt keine unruhige Nacht, vielmehr - wie hier - wohlige Erinnerung an den ersten schönen Sommerabend dieses Frühlings, der begleitet  wurde durch ein Steak vom Grill (Barbecue) und diesem "kleinen" Wein, der in meiner Wahrnehmung richtig gross geworden ist. 

03. April 2018

 

Château Mouton-Rothschild 1997, 1er Cru Classé, Pauillac, Bordeaux, Frankreich

 

 

Wenn man vom Mouton-Rothschild spricht – von einem der fünf Premier Cru Classé –  denkt man unmittelbar auch an Kunst. Bei dieser Flasche ganz besonders, ist doch der Jahrgang 97 eher bescheiden ausgefallen. Generell kurzlebig, meint Parker: «Aufgrund rascher Entwicklung werden die Weine, mit Ausnahme der am stärksten konzentrierten, in 10 bis 12 Jahren ihren Höhepunkt überschritten haben.» Es sind jetzt gut zwanzig Jahre vergangen, der «Abstieg» ist längst programmiert. Dass der Wein – vor allem in der Schweiz – noch immer rar und teuer ist, verdankt er vor allem der Etikette, gestaltet von der französisch-schweizerische Künstlerin Niki de Saint Phalle. Sie durfte in diesem Jahr die Etikette gestalten, zehn Jahre nach Hans Erni, dem andere Schweizerkünstler, dem diese Ehre zugefallen war, ebenfalls in einem eher schwachen Wein-Jahr. Bringt es die Kunst, die eigentlich mit der Qualität des Weins zu tun hat, welche die beiden Jahrgänge (zumindest in der Schweiz) der Vergessenheit entreisst?  Jedenfalls blieb der Wein – als einer der wenigen des Jahrgangs 1997 – in meinem Keller, wohl eher aus Ehrfurcht oder Anerkennung der Künstlerin, der Schöpferin der berühmten «Nana», denn auf Grund des zu erwarteten Weingenusses. Ich traute dem Jahrgang nicht. Doch welche Überraschung! Der Wein – kaum im Glas – entwickelt sich schon beim ersten Schluck zur kleinen Sensation, die 92 Parker-Punkte weit überflügelnd: fruchtig, schmelzig, harmonisch, rund, warm, würzig, abgeklärt. Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Jahren einmal so viele (positive) Eigenschaften einem Mouton zugeschanzt zu haben. Aus der vermeintlichen «Versenkung» entstieg eine charaktervolle Schönheit. Parker scheint es vorausgeahnt zu haben (und das habe ich erst jetzt, nachträglich gelesen!): «Es würde mich nicht überraschen, wenn dieser Wein mindestens zwei Jahrzehnte überdauern und sich damit als einer der langlebigeren 1997er erweisen sollte.» Diese Parker-Notiz stammt aus dem Jahr 1998, als der Wein noch in den Fässern ruhte. Jetzt, zwanzig Jahre später, wissen wir es. Parker hat Recht bekommen. Dies versöhnt mich, mit Parker, dessen Liebe zu einer oft pompöser Weinstilistik mich immer wieder ärgert, aber auch mit dem Wein von Mouton, der für mich fast immer überschätzt wird. 

(Bild:  aus Galerie des Weinguts)
(Bild: aus Galerie des Weinguts)

31. März 2018

 

Cims de Porrera: Vi de la Villa Porrera 2013, Garnacha/Carinyena/Syrah/ Cabernet Sauvignon, Priorat, Katalonien, Spanien

 

Der Wein gehört eigentlich in meine Reihe von Gastroweine und damit zum gutes, nein, leuchtenden Beispiel auf den sonst so uniformen Weinkarten in Speiserestaurants. Wann findet man da schon einen Priorat-Wein? Und erst noch einen mit bekanntem Namen aus einem kooperativ arbeitenden Weingut, das fast schon Kultstatus hat. Kultstatus, weil man da bemüht ist, sehr gute Weine zu machen, die eindeutig aus einer bestimmten Weinregion kommen und diese zu einem nichtkultigen Preis anzubieten. Ideal also für Wein auf einer guten Weinkarte, in einem guten Restaurant. Das einzige, was ich dem Wein «ankreiden» kann, das ist sein Alter, respektive seine Jugend und – aber das ist mein persönlicher Geschmack – der zwar kleine Anteil an Cabernet sauvignon in dem sonst «typischen» Priorat-Cuvée. Der Name des Weins weist auf das Ziel hin, einen unverwechselbaren Wein aus der Gemeinde Porrera (ca. 500 Einwohner) anzubieten, einen Wein der aber auch international konkurrenzfähig ist. «Energisch und angenehm zugleich», so wirbt der Importeur in der Schweiz. Was er wohl damit meint? Energisch: vielleicht der eher unverbindlicher Ausdruck für Persönlichkeit, für Einmaligkeit, für Unverwechselbarkeit. So mag das Schlagwort stimmen. Einfacher zu interpretieren ist die Eigenschaft «angenehm». «Trinkig» kann man auch sagen. Ein Ausdruck, den ich zwar selten verwende, er übernimmt die Sicht der Konsumenten. Für den den Wein – gerade als Essbegleiter – bedeutet dies auch rund, geschmeidig, ja verführerisch zu sein: gut integrierte Tannine und Noten, die – nach verbreiteter Auffassung - zu einem guten Wein gehören, wie Frucht, Erdnoten, Mineralik, das so beliebte Barrique-Vanille, auch etwas Pfeffer (für den Schmiss!) und eine Palette von Gewürzen. Dies alles hat der Wein: aber nicht so ausgeprägt, dass er aus dem Ramen fallen würde. Eine geschliffene Persönlichkeit eben, ein guter Gastrowein. 

