Von Jägern und Sammlern.

Karl-May-Sammelbilder und -alben

Von Thomas Winkler

 

Es war Mitte der 1960er-Jahre – auf unserem Schulhof wurde in den Pausen mit Karl-May-Sammelbildern gespielt. Tatsächlich: „gespielt“. Wer von einem bestimmten Punkt aus sein Pappbildchen am weitesten werfen konnte und dabei der Hausmauer am nächsten kam, dem gehörten alle Karten, die bei dem jeweiligen Spiel im Einsatz waren. Mitunter florierte ein reger Tauschhandel auch während des Unterrichts. Unsere Lehrerin sah es gar nicht gerne, wenn während der Schulstunde Karl-May-Film-Sammelbilder getauscht wurden. Einmal nicht aufgepasst, und schon hat-te sie die Bilder von zwei Klassenkameraden einkassiert und unter dem Lehrerpult verschwinden lassen.Zur Pause ließ sie die Bilder unter dem Pult liegen. Mein Freund und ich waren neugierig, um welche Motive es sich da wohl handelte. Freund Hans-Michael zog kurzerhand die „Eikon“-Bilder aus dem Pult hervor und blätterte schnell den ganzen Packen durch. Bild Nummer 31 fehlte ihm noch. Er murmelte, dass er es sich nehmen würde. Mir fehlten aller-dings noch weit mehr Motive. Ich ermahnte ihn, von seinem Vorhaben abzulassen, die Lehrerin würde es sicherlich merken. Nun, die Lehrerin merkte es nicht, die Mitschüler hatten ihre Bilder bereits vergessen, mein Freund war der Komplettierung um ein Bild näher, und ich hatte mich nicht getraut. Die Idee, mittels Sammelbildern die Kundschaft an bestimmte Produk-te zu binden, war Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich aufgekommen. Meistens waren es Bilderfolgen mit je sechs Motiven. Diese Anzahl hatte keinen inhaltlichen, sondern nur einen technischen Grund: Die Druck-platten des damaligen Steindrucks wurden dadurch am besten ausgenutzt. In Deutschland traten die Sammelbilder ihren Siegeszug seit 1872 an: Da-mals ließ die Firma Liebig („Fleisch-Extrakt“) Bilder drucken, die als Zu-gabe beim Einkauf vom Händler („Kaufmann“) abgegeben wurden. Diese sogenannten „Kaufmannsbilder“ erfreuten sich großer Beliebtheit. Sie enthielten auf der Rückseite eine Erläuterung zum jeweiligen Bild und die jeweilige Firmenwerbung. Am Anfang standen Einzelbilder, doch schon bald wurden thematische Serien produziert, die in Einsteckalben gesam-melt werden konnten.In den 1920er- und 1930er-Jahren begann die große Zeit der Einkle-bealben. Vor allem Zigarettenfirmen überschwemmten den Markt mit Se-rienbildern. Führend war hier die Firma Reemtsma mit dem Deutschen Bilderdienst. Die Bilder lagen der Packung entweder direkt bei oder man erhielt sie auf dem Versandweg, nachdem man zuvor Gutscheine gesam-melt hatte. Auch sogenannte Automatenbilder waren im Umlauf, die man sich für einen Geldbetrag ziehen konnte.Oft erschienen dieselben Bilderserien unter verschiedenen Firmenna-men. Ab den 1950er-Jahren gab es Wundertüten zu kaufen, in denen meist mehrere Bilder lagen, deren Motive man beim Kauf natürlich nicht einsehen konnte. In den 1970er-Jahren kamen schließlich selbstklebende Sammelbilder auf den Markt, womit zugleich der Endpunkt der technolo-gischen Entwicklung des Sammelbilds erreicht war.Die Sammelleidenschaft der Kinder, Jugendlichen und auch Erwachse-nen kannte keine Grenzen. Schulhöfe und spezielle Tauschvereinigungen waren Kommunikationspunkte zur Komplettierung der Bildserien. Im Zeitraum von 1926 bis 1945 sind ca. 700 verschiedene Sammelbilder-Alben erschienen und darüber hinaus noch etwa 420 Serien, zu denen kein spezielles Album veröffentlicht wurde. Auch heutzutage, im Zeit-alter des Computers und der Spielekonsole, hat das fast archaische Bilder-sammeln keineswegs an Attraktion verloren. Die Fußballbilder der Firma Panini sind seit Jahrzehnten ein einträgliches, unverwüstliches Produkt.In den 1930er-Jahren und dann wieder in der Nachkriegszeit allerdings lief Karl May den Fußballhelden allemal den Rang ab. Karl-May-Bilder gehörten auf dem Sammlermarkt zu den attraktivsten Themengebieten – neben Filmschauspielern, Tierdarstellungen, Bildern aus der Geschichte und von Sportereignissen wie den Olympischen Spielen.Die am weitesten verbreiteten und immer wieder neu aufgelegten Karl-May-Sammelbildmotive stammen von dem schwedischen Zeichner Carl Lindeberg (1875–1961). Lindeberg prägte mit seinen Zeichnungen über Jahrzehnte das optische Erscheinungsbild der Karl-May-Welt. Daneben gab es aber auch Zeichner, die bis heute nicht enttarnt sind.In einer Zeit, als das Interesse an Sammelbildern erkennbar nachließ, kam es zu einer überraschenden Renaissance. Im Zuge der Karl-May-Film-Welle in den 1960er-Jahren erlebte die Sammelleidenschaft einen unge-ahnten Aufschwung durch Postkartenserien und die „Eikon“-Sammelbil-der. Der Bezug zum originären Werk Karl Mays ist hier zwar gebrochen durch das dazwischen geschaltete Medium des Films, doch muss man feststellen, dass diese Art von „Karl-May-Bildern“ eine wohl weit höhere Verbreitung gefunden hat als die früheren Lindeberg-Alben.Eine Anmerkung zu der folgenden Übersicht: Verschiedene Karl-May-Sammelalben sind bisher allein durch Einträge in dem Standardwerk von Hartmut L. Köberich Reklame- und Sammelbilder: Katalog mit Bewertung der Sammelalben und Liebigbilder aus der Zeit von 1872–1945 und Katalog mit Bewertung der Sammelbilder und -alben aus der Zeit von 1946–2001belegt. Allerdings muss man diesen Angaben mit einer gewissen Vorsicht begegnen. Einzelne Karl-May-Alben sind bei Köberich unter verschiede-nen bibliografischen Angaben mehrfach aufgeführt, sodass der Eindruck entsteht, es lägen unterschiedliche Ausgaben vor. Tatsächlich aber handelt es sich um ein und dasselbe Album. Es liegt die Vermutung nahe, dass dem Autor die betreffenden Alben nicht in jedem Fall persönlich vorgele-gen haben, sondern dass er sich bisweilen auf Mitteilungen von Sammlern verlassen hat. Es ist auffällig, dass die infrage stehenden Alben (wie im Folgenden gekennzeichnet) auf dem Sammlermarkt bisher nicht aufge-taucht bzw. auch versierten Sammlern nicht bekannt sind. Jedenfalls ist im Köberich-Katalog mit einem gewissen Fehlerpotential zu rechnen, und vielleicht ist es durch diese Veröffentlichung möglich, die eine oder andere Leerstelle auszufüllen.