(Bild:  aus Galerie des Weinguts)
(Bild: aus Galerie des Weinguts)

23. März 2018

 

Quinta do Zambujeiro : Monte do Zambujeiro 2014,  Vinho Regional Alentejano, Rio de Moinhos, Borba, Portugal

 

Dieses Mal geht es mir weniger um den Wein, als vielmehr um Weine in Restaurants oder anders formuliert: um Ideenlosigkeit, Langweile bis zur Zumutung der Weinkarten in Speiserestaurants. Vielleicht hat der eine oder die andere schon bemerkt: ich führe so etwas wie ein Dauerkrieg mit Weinkarten. Nicht mit jenen Karten, bei denen Sommeliers am Ruder sind oder das Prestige-Denken von «gehobener Kundschaft» im Vordergrund steht. Nein, ich meine die Weinkarten in Speiserestaurants, die nicht nur bei Festessen besucht werden, sondern auch an Werktagen, wo eine einfache, gute Mahlzeit gefragt ist, mit einem zumindest «interessanten» Wein. Der Preis – gerade bei Flaschenweinen – ist ohnehin eine Hürde. Denn der übliche Faktor 3 (dreimal den Preis beim Weinhändler) ist gerade für einen Weinliebhaber (mit eigenem Weinkeller) oft ein Schmerzfaktor, zumal das Essen (abseits der Fastfood-Ketten) in der Schweiz recht teuer ist. Fazit: mit dem Essen bin ich bei meinen bevorzugten Restaurants meist zufrieden, mit den Weinen aber nur selten. Zu eintönig, zu phantasielos, zu belanglos für meist 50 und mehr Franken. Doch – ich nenne für einmal beim Namen – die Rosenburg (Wolfhausen) ist ein Lichtblick. Die Weinkarte zwar nicht allzu gross, aber attraktiv, vielfältig und durchwegs im üblichen Preissegment um 50, 60 Franken. Ein Portugiese – in Restaurants eher selten zu finden – und ein Priorat-Wein habe ich diesmal ausgewählt. Der Portugiese: rund, frisch, mineralisch, mit schmelziger Frucht und schöner Balance. Ein Charmeur im besten Sinn, der Sinnlichkeit mit Tiefe und Nachhaltigkeit verbindet. Dies ist für einen Wein aus der heissen Gegend von Alentejo beachtlich und eher die Ausnahme. Und noch etwas: es sind ausschliesslich Rebsorten, die in Portugal zuhause sind, ergänzt mit etwas Cabernet Sauvignon. Ich glaube, es ist vor allem dieser kleinen Cabernet-Zugabe, welche die Cuvée restaurantfähig macht.

23. März 2018

 

Brigitte & Gerhard Pittnauer: Pannobile Respekt 2015, Neusiedlersee, Gols, Österreich

 

Auf diesen Wein bin ich fast gestürzt, als ich ihn in einem Restaurant auf der Weinkarte sah. Vorsichtig habe ich zwar die Freunde gefragt: Darf es etwas sein, ausserhalb des Mainstreams? Ein Österreicher, eine Cuvée aus Blaufränkisch, St. Laurent, Zweigelt. Nicht gerade Rebsorten, die hierzulande begeistern. Doch der Begriff «Pannobile» war mir – zumindest ansatzweise – bekannt, das Weingut Pittnauer aber kannte ich nicht. «Pannobile» ist eine Vereinigung von Winzern in Gols (am Nordostufer des Neusiedler Sees), die sich ursprungsbezogenen, gebietstypischen Weinen verschrieben haben. Neun Winzer schafften 1994 gemeinsam das Label «Pannobile», in dem – gemäss Satzung - nur vollreife Trauben der drei einheimischen Rebsorten verarbeitet werden, die alle aus genau bestimmten Lagen der Gemeinde Gols kommen. Die einzelnen Betriebe aber arbeiten selbständig, ohne dass die Vereinigung da involviert ist. Sie haben ihre eigenen Weine und ihre eigene Angebot. Doch einmal im Jahr bestimmt jeder der Winzer zwei Kandidaten für einen weissen und einen roten «Pannobile». In Diskussionen und Degustationen wird dann gemeinsam bestimmt, welche der Weine unter dem Namen «Pannobile» angeboten werden. So entstehen jedes Jahr ganz individuelle Weine, die aber alle aus dem gleichen Erbgut der Natur stammen.
Schon ganz grundsätzlich liebe ich Weine, die zurecht den Stempel «Charaktertyp» tragen und sich dem «Einheitsbrei» in der Weinwelt entziehen. Doch diesen Wein liebe ich – seit gestern – noch mehr als all die österreichischen Blaufränkisch, St. Laurent und Zweigelt, die ich bisher getrunken habe. Nicht unbedingt, weil er viel besser ist, sondern weil er eine Ehrlichkeit ausstrahlen, die den Weingenuss erst einmalig macht und leider immer weniger anzutreffen ist. Keine Holz-, keine Alkohol- und keine Volumen-Bombe, sondern ein Wein der feineren Art: lebendig in Nase und Gaumen, mit feinen Noten von Kirschen, Lorbeer, Zimt, roten Beeren, Mineralität und beachtlicher Harmonie. Die kleine Tafelrunde hat kein Wort über den Wein gesagt, vielleicht weil er – neben dem guten Essen – fast so etwas wie beiläufig wirkte. Abrundend, ergänzend, zusammenhaltend. Ich habe den Wein nicht einfach nur ausgewählt, sondern mich auch richtig gefreut, wieder einmal einen hervorragenden Wein - in einem Restaurant, das nicht auf Weine spezialisiert ist - auf den Tisch zu bekommen und erst noch zu einem guten Preis.

20. März 2018

 

Terres de Vidalba: tocs 2005, Garnacha/Syrah/Cabernet, Proboleda, Priorat, Katalonien, Spanien

 

Meine « Erkundungsfahrt» durchs Priorat geht weiter. Diesmal: Stop in Proboleda. Als ich dieses Foto gemacht habe, wusste ich noch nichts von «tocs», vom Weingut «Terres de Vidalba». Ich bin – mit dem Fotoapparat durch das Dorf geklettert und hatte den Eindruck, viel, viel Katalonien zu schnuppern. Die Bodega habe ich nicht besucht. Wie sollte ich auch, ohne Führer, ohne grössere Erfahrung mit Weinen aus dieser Gegend. Jetzt habe ich – dank «Priorat Hammer» – das Versäumnis nachgeholt, mit einem Wein, der alt ist. Alt, selbst für einen mit Bordeaux-Alter geeichten Weinfreak. Ist da noch was, nach bald dreizehn Jahren? Es ist noch was, und recht viel. Nicht mehr ganz so «wow-haft», wie die Begegnung des ersten Weins dieser (nachgeholten) Weintour. Jede Jugendlichkeit hat der Wein abgestreift, jeglichen Übermut verloren. Er ist dafür an Würde erstarkt, hat wohl an Tiefe zugelegt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein jugendlicher Wein so tief und abgeklärt ist wie diese Cuvée. Cuvée? Da bin ich mir nicht ganz sicher: Grenache sicher, daran habe ich mich im Priorat bereits gut gewöhnt, sicher auch Syrah und wohl auch noch etwas Cabernet Sauvignon. Der Verbindlichkeit zuliebe. Soweit, so gut. Doch die Frage bleibt offen: was ist geblieben, was ist neu dazugekommen. Routinier machen da natürlich eine «Vertikale» und wissen es dann genau… So genau will ich es aber gar nicht wissen. Ich strecke einfach die Nase hinein ins Glas: Grenache-Aromen: Kirsche, Granatapfel, schwarze Oliven… Im Gaumen wird es dann noch bunter, irgendwie habe ich auch das Gefühl: betulicher. Die Frucht versteckt sich im Pfeffer, Leder oder gar im Honig. Der Alkoholgehalt – immerhin mit 15% vol. angegeben – hat seine Schärfe verloren. Der Drang nach Harmonie ist unverkennbar. Dafür sorgt wohl der Cabernet-Anteil. Aber auch die Flaschenreifung hat einiges bewirkt, für Gutes, noch Besseres gesorgt. Die Wortwahl ist immer etwas Glücksache: Liegt die Betonung auf Kraft, auf Stärke, auf Aromatik, auf Eigenständigkeit? Jedenfalls ist es – so mein erstes «tocs»-Erlebnis - ein sehr guter Wein. Exzellent heisst es dann wohl in Weinbeschreibungen. Ich mache es mir da viel einfacher: Kein Wow-Wein, sondern Hmmm-Wein eben.

(Bild: selection schwander)
(Bild: selection schwander)

17. März 2018

 

Hans & Philipp Grassl: Selection Schwander 2011, Cuvée, Carnuntum, Göttlesbrunn, Österreich

 

 

Österreichische Wein haben es schwer in der Schweiz, trotz Nachbarschaft und trotz des guten Rufs, der längst auch in der Schweiz angekommen ist. Dazu die Rebsorte Zweigelt, die in der Schweiz wenig verankert ist. Man setzt hier – vor allem in der Deutsch-Schweiz - auf Pinot Noir, im Tessin auf Merlot und eigentlich überall auf Cabernet Sauvignon plus eine zweite oder dritte Rebsorte, also quasi auf Bordeaux-Blends. Eine Cuvée mit den beiden Rebsorten, Zweigelt und Blaufränkisch (80%), die in Österreich am häufigsten angepflanzt sind (und noch 20% Merlot) ist für Schweizer so etwas wie ein «Versöhnungswein». Der gewiefte Weinhändler und «Master of Wein», Philipp Schwander hat offensichtlich ein «gutes Händchen», wenn es darum geht, Weine auch in der Schweiz zu lancieren. Der Name Schwander bürgt – in den weiten Konsumentenkreis – für Qualität und hat den Ruf als «Entdecker» noch wenig bekannter Weine. Über den Wein schreibt er: «Von den zahlreichen österreichischen Rotweinen, die wir im Laufe der Jahre angeboten haben, ist die Spezialfüllung von Philipp Grassl mit Sicherheit am erfolgreichsten.» Da der Zweigelt eine der bevorzugten Rebsorten meiner Frau ist (und auch bei mir sehr gut «ankommt»), haben mich zwei Fragen besonders  interessiert. Warum avanciert diese Cuvée – wie Schwander schreibt – immer häufiger zum «Hauswein» als «eine willkommene Alternative zu den beliebten Tischweinen aus Italien, Frankreich oder Spanien»? Und: wie entwickelt sich der Wein im Alter?. Die Flasche ist immerhin sieben jährig. Haltbar - nach Grassl - etwa sechs Jahre. Nun, wichtiger als Haltbarkeit ist die Flaschenreifung. Stagniert die Entwicklung, reift der Wein weiter oder ist er bereits auf dem «Abstieg?. Ich meine, er hat hier den Höhepunkt überschritten, Der Rest an Frucht, die der Wein für seine Harmonie braucht, ist am Verblassen. Etwas einfacher ist die Antwort zur zweiten Frage: Es ist vor allem der Merlot, welche den wein entscheidend abrundet, vielleicht sogar internationaler macht. Damit wohl auch gefälliger und trotzdem eigenständig und kraftvoll. Natürlich ist es auch der Preis - um 15 Franken - der ihn in die Liga des «gehobenen» Hausweins bringt.

12. März 2018

 

Celler de l'Encastell: Roquers de Samso 2010, Priorat, Katalonien, Spanien

 

 

Jetzt wird es spannend. Ich hoffe, nicht nur für mich, auch für die Leser des «Getrunken». Ich beginne nämlich eine Serie von Texten zu Priorat-Weinen, die ich bisher noch nie im Glas hatte. Also: für mich so etwas wie «unbekanntes Land». Priorat-Kenner werden mich jetzt auslachen. So unbekannt sind die meisten der Namen und Weine nun auch wieder nicht. Beste Adressen! Vor allem aber: Sie sind authentisches Priorat. Deshalb sind sie auch ein Teil meiner «neuen» Weinwelt geworden. Bordeaux, mit dem ich so viele Stunden, Tage und Jahre verbracht habe, ist südlich gerückt. Über die Pyrenäen hinaus, ins bergige Weinland Priorat. Katalonien, das in den letzten Zeit ganz andere Schlagzeilen geliefert hat. Katalonien, das nicht nur für ein gutes Stück Selbständigkeit und Eigenständigkeit kämpft, sondern auch hervorragende Weine macht. Im Visier hatte ich die Weingegend schon seit ein paar Jahren. Ich bin auch hingefahren, bergauf, bergab, Kurve rechts, Kurve links. Ich habe vor Ort die guten Weine gesucht, selber gesucht, nicht nur aufschwatzen lassen von Händlern und Weinkritikern. Doch so einfach war das nicht, die paar wenigen Tage genügten längst nicht. Allein schon die paar «grossen» Namen haben mich absorbiert. Jetzt bin ich einen neuen Weg gegangen. Torsten Hammer, der Berggänger und ausgezeichnete Priorat-Kenner, also der Priorat-Hammer, musste mir – jetzt schon zum zweiten Mal – zwölf verschiedene Weine (von jedem zwei Flaschen) aus seinem Angebot zusammenstellen. Wundertüte oder Büchse der Pandora? Jedenfalls sind die Flaschen nun in meinem Keller und die ersten schon in meinem Glas. Nicht Blindverkostung – Blindwahl. Den Zufall walten lassen (und das sensorische Gespür von Torsten). Der erste dieser Serie war Roquers de Samso. Samso? Und schon musste die Weinliteratur herhalten. «Samso», der katalanische Name für Cariñena – oder eben Carignan. Das Nachschlagen wäre nicht nötig gewesen: sofort erkannt. Die für mich wichtigste Rebsorte Kataloniens springt mir entgegen. Mit Wucht, aber auch mit viel Eigenständigkeit, nein Ehrlichkeit. Trotz unverkennbaren Barrique-Tönen, Erinnerungen an Bordeaux, redet die einheimische Rebsorte mit mir. Und was sie alle zu sagen hat (es ist schon eher ein Schwärmen!): Thymian, Rosmarin, Hollunder, Kakao, reife Früchte… Meine Frau sagte Wow. Ich sagte nichts mehr. Ich liess den Maul im Mund tanzen, bis weit in den Gaumen hinab. Ein ausgezeichneter Einstieg. Habe ich da ein As gezogen, die Dame oder gar den «Trumpf-Bur». Wir werden sehen. Die Entdeckungsreise geht weiter, Fortsetzung folgt.

http://www.eduardobermejo.com/
http://www.eduardobermejo.com/

09. März 2018

 

Bodegas Antonio Arraez: Vivir sin Dormir 2016, Monastrell, Jumilla, Spanien

 

Es gibt Weine, die sind spannend, weil sie unspannend sind. Was kann man denn schon von einem reinsortigen «Monastrell» erwarten? Monastrell? In Frankreich bekannt als «Mourvèdre». Auch da meist als Verschnitt-Wein benutzt. Ein Küchenwein, sagen meine kochenden Weinfreunde. Und die Herkunft diesAnti-Shlaf-Weins? Eine Weingegend im südlichsten Teil der Levante, wo vor allem einfache, aber alkoholstarke Weine herkommen. Erstaunlich? Wirbt doch die Gegend mit statistischen Zahlen: «Dreitausend Stunden Sonnenschein pro Jahr».  Das sind durchschnittlich 8.2 Stunden pro Tag. Mir läuft es heiss den Rücken hinunter! Tatsächlich hat die Region - bis in die 80er-Jahre - die spanischsten Weine Spaniens produziert. Fassweine, die überall in Spanien auf den Tisch kamen. Überall, wo Weine bei jedem Essen auf dem Tisch stehen. Alltagsweine, Landweine… Dann erwachte die Gegend: Hundert Jahre später als in allen anderen europäischen Weingebieten hat die Reblaus auch in Jumilla Einzug gehalten. Die Winzer mussten um ihre Existenz kämpfen. Sie erneuerten und veredelten ihre Reben und schafften – mit moderner Technik – den Aufstieg auch in höhere Weingefilde. Zwar gilt Jumilla noch immer als Lieferant einfacher – preislich günstiger – Weine. Doch der Wille der Winzer, auch Besseres zu produzieren, ist unverkennbar. Doch die Botschaft ist bei den Konsumenten noch kaum angekommen. Eigentlich schade. «Vivir sin Dormir» ist so ein Wein, unspektakulär aber gut. Weich gebändigte Tannine, nicht im Alkohol ertränkt, etwas andere Geschmackseindrücke: durchaus auch pfeffrig, brombeerig, vor aber auch blumig und an eingemachte Früchte erinnernd, Trüffel und viel Waldbeeren. Und noch etwas: so jugendlich und schwungvoll, wie sich der sonst körperschwere, rabenschwarze Wein hier gibt, ist auch die Künstleretikette, gestaltet vom Designer und Maler Eduardo Bermejo. Echt spanisch!

04. März 2018

 

Domaine Les Mas des Armes: Perspekives 2014, Pays de Herault, Aniane, Languedoc, Frankreich

 

 

Ein gefälliger Wein, gut strukturiert, aber gar nicht geprägt von Weintradition des Languedoc. Daran trägt vor allem die Rebsorte Cabernet Sauvignon die „Schuld“, eine Rebsorte, die in den AOC-Weinen in der Languedoc nicht zugelassen ist. Deshalb ist es auch „nur“ ein Vin des „Pays de Hérault“, also einer jener Aussenseiter, die immer mehr das südlichste Weingebiet Frankreichs erobern. Man möchte eben auch „international“ sein und dem vorherrschenden näher kommen. Verständlich, eignet sich doch die Gegend um Aniane hervorragend für Cabernet Sauvignon und auch Merlot. Man schielt auch hier immer mehr nach Bordeaux. Führendes Weingut des 2‘000 Seelen-Dorfs ist das Mas von Daumas-Gassac, das schon recht früh auf die Bordeaux-Rebsorte Cabernet Sauvignon gesetzt hat und auf den AOC Statur verzichtete. Grossartige Weine, quasi die „andere Languedoc“. Dass dann das kleine Dorf der „Wein-Welt-Macht“ Mondavi getrotzt hat und den „Eindringling“ aus Amerika vertrieb, hat den Wein und die Weingegend nur noch berühmter gemacht. Die Geschichte brauche ich nicht nochmals zu erzählen. Tatsache ist, dass auch dieser Wein „Perspektiven“ aufzeigt. Die Perspektive, im internationalen Weinhandel Fuss zu fassen. Sich neben Bordeaux-Berühmtheiten etablieren zu können und erst noch mit einem grossen Vorteil, mit einem charakteristischen, ja einmaligen Terroir: dem Bergmassiv von Arboussas mit seinen zerklüfteten Kalksteinen und seiner sonnigen Lage etwa 300 Meter über Meer. Die beiden Brüder, welche das Weingut vor neun Jahren übernommen haben scheren sich wenig um Tradition, „unrentable“ Rebstöcke wurden konsequent ersetzt und eine schon fast unbekümmerte Vielfalt von Reben angepflanzt, mit dem einen erklärten Ziel: grosse Weine zu machen. Am Ziel sind sie noch nicht angekommen, aber auf gutem Weg.

28. Februar 2018

 

Château Ollieux Romanis: Cuvèe
Atal Sia 2014, Corbières Boutenac, Languedoc, Frankreich

 

Diesem „Getrunken“ könnte ich den Titel geben: „Von der Schwierigkeit einem Wein gerecht zu werden“. Es ist nämlich der erste Wein, den ich nach fast zwei Wochen trinke. Sozusagen versuchshalber, denn ich war – oder fühlte mich – krank. Krankheit verträgt keinen Wein, weil Krankheit die Lust tötet. Und lustloser Wein ist schrecklicher als Krankheit. Gestern kam sie wieder, die Lust, zaghaft zwar. Noch ordentlich lustlos holte ich diesen „Atal Sia“ aus dem Gestell, einen Wein, den ich nicht kannte, noch nie getrunken habe. Ein sogenannter Neugierwein. Aus Boutenac, einer Gemeinde, einem Dorf in der Corbières. Für mich der Inbegriff eine „gottverlassenen“ Gegend. Es gibt dort zwar Garrigues, knorrige Bäume und viel, viel Steine. Sein Name „Atal Sia“ bedeutet so viel wie „ainsi soit-il“ oder eben „Amen“. Das passt bestens zum Wein und meiner Stimmung: Die Nase, der erste Schluck, sie waren belanglos – unverbindlich. Spontane Meckerei: „Ich hatte auch schon besseren Wein im Glas.“ Ist dies nun das Amen meiner Corbières-Liebe? So langsam wie der Appetit zurückgekehrt ist, wandelt sich auch der Wein. Der Hintergrund rückte immer mehr in den Vordergrund, die Kühle wandelt sich in angenehme Wärme; der Wein begann zu spiele, zu singen, zu tanzen. Er führte mich an der Nase herum. Er wurde von Schluck zu Schluck besser. Er erzählte mir die Geschichte von der Carignan-Traube, die angeblich ihren guten Ruf verloren hat und nur noch in Cuvées und im Rioja akzeptiert wird. „Atal Sia“ ist zwar auch eine Cuvée (Carignan, Grenache, Mourvedre und Syrah), typisch languedocienne, aber stark geprägt von Carignan. Meine Vermutung es könnte ein reinsortiger Carignan zu sein, bewahrheitete sich nicht. Doch der Wein ist einfach runder, eleganter, feiner, fruchtiger als die sonst oft derben Corbières-Weine. Den feinen Röstton hat er übrigens nicht – wie so viele andere Weine – durch obligaten Holzeinsatz – sondern durch die Trauben, womöglich von sehr alten Stücken. 

23. Februar 2018

 

Bodegas Señorío de Barahonda: Yecla-6 meses 2014, Collection Dieter Meier, Levante, Murcia, Spanien

 

Yecla. Leuchtend rot prangt der Name auf dem Etikett. Und nicht unbescheiden daneben: Dieter Meier. Richtig, der Yellow-Meier, der Tausendsassa, der in Argentinien ein Weingut besitzt und eine Rinderfarm, natürlich alles Bio. Die Annäherung an den Yecla begann im Restaurant, mit einem Missverständnis. Auf der Weinkarte entdecke ich den Namen Dieter Meier und „Yecla“. Yecla? Das ist doch ein kaum bekanntes Weingebiet im Süden Spaniens. Was hat das mit Dieter Meier zu tun? Seine Weine, sind die Puros aus Mendoza, Malbec geprägt. Meine Neugier ist angestachelt. Also bestelle ich einen Yecla von Dieter Meier. Als der Wein auf den Tisch kam: Protest meiner Frau. Sie hat auf der Etikette Dieter Meier gelesen. Sie wolle heute keinen Malbec, lieber einen Spanier. Fast hätte der Kellner den Wein wieder weggetragen, bis allen klar wurde, es ist ein Spanier. Eben aus Yecla, wo kaum namhafte Weine herkommen. Da gibt es nur wenige Weingüter – drei, vier, so genau weiss ich es nicht – die überregional bekannt sind. Bis in die 80er-Jahre gab es kaum Flaschenabfüllungen von Yecla-Weinen. Erst in den letzten Jahren wurden die Grenzen des Weingebiets, das nur eine Gemeinde umfasst, weinmässig gesprengt. Dieter Meier mt dem guten Riecher für Exklusives hat da offensichtlich zugeschlagen. Das also ist der 6-Monate-Wein (damit ist wohl die Fassreifung gemeint). Richtig! Es gibt auch einen 12-Meses-Wein, noch exklusiver, 12 Monate im Barrique. Doch bleiben wir beim 6-Monate-Wein. Das Holz fällt überhaupt nicht ins Gewicht, dafür die Volumen-Prozent: 15% Alc., so quasi am obersten Limit. Ein Wein, der durchaus seine Liebhaber findet: intensiv, konzentriert, aromatisch. Eher eine Weinbombe, als eine Weinblume. Tiefschürfende Frucht, ein ganzer Kräutergarten, aber auch Kaffee- und Röstaromen, Kein Wildwuchs – in seiner ganzen Kraft viel Eleganz. Vor allem nicht aufgepeppt mit Holz. Zwar prall in seinem Erscheinen, aber durchaus die Harmonie suchend und auch findet. Für mich der etwas andere Wein.

16. Februar 2018

 

Alvaro Palacios: Les Terasses 2015 und 1995, Cuvée Samso, Garnacha, Cabernet Sauvignon und Syrah, Gratallops, Priorat, Katalonien, Spanien

 

Die Geschichte von Alvaro Palacios und seinem Weingut, das längst zum Kult geworden ist, muss ich hier nicht wiederholen. Ich erzähle lieber meine eigene Geschichte. Sie ist der Schlüssel zu meiner Prioratliebe. Immer wenn es etwas zu feiern gibt, sei es einen Geburtstag, ein persönliches Fest, oder ganz einfach einen glücklichen Tag, bin ich Gast in einer kleinen Wirtschaft mit hervorragendem Essen guten Weinen. Eigentlich ist es ein typisch schweizerisches Restaurant, die «Metzg», mit einer gemütlichen Gaststube und dem Charme des Alten. Doch der Wirt kommt aus Spanien und bietet spanisches Essen und spanische Weine an. Da verliebte ich mich einst in den Finca Dofi von Alvaro Palacios. Dies war zu einer Zeit, als der Palacios-Hype noch nicht so richtig im Gange war, und die Finca Dofi ziemlich der einzige Wein aus dem Priorat war, von dem ich bis zu diesem Zeitpunkt gehört habe. Nur, er sprengte - vor allem im Restaurant – die Grenze der festtäglichen Weinrechnung. Da half mir der Wirt aus der Patsche: "Les Terasses", der «kleine» Palacios, sei wohl eine gute Alternative. Und sie ist es bis heute. Weil meine Festtage nicht besonders häufig sind, gönne ich mir seither immer einen «Les Terasses», wenn ich in der Metzg, als Priorat-Highlights, reserviert für spezielle Tage, Doch in meinem Keller gibt es den Wein nicht, er soll das Besondere der "Metzg" bleiben. Bis, ja bis ich kürzlich an einer Auktion sechs Flaschen "Terasses" des Jahrgang 1995 erstehen konnte, zu einem Preis, der nicht viel höher lag als eine einzige Flasche im Restaurant. Ein Wein – mir inzwischen bestens vertraut – der mehr als zwanzig Jahre alt ist, kann man ihn noch mit Genuss trinken? Man kann, aber es ist ein ganz anderer Wein. Zwar noch unverwechselbar ein «Terasses». Auch blind würde ich ihn immer noch Palacios zuordnen. Und doch ist er nicht einfach ein «ergraut» und «zerbrechlich» gewordener Palacios. Er ist auch als Altwein eine Persönlichkeit. Gestern – ich war ich am Geburtstag meiner Frau – wieder in der Metzg und konnte vergleichen: Der kräftige, verführerische Jungsporn (2015) mit gefesselt präsentierten Frucht- und viel Beeren-Aromen , der mit seinem Körper und seiner kräftigen Statur den Mund fast sprengt, und der stillgewordene, nachdenklich wirkende Veteran (1995), der mit seiner Restkraft in Mund und Gaumen noch tanzt. Keinen Flamenco mehr, aber auch keinen Totentanz, eher ein bedächtiger Bolero, dem man lange zuhören mag. Für mich nicht einfach ein Abgesang, vielmehr ein Erlebnis. Die Demonstration was aus einem starken, muskulösen Wein werden kann, wenn Jugend und Reife vorbei sind und ihn nur noch der Charakter – und zwar ausgeprägt – trägt. Vielleicht müsste man doch öfters – Jung und Alt – vergleichen, um dem «wahren Charakter» eines Weins näher zu kommen.

© Terroir al Limit / Gerd Kressl
© Terroir al Limit / Gerd Kressl

07. Februar 2018

 

Weingut Terroir al Limit: Historic 2015, Grenach/Garignan, Torroja (Tarragona), Priorat, Katalonien, Spanien

 

Das Priorat ist so etwas wie meine «Altersliebe». Nicht so stürmisch, wie damals, als ich die Dame «Bordeaux» zu erobern suchte. Nicht so unkritisch, wie ich einst in die Welt des Weins eingestiegen bin. Nicht mehr so entflammt, wie bei den ersten berühmten Namen, die ich auszudeuten suchte. Nicht einmal geheim halten muss ich die späte Liebe. Ich stehe dazu und sage es allen Leuten, die sich dafür interessieren. Leider sind dies nicht so viele, wie die Bordeaux-Botschaften hören möchten; nicht so viele, wie vom Riesling schwärmen; niemand, der den Weinkeller als Geldanlage verwaltet. Ich bin mit meiner Liebe zwar nicht allein, aber doch viel intimer, privater, als mit anderen Schönheiten der Weinwelt. Historic gehört zu den Schönheiten des Priorats.  Grazil, leichtfüssig im Mund, hauchfein, bestimmend und doch anmutig. Keine Power-Gestalt, dafür vielschichtig, nicht wankelmütig zwischen Frucht, Aromen und Säure. Vielmehr ausgewogen, bestimmt und klar. Ohne Angst auch erfrischend leicht, ja sogar in Spiellaune wahrgenommen zu werden. Ich habe das Gefühl «guten Wein» zu trinken und nicht von ihm erschlagen zu werden. Und dies, obwohl es ein Wein aus dem heissen, feurigen Süden ist. Irgendwo habe ich ein Ausspruch des Winzers gelesen, der mehr sagt, als viele Worte: «Wer Süsse und Opulenz sucht, soll sich eine Mango kaufen». Nein, ich kaufe mir keine Mango, oder wirklich nur dann, wenn ich auch eine Mango essen möchte.

25. Januar 2018

 

Château Lynch-Bages 2001, Pauillac, Bordeaux, Frankreich

 

 

Berichtet habe ich hier - im «Getrunken» - schon oft vom Lynch-Bages, dem «Mouton des kleinen Mannes», auch von seiner unglaublichen Preis-Entwicklung in den letzten Jahren. Den Jahrgang 1996 – den ich im Augenblick «austrinke» - habe ich damals noch für 50 Franken gekauft, jetzt kostet er das Dreifache. Der Begriff «kleiner Mann», auch wenn er ein Bordeaux-Liebhaber und weinverrückt ist, kann vergessen werden. Lynch-Bages ist ein «grosser» Wein geworden, auch wenn er im Stil sehr konstant geblieben ist und durchaus auch mit Mouton Rothschild verglichen werden kann. Ein Mouton zu etwa einem Viertel des aktuellen Mouton-Preises? Der «kleine Mann» erwacht wieder, er muss sich aber tüchtig strecken und recken. Der Lynch hat ein ähnliches, rauchige Bouquet, eine ähnlich fleischige Note im Gaumen, eine ähnliches ausgeprägte Cabernet-Bouquet wie viele Jahrgänge von Mouton. Eine Blindverkostung - zusammen mit Mouton - ist immer unglaublich spannend. Die beiden Weine sind sicher nicht identisch, doch sie liegen weit weniger weit auseinander als ihre Preise. Doch darum geht es diesmal nicht. Es geht um ein Erlebnis, dass sich zufällig so ergeben hat. Wir hatten noch einen Rest des Lynch-Bages 2001 in der Flasche – zwei Tage offen – und haben ihn eingeschenkt. Er war noch besser, noch runder, noch abgeklärter als am Vortag. So jedenfalls unser Eindruck. Ein paar Stunden später setzten wir uns zum Essen an den Tisch. Ich plante an diesem Abend einen «Alltagswein» zu erproben, einen Wein den ich zufällig einmal getrunken habe und recht gut fand. Ein Sangiovese, also eine ganz andere Welt, eine andere Weingegend, eine andere Traube, ein anderer Wein. Auch im Preis ganz anders, Er kostet etwa ein Achtel des heutigen Lynch-Bages. Ich hatte auch nicht vor, die beiden so unterschiedlichen Weine miteinander zu vergleichen. Man weiss doch:  Bananen mit Äpfeln vergleichen - oder so… Der Lynch-Bages-Rest (vor Stunden ein halbes Glas getrunken) war nur noch Erinnerung. Der neue Wein hingegen war Gegenwart, ein augenblickliches Trinkerlebnis, das sensorisches Hier-und-Jetzt. Und? Die Erinnerung war stärker. Der gute Wein im Glas zog sich zurück, verschwand, wurde flach, belanglos, erlebnisarm. Der Lynch-Bages aber wuchs, wurde grösser, gewaltig, orchestral. Natürlich nur in der Erinnerung, während die Gegenwart – zumindest seine Weinrealität – versank. Ich greife mir an den Kopf. Kann das sein? Spielt mir da die Erinnerung einen gewaltigen Streich. Habe ich die Dimensionen verloren. Vielleicht. Doch, eine Lehre habe ich daraus gezogen. Oft sind es nur kleine, oft sogar winzige, Unterschiede, die Gross grösser und Klein kleiner erscheinen lassen. Schon morgen werde ich – da bin ich sicher – den Toskaner ganz anders – wohl realnäher – erleben.

 

Foto: Schiller-Wine, Blog
Foto: Schiller-Wine, Blog

17. Januar 2018

 

Schlossgut Diel KG: Riesling Tradition 2013, Nahe, Deutschland

 

Irgendwie – man verzeihe mir – bin ich rieslingbelastet. Meine deutschen Weinfreunde haben sich zehn Jahre lang – oder waren es gefühlte zwanzig – redlich bemüht, mir die Schönheit und Vollkommenheit deutscher Rieslinge zu vermitteln. Jedes Jahr besuchten wir eines der deutschen Weingebiete. Natürlich waren wir auch an der Nahe, auch bei Diel, eigentlich bei allen grossen Riesling-Namen. Die langjährige Einführung war zwar etwas einseitig: nur trocken mussten die Weine sein. Alles andere ist – so meine Erkenntnis – der Riesling-Schönheit nicht würdig. Also habe ich – dem Teufel ein Ohr ab – trockene Rieslinge probiert, schliesslich schreibe ich seit mehr als zwanzig Jahren Weingeschichten, da muss auch der Riesling seinen Platz haben. Ich bin der Überzeugung, , dass Weine, vor allem gute Weine, auch reden können. Doch die Stimme der trockenen Rieslinge, ich höre sie zwar, doch sie bleibt mir (fast immer) fremd. Wo ist da die Objektivität? Mein sensorisches Talent? Meine Genussfähigkeit? Allen Bemühungen zum Trotz, letztlich bin ich in Sachen Riesling ein tumber Tor geblieben.
Meine deutschen Weinfreund werden dies bestätigen (und mich ordentlich schelten). Immerhin habe ich es soweit gebracht, dass ich mir ein paar Rieslinge – deutsche, trockene – in den Keller legte.  Nicht um sie zu lagern, zu hüten, zu pflegen, wie die Bordeaux. Vielmehr um dem trockenen Riesling  doch noch auf die Schliche zu kommen.

 

Und jetzt dies: Da hat sich – ohne, dass ich es bemerkt habe – ein nicht ganz trockener Riesling in meinen Keller geschlichen. Riesling Tradition, die einzige Ausbau-Orientierung auf dem Etikett. Also habe ich zu einem traditionellen Essen mit Nachbarn – nach eigenen Angaben: Weintrinker, aber keine Weinkenner – wie immer – den Wein beigesteuert. Ob Bordeaux, Piemont, Burgund, Kalifornien oder Schweiz, bisher wurde da gerade Mal eine Flasche – nicht immer ganz – getrunken. Diesmal aber waren es deren drei! Zum ersten Mal wurde ich mit viel Lob eingedeckt. Was ist passiert? Dieser «Riesling Tradition» war eben halbtrocken oder, halbsüss, oder lieblich oder feinfruchtig. Wie auch immer. Eine Geschmacksbezeichnung steht nicht auf der Etikette. Auch der Restzucker-Anteil (12 g oder mehr je Liter) wird nirgends – auch auf der Website von Diel - nicht angegeben. Kurzum, der Wein ist «süss» - ohne direkt ein Süsser zu sein. So, dass ihn meine Lehrmeister – die deutschen Weinfreunde – nie trinken würden. Jedenfalls gemäss meiner Riesling Erfahrung als lernbegieriger «Lehrling». Doch da ich habe – als Wirt ad hoc – die Rechnung da ohne die weinliebenden, aber nicht kennenden Gäste gemacht. Der Wein wurde getrunken. Getrunken und gelobt wie noch nie. Zu Recht komme ich da ins Sinnieren. Vielleicht gibt es doch einen Unterschied zwischen Weinkennern und Weintrinkern. Tief begraben, im Unterbewusstsein. Oder schlicht vergessen, was beim Trinken zählt: der Genuss. 

Foto: Le Mas de l’Ecriture
Foto: Le Mas de l’Ecriture

08. Januar 2018

 

Le Mas de l’Ecriture: Les Pennsée 2011, Terrasses du Larzac, Languedoc, Frankreich

 

 

So gesprächig war er noch nie, der Chef des kleinen Lebensmittelladens „Casino“ um die Ecke. Ich kämpfte noch mit meinem Einkaufskorb und den Tücken der unförmigen Verpackungen, da hat er mich mit einem Schwall von Sätzen eingedeckt. Seine Augen glänzten, da realisierte ich, er spricht von einem Wein, den ich eben eingepackt habe. Ich schnappte Begriffe auf, wie Einmaligkeit, Persönlichkeit, Künstler, Handlese… da erst hörte ich richtig zu und begriff – der Wein, der so beiläufig etwas abseits im Gestell stand – ist für ihn nicht irgend eine Verkaufsware, sondern eine Besonderheit, ein kleiner Schatz (Trouvaille). Das ist er auch, der regionale Wein (er stand bei den Languedoc-Weinen), wo kein Flasche mehr al 15 Euro kostet. Im kleinen Lebensmittelgeschäft – es it ja keine Weinhandlung – werden teure Weine kaum gekauft. Der Wein kostete rund das doppelte, der teuersten Weine der Region im Laden. Selbst meine Frau – in Sache Wein an einiges gewohnt – hat mich mit grossen Augen angeschaut. Ich hab den Wein nachträglich eingepackt, einfach aus neugier, aus „Gwunder“. Ich kenne zwar die Terrassen von Larzac, diesen Wein aber nicht. Zwei Tage später dann – zuhause – verstand ich den Wortschwall des Verkäufers. Es ist wirklich eine Trouvaille. Eine Entdeckung, ein Wein der Freude macht. Nicht einfach nur Tradition, auch Sinnlichkeit. Kraft, Eleganz, Schönheit in einem, in jedem Schluck. Eine Entdeckung. Das Liebäugeln mit der „Internationalität“ stört mich hier nicht. Warum soll etwas, das so gut ist, nicht auch „international“ sein? Endlich wieder einmal ein Wein, der anders ist. Nicht anders im Ausbau, im Geschmack, in der Wahl der Traubensorten, in der eigenen Wildheit. Ganz einfach anders gut! Und das ist doch was.